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Der Zusammenbruch eines Tabus

Ein Interview über die Studien Klaus Gambers zur Liturgiereform

1992 brachte das Benediktinerkloster Sainte Madeleine in Le Barroux die erste Übersetzung einer Auswahl aus den Arbeiten des verstorbenen Liturgiewissenschaftlers Msgr. Dr. Klaus Gamber (1919-1989) heraus, unter dem Titel "La réforme liturgique en question". Sie stieß in Frankreich auf ein gewaltiges Echo. Die französische Monatszeitschrift La Néf (B.P., F-78690 Les Essarts-le-Roi) ging dem Ereignis nach und befragte Père Emmanuel aus Le Barroux darüber. Mit freundlicher Erlaubnis erschien in der Zeitschrift "Umkehr" vom Februar 1993 eine deutsche Übersetzung dieses Interviews, die wir nun online stellen wollen.

La Nef: Können Sie uns einiges über den Verfasser, Mgr. Klaus Gamber, mitteilen, bevor wir von seinem Buch, das Sie kürzlich in französischer Sprache veröffentlichten, sprechen?

P. Emmanuel: Klaus Gamber ist 1919 geboren und wurde 1948 zum Priester für die Diözese Regensburg geweiht. Er war ein eifriger und guter Priester. Vielen seiner Mitbrüder wurde er zum Freund und Führer. Im Jahre 1957 gründete er in Regensburg das Liturgische Institut, das sich das Studium der Quellen der abendländischen Liturgie zur Aufgabe machte. Seine Veröffentlichungen der ältesten liturgischen Handschriften verschafften ihm in Fachkreisen sehr schnell Ansehen. Mit 39 Jahren wurde er zum Ehrenmitglied der Päpstlichen Akademie für Liturgiewissenschaft ernannt. Mit den nachkonziliaren Reformen der siebziger Jahre stieg er in die Auseinandersetzung ein. Der redliche und gewissenhafte Gelehrte mußte notgedrungen über die zunehmende Unordnung und Verwirrung unwillig werden. So verfaßte er für die Una- Voce-Korrespondenz regelmäßig Artikel, die er in der Folge zu einer Reihe kleiner Bände vereinigte, welche der französischen Öffentlichkeit bis jetzt noch nicht bekannt sind. Wir lernten ihn vor sieben oder acht Jahren über einen jungen Schweizer Priester, der sein Schüler gewesen war, kennen. Der Gedanke einer Ausgabe in französischer Sprache fand sogleich seine Zustimmung. Diese Publikation verzögerte sich infolge seines unerwarteten Todes vor drei Jahren

Das Buch von Mgr. Gamber als solches ist sehr interessant, doch am meisten überrascht sicherlich das Vorwort von Kardinal Ratzinger, der sich zum neuen Ordo mit Schärfe äußert. Der Hauptvorwurf, den er gegen ihn erhebt, lautet, daß er eine "gemachte Liturgie" und nicht die "Frucht einer kontinuierlichen Entwicklung" gewesen sei. Auch schreibt er, daß das "Resultat nicht eine Neubelebung, sondern eine Verwüstung" sei. Hat Sie dieses Vorwort überrascht? Können Sie zu Kardinal Ratzingers Kritik Erklärungen liefern?

