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Der Tod der Schafe durch die Hirten

Ein Kommentar zum Cloyne–Report / Irland
von P. Lic. Sven Conrad FSSP

Der Taoiseach (Regierungschef) der Republik Irland Enda Kenny hat vor wenigen Tagen die Katholische Kirche und speziell das angebliche Verhalten des Vatikan mit scharfen Worten angegriffen [1]. Diese Rede ging um die Welt. In weniger als 48 Stunden wurde sie in mehr als 1000 Artikeln in über 800 Publikationen in 64 Ländern erwähnt. Man hat den Eindruck, als habe die Welt darauf gewartet, daß das katholische Irland sich endlich von der Kirche emanzipiert. Und in der Tat hat „die Welt“ darauf gewartet, denn auch heute gilt, was der Herr über seine Gegner sagte: „Meine Zeit ist noch nicht gekommen, eure Zeit ist immer gelegen.“ (Joh 7, 6).

Es entbehrt nicht einer ganz besonderen Tragik, daß jetzt die Öffentlichkeit jenes Landes gegen kirchliche Institutionen aufbegehrt, das bis in die Gegenwart hinein das Naturrecht, so wie es die Kirche authentisch vorlegt, effektiv zu schützen imstande war (z. B. in puncto Abtreibung); dies sogar bei allen Verhandlungen mit der EU.

Nun ist man bereit, wie vielen Medien zu entnehmen ist, staatlicherseits selbst das Beichtgeheimnis nicht mehr zu achten. Dies ist nicht so sehr für die Praxis von Bedeutung, denn es dürfte schwer beweisbar sein, was / wer / wann einem Priester gebeichtet hat. Dieser Schritt ist dramatischer, wenn man ihn von der prinzipiellen Seite her sieht: Das Sakrament wird entehrt, es wird betrachtet wie das beratenden Gespräch bei einem Psychologen, dem der Staat gemäß der für das Gemeinwohl nötigen Klugheit mehr oder weniger Schutz bieten kann.

Der Schreiber dieser Zeilen ist von mehreren Besuchen her Irland sehr verbunden. Er kennt es als ein Land, das den Glauben noch öffentlich bezeugt und wo (noch) nicht alles Fassade ist. In diesem Sinne erwähnt der Hl. Vater in seinem berühmten Brief an die Kirche in Irland, wie sehr es der Glaube ist, der das ganze Land und die einzelnen Familien durch schwerste Zeiten hindurch bis heute geprägt hat: „In Laufe der Geschichte haben die Katholiken Irlands in ihrer Heimat und auch in anderen Ländern immer eine starke Kraft für das Gute unter Beweis gestellt. Keltische Mönche wie der hl. Kolumban haben das Evangelium in Westeuropa verbreitet und das Fundament für die mittelalterliche Klosterkultur gelegt. Die Ideale der Heiligkeit, der Nächstenliebe und der auf das Jenseits ausgerichteten Weisheit, die aus dem christlichen Glauben hervorgegangen sind, fanden ihren Ausdruck im Bau von Kirchen und Klöstern und in der Errichtung von Schulen, Bibliotheken und Krankenhäusern, die alle dazu beitrugen, die geistige Identität Europas zu festigen. Diese irischen Missionare haben ihre Stärke aus dem festen Glauben, der starken Führung und dem aufrechten sittlichen Verhalten der Kirche in ihrem Mutterland gezogen.
Ab dem 16. Jahrhundert haben die Katholiken in Irland eine lange Zeit der Verfolgung erlitten, in der sie sich bemühten, die Flamme des Glaubens unter gefährlichen und schwierigen Umständen lebendig zu halten. Der hl. Oliver Plunkett, der Märtyrerbischof von Armagh, ist das berühmteste Beispiel einer ganzen Schar von mutigen Söhnen und Töchtern Irlands, die bereit waren, ihr Leben aus Treue zum Evangelium hinzugeben. ...
In fast jeder Familie in Irland gab es jemanden – einen Sohn oder eine Tochter, einen Onkel oder eine Tante –, der sein Leben in den Dienst der Kirche gestellt hat. Irische Familien würdigen und schätzen zu Recht ihre Angehörigen, die ihr Leben Christus geweiht haben, die das Geschenk des Glaubens mit anderen teilen und aus diesem Glauben Taten folgen lassen, in liebendem Dienst an Gott und dem Nächsten.“

Mitglieder des Klerus haben nun in Irland über Jahrzehnte schwere und schwerste Schuld auf sich geladen, wie es nun im neuesten Bericht über die Zustände in der Diözese Cloyne wieder offen zu Tage tritt (auf der Internetpräsenz der Diözese als pdf-Dokument verfügbar).

