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Gibt es einen Gott?

Von Prof. Dr. Richard Swinburne

Zusammengefaßt besagt die Darwinsche Erklärung für die heutige Existenz der komplexen tierischen und menschlichen Körper, daß es vor langer Zeit einmal bestimmte Chemikalien auf der Erde gab, so daß es mit den Gesetzen der Evolution (d.h. Reproduktion mit leichten Veränderungen) wahrscheinlich war, daß komplexe Organismen entstehen würden. Diese Erklärung der Existenz komplexer Organismen ist sicherlich eine richtige Erklärung, aber es ist keine Letzterklärung dieser Tatsache. Für eine Letzterklärung benötigen wir eine Erklärung auf der höchsten Ebene, weshalb diese Gesetze und keine anderen galten. Die Gesetze der Evolution sind zweifelsohne Konsequenzen der Gesetze der Chemie, welche für die organische Materie, aus denen Tiere bestehen, gelten. Und die Gesetze der Chemie gelten, weil die Gesetze der Physik gelten. Aber warum gerade diese fundamentalen Gesetze der Physik und nicht irgendwelche anderen? Wenn die Gesetze der Physik nicht die Konsequenz hätten, daß ein bestimmtes chemisches Arrangement zu Leben führen würde oder daß es zufällige Veränderungen der elterlichen Eigenschaften bei den Nachkommen geben würde usw., dann gäbe es keine Evolution durch natürliche Auslese.

Selbst unter der Voraussetzung, daß es Naturgesetze gibt (d.h. daß materielle Gegenstände die gleichen Kräfte und die gleichen Dispositionen untereinander haben), stellt sich die Frage: Warum gelten und galten gerade diese Gesetze? Der Materialist sagt, daß es da keine Erklärung gibt. Der Theist behauptet hingegen, daß Gott einen Grund dafür hat, diese Gesetze zu schaffen, weil diese Gesetze zur Entwicklung von Tieren und Menschen führen.

Selbst unter der Voraussetzung, daß die Gesetze der Physik so sind, daß sie die Gesetze der Evolution von komplexen Organismen aus einer Ursuppe hervorbringen, werden sich Tiere und Menschen nur entwickeln, wenn es am Anfang eine Ursuppe mit der richtigen chemischen Zusammensetzung gab. Einige sich von der Suppe, die es tatsächlich gab, in der chemischen Zusammensetzung unterscheidenden Suppen, hätten ebenfalls Tiere hervorgebracht. Aber die meisten Suppen hätten keine Tiere hervorgebracht. Warum also gab es da gerade diese Ursuppe?

Wir können die Geschichte der Welt weiter nach rückwärts verfolgen. Diese Ursuppe existierte, weil die Erde so entstand, wie sie entstand; und die Erde entstand so, wie sie entstand, weil die Galaxis so entstand, wie sie entstand, und so weiter, ... bis wir zurück zum Urknall gelangen, der Explosion vor 15 Milliarden Jahren, mit der anscheinend das Universum begann.

Jüngere wissenschaftliche Arbeiten haben ergeben, daß das Universum ‚feinabgestimmt' [fine tuned] ist. Die Materie-Energie zur Zeit des Urknalls mußte eine bestimmte Dichte und eine bestimmte Ausbreitungsgeschwindigkeit haben, um Leben hervor zu bringen. (Einen Überblick über diese Arbeiten gibt John Leslies Buch Universes (1989)). Abweichungen von diesen Werten von nur einem millionsten Teil hätten zur Folge gehabt, daß sich im Universum kein Leben entwickelt hätte. Wenn zum Beispiel der Urknall verursacht hätte, daß die Brocken von Materie-Energie sich ein wenig schneller voneinander entfernt hätten, hätten sich keine Galaxien, keine Sterne oder Planeten und keine für Leben geeignete Umgebung auf der Erde oder irgendwo sonst im Universum gebildet. Wenn das Auseinanderdriften nur ein wenig langsamer vonstatten gegangen wäre, dann wäre das Universum in sich selbst zusammengefallen, bevor sich Leben hätte entwickeln können. Wenn es eine wissenschaftliche Letzterklärung gibt, dann wird sie es als eine unerklärbare Tatsache annehmen müssen, daß das Universum in so einem Zustand begann und solche Naturgesetze hatte, die Leben entstehen ließen, wobei ein winziger Unterschied in diesen ursprünglichen Bedingungen dafür gesorgt hätte, daß kein Leben jemals irgendwo hätte entstehen können.