Überrascht gewiß nicht. Schon im Jahre 1977 hatte Kardinal Ratzinger anläßlich eines Gesprächs, um das ihn die Zeitschrift "Communio" ersuchte, erklärt: "Zugleich muß man bei allen Vorzügen des neuen Missale kritisch feststellen, daß es herausgegeben wurde, als wäre es ein von Professoren neu erarbeitetes Buch und nicht eine Phase in einem kontinuierlichen Wachstum. Derlei ist in dieser Form nie geschehen, es widerspricht dem Typus liturgischen Werdens."
Andererseits findet man eine Anzahl ähnlicher Äußerungen in seinem Buch "Das Fest des Glaubens", einem Werk, dessen Lektüre man nicht genug empfehlen kann. Leider werden solcherlei Äußerungen allzu häufig verschwiegen. [1]
Was die wesentliche Frage betrifft, begegnen wir hier dem Hauptvorwurf, den man gegen gewisse nachkonziliare Reformen erheben kann. Seit ihren Ursprüngen hatte die römische Liturgie noch nie eine so völlige Umgestaltung erfahren. Man könnte sogar behaupten, daß der römische Ritus niemals eine Reform erlebt hatte. Das Werk des hl. Pius V. bestand in einer Wiederherstellung, was etwas ganz anderes ist. Nehmen wir den besonderen Fall der Opferungsgebete: Diese wurden im neuen Ritus durch vollständig neu zusammengestellte Gebete, die von den jüdischen "berakoth" (Segensgebeten) beeinflußt sind, ersetzt. Dergleichen hatte der römische Ritus niemals erlebt; das ist eine totale Neuerung, eine Art Tumor, Fremdkörper, der ihn zutiefst entstellt. Vergleichsweise ist dies etwa so, als fertigte man eine Reproduktion der Mona Lisa mit Meckifrisur an. Versuchen Sie, sich dieses Bild vorzustellen! Das Ergebnis war eine Verwüstung. P. Gélineau, Mitglied der Gruppe, die mit der Meßreform beauftragt war, scheut sich z.B. nicht, dies zuzugeben: "In der Tat liegt eine andere Meßliturgie vor. Es muß ohne Umschweife gesagt werden: Der römische Ritus, wie wir ihn gekannt haben, existiert nicht mehr. Er ist zerstört" (J. Gélineau SJ in "Demain la liturgie", Cerf, l976, S.10). Derartige Worte stimmen nachdenklich.

Teilen Ihres Wissens andere Kardinäle oder Bischöfe, besonders in Frankreich, den Standpunkt Kardinal Ratzingers?

Eine allzu präzise Antwort auf Ihre Frage ist noch nicht möglich. Immerhin läßt sich folgendes sagen: Seit kurzem herrscht ein verändertes Klima. Vor noch nicht langer Zeit galt der bloße Gedanke, daß die Liturgiereform auch nur in Teilen kritikwürdig sein könne, als eine entsetzliche Blasphemie. Heute ist dies ganz und gar zulässig. Davon zeugen folgende Äußerungen von Kardinal Decourtray vom 23. April dieses Jahres: "Ist die Hypothese zu gewagt, daß diese große, an und für sich so nützliche Bewegung zum Teil womöglich falsch interpretiert worden ist?" Der Kardinal wird noch deutlicher mit der Aussage, daß "das Mysterium der unendlichen Heiligkeit Gottes, das in höchstem Grade in der Liturgie zum Ausdruck kommt, praktisch in Vergessenheit geraten ist". Bis jetzt lief die offizielle Haltung gegenüber den der Tradition verbundenen Gläubigen allzu häufig darauf hinaus: "Stellt keine Fragen! Gehorcht!" Die Kernfrage wurde systematisch unterdrückt. Die Aussagen von Kardinal Decourtray sind wertvoll, denn sie stellen diese Frage mit Klarheit.

Mgr. Gamber zeigt auf, daß die nach Pius V. benannte Messe nicht auf diesen Papst zurückgeht. Die Stellen des Buches, die sich mit diesem Thema befassen, sind sehr interessant. Könnten Sie uns kurz die Hauptetappen, die zur Kodifizierung dieser Messe führten, angeben?

