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Erlöste Vernunft Von P. Engelbert Recktenwald Vorbemerkung: Als Immanuel Kant den verbindlichen Anspruch des Sittengesetzes sicherstellen wollte, fiel ihm keine Instanz ein, die diese Funktion zuverlässiger erfüllen konnte als die Vernunft. Vernunft ist die definitive Begründung. Weil in ihr das Sittengesetz gründet, hat es eine unhinterfragbare, kategorische Geltung. Was kann es schon Vernünftigeres geben, als auf die Vernunft zu hören? Dieser „himmlischen Stimme“ (so nennt Kant die Vernunft!) verdankt das Sittengesetz sein ganzes Ansehen. Es ist keine Chimäre, sondern in seiner unverletzlichen Majestät jene „verschleierte Göttin“, vor der allein die Knie zu beugen Kant bereit ist (vgl. „Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie“). Diese Göttin ist die Personifizierung einer Idee, und die wiederum ist eine Tochter der Vernunft. Das Sittengesetz gilt a priori, d.h. unabhängig von den Zufälligkeiten empirischer Erkenntnisse. Es ist immer und überall dasselbe, weil in allen Menschen ein und dieselbe Vernunft als Gesetzgeber fungiert. Kant ging von der ihm noch selbstverständlichen Voraussetzung aus, dass die Vernunft das eigentliche Selbst des Menschen ist. Sein Konzept musste zusammenbrechen, sobald der Mensch anders definiert wurde. Genau dies taten mit großer Wirkmächtigkeit etwa Schopenhauer und Nietzsche. Wenn Nietzsche von der „großen Vernunft des Leibes“ spricht, dann modifiziert er nicht etwa den Vernunftbegriff, sondern bedient sich eines sprachlichen Bluffs, um den Trieb, den traditionellen Gegenspieler der Vernunft, mit deren Nimbus und Autorität zu umkleiden. Manche Nietzsche-Interpreten lassen sich von diesem Bluff täuschen und zur Annahme verleiten, Nietzsche halte die Vernunft noch irgendwie in Ehren. In Wirklichkeit ist für ihn das eigentliche Selbst des Menschen der Leib, der Lebenstrieb als Wille zur Macht. Vernunft ist dabei nur ein störender Fremdkörper. Für Kant besteht aufgrund seiner Vernunftverehrung die menschliche Bestimmung in der Moralität, für Nietzsche aufgrund seiner Vernunftverachtung in der Überwindung der Moralität. Indem Nietzsche die Vernunft vom Sockel stürzte, verwandelte er das Sittengesetz in eine Chimäre. Die Göttin ist entschleiert, als Hochstaplerin entlarvt und keiner Kniebeuge mehr wert. Nietzsche war einer der Ersten, die mit der Naturalisierung der Vernunft Ernst machten. Bei ihm schrumpft die Vernunft vom großen Apriori jeder Erfahrung zu einem zufälligen Vorkommnis innerhalb der Erfahrung, vom Garanten des Sittengesetzes zu einem Unfall der Evolution. Die moralische Vernunft verlor ihre Autorität: Nur weil sie mir gebietet, mich nicht wie ein Raubtier zu verhalten, ist dies noch lange kein Grund, das Raubtier in mir zu verleugnen. Dem Sockelsturz war die Kantische Vernunft wehrlos ausgesetzt, weil sie mit sich allein blieb. Sie hatte nichts Größeres, auf das sie sich berufen konnte. Sie gebot kraft eigener Autorität. Das alternative Konzept aus der platonisch-christlichen Tradition dagegen kennt eine Vernunft, die „über sich hinaussieht“ (Benedikt, „Spe Salvi“) und auf Größeres verweist. Vernunft begreift sich als ein rezeptives Erkenntnisvermögen, das mir die Begegnung mit dem ermöglicht, das mich in Form des Sittengesetzes in die Pflicht nimmt. Vernunft bedeutet Wahrheitsfähigkeit: Sie öffnet mir die