Gemäß dem Bericht hat sogar der zuständige Bischof 12 Jahre lang bis 2008 die kirchlichen Richtlinien nicht korrekt umgesetzt, um das Wenigste zu sagen. Bereits im Jahr 2009 wurde er durch die Ernennung eines Apostolischen Administrators faktisch entmachtet; der Amtsverzicht erfolgte dann vorzeitig im Jahr 2010.

Das Vertrauen der Gläubigen und der Öffentlichkeit ist in Irland bereits seit dem Aufkommen des Mißbrauchsskandals tief erschüttert. Nun steht der schwere Vorwurf im Raum, auch leitende Verantwortliche hätten noch in jüngster Zeit jenen Maßnahmen zuwider gehandelt, die die Kirche selbst als Reaktion auf die Mißbräuche in Kraft gesetzt hatte. Wie sollte da Vertrauen noch möglich sein? Kirchenkritische Kreise aller Art haben es nun sehr leicht, alle Fakten miteinander zu vermischen und generell den Einfluß „des Katholischen“ auf die Gesellschaft anzugreifen.

Wer trägt dafür die Verantwortung? Es geht hier nicht um eine Schuldzuweisung gegenüber einer einzelnen Person. Es sind – allgemein gesprochen - Geistliche, es sind Hirten, die die Verantwortung tragen! Es sind im letzten die Diener des Bußsakramentes selbst, die nun verantworten müssen, wenn von staatlichen Autoritäten dieses Sakrament mit Füßen getreten wird.

Immer wieder erinnere ich mich dieser Tage an die Mahnung der Propheten, die so oft gegen die Hirten des alttestamentlichen Bundesvolkes erging. Denken wir etwa an den Hirtenspiegel bei Ezechiel:

„Das Wort des Herrn erging an mich: Menschensohn, sprich als Prophet gegen die Hirten Israels, sprich als Prophet und sag zu ihnen: So spricht Gott, der Herr: Weh den Hirten Israels, die nur sich selbst weiden. Müssen die Hirten nicht die Herde weiden? Ihr trinkt die Milch, nehmt die Wolle für eure Kleidung und schlachtet die fetten Tiere; aber die Herde führt ihr nicht auf die Weide. Die schwachen Tiere stärkt ihr nicht, die kranken heilt ihr nicht, die verletzten verbindet ihr nicht, die verscheuchten holt ihr nicht zurück, die verirrten sucht ihr nicht und die starken misshandelt ihr. Und weil sie keinen Hirten hatten, zerstreuten sich meine Schafe und wurden eine Beute der wilden Tiere. Meine Herde irrte auf allen Bergen und Höhen umher und war über das ganze Land verstreut. Doch keiner kümmerte sich um sie; niemand suchte sie. Darum ihr Hirten, hört das Wort des Herrn: So wahr ich lebe - Spruch Gottes, des Herrn: Weil meine Herde geraubt wurde und weil meine Schafe eine Beute der wilden Tiere wurden - denn sie hatten keinen Hirten - und weil meine Hirten nicht nach meiner Herde fragten, sondern nur sich selbst und nicht meine Herde weideten, darum, ihr Hirten, hört das Wort des Herrn: So spricht Gott, der Herr: Nun gehe ich gegen die Hirten vor und fordere meine Schafe von ihnen zurück. Ich setze sie ab, sie sollen nicht mehr die Hirten meiner Herde sein. Die Hirten sollen nicht länger nur sich selbst weiden: Ich reiße meine Schafe aus ihrem Rachen, sie sollen nicht länger ihr Fraß sein.“ (Ez 34, 1-10).

Der hl. Augustinus stellt sich bei der Deutung dieser Stelle einmal die Frage, wie denn die schlechten Hirten die Schafe töten? Und er antwortet: „Male vivendo, malum exemplum praebendo“ (Indem sie schlecht leben und schlechtes Beispiel geben; Sermo 46, 9). Man muß leider davon überzeugt sein, daß die Skandale die Seelen vieler Menschen geistlich getötet haben oder in den Tod führen werden.

