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Zu Benedikts Bacon-Kritik

Von Dr. Josef Bordat

Papst Benedikt XVI. hat in seiner jüngst erschienen Enzyklika SPE SALVI vom 30.11.2007 den Anspruch der modernen Wissenschaft, dem Menschen „Erlösung“ zu bringen, scharf kritisiert. Im Fokus der Auseinandersetzung steht Francis Bacon als Begründer der naturwissenschaftlichen Methodik, der Empirie, die sich als Paradigma für die Wissenschaft insgesamt herausgebildet hat (Prinzip: Wahr ist, was nach Beobachtung durch sinnliche Wahrnehmung der Fall ist.).

Zunächst seien aus der Enzyklika die entscheidenden Passagen zitiert. Der Heilige Vater fragt: „Wie konnte aber sich die Vorstellung entwickeln, daß die Botschaft Jesu streng individualistisch sei und nur auf den Einzelnen ziele? Wie kam es dazu, daß die ,Rettung der Seele’ als Flucht vor der Verantwortung für das Ganze und so das Programm des Christentums als Heilsegoismus aufgefaßt werden konnte, der sich dem Dienst für die anderen verweigert?“ Und fährt fort: „Um darauf Antwort zu finden, müssen wir einen Blick auf die Grundlagen der Neuzeit werfen. Sie erscheinen besonders deutlich bei Francis Bacon. Das Heraufziehen einer neuen Zeit – durch die Entdeckung Amerikas und durch die neuen technischen Errungenschaften, die diese Entwicklung ermöglicht hatten – ist offenkundig. Worauf aber beruht diese Wende der Zeiten? Es ist die neue Zuordnung von Experiment und Methode, die den Menschen befähigt, zu einer gesetzmäßigen Auslegung der Natur zu kommen und so endlich ,den Sieg der Kunst über die Natur’ (victoria cursus artis super naturam) zu erreichen. Das Neue – so sieht Bacon es – ist eine neue Zuordnung der Wissenschaft zur Praxis. Dies wird nun auch theologisch gewendet: Diese neue Zuordnung der Wissenschaft zur Praxis bedeute, daß die dem Menschen von Gott gegebene und im Sündenfall verlorene Herrschaft über die Kreatur wiederhergestellt werde.“ Die Deutung Benedikts ist die folgende: „Wenn man diese Sätze genau liest und bedenkt, so erkennt man darin einen bestürzenden Schritt: Die Wiederherstellung dessen, was der Mensch in der Austreibung aus dem Paradies verloren hatte, hatte man bisher vom Glauben an Jesus Christus erwartet, und dies war als ,Erlösung’ angesehen worden. Nun wird diese ,Erlösung’, die Wiederherstellung des verlorenen ,Paradieses’ nicht mehr vom Glauben erwartet, sondern von dem neu gefundenen Zusammenhang von Wissenschaft und Praxis. Der Glaube wird dabei gar nicht einfach geleugnet, aber auf eine andere Ebene – die des bloß Privaten und Jenseitigen – verlagert und zugleich irgendwie für die Welt unwichtig. Diese programmatische Sicht hat den Weg der Neuzeit bestimmt und bestimmt auch noch immer die Glaubenskrise der Gegenwart, die ganz praktisch vor allem eine Krise der christlichen Hoffnung ist. So erhält denn auch die Hoffnung bei Bacon eine neue Gestalt. Sie heißt nun: Glaube an den Fortschritt. Denn für Bacon ist klar, daß die jetzt in Gang gekommenen Entdeckungen und Erfindungen nur ein Anfang sind; daß aus dem Zusammenspiel von Wissenschaft und Praxis ganz neue Entdeckungen folgen werden und eine ganz neue Welt entstehen wird, das Reich des Menschen.“ Schließlich kommt der Papst zu diesem Urteil: „Der Mensch kann nie einfach nur von außen her erlöst werden. Francis Bacon und die ihm folgende Strömung der Neuzeit irrten, wenn sie glaubten, der Mensch werde durch die Wissenschaft erlöst. Mit einer solchen Erwartung ist die Wissenschaft überfordert; diese Art von Hoffnung ist trügerisch. Die Wissenschaft kann vieles zur Vermenschlichung der Welt und der Menschheit beitragen. Sie kann den Menschen und die Welt aber auch zerstören, wenn sie nicht von Kräften geordnet wird, die außerhalb ihrer selbst liegen. [...] Nicht die Wissenschaft erlöst den Menschen. Erlöst wird der Mensch durch die Liebe.“ Mutige, eindringliche und wahre Worte.

Dankbar nehme ich diese Analyse auf, die wohltuende Schrift des Papstes gegen die naturwissenschaftliche Einseitigkeit, und möchte seiner Kritik mit einer auf Leibniz gestützten Kritik Bacons weitere argumentatorische Unterfütterung anbieten.

1.
Bacons experimentelle Induktionsmethode hat für die Wissensproduktion einen neuen erkenntnistheoretischen Zugang eröffnet, auf den sich die Naturwissenschaft bis heute stützt – das ist unbestritten. Aber: Bacon sah seine Methode als eine Möglichkeit, zur unverfälschten, unverdorbenen Erkenntnis des „Wesens der Dinge“ vorzustoßen und feierte es zugleich als Befreiung von der mittelalterlichen Scholastik. Bacons Kritik zielte auf die Schwäche der deduktiven scholastischen Methode, die er darin sah, dass die Ergebnisse der Scholastiker trotz allen Scharfsinns nicht besser sein konnten als die Prämissen, von denen sie ausgingen. Doch: Gilt das nicht auch für die nach dem empiristischen Paradigma arbeitenden Naturwissenschaften? Haben sie nicht auch ein Methodenproblem, wenn sie der Wissenschaft ihre Erkenntnisweise aufsetzen bzw. nichts akzeptieren, was außerhalb des Beobachtbaren liegt, eben weil es nicht beobachtbar ist? Aus dem Methodenmonopol folgt doch auch hier a priori eine eingeschränkte Sicht von Welt und Wirklichkeit!