Genauer gesagt, der römischen Liturgie. Dazu läßt sich in kurzen Worten sagen, daß die römische Messe - von der die Historiker übereinstimmend anerkennen, daß ihr Kern apostolischen Urprungs ist -, von einigen Einzelheiten abgesehen, im siebten Jahrhundert ihre fast endgültige Form erlangt hatte. Das wird durch zahlreiche Dokumente bezeugt. Wie verläuft die heilige Messe in Rom zur Zeit Gregors des Großen (590 - 604)? Sie beginnt mit dem Gesang des Introitus, während Zelebrant und Altardiener zum Heiligtum schreiten. Beim Altar angelangt, betet der Zelebrant einige Augenblicke still (hier liegt der Ursprung der Stufengebete, die sich in der Folgezeit herausbilden). Die anderen liturgischen Gebete folgen dann aufeinander: Kyrie, Gloria in excelsis, die vom Zelebranten gesungene Kollekte, die von einem Altardiener vorgetragene Epistel, dann Graduale und Alleluja, beide von Kantoren gesungen, Evangelium, das aIle stehend hören, danach Predigt. Es folgen Offertorium, Stillgebet, Präfation, Kanon (Wort für Wort der gleiche Kanon, den man heute in unserem traditionellen Missale findet), Pater noster etc... Es ist sehr wichtig, daß man sich bewußt wird, daß sich praktisch alle diese Gebete genauso bereits in den ältesten Manuskripten finden. Pius V. hat, um der Unordnung seiner Zeit abzuhelfen, lediglich der gesamten römischen Kirche das Missale nach dem Gebrauch der römischen Kurie vorgeschrieben, doch dieses existierte schon vor ihm! Deshalb sagte ich soeben, daß der römische Ritus niemals reformiert worden war. Der hl. Pius V. beabsichtigte nichts anderes, als ihn unter Aufrechterhaltung seiner ganzen Reinheit weiterzugeben.

Ein anderer, sehr interessanter Aspekt des Buches: Es legt dar, daß der neue Ordo nicht den Wünschen des Zweiten Vatikanischen Konzils entspricht, das man jedoch oft heranzieht, um die geschehenen Reformen zu rechtfertigen. Muß man auf dem Gebiet der Liturgie nicht schlicht und einfach eine saubere und klare Verwirklichung des Konzils fordern?

Eine sehr interessante Frage! [2] Wollen wir als erstes kurz von der Art und Weise des Ablaufs der Liturgiereform sprechen. Am 4. Dezember 1963 wurde von den Konzilsvätern die Konstitution über die heilige Liturgie, "Sacrosanctum concilium", durch Abstimmung angenommen. Dieses Dokument legt die Grundsätze dar, nach denen die liturgischen Bücher überarbeitet werden sollten. Die konkrete Arbeit wurde dann einer zu diesem Zweck eingesetzten Abteilung übertragen, dem "Consilium für die Durchführung der Konstitution über die heilige Liturgie". Dieses machte sich sofort ans Werk und veröffentlichte ziemlich schnell die Instruktion "Inter oecumenici" (26. September l964), die zur Revision des Ordo Missae vom 25. Januar 1965 führte. Aber hier blieb die Meßreform nicht stehen. Mehrere andere Dokumente führten am 3. April 1969 zur Promulgation des Missales, das man auch das Pauls VI. nennt. Die letzteren Reformen gingen allem Anschein nach über die Forderungen der Konzilskonstitution hinaus. Lassen wir an dieser Stelle nochmals die Reformer zu Wort kommen. Thierry Maertens schreibt z.B. in seinem Kommentar zur Instruktion vom Monat Mai 1967: "Diese Instruktionen wenden zwar den Geist der Konstitution (über die Liturgie) an, doch überschreiten sie zu gleicher Zeit schon beträchtlich einige ihrer Verordnungen. Nichts in der Konstitution über die Liturgie würde die Annahme zulassen, daß vier oder fünf Jahre später ein Dokument das Beten des Kanons mit lauter Stimme in moderner Sprache ermöglichen werde..." Und einige Seiten weiter tun sich Perspektiven auf, die durchaus nicht zur Beruhigung beitragen: "Wird es übrigens möglich sein, die Reform eines Tages als abgeschlossen zu erklären? Wird die ins Rollen gebrachte Bewegung in der Kirche nicht zu einem Dauerzustand werden?" ("Nouvelles instructions pour la réforme liturgique", in: Le Centurion, 1975, S. 12 und 37). Arme Gläubige!