Der Moraltheologe und auch in der deutschsprachigen Welt bekannte Schüler Joseph Ratzingers Prof. P. Vincent Twomey SVD hat schon lange die ganze Tiefe des Skandals erkannt und beim Namen genannt. Schon mehrfach forderte er radikale Reformen für die Kirche in Irland. Erinnert sei an seinen Beitrag Wo die Guten nichts tun, gedeiht das Böse Darin schreibt er: „Die Bischöfe tragen eine enorme Verantwortung für das spirituelle, emotionale, soziale und – bis zu einem gewissen Grad – auch physische Wohlergehen aller Gläubigen, Laien wie Geistlichen, Praktizierender wie Nicht-Praktizierender. Deshalb haben sie Anspruch auf Verehrung und sind in symbolische Gewänder gekleidet. Ihre derzeitige Schande hat auch die heiligen Symbole ihres Amtes in Misskredit gebracht. Priester sind für schuldig befunden worden, an unschuldigen Kindern und ihren Familien unsäglichen Schaden angerichtet zu haben, Verbrechen, die zum Himmel nach Vergeltung schreien. Damit haben sie zudem all das, was das Beste in unserer katholischen Tradition ist, in den Schmutz gezogen. Sie haben damit uns alle beschmutzt. Die Berichterstattung darüber im Fernsehen hat die Fantasie der meisten Iren und Irinnen befleckt. Der daraus entstandene Schaden ist ungeheuer. Es wird Generationen dauern, um das wieder in Ordnung zu bringen. Und dieselben Kriminellen haben größten Schaden den zahlreichen Laien, Männern wie Frauen, zugefügt, die dem Glauben treu geblieben sind, nicht nur trotz dieser Skandale, sondern auch ungeachtet des Versagens der irischen Kirche in den vergangenen Jahrzehnten, sie, ihre Kinder und Enkelkinder von den Reichtümern des Glaubens zu nähren. Doch das ist ein anderes Thema. Die aktuelle Krise bereitet allen Katholiken, vornehmlich denen, die der Kirche am nächsten stehen, unbeschreiblichen Kummer.“ Nun fordert er als Reaktion of den Cloyne-Report den Rücktritt aller Bischöfe, die vor 2003 ernannt worden sind – um der Glaubwürdigkeit der Kirche willen.

Was lehren uns diese Ereignisse?

Den Opfern muß unbedingt geholfen werden, auch im Sinne einer christlichen Verarbeitung der Verbrechen, damit sie nicht auf immer an den Hirten irre werden. Der Hl. Vater gab dazu das Beispiel, indem er mit Opfern sprach, ihnen zuhörte und mit ihnen betete.

Wir alle müssen für die Kirche in Irland beten, die durch die Jahrhunderte der ganzen Welt durch ihre Missionare so viel geschenkt hat. Die Kirche braucht eine authentische Kraft der Erneuerung. Der Hl. Vater hat dazu eigens ein Gebet verfaßt, das er dem schon erwähnten Brief an die Katholiken Irlands anfügte.

Die Geistlichen im Besonderen müssen sich verstärkt bewußt werden, welch gravierende Folgen ihr Handeln hat. Ein Priester, der nach Heiligkeit strebt, wird andere zum Leben führen. Ein priesterlicher Hirt, der sich in der Sünde suhlt, wird den ihm anvertrauten Schafen zum Tod.

Anmerkungen:

[1] Der Pressesprecher des Hl. Stuhls hat klargestellt, daß dieser niemals die Absicht hatte, Verbrechen zu vertuschen.


Was Twomey dazu sagt

Kardinal Lehmann zur Missbrauchsaffäre

Weitere Infos zum Missbrauchsskandal


Jetzt will ich meine Schafe selber suchen

Nur auf dem Hintergrund der gewaltigen Anklage und Verheißung Gottes in Ezechiel 34 können wir das ganze Gewicht der Aussage Jesu verstehen: “Ich bin der gute Hirt.” Eine Predigt zum Guten-Hirten-Sonntag.

Recktenwald-Predigten · Guter-Hirte-So.: Göttliche Selbstoffenbarung

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