Es könnte natürlich sein, daß das Universum nicht mit einem Urknall begonnen hat, sondern seit jeher bestanden hat. Selbst dann muß seine Materie bestimmte allgemeine Merkmale gehabt haben, wenn es jemals zur Entwicklung von Tieren und Menschen kommen können sollte. Es müßte beispielsweise genügend Materie gegeben haben, aber nicht zuviel davon, damit chemische Substanzen aufgebaut werden können. Eine Menge von Fundamentalteilchen wird benötigt, aber mit viel Zwischenraum. Nur ein bestimmtes Spektrum von Naturgesetzen erlaubt die Existenz von Tieren und Menschen. Die neuen wissenschaftlichen Arbeiten über die Feinabstimmung des Universums haben gezeigt, daß - gleichgültig, ob das Universum einen Anfang hatte - es nur Leben im Universum geben kann, wenn die Konstanten in den Naturgesetzen innerhalb enger Grenzen liegen. Wiederum muß der Materialist es als unerklärbare Tatsache [brute fact] annehmen, daß das Universum und seine Gesetze diese Eigenschaften hatte. Der Theist hingegen hat eine einfache Letzterklärung, weshalb die Dinge so sind, die zugleich auch die anderen Phänomene erklärt, die wir beschrieben haben.

Es ist wahr, daß Gott ohne den langen Prozeß der Evolution Menschen hätte erschaffen können. Aber das ist nur ein Einwand gegen den Theismus, wenn man annimmt, daß Gottes nur um der Menschen Willen etwas geschaffen hat. Um meinen früheren Punkt zu wiederholen: Gott hat auch Grund, Tiere zu erschaffen. Tiere sind bewußte Lebewesen, die das Leben genießen und absichtsvolle Handlungen ausführen, selbst wenn sie diese nicht frei auswählen. Natürlich hat Gott Grund, Elefanten und Giraffen, Tigern und Schnecken Leben zu geben. Und ohnehin wäre die Schönheit der Evolution der unbelebten Welt vom Urknall aus (oder von der Ewigkeit her) genügend Grund, sie zu erschaffen, selbst wenn Gott die einzige Person wäre, sie zu beobachten. Aber er ist es nicht, wir selbst können jetzt immer frühere und frühere Stufen der kosmischen Evolution durch unsere Teleskope bewundern. Gott malt mit einem großen Pinsel aus einem großen Farbkasten und hat keinen Grund, mit der Farbe zu geizen, die er benützt, um ein wunderbares Universum zu malen.

Es handelt sich um einen Auszug aus dem empfehlenswerten Buch des berühmten Oxforder Philosophen Richard Swinburne, Gibt es einen Gott? Frankfurt, Paris, Lancaster, New Brunswick 2006, (ontos verlag): S. 57 - 60, aus dem 4. Kapitel: Wie die Existenz Gottes die Welt und ihre Ordnung erklärt.


Vernunft und Glaube

“Wer an den Schöpfer von Mensch und Universum glaubt, springt also nicht mit verbundenen Augen vom Sieben-Meter-Brett in ein vielleicht gefülltes Becken. Man kann mit vernünftigen Überlegungen durchaus zur Erkenntnis der Existenz Gottes gelangen. Immer wieder aber geht es darum, ob ich meine persönliche oder auch die allgemeine menschliche Erfahrung zum absoluten Kriterium mache oder aber bereit bin, zu akzeptieren, dass der Bereich des Seienden und des Möglichen größer ist als mein Vorstellungs- bzw. mein Denkvermögen. Eigentlich dürfte es gar nicht so schwierig sein, von dem ebenso naiven wie arroganten Standpunkt dieses ‘Ich glaube nur, was ich sehe’ loszukommen, wenn man bedenkt, wie wenig wir allein von der materiellen Welt kennen und wissen. Von da aus kann man sehr wohl zu der Einsicht gelangen, dass es Dimensionen der Wirklichkeit gibt, zu denen die bloße Vernunft keinen Zugang gewährt. Der Glaube setzt überdies die Vernunft nicht außer Kraft, sondern erweitert, schärft unser Erkenntnisvermögen, wie etwa ein Elektronenmikroskop unser Sehvermögen potenziert. Voraussetzung ist dann nur, dass die Zuverlässigkeit dieses Instruments Glaube geprüft und gesichert ist. Hier tritt in der Tat die Vernunft in Aktion.”

Prof. Walter Brandmüller im Dialog mit Ingo Langner über die Rationalität des Glaubens, erschienen in der Welt Online vom 8. August 2008.


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