Welche Heilmittel gibt es gegen all das? Das Konzil "schlicht und einfach" in die Wirklichkeit umsetzen? Das ist praktisch unmöglich. Nehmen wir ein Beispiel: Der Artikel 36 der Konzilskonstitution sagt aus: "Es soll gestattet sein, der Muttersprache einen breiteren Raum zuzubilligen, vor allem in den Lesungen und Hinweisen und in einigen Orationen und Gesängen." Wie soll die Anwendung aussehen? Wer wird entscheiden, um welche Gebete und Gesänge es sich handelt? In der Tat besteht die einzige Lösung darin, das Konzil im Lichte der Tradition zu interpretieren. Man bedenke, daß der Heilige Stuhl und Mgr. Lefebvre in diesem Punkt zur Übereinstimmung gekommen waren.

Als Ausweg aus der "Krise der Liturgie" empfiehlt Mgr. Gamber eine Koexistenz beider Riten. Stimmen Sie diesem Vorschlag zu?

Was die Koexistenz beider Riten betrifft, gibt es einen Text, der leider nie zitiert wird. Es ist der Text der Normen von 1986 (siehe "Présent" vom 14.-15. Dezember 1989 und "La Nef", Mai 1992, S.15), auf den sich das Motu proprio von 1988 eindeutig bezieht. Die Norm Nr.3 sagt folgendes: "Für jede in lateinischer Sprache gefeierte heilige Messe - sei es, daß Gläubige anwesend sind oder nicht - hat der Zelebrant das Recht, frei zwischen dem Missale Pauls VI.(1970) und dem Missale von Johannes XXIIl.(1962) zu wählen." Die freie Koexistenz beider Riten stellt also nach dem Motu proprio von 1988 die normale Ordnung dar. Als Mgr. Lefebvre zum Papst sagte: "Lassen Sie uns das Experiment der Tradition machen!", erbat er nichts anderes. Genau das ist gesunder Menschenverstand. Die Situation der Pfarreien Sainte-Eugène und Sainte-Odile in Paris, Saint-Bernard in Straßburg oder Saint-Georges in Lyon beweist, daß dies sehr wohl möglich ist. Eine solche Freiheit ohne die Schikanen, die man manchmal erlebt, würde gewaltig zur Schaffung eines Klimas der Nächstenliebe und des Friedens beitragen. Genau danach verlangt zumindest der junge Klerus. In den Ferienzeiten kommen in unsere Abtei viele junge Priester und Seminaristen, die sich von der traditionellen Liturgie angezogen fühlen, obwohl sie diese "früher" nicht gekannt haben. Sie finden hier fruchtbare Erde. Wird die Kirche von morgen ihre Wurzeln in dieses Erdreich senken können?

Anmerkungen der Umkehr-Redaktion:
[1] Das Buch "Das Fest des Glaubens. Versuche zur Theologie des Gottesdienstes" (132 S.) von Joseph Kardinal Ratzinger erschien 1977 im Johannes Verlag, 2. Auflage 1981.

[2] Vgl. zu dieser Frage die detaillierte Studie von Georg May "Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils", in: H. Becker (Hg.), Gottesdienst - Kirche - Gesellschaft, St. Ottilien 1991, S. 77-116


Gedenkschrift für Klaus Gamber

Im Herbst 1989 erschien unter dem Titel Simandron. Der Wachklopfer die Gedenkschrift für den Liturgiewissenschaftler Klaus Gamber. Sie war als Festschrift für seinen 70. Geburtstag geplant. Doch wegen seines unerwarteten Todes am 2. Juni 1989 wurde aus der Festschrift eine Gedenkschrift.

Der Herausgeber Wilhelm Nyssen versammelte auf 348 Seiten nebst eine Auswahlbibliographie und dem letzten Referat Gambers Beiträge von Hartmut Blersch, Gabriel Bunge, Dom Eligius Dekkers OSB, Konrad Onasch, Hans Quecke, Christa Schaffer, Hans-Joachim Schulz, Michael Schneider, Robert Taft SJ, Achilles M. Triacca, Abraham Andreas Thiermeyer, Paul Mai und außerdem der Kardinäle Joseph Ratzinger, Joachim Meisner und Alfons Stickler und von Bischof Karl Braun.

