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Das Argumentationspotenzial der Langeweile

Von P. Engelbert Recktenwald

Manchmal hört man die Meinung, eine Welt mit lauter guten Menschen müsste, wenn es sie gäbe, eine langweilige Welt sein. Das Gute wird als langweilig, das Böse als spannend und interessant hingestellt. So hörte ich es beispielsweise wieder kürzlich in der an sich sympathischen Sendereihe “Das philosophische Radio” des WDR5: Auf die entsprechende Frage meinte der als Studiogast eingeladene Philosoph, dass wir uns doch einig seien, nicht in einer solchen Welt leben zu wollen, nämlich in einer Welt, in der alle Menschen die Gebote Gottes halten, in einem “Reich der Tugend”, das Kant als Ideal vorschwebte, in dem die Menschen autonom, aus innerer Überzeugung, das Gute tun. Das ist, wie der Interviewpartner in seiner Frage formulierte, eine Welt “ohne Brüche, ohne die moralischen Risse.” Mit anderen Worten: Erst durch “die moralischen Risse” wird eine Welt interessant und lebenswert.

Davon mag man überzeugt sein, solange man selber von diesen Rissen nicht betroffen ist, also nicht selber Opfer von Betrug, Vergewaltigung oder anderen Verbrechen wird, in denen Menschen das Gute eben nicht tun, sondern das Böse wählen. Angesichts der Opfer des Unrechts läuft es auf Zynismus hinaus, eine Welt des Guten als langweilig hinzustellen, weil in ihr das Unrecht fehlt.

Dennoch verdient jene Äußerung eine tiefere Erwägung, denn sie stammt ja nicht von Menschen, die das Böse verherrlichen wollen. Würde man dieselben mit der eben gezogenen Konsequenz konfrontieren, wiesen sie sie weit von sich: So hätten sie das nicht gemeint. Die Opfer von Unrecht zu verhöhnen, davon seien sie weit entfernt.

Gibt es also ein Körnchen Wahrheit, einen legitimen Sinn hinter dieser Tendenz, eine Welt des Guten, ein Reich der Tugend als langweilig zu empfinden?

Der hl. Thomas von Aquin schreibt, dass es gewisse Güter nur geben kann, wenn es auch gewisse Übel gibt. Und er hat Recht. Heldenhafte Standhaftigkeit kann es nur geben, wenn es auch Verfolgung gibt. Vergebung und Versöhnung kann es nur geben, wenn es auch Streit, Verletzung und Ungerechtigkeiten gibt. Sofort erkennen wir nun den wahren Kern, das legitime Anliegen hinter jener Tendenz: Jeder Mensch, der großherzig nach dem Guten strebt, liebt die sittliche Bewährung. Freundschaft zeigt sich in der Not, Liebe im Opfer und im Verzeihen, Treue in der Versuchung. Das Heldentum des Martyriums kann es nur geben, wenn es auch grausame Verfolgung gibt. Erst im geistlichen Kampf wird die Tugend kostbar. Das Gute, das uns in den Schoß fällt, das uns nichts kostet, entbehrt dieser besonderen Kostbarkeit. Der großherzig nach dem Guten Strebende will als Sieger aus Kämpfen und Versuchungen hervorgehen. Er will seine Liebe zu Gott oder zum geliebten Menschen unter Beweis stellen, indem er Widerstände überwindet. Diese Widerstände gegen das Gute, an denen das Gute wächst, sind jene moralischen Risse, die legitimerweise auf eine bestimmte Weise befürwortet werden können: nicht in sich, denn das Böse darf niemals in sich gewollt werden, sondern in ihrer Rolle und Funktion zur Ermöglichung einer Art von moralischer Güte, die sonst nicht verwirklicht werden könnte. Kurz: Es gibt moralische Güter, die nur in der sittlichen Bewährung angesichts des Bösen möglich sind.

Unversehens haben wir aber damit die Wahrheit einer bestimmten Strategie der Theodizee anerkannt. Thomas von Aquin bringt den geschilderten Gedanken im Rahmen seiner Frage, warum Gott das Böse zulässt. Die Antwort haben wir gerade gehört. Damit wendet sich das Argument der Langeweile gegen die Gottesankläger. Um den Ansprüchen derer, die die Eingangsmeinung teilen, zu genügen, ist Gott geradezu verpflichtet, das Böse zuzulassen: damit es ihnen in der Welt nicht langweilig wird. Muss sich zum Schluss Gott gar noch dafür rechtfertigen, dass es den Himmel gibt, in dem alle moralischen Risse fehlen?

Dieser Artikel erschien im Juni 2017 in der Tagespost.

Sie können ihn auch auf meinem Podcast hören.


Recktenwald: Das Gewissen zwischen Vision und Illusion


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