2.
Mit der Induktionsmethode entsteht bei Bacon aber nicht nur ein für die Wissensproduktion neuer erkenntnistheoretischer Zugang zur Natur, sondern auch ein hochaktueller anthropogener Schöpfungsgedanke. Die unverfälschte, unverdorbene Erkenntnis – für das „Verderben“ macht er die Metaphysik Platons und Aristoteles’ verantwortlich, die in der Scholastik tradiert ist – führt also nicht nur zur graduellen Verbesserung der Naturwissenschaft, sondern zu deren prinzipieller Neuorientierung, die den Menschen als Diener, Deuter, Beherrscher und schließlich Schöpfer der Natur bzw. ihrer perfektionierten Substitution betrachtet. Damit, dass diese Erneuerungsarbeit von allen getragen werden soll, richtet sich Bacon nicht nur gegen Aristoteles’ Deduktionsbegriff, sondern auch gegen die platonische Vorstellung einer Ideenwelt, die nur von wenigen „geschaut“ und „gefunden“ werden kann. Die unverfälschte, unverdorbene Erkenntnis ist das Programm Bacons, die Erfahrung durch empirische Forschung seine Methode. Das Erfahrene ist dabei weder Verkörperung des Allgemeinen im Einzelnen (aristotelische Deduktion) noch von der Elite geschauter Abschnitt einer Ideenwelt (platonisches Finden). Reinwald schreibt dazu: „Durch die vermeintliche Loslösung vom metaphysischen Allgemeinen in der Vorstellung einer Verkörperung des Allgemeinen im Einzelnen erfolgt die vollständige Verlagerung der Transzendenz in die Immanenz, in das Einzelne selbst“, und stellt fest: „Die bei Aristoteles bereits auf den unbewegten Beweger zusammengefallene Seinspyramide des Platon fällt damit durch eine nochmalige innerweltliche Transformation weiter in sich zusammen und wird auf das weltimmanente Individuum reduziert“ (in: Mythos und Methode. Zum Verhältnis von Wissenschaft, Kultur und Erkenntnis, München 1991, S. 419). Das hat zur Folge, dass dieses Individuum selbst zum „unbewegten Beweger“ wird, zum „Schöpfer“. Hier liegt das entscheidende Problem der fälschlichen Annahme einer Selbsterlösungsmöglichkeit, auf die der Papst hinweist.

3.
Ferner stellt sich die Frage, was dieser empiristische Zugang eigentlich wert ist. Eröffnet uns die Erfassung der Natur auch die „Wahrheit“ hinter den durch Forschung erkennbaren Phänomenen? Leibniz sagt: Nein! Leibniz geht wieder auf die aristotelische Deduktion zurück, gewissermaßen mit einem platonischen Hintergedanken, denn auch die Metaphysik Leibnizens sieht eine Trennung vor von materialer Welt (er nennt diese das „Reich der Natur“) und geistiger Welt (bei ihm das „Reich der Zwecke“). Bei ihm ist das Verhältnis von Verstand und Anschauung nicht als vom Menschen generierte Verbindung geregelt. Und damit ist klar, dass die Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaft, die Bacon postuliert hatte, von Leibniz zurückgewiesen wird. Für Leibniz können mit und in der Natur angestellte Experimente nichts über die Wahrheit sagen, sondern nur über einen Ausschnitt von Kausalitäten in der dem empirischen Forschen zugänglichen Sphäre, dem materialen „Reich der Natur“. Das dem überlagerte geistige „Reich der Zwecke“, manchmal auch „Reich der Gnade“ genannt, weil Leibniz Gott in diesem Reich wirken lässt, kann so nicht beschrieben werden, weil es nicht im Experiment modelliert werden kann. So unterscheidet Leibniz in seiner Erkenntnistheorie die Kontingenz eines material-phänomenologischen Kausalnetzes im „Reich der Natur“, das experimentell zugänglich ist, von der Notwendigkeit der Finalursachen im „Reich der Zwecke“ bzw. der „Gnade“, das experimentell nicht zugänglich ist. Was wir messen und erfahren sind die Kausalursachen, was wir experimentell nicht ergründen können sind die Ursachen zweiter Ordnung. Wir können erfahren, wie die Welt ist, aber wir können nicht in Erfahrung bringen, warum sie so ist, wie sie ist. Das bedeutet für die Naturwissenschaften, dass sie durch Erfahrung und Induktion nicht begründbar sind. Ihnen liegt etwas im Rücken, das nicht beobachtet und somit nicht mit ihrer Methodik festgestellt werden kann. Nach Leibniz liegt diese Basis in den göttlichen Prinzipien der Logik, ohne die eine geordnete empirische Erkenntnis aus Experimenten gar nicht möglich ist. Mit anderen Worten: Ohne Gott können wir aus den Beobachtungen nicht die richtigen Schlüsse ziehen – und auch keinen Fortschritt erzielen, zumindest keinen, der dem Menschen gerecht wird.

Die Enzyklika SPE SALVI kommt zum rechten Zeitpunkt. Ein Widerhall in der Wissenschaft ist ihr gewiss; darauf darf man gespannt sein.


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