In seinem Beitrag beklagte Kardinal Ratzinger die konkrete Ausführung der Liturgiereform in ihrem Ergebnis als eine Verwüstung. Über Gamber schrieb er: “Gamber hat die Begeisterung und Hoffnung der alten liturgischen Bewegung von ganzem Herzen mitgetragen. Wohl vor allem, weil er aus einer fremden Schule kam, blieb er in der deutschen Szenerie ein Außenseiter, den man nicht recht gelten lassen wollte; noch jüngst entstand für eine Dissertation eine erhebliche Schwierigkeit daraus, daß der junge Gelehrte zu ausführlich und zu freundlich Gamber zu zitieren gewagt hatte. Aber vielleicht war dieses Außenbleiben auch providentiell, weil es Gamber von selbst zu einem eigenen Weg zwang und ihn des konformistischen Drucks enthob.”


Basteln am heiligen Erbe

Von P. Bernward Deneke FSSP

Wer käme wohl auf die Idee, ein musikalisches Meisterwerk von Bach, Mozart oder Schubert „verbessern“ zu wollen? Gewiss hat sich die Interpretationspraxis dieser Musik in den letzten Jahrzehnten erheblich verändert; eine heutige Aufnahme der Jupiter-Sinfonie unter Nikolaus Harnoncourt klingt anders als eine ältere Einspielung desselben Stückes unter Herbert von Karajan oder Wilhelm Furtwängler. Aber alle drei Dirigenten versuchen doch auf ihre Weise, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und Kenntnissen dem Mozartschen Notentext gerecht zu werden.

Ganz verschieden von solchen legitimen Interpretationen wäre der Versuch, die Sinfonie für den Geschmack des breiten Publikums der Gegenwart herzurichten, sie etwa auf die Dimensionen eines kurzen Songs zurechtzustutzen und mit Elementen des Pop und Rock zu garnieren. Mag sein, dass eine solche Version einen momentanen Erfolg in den Charts erreichen könnte. Aber es wäre eben nicht mehr die Jupiter-Sinfonie, sondern allenfalls deren mehr oder minder stümperhafter Verschnitt. Und von Verbesserung könnte wirklich nicht die Rede sein – wenigstens nicht unter denen, welchen Mozarts Nr. 41 „heilig“ ist.

Was in der Sphäre der Kunst unmittelbar einleuchtet, das scheint im Reich unseres Glaubens nicht mehr klar zu sein. Wie sonst lässt es sich begreifen, dass man hier immer wieder an bedeutende Überlieferungen Hand anlegt? Denken wir nur an die ungezählten Eingriffe und Adaptionen, die sich die Liturgie der Kirche in den letzten Jahrzehnten gefallen lassen musste. Hier waltet ganz offensichtlich nicht dieselbe Ehrfurcht, die wir bei ernsthaften Interpreten klassischer Musik voraussetzen dürfen.

Nun wird oft auf einen wesentlichen Unterscheid hingewiesen: Während es sich bei einer Bach-Kantate oder einem Liederzyklus von Schubert um abgeschlossene Werke handelt, war und ist die kirchliche Liturgie stets im Wandel begriffen. Sie kannte in allen Epochen das Aufnehmen neuer Elemente (z.B. Heiligenfeste), die Umformung des Bestehenden und auch das Abstoßen mancher Fremdkörper, die sich im Laufe der Geschichte in sie eingeschlichen hatten. Gilt nicht außerdem die Regel: Was lebt, muss sich entfalten? Folglich, so wird argumentiert, darf man das gottesdienstliche Leben nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt seiner Entwicklung fixieren und gleichsam zementieren.

Diesen Einwänden braucht nicht widersprochen zu werden. Die Frage ist nur, welche Bedeutung man dem Bestehenden beimisst und in welcher Weise man es anrührt. Es besteht ja doch ein großer Unterschied zwischen dem Hand-Anlegen des Restaurators, der mit zarter Behutsamkeit ein durch die Ungunst der Zeiten überlagertes Fresko freilegt, dem Hand-Anlegen eines Architekten, der ein altes Gebäude im postmodernen Stil umgestalten soll, und dem Hand-Anlegen eines Abbruchunternehmers. Die Einstellung gegenüber der Sache und die Vorgehensweise sind hier denkbar verschieden.