Augen für eine Wahrheit, die größer ist als sie selbst. Aber kann es denn etwas Größeres als „die Vernunft“ geben? Nein, wohl aber etwas Größeres als „meine Vernunft“, die als mein individuelles Vermögen Teil der empirischen Welt ist. Das Sittengesetz hat seine kategorische Verbindlichkeit nicht von mir, sondern von Gott, der aufgrund seines unendlichen absoluten Wertes um seiner selbst willen geachtet und geliebt zu werden verdient. Dieser Wert ist seine Heiligkeit und Güte. Darin gründet aller moralische Imperativ. Meine Vernunft ist nur das Medium, innerhalb dessen der göttliche Wert seine an meinen Willen gerichtete imperative Kraft entfalten kann. Nur kraft einer Wirklichkeit, die unabhängig von aller menschlichen Vernunft existiert, kann „meine“ Vernunft mich im Gewissensspruch unter einen moralischen Anspruch stellen, der von ihrer Kontingenz unabhängig ist. Meine Vernunft bringt mich mit dem Absoluten in Verbindung, so sehr sie selbst auch als empirisches Vermögen den Stempel der Kontingenz und Fehlbarkeit tragen mag. Die versuchte Naturalisierung der Vernunft ficht nicht die Wahrheit dessen an, wovon sie Kunde gibt. Die Erkrankung des Auges ändert nichts an der Natur des Lichtes. Aber diese größere Wahrheit, mit der uns die Vernunft in Kontakt bringt, ist selbst Vernunft. Es ist die göttliche Urvernunft. Ihr verdankt unsere eigene Vernunft ihre Würde und Wahrheitsfähigkeit. Erst durch sie wird die Autorität plausibel, die Kant der reinen Vernunft zuschreibt. Vernunft entführt uns nicht in einen bloßen Ideenhimmel, sondern konfrontiert uns mit der tiefsten Wirklichkeit. Der moralische Wert ist nicht nur eine Idee, deren Verwirklichung vom Sittengesetz gefordert wird, sondern die göttliche Urwirklichkeit, aus der alles Sein und alles Sollen stammt. Die göttliche Identität von Wert und Vernunft ist es, die den Begriff der „moralischen Vernunft“ legitimiert. Da Gott aufgrund seiner unendlichen Güte unsere Liebe verdient, entspricht es der Vernunft, ihn zu lieben. Lieben ist vernünftig, weil es wirklichkeitsgemäß ist. Und dennoch geht diese Liebe über jede bloße Vernünftigkeit hinaus. Liebe bedeutet Hingerissensein von der Liebenswürdigkeit des Geliebten. Die Differenz zwischen Liebe und Vernunft, die auf geschöpflicher Ebene z.B. im Gegensatz zwischen Liebes- und Vernunftheirat ihren Niederschlag findet, ist in Gott aufgehoben. Niemand hat das genialer ausgedrückt als Joseph Ratzinger: „Die wahre Vernunft ist die Liebe, und die Liebe ist die wahre Vernunft. In ihrer Einheit sind sie der wahre Grund und das Ziel alles Wirklichen“ (Sorbonne-Vortrag „Der Sieg der Wahrheit über die Welt der Religionen“, 1999). Doch woher wissen wir das? Diese Kenntnis verdanken wir einer freien Tat eben dieser wahren Vernunft selbst, die im Johannesevangelium „Logos“ genannt wird. Ratzinger: „Der Logos erschien nicht nur als mathematische Vernunft auf dem Grund aller Dinge, sondern als schöpferische Liebe bis zu dem Punkt hin, daß er Mit-Leiden mit dem Geschöpf wird“ (ebd.). Die christliche Offenbarung reißt mithin die Philosophie aus ihrer Verzweiflung, nämlich jener Verzweiflung, der sie verfällt, wenn sie die Moral nach dem Sturz der Kantischen Vernunft dennoch zu retten versucht. Schopenhauer versuchte es, indem er die Moral von der Vernunft trennte und zu einer Gefühlssache machte. Sie besteht im Mitleid. Ethik wird zur