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Der Streit um die Evolution Von Engelbert Recktenwald "Wissenschaftliche Theorien wie die Evolutionstheorie sind immer wieder überprüf- und widerlegbar, sonst handelt es sich nicht um Wissenschaft, sondern Pseudo-Wissenschaft oder ‘Junk Science'." So schreibt DI Dr. Peter Holubar, Universitätsprofessor am Institut für Angewandte Mikrobiologie der Wiener Universität für Bodenkultur in der "Presse" vom 20. Oktober 2006. Holubar kritisiert damit den Vorwurf von Christoph Kardinal Schönborn in dessen berühmtem Artikel in der "New York Times" vom 7. Juli 2005. Schönborn hatte von "Verteidigern des neo-darwinistischen Dogmas" gesprochen und mit dieser Formulierung die Diskussionsverweigerung jener Verteidiger der Evolution kritisieren wollen, für die die Evolutionstheorie keine Theorie, sondern unhinterfragbare Tatsache ist: "Schon im ersten Satz des Artikels begeht der Kardinal den Fehler vom ‘neodarwinistischen Dogma' zu sprechen." Holubar will zeigen, daß Schönborns Vorwurf ins Leere läuft, weil es in der Wissenschaft keine Dogmen gebe. Wir merken uns also: Nach Holubar sind "Theorien wie die Evolutionstheorie (...) immer wieder überprüf- und widerlegbar." Nun wenden wir unseren Blick nach Deutschland und stellen verwundert fest, daß Prof. Dr. Ulrich Kutschera, Vizepräsident des Verbandes Deutscher Biologen und dort Vorsitzender der von ihm selbst gegründeten AG Evolutionsbiologie, genau das Gegenteil sagt: Er meint, es sei "inakzeptabel, die Evolution als Faktum in Frage zu stellen". Er reagiert damit auf einen Vorschlag von Hessens Kultusministerin Karin Wolff, "fächerübergreifende und -verbindende Fragestellungen aufzuwerfen". Sie hatte Anfang Oktober erklärt, „dass man nicht einfach Schüler in Biologie mit der Evolutionslehre konfrontiert und Schüler im Religionsunterricht mit der Schöpfungslehre der Bibel. Sondern dass man gelegentlich auch schaut, ob es Gegensätze oder Konvergenzen gibt." Faßt man die Standpunkte von Holubar und Kutschera zusammen, kann man sagen: Nach Holubar ist es Pseudo-Wissenschaft, die Evolution nicht als überprüf- und widerlegbare Theorie, sondern als Tatsache hinzustellen. Nach Kutschera ist es genau umgekehrt: Es ist pseudowissenschaftlich, die Evolution als Tatsache in Frage zu stellen. Bei beiden handelt es sich um kompetente Naturwissenschaftler und Verteidiger der Evolutionstheorie. Die Kritik Kutscheras, der als Vizepräsident seines Verbandes mit anderen Wissenschaftlern einen offenen Protestbrief an die Ministerin gerichtet hat, ist verständlich, wenn sie auf die Gefahr abzielt, daß pseudowissenschaftliche Argumente gewisser Kreationistenkreise mit seriösen wissenschaftlichen Befunden auf eine Stufe gestellt werden. Den Fehler Kutscheras sehe ich jedoch darin, daß er die Reflexion über den wissenschaftlichen Status der Evolutionstheorie mit solcher Pseudowissenschaft in einen Topf wirft. Die Notwendigkeit solcher Reflexion erhellt allein schon aus den gegensätzlichen Standpunkten von Holubar und Kutschera. Mit dieser Reflexion verläßt man freilich die naturwissenschaftliche Ebene und betreibt Philosophie. Zur Philosophie gehört auch die Gottesfrage. Bei einer nüchternen philosophischen Reflexion über das Verhältnis von Schöpfungslehre und Evolutionstheorie geht es nicht darum, das Faktum der Evolution zu leugnen, sondern die Frage zu untersuchen, ob und wie weit die Evolutionstheorie beanspruchen kann, das Ganze der Wirklichkeit ohne Gott erklären zu können. Mit der entsprechenden Forderung ist die Ministerin tatsächlich auf der Höhe der Zeit. Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen spätestens seit Schönborns Artikel schreien geradezu danach. Für Kutschera freilich ist das Verhältnis ganz einfach und ausgemachte Sache: "Wir haben aber auf der einen Seite wissenschaftliche Tatsachen, auf der anderen einen 2000 Jahre alten christlichen Mythos." Nun könnte man die Bezeichnung des biblischen Schöpfungsbericht als "Mythos" richtig verstehen, wenn nicht aus anderen Äußerungen Kutscheras hervorgehen würde, daß sein Realitätsbegriff Gott oder andere naturwissenschaftlich nicht faßbare Größen ausschließen würde. Genau diese Verengung des Realitätsbegriffs und damit auch die des Rationalitätsbegriffs auf die naturwissenschaftliche Methode ist für das Umschlagen des methodischen Atheismus in einen weltanschaulichen, wie wir es bei Kutschera beobachten können, verantwortlich. Was naturwissenschaftlich nicht nachweisbar ist, wird auf die Seite des Mythos oder des Gefühls geschlagen. Aus diesem aus philosophischer Sicht geradezu naiven Reduktionismus folgt wie von selbst, daß nur eine atheistische Weltanschauung wissenschaftlich sein kann. So wäre es ja schön, wenn es nur darum ginge, den naturwissenschaftlichen Unterricht weltanschauungsfrei zu halten, wie Kutschera im Offenen Brief an die Ministerin fordert. In Wirklichkeit geht es eher um einen Streit der Weltanschauungen untereinander. Kutschera ist in der 2004 gegründeten Giordano-Bruno-Stiftung engagiert, die sich einem naturalistischen, religionslosen Weltbild verschrieben hat. Ihr Vorstandssprecher ist Michael Schmidt-Salomon, verantwortlicher Redakteur eines "politischen Magazins für Konfessionslose und AtheistInnen" und gleichzeitig einer der Hauptinitiatoren der "Religionsfreien Zone: Heidenspaß statt Höllenqual", einer Gegenveranstaltung zum Weltjugendtag in Köln 2005 und zum Papstbesuch in München 2006. Die Verbissenheit, mit der Kutschera seinen Kreuzzug gegen den Kreationismus und alles, was er darunter subsumiert, führt, ist sogar der linken Wochenzeitung "Jungle-World" aufgefallen, die in der Ausgabe vom Dezember 2005 die wissenschaftlich arbeitenden Vertreter einer Intelligent Design-Theorie gegen die Anwürfe Kutscheras in Schutz genommen und diesem "antikreationistischen Affekt" vorgeworfen hat. In England hat in diesem Jahr der bekannte Evolutionist und leidenschaftliche Atheist Richard Dawkins seine Kampfschrift "The God Delusion"("Die Wahnvorstellung von Gott") veröffentlicht, in der er den Glauben an Gott bekämpft. "Nun wehren sich Evolutionsbiologen und wollen den Menschen den Glauben austreiben", berichtet darüber der SPIEGEL in seiner Ausgabe vom 23. Oktober 2006. So ist es nicht verwunderlich, daß der Mathematiker Rudolf Taschner einen "eigenartigen missionarisch-atheistischen Fundamentalismus" heraufziehen sieht. Auf diesem Hintergrund stellt sich für jeden Evolutionsbiologen die Frage, ob er seine Wissenschaft für ideologische Grabenkämpfe mißbrauchen lassen will oder nicht lieber doch den Weg eines auch die philosophische Reflexion nicht ausschließenden Dialogs vorzieht, wie es beispielsweise im September das Treffen des Ratzinger-Schülerkreises vorgemacht hat, bei dem kontrovers, aber sachlich und auf hohem wissenschaftlichen Niveau über die Evolution diskutiert wurde. Und es stellt sich die Frage, ob dies nicht auch das bessere Modell für den Schulunterricht ist. Methodische Grenzen Franz Wuketits schreibt in seinem Buch Evolutionstheorien (Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1998): “Es mag also jemand an die Schöpfung glauben wenn er/sie nur glücklich dabei ist , doch darf ihn/sie es nicht wunder nehmen, wenn ein konsequenter Vertreter der Evolutionslehre diesen Glauben in die Kategorie ‘Wunschdenken’ einordnet.” Und er zitiert einen anderen Evolutionsbiologen: “Mag sein, dass Kinder durch einen Glauben an den Weihnachtsmann glücklich gemacht werden, aber Erwachsene sollten es vorziehen, in einer Welt der Realität und Vernunft zu leben.” Das Zitat Die Biologen sprechen von Komplexität. Was wir aber zunächst erleben, ist etwas ganz Einfaches, zum Beispiel “Ich”, ein Gefühl oder ein Trieb. Ein Trieb, der erlebt wird, ist überhaupt nichts Komplexes, ebensowenig ein Subjekt, das sich selbst denkt, wenn es “Ich” sagt. Komplexität ist unserer Erfahrung nach eine Bedingung dafür, daß diese Dinge entstehen können. Doch was entsteht, ist offensichtlich etwas ganz anderes. Dieses ganz andere wird dann auch zum Subjekt der Wissenschaft. Das Subjekt der Wissenschaft ist also etwas ganz anderes als das, was in der Wissenschaft entdeckt wird. Robert Spaemann am 1. September 2006 in der Diskussion über seinen Vortrag “Deszendenz und Intelligent Design”, gehalten auf der Tagung des Schülerkreises Papst Benedikts XVI. in Castel Gandolfo, dokumentiert in: Schöpfung und Evolution. Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo, hrsg. im Auftrag des Schülerkreises von Papst Benedikt XVI. von Stephan Otto Horn SDS und Siegfried Wiedenhofer, Augsburg 2007, S. 126. Der Beitrag von Robert Spaemann “Deszendenz und Intelligent Design” in diesem Buch ist online auf dem Grenzfragenforum der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart als pdf-Datei abrufbar. Kluge Strategie? Wohlwollende Kritiker der "Design-Theorie" geben ihren Vertretern zu bedenken, dass sich Gläubige mit ihr in eine unkomfortable Lage begeben. Sie siedeln ihre Überzeugung in den Nischen des einstweilen noch nicht Erklärten an, aus denen sie immer wieder von Neuem vertrieben werden. Mehr taktisch und pastoral als an Wahrheitsfragen orientierte Theologen versuchen es denn auch seit Langem mit einer Immunisierungsstrategie: Um sich keinesfalls mit der Wissenschaft anzulegen, vermeiden sie es, überhaupt irgendetwas zu behaupten, was in den Bereich des Empirischen und deshalb im Prinzip Falsifizierbaren fällt. Der Preis, den sie dafür bezahlen, ist allerdings die Trivialisierung ihrer Botschaft. Jeder kann ihr zustimmen, weil sie keine belangvolle Information enthält. Und diesen Preis wollte Kardinal Schönborn offenbar nicht zahlen. Robert Spaemann am 22. Juli 2005 im Standard zur Diskussion über Kardinal Schönborns NYT-Artikel Finding design in nature. Stellungnahmen zur Evolutionstheorie Manfred Lütz Manfred Lütz in seinem neuesten Bestseller “Gott. Eine kleine Geschichte des Größten”. Der exklusive Vorabdruck eines Kapitels erschien am 20. September in der “Märkischen Allgemeinen”. Hermann Krings Der Philosoph Hermann Krings (1913 - 2004) in: “Sokrates überlebt. Zum Verhältnis von Evolution und Geschichte”, in: Peter Koslowski, Philipp Kreuzer, Reinhard Löw (Hg.), Evolution und Freiheit. Zum Spannungsfeld von Naturgeschichte und Mensch, Stuttgart 1984, S. 173 Josef Bordat Dr. Josef Bordat, Manifestationen menschlicher Vernunft. Über das Verhältnis von Religion und Wissenschaft in der Internetzeitschrift für Literaturkritik, veröffentlicht am 28. Februar 2008. Raniero Cantalamessa P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., der Prediger des Päpstlichen Hauses, in seiner Fastenpredigt vom 7. März 2008 für den Papst und die Kurie. Sein Buch The Language of God ist inzwischen unter dem Titel Gott und die Gene auch auf Deutsch erschienen. Karl Eibl Atheismuserschütternde Astrophysik Das Buch God's Universe des berühmten Wissenschaftlers Owen Gingerich ist nun in deutscher Übersetzung unter dem Titel Gottes Universum. Nachdenken über offene Fragen erschienen. Josef Bordat bespricht es in der Oktoberausgabe des Rezensionsforums für Literatur und für Kulturwissenschaft “literaturkritik.de” unter der Überschrift Kosmisches Roulette? Der Astrophysiker Owen Gingerich verteidigt den Schöpfungsglauben. Gingerich, Astronom und Wissenschaftshistoriker an der Harvard-Universität, gilt als Koryphäe in seinem Fach. Bordat lobt Gingerich, dass er durch seine glasklare Gedankenführung Ordnung in die Debatte über Schöpfung und Evolution bringe, die sich einander nicht widersprechen. Im Gegensatz zu Evolutionsbiologen wie Richard Dawkins und Ulrich Kutschera beherrscht er den Unterschied zwischen methodologischem und weltanschaulichem Naturalismus. Während er den ersten akzeptiert und selber in der naturwissenschaftlichen Forschung anwendet, sagt er über letzteren: “Evolution als eine materialistische Philosophie ist Ideologie, und sie als solche darzustellen erhebt sie in den Rang einer Zielursache. Evolutionisten, die die kosmische Teleologie ablehnen, auf ein kosmisches Roulette vertrauen und für die Zweckfreiheit des Universums eintreten, äußern keine wissenschaftlich fundierten Tatsachen; sie vertreten ihre persönliche metaphysische Meinung.” Diese Meinung ist aber mit den kosmologischen