Bei einem Gebilde wie der Liturgie, in der die Mysterien unseres Glaubens dargestellt, vergegenwärtigt, gefeiert und verherrlicht werden, kommt nur ein Umgang in Frage, der bestrebt ist, der Feinheit und Werthaftigkeit, der inneren Fülle und äußeren Schönheit, vor allem aber der Heiligkeit dieses Gegenstandes gerecht zu werden. Tiefe Kenntnis und echte Inspiration, Ehrfurcht vor dem Überlieferten, Vorsicht und Demut sind da nicht nur wünschenswert und angemessen, sondern sogar strengstens erfordert.

Der Philosoph Dietrich von Hildebrand (+1977) beklagte mit Recht, es fehle unserer Zeit an den homines religiosi, den feinsinnig-gläubigen Menschen, die wahrhaft berufen seien, das große Erbe der Kirche weiter zu entfalten. Ja, wo sind die Personen, die wie der „ernste Hergereiste“ in einem Gedicht aus Rainer Maria Rilkes Stundenbuch voller Scheu allenfalls eine winzige Veränderung an dem großen Kirchenbau anbringen? „Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister,/ und bauen dich, du hohes Mittelschiff./ Und manchmal kommt ein ernster Hergereister,/ geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister/ und zeigt uns zitternd einen neuen Griff.“

Stattdessen gab und gibt es heute viele Handwerker, die sich wie Grobschmiede mit ihren unerleuchteten Vorstellungen und unpassenden Instrumenten über die filigranen Gebilde und zarten Gewebe hermachen, mit denen die Liturgie das Allerheiligste umhüllt und schmückt. Bastler am heiligen Erbe sind sie, beziehungslos und besserwisserisch gegenüber der Weisheit der Vorzeit, leichtfertig und rücksichtslos gegenüber den Bedenken ihrer Zeitgenossen, kurzsichtig und verantwortungslos gegenüber der Zukunft. Sehnsuchtsvoll halten daher die viele Gläubige Ausschau nach wirklichen „Interpreten“, die, von ehrfürchiger Liebe zur kirchlichen Überlieferung beseelt, diese durch eine treue und hingebungsvolle Feier in ihrer ursprünglichen Schönheit aufleben lassen. Denn hier geht es um weitaus mehr als bei Bach, Mozart und Schubert.


Der Reformbedarf der Liturgie: Eine Analyse

Die dem Motu Proprio Summorum Pontificum gewidmete Website von Michael Charlier widmet es sich in einem Beitrag vom 2. Oktober 2008 dem Problem der Reform der Reform der Liturgie. In einer scharfsinnigen und ausgewogenen Analyse werden die verschiedenen Ebenen dargelegt, auf denen Mißbräuche vorkommen, denen das Missale Pauls VI. ausgesetzt ist. Es wird gezeigt, wie die bisherigen Reformbemühungen seitens des Heiligen Stuhles am Widerstand scheiterten: “Angesichts dieser vierfachen Schichtung von Ebenen, an denen im liturgischen Alltag Reformbedarf erkennbar wird, ist es gar nicht so leicht, eine Ebene zu bestimmen, an der Reformbemühungen zuerst ansetzen sollten. Zusätzlich kompliziert werden die Dinge dadurch, daß die bescheidenen Reformansätze der Gottesdienstkongregation, die auf die Behebung von Problemen auf der dritten Ebene [d.i. der Ebene der bischöflicherseits eher unterstützten als geduldeten Abweichungen] abzielten, zumindest im deutschsprachigen Bereich weitestgehend wirkungslos geblieben sind – und zwar nicht deshalb, weil die Gebote und Verbote der Kongregation an den falschen Gegenständen angesetzt hätten oder unklar formuliert gewesen wären, sondern deshalb, weil die meisten Bischöfe sich jeder Mitwirkung verweigert haben. In vielen Ländern erfolgt auf solche Verfügungen oder Ermahnungen aus Rom die stereotype Reaktion ‘Das betrifft uns hier nicht’.”