Moralpsychologie, die einfach nur beschreibt, wie Menschen sich aufgrund ihrer Affekte verhalten. Aber soll der Mensch aus Mitleid handeln, und wenn ja, warum? Diese Fragen finden bei Schopenhauer keine Antwort mehr, weil in seiner Philosophie das Sollen verschwunden ist und damit die ganze Hoheit und Heiligkeit des Sittengesetzes. Ähnliches gilt für alle nachkantischen Ethiken, die Moral zu einer Sache der Psychologie, der Biologie oder der pragmatischen Daseinsbewältigung machen. Erst das Christentum ermöglicht die Synthese der Idee einer absoluten Vernunftwürde mit der Idee einer Liebe, die über alle Vernunft hinausgeht bis zur Torheit qualvoller Selbstverleugnung am Kreuz. Die Vernunftwürde besteht in der Moralfähigkeit. Darin stimmen Kant und Christentum überein. Der Unterschied liegt darin, dass für Kant die Moral in der Achtung fürs Gesetz besteht, für den Christen in der Liebe zu Gott. Die Kantische Moral gründet in einer Idee, die christliche in einer Person. Sie ist Vernunft- und Liebesethik in einem. Die Synthese zwischen Vernunft und Liebe ist dem Christen möglich, weil sie in Gott immer schon wirklich ist und in der Menschwerdung des Logos unserer Vernunft zugänglich wurde. Wegen der ursprünglichen Einheit von Vernunft und Liebe braucht der Christ weder die Ansprüche der Liebe gegenüber einer „kalten“ Vernunft zu verteidigen, noch die Vernunftansprüche gegenüber einer „irrationalen“ Liebe. Die in Christus sichtbar gewordene Liebe bewahrt unsere Vernunft nicht nur vor dem nachkantischen Sturz, sondern reißt sie im Gegenteil über sich hinaus in die Konfrontation mit einer Wirklichkeit, von der sich die Kantische Vernunft a priori keine Vorstellung machen konnte. Wir müssen nur auf diese Wirklichkeit achten, hinschauen, ihr das Herz öffnen. Zur höchsten Vernunft findet die Philosophie nur auf den Knien vor der anbetungswürdigen Wirklichkeit des göttlichen Kindes in der Krippe. Hier begegnet die Vernunft einer Liebe, die nicht an ihr, sondern an der sie selbst gemessen wird und in deren Licht sie sich in ihrer wahren, ungeahnten, alle Naturalisierungsversuche zunichtemachenden Größe begreifen kann. Christus ist der Erlöser auch unserer Vernunft. Diesen Beitrag kann man auch hören. Recktenwald: Die Vernunft retten Kants falsche Freunde Der Neue Anfang hat aus gegebenem Anlass meinen Artikel "Der missbrauchte Kant" wiederveröffentlicht. Aus der Einleitung: Immanuel Kant und Magnus Striet eine Mésalliance. Warum der Königsberger Philosoph nicht als Übervater des Synodalen Weges taugt und das Genie vor seinen falschen Freunden geschützt werden muss. Wer die Sexualmoral der katholischen Kirche in Frage stellen möchte, sollte sich jedenfalls in der Argumentation nicht auf Kant beziehen. Dies hat Pater Recktenwald bereits vor sechs Jahren in einem eindrücklichen Text deutlich gemacht, den wir aus gegebenem Anlass in Erinnerung rufen. (…) Kants Begriff von der Autonomie hat wenig bis nichts zu tun mit einer sexualethischen Aushandlungsmoral, wie sie uns von Striet, Goertz und Co. als „Selbstbestimmung“ verkauft wird… weiterlesen bei "Neuer Anfang". Was Vergebung mit uns machen will Meine Predigt zum Evangelium des 21. Sonntags nach Pfingsten (Mt 18, 23-35). Recktenwald-Predigten : Zwei Dinge, die wir vom bösen Knecht lernen können |
PhilosophenAnselm v. C. AutorenBordat J. |
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