Befunden viel schwieriger in Einklang zu bringen als der Gedanke eines Schöpfergottes. Mit diesen Befunden ist vor allem die Feinabstimmung gemeint. Diese macht den Gedanken einer Zwecklosigkeit des Ganzen sehr unplausibel. Bordat: “Das, was der Autor über die Umstände der Weltentstehung zu sagen hat, erstaunt und zeigt, wie atheismuserschütternd Astrophysik sein kann.” Aus philosophischer Sicht hat bereits Richard Swinburne darauf aufmerksam gemacht. Nicht nur die Kompetenz und Sachkenntnis des Autors macht “das großartige Buch” empfehlenswert, sondern auch “die Bescheidenheit und der Humor”, die Bordat bemerkt und wodurch sich Gingerich wohltuend von Dawkins und Co. unterscheidet. Evolutionismus Von den "neuen Atheisten" wie Richard Dawkins wird die Evolutionstheorie überstrapaziert, indem sie als scheinbar schlagkräftiges Argument gegen den Gottesglauben ins Feld geführt wird. Vom wissenschaftstheoretischen Standpunkt aus gesehen werden dabei Grenzen überschritten, auf die besonnene Mahner in letzter Zeit öfters hingewiesen haben: Norbert Leser Rolf Spinnler: Robert Spaemann: Uwe Justus Wenzel: Kurt Koch: Die intellektuellen Probleme des Stadtmagazins München24 Erzbischof Reinhard Marx von München stellte am 25. Dezember 2008 in seiner Weihnachtspredigt die Bedeutung des Schöpfungsglaubens heraus. Am Anfang stünden nicht das Nichts und die Unvernunft, sondern Gottes Wort und Geist, sein Wille, dass es Schöpfung geben solle in ihrer Vielfalt. Er stellte dies einer atheistischen Weltsicht entgegen, in der die Evolution die Stelle Gottes einnimmt. Darwins Evolutionslehre stellte er nicht in Frage, sondern nur deren Hochstilisierung zu einem allumfassenden Welterklärungsmodell, das einen Gott ausschließt. Er reflektierte die Konsequenzen für unser Bild vom Menschen und dessen Würde und bezweifelte die Vernünftigkeit der Auffassung, dass alles aus dem Nichts komme und ins Nichts gehe. Die Predigt kann man sich auf der Website des Erzbistums München anhören. Alle diese Überlegungen waren dem Stadtmagazin München24 zu hoch. Es reduzierte in seinem Bericht über die Predigt die ganze Angelegenheit auf die Alternative für oder gegen Darwin, setzte den Erzbischof in die kreationistische Ecke, nannte seine Predigt fundamentalistisch und behauptete von ihm wahrheitswidrig, dass er die wissenschaftlichen Erkenntnisse Darwins bezweifle. Der Artikel ist nicht namentlich gezeichnet. Für den Inhalt verantwortlich ist Robert Allmeier. Arme Münchner, die solchen Informationsquellen aufsitzen... Ein Biologe zum Thema:Sie sind Katholik und Darwinist, geht das? Blaszkiewitz: Selbstverständlich. Darwin selbst war Theologe und glaubte an Gott. Als Schöpfer aller Dinge hat Gott auch die Naturgesetze erschaffen. Der evolutionäre Prozess ist sein Werk. Durch Gott sind die Naturgesetze vernünftig. Aus einem Interview von Michael Miersch mit dem Berliner Zoodirektor Bernhard Blaszkiewitz, erschienen in der Welt-Online am 28. Dezember 2008. Fundamentalistischer Evolutionismus "Nun haben sich einige Biologen weltanschaulich im Sinne eines atheistischen Glaubens festgelegt. Das ist in Ordnung, solange eine faire, wissenschaftliche Diskussion zugelassen wird, doch manchmal begegnet mir in diesen Kreisen ein erschreckend fundamentalistischer Evolutionismus, der jede Evolutionskritik am liebsten mit einem Bann belegen würde. Das hat mit Naturwissenschaft nichts zu tun. Da geht es im Kern darum, ein persönliches materialistisches Weltbild im Namen der Naturwissenschaft absolut zu setzen und gegen kritische Anfragen zu immunisieren." Siegfried Scherer, Professor für Mikrobielle Ökologie am Department für Grundlagen der Biowissenschaften an der Technischen Universität München, im Interview mit Jörn Schumacher, Redakteur des christlichen Medienmagazins pro. Scherer grenzt sich auch vom amerikanischen Kreationismus ab. Weitere Beiträge zum Thema: Film: Die wissenschaftliche Begründung des Intelligent Design Dawkins und die neuen Atheisten Prof. Dr. Wolgang Kuhn: Johannes Schwarte: Robert Spaemann: |
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