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ThemenAtheismus |
Facetten der Liebe Von P. Engelbert Recktenwald “Jemanden akzeptieren, wie er ist, ist die äußerste Form von Resignation”, schreibt Robert Spaemann in seinem Essay Antinomien der Liebe, veröffentlicht im empfehlenswerten Sammelband Schritte über uns hinaus II. Das klingt provokativ, sind wir doch gewohnt, solche Akzeptanz gerade als Ausdruck der Liebe anzusehen. Liebe, so meinen wir, muss bedingungslos sein. Denn wenn ich nur geliebt werde unter der Bedingung, dass ich gewisse Erwartungen erfülle, dann werde nicht ich geliebt, sondern bloß das Wunschbild, das der andere von mir hat. Besonders gilt das für die Liebe Gottes. Dass man sich dieselbe nicht durch eigene Anstrengungen verdienen kann, ist heute ein Allgemeinplatz. Wenn die Liebe Gottes als reine Gnade grundlos ist, kann ich nichts dazu beisteuern, ihm einen Grund für seine Liebe zu geben. Dennoch ist das Diktum Spaemanns wahr und gut begründet, wenn er hinzufügt: “Die Botschaft Jesu beginnt nicht mit den Worten: ‘Gott nimmt euch, wie ihr seid’, sondern mit den Worten: ‘Kehrt um. Seid anders, als ihr jetzt seid.’” Der Widerspruch löst sich auf, wenn wir zwischen der Liebe des Wohlwollens und der des Wohlgefallens unterscheiden. Gott will das Heil aller Menschen, der Gerechten und der Sünder. Hier macht Gott keinen Unterschied. In gewisser Weise scheint die Sünde dieses Wohlwollen sogar noch zu steigern. Denken wir etwa an das Wort Jesu, dass nicht die Gesunden, sondern die Kranken des Arztes bedürfen. Ein guter Arzt zieht die Behandlung der Schwerkranken den Leichtverletzten vor. Der gute Hirt geht dem verlorenen Schaf mit größerem Eifer nach als den 99, die seiner besonderen Fürsorge nicht bedürfen. Aber der Arzt will den Schwerkranken gerade heilen, also verändern. Würde er ihn akzeptieren, wie er ist, wäre das nicht nur Resignation, sondern Verrat an seiner Aufgabe. Erst wenn der Kranke wieder gesund ist, wird der Arzt mit ihm und mit sich zufrieden sein. Sofort muss aber im Blick auf die zuletzt gewählte Formulierung auf einen Unterschied in der Analogie aufmerksam gemacht werden: Gott ist natürlich immer mit sich zufrieden. Er braucht sein Können nicht unter Beweis zu stellen. Der menschliche Arzt kann der Gefahr erliegen, den Kranken nur als Testfall seines Könnens zu betrachten. Je verantwortungsvoller er ist, um so weniger spielt diese Selbstverwirklichung eine Rolle und um so mehr geht es ihm selbstlos allein um die Gesundheit des Patienten. In vollkommener Weise ist dies bei Gott der Fall. Er sucht in der denkbar reinsten Form des Wohlwollens das Heil des Menschen. Die Unzufriedenheit des Arztes mit der Erkrankung seines Patienten ist ein Bild für das Missfallen Gottes an der Sünde, das einen weiteren Unterschied nicht verdecken darf. Das Missfallen ist in beiden Fällen anderer Art. Wenn der Arzt angesichts bedenklicher Symptome sagt: “Das gefällt mir nicht”, bezieht sich dieses Missfallen in keiner Weise auf die Person des Patienten. Bei der Sünde ist es anders, weil sie in die Verantwortung des Sünders fällt und ihn als Persönlichkeit moralisch (dis)qualifiziert. Das Missfallen bezieht deshalb auch die Person mit ein und findet z.B. einen krassen Ausdruck in der biblischen Rede: “Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, so will ich dich ausspeien aus meinem Munde” (Offb 3, 16). Im Wohlwollen macht Gott keinen Unterschied, da er der Vater ist, “der seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte” (Mt 5,45). Um so deutlicher ist der Unterschied, wenn es um sein Wohlgefallen geht. Paulus schreibt etwa ausdrücklich, dass Gott an den meisten der Väter, die einst durch die Wüste zogen, kein Wohlgefallen hatte (1 Kor 10,5). Gott liebt den Sünder mit der Liebe des Wohlwollens, aber nicht mit der des Wohlgefallens. Sein Wohlwollen macht einen Unterschied zwischen Sünder und Sünde, so dass die Unterscheidung des hl. Augustinus gilt: Die Sünde hassen, den Sünder lieben. Das Ziel des Wohlwollens aber ist die Bekehrung des Sünders, seine Überführung in jenen Zustand, der es Gott ermöglicht, an ihm Wohlgefallen zu haben. In Spaemanns Text spielt