Sehr klar wird auch der Zusammenhang zwischen den Mißbräuchen und ihrem ideologischen Hintergrund gesehen: “Die vielerlei Mißstände in der liturgischen Praxis haben ihre Ursachen in theologischen Vorstellungen, die unter Berufung auf den angeblichen Geist des Konzils und die Ideen protestantisierender Liturgiereformer die Kontinuität der Lehre geschwächt und teilweise offen gebrochen haben. Solange diese Vorstellungen nicht klar kritisiert und verworfen werden, wird man die Mißstände bestenfalls überdecken und ein wenig zurückdrängen können.”


Damasus und die Beißzange

Als am 11. Dezember 1984 der 1600. Todestag des hl. Papstes Damasus begangen wurde, sprach Johannes Paul II. in einer Ansprache an die Teilnehmer des Kongresses für Christliche Archäologie über ihn und meinte, dass er der Liturgie kräftige Impulse gegeben habe: “Mit ihm kam in der Liturgie der Kirche Roms die lateinische Sprache in Gebrauch und wurde der römische Kanon zusammengestellt, der mit im Lauf der Zeit nahegelegten Anpassungen bis heute das erste eucharistische Hochgebet der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils geblieben ist. Mit Recht darf man sagen, dass das Werk des hl. Damasus heute noch lebendig ist” (Der Apostolische Stuhl 1984, S. 1600)

Dass das Latein und der römische Kanon heute noch lebendig sind, ist einerseits ein Anliegen Papst Benedikts XVI., andererseits modernistischen Kreisen ein Dorn im Auge. Man erinnere sich etwa an die Äußerung eines Priesters, die Prof. Spaemann in seinem bemerkenswerten Interview referiert: Den ersten Kanon packe er nicht einmal mit der Beißzange an.


Nichts ahnende Konzilsväter

Das »Konzil« hat keine Liturgie »erneuert«, wie Kunzler meint [Michael Kunzler, Die “tridentinische” Messe, Paderborn 2008, S. 97], das waren vielmehr nachkonziliare Kommissionen. Hier kam es zu Eingriffen, an denen man Kritik anbringen kann und muß. Kardinal Frings – nicht gerade der unbekannteste Teilnehmer am 2. Vatikanum – sagt es eindeutig und klar, daß die Neue Liturgie nicht durch die Konzilsväter gedeckt ist: Ich ahnte freilich damals nicht, wie weit die später eingesetzte Kommission zur Durchführung der Konstitution mit der Erneuerung der Liturgie gehen werde. (Für die Menschen bestellt. Erinnerungen des Alterzbischofs von Köln Josef Kardinal Frings, Köln 71974, 257). Also: Nachdem die Väter nach Hause geschickt worden waren, haben Kommissionen etwas fabriziert, wovon diese Väter nichts ahnten!

Aus: P. Rodrigo H. Kahl OP, Beheimatung in der überlieferten heiligen Messe. Was bedeutet liturgisch-spirituelle Identität?, in: UVK 1/2012, S. 60.


Weiter Horizont

Die große Stärke von Fiedrowiczs Darstellung liegt in den immer wieder und gekonnt hergestellten Bezügen zu den Kirchenvätern und der frühen Kirchengeschichte bzw. zur Sprache der Antike. Dadurch beweist der Autor die tiefe Verwurzelung der sich in der alten Form zeigenden Prinzipien in der Tradition. (...) Bestechend ist der weite Horizont des Autors, ersichtlich durch die vielen Verweise auf weiterführende Fachartikel im umfangreichen und gut erarbeiteten Fußnotenapparat, der für die zweite Auflage aktualisiert wurde. Schön und treffend sind sehr viele Zitate auch aus Philosophie (etwa Dietrich von Hildebrand, S. 127, FN 337) und Weltliteratur (z. B. viele Verweise auf Paul Claudel und Gertrud von Le Fort) sowie der großen Denker unter den neueren Heiligen(etwa sel. J. H. Newman).

P. Sven Conrad FSSP in seiner Rezension des Buches von Michael Fiedrowicz Die überlieferte Messe. Geschichte, Gestalt und Theologie des klassischen römischen Ritus, Mühlheim / Mosel 2012, 2. aktualisierte Auflage, 312 Seiten. Die Rezension erschien in Theologisches Januar/Februar 2013, Sp. 65 - 72.


