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Benedikt und der Bundestag

Von Josef Bordat

Im September 2011 wird Papst Benedikt XVI. Deutschland besuchen. Die Frage, die sich dazu stellt, lautet: Soll der Papst das Recht haben, vor dem Deutschen Bundestag zu sprechen? Ich meine: Ja. Ich will dabei gar nicht auf die Formalie eingehen, dass es sich bei der geplanten Visite um einen Staatsbesuch handelt und der Papst insoweit als Oberhaupt des Staates Vatikanstadt sprechen würde, nicht als Oberhaupt der Katholischen Kirche – das wäre sehr spitzfindig und ginge am Thema vorbei. Ich halte die Angelegenheit vielmehr für eine Frage der Religions- und Meinungsfreiheit. Dazu vier Überlegungen.

1. Weltliches und Geistliches zu trennen, ist nicht nur Prinzip einiger moderner Verfassungen, sondern durchaus auch im Sinne der Kirche. Das Zweite Vatikanische Konzil spricht sich für eine relative Autonomie des Staates und weltlicher Sachbereiche aus (Gaudium et Spes). Ein Problem ergibt sich erst dann, wenn man das Weltliche absolut setzt und zu einem Diesseitskult übersteigert. Dann wird aus der sinnvollen Autonomie staatlichen Hoheitshandelns eine alternativlose Weltsicht, die sich selbst als Maß aller Dinge begreift. Wir können diese Weltsicht „Säkularismus“ nennen. Ihre pragmatische Orientierung an der Mehrheitskonvention verdrängt die Letztbegründungsfrage bzw. schreibt sie der Privatsphäre des Einzelnen zu. Die Sphären von Staat und Kirche sind getrennt, aber nicht, um beide zu ihrem jeweiligen Recht kommen zu lassen, sondern um sie sich beide zu unterwerfen, mit dem Ergebnis, dass eine „weltanschaulich neutrale“ Gesellschaft entsteht, freilich um den hohen Preis eines Relativismus, der seine Grenzen dort erfährt, wo die säkularistische Grundlage der Gesellschaft bedroht ist. Religionen sind solche Bedrohungen bzw. können je nach Mehrheitsverhältnis zur Bedrohung werden. Verräterisch ist denn auch die Begründung, die hinter einer Ablehnung des Rederechts steht: Mit Hilfe der Bezugnahme auf die säkularistische Trennung von Kirche und Staat sollen religiöse Positionen aus dem Diskurs gehalten werden, wenn und soweit sie für die Mehrheit unliebsam sind. Dass dies beim Papst der Fall ist, steht über alle weltanschaulichen Grenzen fest; allein das moralische Urteil dazu scheidet die Geister.

2. So geht das aber nicht. Säkularismus ist keine Geschmackssache. Entweder: Religion ist Privatsache und Kirche muss sich immer raus halten. Das wäre ein Säkularismus, der sich selbst ernst nehmen kann. Damit zerstörte man freilich die sehr erfolgreiche Zusammenarbeit von Kirche und Staat zum sozialen Wohle vieler Millionen Menschen in Deutschland, doch das wäre wenigstens konsequent. Selbstverständlich nähme man sich damit auch die Möglichkeit, vom Papst Einmischung in Angelegenheiten zu fordern, in die sich päpstlicherseits einzumischen einem sinnvoll erscheint. So las ich kürzlich, der Papst hätte vor einem Jahr nach Kopenhagen zur Klimakonferenz fahren und vor den Delegierten sprechen sollen. Warum gerade dort? Warum nicht in Berlin? Diese Fragen drängten sich auf, dächte man die Trennung von Kirche und Staat und die These, Religion sei Privatsache, wirklich zu Ende. Denn man kann dem Papst ja nicht selektiv den Mund verbieten. Oder doch? Dann müsste man freilich sagen, wie sich der Aufsichtsrat, der dem Papst von Fall zu Fall „Grünes Licht“ gibt, wenn er die Äußerungen als „nicht unliebsam“ einschätzt, konstituierte und auf welcher Grundlage die Entscheidung fallen soll. Nota bene: Natürlich wurde die Kopenhagen-Rede nur gefordert, um dem Vatikan den ökologischen Strick zu drehen, was nicht nur sehr eigenartig erscheint (Ist nur der an Natur und Umwelt interessiert, der zu sinnlosen Debatten fliegt und dabei Tonnen an CO2 freisetzt?), sondern darüber hinaus auch sachlich unangemessen ist, schließlich ist es jener Vatikan, der 2008 den Europäischen Solarpreis erhielt, weil er seine Gebäude klimagerecht ausgestattet hat und damit jährlich 225 Tonnen CO2 einspart. Diese dumm-dreisten Bemerkungen wären im vollendeten Säkularismus nicht mehr möglich. Das sollten sich berufsmäßige Papst- und Kirchengegner auch mal überlegen. Oder: Religion ist Teil der Öffentlichkeit. Dann aber muss sich der Papst, muss sich die Kirche auch mit unliebsamen Positionen in öffentliche Diskurse einmischen dürfen.