jedoch nicht die Unterscheidung zwischen Wohlwollen und Wohlgefallen eine Rolle, sondern die zwischen Wohlwollen und Begehren, also zwischen amor benevolentiae und amor concupiscentiae. Im Blick auf diese Unterscheidung galt es lange Zeit als ausgemacht, dass von Gott nur die Liebe des Wohlwollens ausgesagt werden könne. Denn Begehren setzt ein Bedürfnis, Bedürfnis einen Mangel voraus. Der Begriff Gottes aber als des vollkommenen Wesens und der Fülle des Seins schließt jede Potenzialität aus. Gott ist nicht bedürftig, ihm mangelt nichts. Das Glück, das er in sich selber findet und das letztlich mit seinem Sein zusammenfällt, ist ungetrübt und untrübbar. Wonach sollte er noch streben, so als ob ihm zu seinem vollkommenen Glück noch etwas fehlte? Seine Liebe ist deshalb keine bedürftige Liebe, sondern souveräne Selbstlosigkeit, Güte als diffusivum sui, die ihr Glück anderen mitteilen will. Anders sieht es aus, wenn wir den Sachverhalt aus unserer Perspektive des Bedürfnisses nach absoluter Liebe betrachten. Selbstverständlich sind wir dankbar für die Liebe des selbstlosen Wohltäters. Aber das Glück der Erfahrung solcher Liebe bleibt hinter dem Glück der bräutlichen Liebe zurück. Bei dieser werden wir vom Liebenden so sehr geliebt, dass er sich seinerseits nach unserer Liebe sehnt und einen Mangel empfindet, wenn er sie nicht erhält. Wenn der Geliebte uns seine Liebe beteuern, gleichzeitig aber hinzufügen würde, dass er genau so gut ohne uns leben könnte, dann erführen wir unsere eigene Liebe als irrelevant für sein Glück und damit als bedeutungslos und geringgeschätzt. Das Bekenntnis: “Ich liebe dich, aber ich brauche dich nicht” bedeutet den Todesstoß für die bräutliche Liebe. Diese Liebe sagt: “Ich liebe dich so sehr, dass ich ohne dich nicht mehr leben kann, und ich will von dir mit ebensolcher Liebe geliebt werden.” Die Liebe, mit der ich das Glück des Geliebten will, ist auch der Ursprung meines Wunsches, dass diese Liebe eben dieses Glück bewirkt, dass also der Geliebte in meiner Liebe sein Glück findet. “Es gibt auch eine Liebe zu Gott, die so weit geht, dass sie sich wünscht, von Ihm nicht nur bedürfnislos, sondern sehnsuchtsvoll geliebt zu werden. Der Gottliebende möchte hören, dass er dem Geliebten teuer ist, und genau darauf antwortet Gott: “Weil du teuer bist in meinen Augen” (Is 43,4). Er möchte, so wie er sich selber nach Gott sehnt, Gegenstand göttlicher Sehnsucht sein, nicht bloß Ziel interesseloser Wohltätigkeit. Gerade diese Symmetrie der sehnsuchtsvollen Liebe ist es, was die Besonderheit des biblischen Bildes der göttlichen Brautschaft ausmacht. In jedem menschlichen Herzen gibt es einen Leerraum, den nur Gott ausfüllen kann. S. Eldredge stellt unter Verwendung dieses Wortes von George MacDonald die Symmetrie her, indem sie meint, “dass es auch in Gottes Herz einen Raum gibt, den nur wir ausfüllen können” (in Weißt du nicht, wie schön du bist?) Eng mit diesem Gedanken ist die Idee der Individualität dieser Liebe verbunden. Wenn ich es bin, den Gott mit dieser Liebe liebt, dann kann die Liebe, die er von mir erwartet, durch keine andere ersetzt werden. So wenig, wie Gottes Liebe eine abstrakte Menschheitsliebe ist, genau so wenig erwartet er bloß ein bestimmtes Quantum an gesammelter Menschheitsliebe, so wie sich ein Star über die Menge der Fanpost freut. Vielmehr liebt Gott jeden Menschen mit einer Liebe, mit der wir jeweils nur einen Menschen lieben können. Er liebt jeden Einzelnen so individuell, dass ihn über das Ausbleiben der Gegenliebe dieses einen Menschen keine andere Liebe, die er empfängt, vollständig hinwegtrösten kann. Mit anderen Worten: Jeder Mensch spielt in den Augen Gottes eine unersetzbare Rolle. In ihrem Tagebuch Er und ich lässt die Mystikerin Gabriele Bossis Jesus sprechen: “Jede Seele liebt auf ihre Art. Beraube mich nicht der deinen. Ich verwechsle nichts. Ich koste eure besonderen Eigenarten. Seit Anfang der Welt gleicht keine Seele der anderen.” Spaemann drückt es so aus: “Der Einzigartigkeit jeder einzelnen Person kann niemand gerecht werden außer Gott. ‘Nur für Gott ist jeder von uns unersetzlich’, schreibt wiederum Dávila. Nur für Gott verschwindet