Zentralismus der Reformer

In der neueren Liturgiegeschichte ist es zu einem bemerkenswerten Zentralismus gekommen. Nur mit seiner Hilfe konnte sich die Liturgiereform so rasch und flächendeckend durchsetzen. In wenigen Jahren entwarfen die römischen Kommissionen eine völlig neu erstellte “editio typica” aller liturgischen Bücher, und wenig später folgten in allen großen Sprachen die Übersetzungen. Ein Stichdatum wurde festgelegt, und ab diesem Tag waren nur noch diese zu verwenden. So stellt der gesamte Vorgang das Musterbeispiel einer top-down-Reform in einer pyramidal gebauten Institution dar, die ihre Maßnahmen global durchzusetzen versteht, von Alaska bis Zentralasien. Für die Überbetonung der Zentralgewalt weist die Forschung dem Konzil von Trient und Papst Pius V. die Verantwortung zu, die angeblich die oberste liturgische Autorität strikt an den Heiligen Stuhl banden und gleichzeitig die Liturgie der Kirche romanisierten. Beides trifft nicht zu. Trient ist in vielerlei Hinsicht das Konzil der Entpapalisierung und der über die Bischöfe bis hin zu den Pfarrern und den Familien klug verteilten Verantwortung: So schuf die Residenzpflicht von Bischöfen und Pfarrern erst das Bild eines Hirten, der den Stab für seinen Sprengel auch wirklich in die Hand nimmt ...

Aus: Prof. Dr. Andreas Wollbold, Die große Erleichterung. Warum die Liturgiereform so erfolgreich war, in: Dominus Vobiscum Nr. 6, April 2013, S. 8.


Der Fehler westlicher Liturgiewissenschaftler

Besonders groteskes Beispiel [für Arroganz gegenüber den orientalischen Christen]: die westliche Reform der Liturgie. Bei den Kopten hätte man studieren können, was frühchristliche Liturgie ist – und zwar nicht als archäologische Rekonstruktion, sondern als lebendigen Vollzug. Hätten die westlichen Liturgiewissenschaftler das getan, dann hätte die Liturgiereform völlig anders aussehen müssen – nicht weniger Sakralität, sondern mehr davon wäre das Ergebnis gewesen.

Martin Mosebach im Gespräch mit Regina Einig; aus “Gott ist Dir näher als Deine Halschlagader”, in der Tagespost vom 22. Februar 2018.


Komplette Abrüstung

Der kroatische Bischof von Split, Frane Franić schlug 1963 vor, im Schema über die Kirche dem neuen Titel peregrinans – „pilgernd“ – die traditionelle Bezeichnung militans – „streitend“ – hinzuzufügen. Der Vorschlag wurde abgelehnt, da er nicht mehr zeitgemäß sei. Die Kirche wollte sich der Welt nicht mehr im Bild des Kampfes oder der Auseinandersetzung präsentieren. Dialog, Frieden und Verständigung waren vielmehr angesagt. Diese Einstellung prägte auch die Liturgiereform. Überall, wo z.B. in den überlieferten Orationen vom Kampf die Rede war, vom Niederwerfen der Feinde und ähnlichem, sind diese Aussagen durch irenische Formulierungen ersetzt worden. Die nachkonziliare Liturgie hat im geistlich-doktrinären Kampf komplett abgerüstet.

Aus: Michael Fiedrowicz, „Ohne Kampf gibt es kein Christentum“ (Benedikt XVI.) Ecclesia militans - eine vergessene Metapher, in: Die neue Ordnung, Februar 2018, S. 21-33.


Die Zukunft der Kirche

Ein Tweet von Weihbischof Richard Umbers von Sydney.


Zum Thema Liturgie:

Ratzinger: Wir müssen die Dimension des Heiligen in der Liturgie zurückerobern

Der Philosoph Spaemann zum Thema

Martin Mosebach: Ein Apostolat der Ehrfurcht

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