3. Es geht, wie bereits angedeutet, um Religions- und Meinungsfreiheit. Umso erstaunlicher, dass sich der Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, vehement gegen eine Papst-Rede im Bundestag ausspricht, begründet mit dem aus seiner Sicht irritierenden Verhältnis der katholischen Kirche zur Staatlichkeit. Kirche könne, so Schneider, selbst nicht Staat sein, nicht einmal „staatliche Art“ haben. Eine respektvolle, wohlwollende Begegnung auf Augenhöhe wird so sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Vielmehr lässt sich aus Schneiders Worten ein Plädoyer für die strikte Trennung der Sphären entnehmen.

Dass sich die EKD anlässlich der Diskussion um die Papst-Rede im Parlament für das Säkularismus-Projekt einspannen lässt, zeigt zweierlei: Erstens offenbart es, wie weit fortgeschritten die Verweltlichung der Evangelischen Kirche in Deutschland schon ist. In der Hoffnung, am Ende von den schlimmsten Repressionen verschont zu bleiben, wird die Zeitgeist-Agenda seit Jahrzehnten mit vorauseilendem Gehorsam Punkt für Punkt umgesetzt und Luthers Geist in der deutschen Gesellschaft möglichst ohne störende Rückstände aufgelöst. Die Gunst der Medien hat sie, die EKD, damit schon einmal sicher. Was die Gunst der Gläubigen angeht, sieht es anders anders aus: Die Zahl ihrer Mitglieder ist weit stärker rückläufig als bei der katholischen Kirche. Zweitens zeigt es, wie viele Christen in Deutschland immer noch nicht verstanden haben, dass es auch um ihre Religions- und Meinungsfreiheit geht, wenn man auf den Papst einschlägt. Das gleiche gilt für Gläubige anderer Konfessionen.

4. Es geht bei Religions- und Meinungsfreiheit um Öffentlichkeit und Andersartigkeit.

Freiheit ist immer die Freiheit öffentlicher Artikulation. Zu sagen: „Du darfst ja denken, was Du willst und bei Dir zu Hause auf der Gästetoilette auch davon sprechen“, das ist keine Freiheit, das ist die Verhöhnung des Freiheitsgedankens. Öffentlichkeit, das meint in der Demokratie im Wesentlichen politischen Diskurs, der sich in parlamentarischen Debatten formiert. Deswegen ist es für die Religions- und Meinungsfreiheit wichtig, dass der Papst vor dem Bundestag sprechen darf.

Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Der Grundsatz dieses Freiheitskonzepts lautet: Gerade, wenn mir eine Meinung nicht gefällt, muss ich sie zulassen. Das, was ich nicht respektiere, muss ich tolerieren. Eine Gesellschaft, die nur toleriert, was die Mehrheit respektiert, ist keine offene, keine demokratische Gesellschaft. Was wäre das für eine Freiheit, die nur das zulässt, was gerade ohnehin von der Mehrheit gewünscht wird? Was wäre das für eine Freiheit, die mir zugesteht, meine Meinung zu äußern, wenn und soweit sie der Mehrheitsmeinung entspricht? Auch deswegen ist es für die Religions- und Meinungsfreiheit wichtig, dass der Papst vor dem Bundestag sprechen darf.

Weitere Beiträge von Dr. Josef Bordat


Ideologischer Fundamentalismus vs. europäische Kultur

Und sollten die religiös unbedarften und nicht selten polemischen Religionsleugner - wie angedroht - den Plenarsaal verlassen, bekundeten sie damit nur ihren ideologischen Fundamentalismus. In einem christlich geprägten Europa dürfen sie das. Doch bewiesen sie damit nur, dass sie abweichende Meinungen nicht einmal zur Kenntnis nehmen und sich damit von der europäischen Kultur lösen wollen. Evangelische können darum der Papstrede nur Gottes reichen Segen wünschen.