der Einzelne nicht in der großen Menge”. Wenn Gott meine Liebe kostet, dann ist dies die Erfüllung meiner Sehnsucht, dass meine Liebe etwas zu seiner Freude beiträgt. Umgekehrt kann Gott der Liebe beraubt werden. Die Mystikerin Mechthild von Hackeborn vernahm von Gott die Worte: “Kein Ding freut mich so sehr als des Menschen Herz, das ich doch selten zu Dienst gewinne. An allen Gütern bin ich überreich, ausgenommen am Herz des Menschen, das mir so oft entgleitet” (Das Buch vom strömenden Lob). Natürlich bleibt die Wahrheit, dass Gott bedürfnislos ist, bestehen. Dennoch muss es in seiner Liebe ein Äquivalent jener der Liebe eigenen Bedürftigkeit geben, das unser beschriebenes Verlangen nach solcher Liebe erfüllt. Wir können uns von der Liebe Gottes wegen ihrer Unendlichkeit keine adäquate Vorstellung machen. Aber wir können davon ausgehen, dass die Vorstellung einer bedürftigen Liebe der Wahrheit näherkommt als die alternative Vorstellung einer von unserer Liebe unberührbaren Liebe in Gott. Von der Kirche scheint diese Auffassung nun bestätigt zu sein: Spaemann weist darauf hin, dass Papst Benedikt in seiner Enzyklika Deus caritas est Gott den amor concupiscentiae zuschreibt: “Gott erscheint bei den Propheten als eifersüchtiger Liebhaber seiner Braut, des Volkes Israel. Und in der Inkarnation begibt sich Gott sogar in die Lage dessen, der der Liebe andere bedürftig und auf sie angewiesen ist.” Benedikt verwendet die Begriffe Eros und Agape. Wenn er Gottes Liebe als Eros bezeichnet, dann stellt er sie dem aristotelischen Gottesbild entgegen, demgemäß die göttliche Macht “zwar für alles Seiende Gegenstand des Begehrens und der Liebe” ist, “aber sie selbst ist unbedürftig und liebt nicht.” Gleichzeitig ist in Gott der Eros ganz und gar Agape, weil er grundlos schenkende und sogar verzeihende Liebe ist. Man könnte sagen: Eros ist Gottes Liebe, insofern sie in unserer Liebe ihr Glück findet. Agape ist sie, insofern sie von sich aus ganz und gar auf unser Glück, nicht auf das eigene, aus ist. Diese Einheit von Eros und Agape findet in der geschöpflichen Liebe ihr Gegenstück. Spaemann führt die Definition von Leibniz für die Liebe an: delectatio in felicitate alterius, Freude am Glück des anderen. Auf den ersten Blick scheint uns der Mensch so wenig zu dieser reinen Agape fähig zu sein wie Gott zum amor concupiscentiae. Kann der Mensch jemals von seiner Bedürftigkeit und dem Verlangen nach seinem eigenen Glück absehen? Der sel. Charles de Foucauld konnte es. In seinen Aufzeichnungen kehrt der Gedanke immer wieder, dass das Glück Jesu es ist, was ihn am meisten glücklich macht und über alles andere hinwegtröstet. “Wenn Du leidest” schreibt er an seine Schwester, “dann denke an Sein Glück; sage Dir, dass Du Sein Glück willst und nicht das Deine, dass Du Ihn liebst, nicht Dich selbst. Und im Innersten Deiner Trübsal (...) freue Dich über Sein unendliches und unwandelbares Glück ...” Die wohlwollende Liebe will das Glück des Geliebten, aber sie will es nicht bedingungslos. Das Einzige, was sie bedingungslos will, ist seine Glückswürdigkeit. Nur unter dieser Bedingung wird auch sein Glück gewollt. Mit anderen Worten: Gott will die Heiligung des Menschen. Wollte er dessen Glück bedingungslos, gäbe es keine Verdammnis. Erst indem der Mensch gut wird, wird er glückswürdig. Der Zusammenhang zwischen sittlicher Gutheit und Glück ist ein wesensnotwendiger und kein solcher, der erst durch den positiven Willen Gottes gestiftet wäre. Mit anderen Worten: Gott kann das Glück eines bösen Menschen nicht anders wollen als unter der Bedingung seiner Bekehrung. So ist also Jesu Aufruf zu unserer Bekehrung ein Ausdruck seiner Liebe, unsere Akzeptanz durch ihn die Folge davon, dass seine Liebe erfolgreich war. Dieser Artikel erschien am 28. Dezember 2013 in der Tagespost. Man kann ihn auch hören. Recktenwald: Die Liebe - Wahrheit oder Schein? Die Würde unserer Berufung Durch die Liebe überwinden wir einen unendlichen Abstand. Eine Predigt von mir zum 17. Sonntag nach Pfingsten.
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PhilosophenAnselm v. C. AutorenBordat J. |
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