Oberkirchenrat i.R. Klaus Baschang in IDEA-Spektrum vom 12. Januar 2011


Üble Asymmetrie

Ich finde, es gibt eine üble Asymmetrie. Wenn in Florida dieser irre Pastor einen Koran verbrennen will, schalten sich Clinton und Obama ein, und die ganze Weltöffentlichkeit ist besorgt. Wenn in Berlin die Abtreibungsbefürworter eine Bibel verbrennen und Kreuze in die Spree werfen, ist das nicht einmal eine Meldung im Lokalteil. Und wenn Mathieu Carrière in einer Talkshow die katholische Kirche als kriminelle Vereinigung bezeichnet, johlt das Saalpublikum, und der Katholik Markus Lanz sitzt da und sagt nichts.

Matthias Matussek im F.A.S.-Gespräch vom 12. Juni 2011


Europa ohne Gott?

An dieser Stelle erscheint mir der Hinweis wichtig, dass das moderne Europa dem Nährboden des Christentums das Prinzip entnommen hat, das in den Jahrhunderten christlicher Herrschaft oft aus den Augen verloren wurde, aber auf ganz grundsätzliche Weise das öffentliche Leben Europas beherrscht: Ich meine damit das von Christus erstmals verkündete Prinzip der Unterscheidung zwischen dem “was des Kaisers” und dem “was Gottes” ist (vgl. Mt 22,21). Diese wesentliche Unterscheidung zwischen dem Bereich der Gestaltung der äußeren Ordnung des irdischen Staates und der Autonomie der Person wird jeweils deutlich vom Wesen der politischen Gemeinschaft her, zu der notwendigerweise alle Bürger gehören, und vom Wesen der religiösen Gemeinschaft her, zu der die Gläubigen freiwillig gehören.

Nach Christus ist es nicht mehr möglich, die Gesellschaft als kollektive, den Menschen und sein unerbittliches Schicksal verschlingende Größe zu vergöttern. Die Gesellschaft, der Staat, die politische Macht gehören zur sich ändernden und stets vervollkommnungsfähigen Ordnung dieser Welt. Kein gesellschaftliches Projekt wird jemals das Reich Gottes, das heißt die eschatologische Vollendung auf dieser Erde errichten können. Die politischen Messianismen münden meist in die schlimmsten Tyranneien. Die Strukturen, die die Gesellschaften sich geben, sind niemals endgültig; sie können auch nicht durch sich selbst dem Menschen alle Güter verschaffen, nach denen er strebt. Insbesondere können sie nicht das Gewissen des Menschen und auch nicht seine Suche nach der Wahrheit und nach dem Absoluten ersetzen.

Das öffentliche Leben, die gute Ordnung des Staates beruhen auf der Tugend der Bürger, die dazu anhält, die Einzelinteressen dem Gemeinwohl unterzuordnen, sich nur für das objektive Gerechte und Gute zu engagieren und nur das Gesetz anzuerkennen, was objektiv gerecht und gut ist. Schon die alten Griechen hatten erkannt, dass es keine Demokratie gibt ohne Unterwerfung aller unter das Gesetz, und kein Gesetz, das nicht gegründet ist auf eine transzendente Norm des Wahren und des Gerechten.

Zu sagen, dass es der religiösen Gemeinschaft und nicht dem Staat zusteht, sich dessen, “was Gottes ist”, anzunehmen, heißt der Macht des Menschen eine heilsame Grenze setzen; diese Grenze ist der Bereich des Gewissens, der letzten Ziele, des letzten Sinns der Existenz, der Offenheit für das Absolute, der Anspannung auf eine nie erreichte Erfüllung hin, die zum Bemühen anspornt und zu richtigen Entscheidungen anregt. Alle Geistesrichtungen unseres alten Kontinents sollten darüber nachdenken, zu welchen düsteren Aussichten der Ausschluß Gottes aus dem öffentlichen Leben führen könnte, der Ausschluß Gottes als letzter Instanz der Ehtik und der höchsten Garantie gegen alle Mißbräuche der Macht des Menschen über den Menschen.

Aus der Ansprache, die Papst Johannes Paul II. vor 25 Jahren, am 11. Oktober 1988, vor dem Europäischen Parlament in Straßburg gehalten hat.

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