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Wie groß darf Gott sein?

Mit Hiob über Striets Gottesbegriff nachdenken

Von Engelbert Recktenwald

Der Fundamentaltheologe Magnus Striet hat einen speziellen Freiheitsbegriff entwickelt, den er als Messlatte an jedes Handeln anlegt - auch an das Handeln Gottes. Nur ein Gott, der diesem Maßstab genügt, kann akzeptiert werden. Denn Freiheit ist, wie Striet in seinem Buch Ernstfall Freiheit schreibt, das schlechthin Höchste: nicht nur für den Menschen, sondern auch für Gott. Sie kennt keine andere Grenze als die Freiheit des Anderen, und innerhalb dieser Grenze bestimmt sie selber, was sie darf und soll. Deshalb muss auch Gott “freiheitsfürchtig” sein.

Der biblische Gott, der Abraham mit dem Isaakopfer auf die Probe stellte, fällt deshalb bei Striet durch. Ein solcher Gott sei ethisch nicht verträglich. Mit solcher Kritik hatten schon die Aufklärer den jüdisch-christlichen Offenbarungsanspruch in Frage gestellt. Mit ihnen verabschiedet sich der katholische Theologe Striet vom Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Aber er meint trotzdem, die Bibel für sein Konzept vereinnahmen zu können, denn in ihr gebe es eine geschichtliche Entwicklung hin zu einem freiheitstheoretisch eingehegten Gottesbegriff, wie er ihn entwirft. Eine Zwischenstation dieser Entwicklung sieht er in der Geschichte von Hiob. Denn diese lehre: “Nur dann ist Jahwe akzeptabel, wenn er auf der Seite des Menschen steht. Was nicht einsichtig zu machen ist, wird auch nicht akzeptiert.” Deshalb würden Hiobs Freunde in die Schranken gewiesen, als sie behaupten, “irgendetwas habe sich Hiob schon zu Schulden kommen lassen. Nein, der biblische Hiob besteht auf seiner Unschuld und wird hierin von Gott selbst gerechtfertigt.”

Hier stellt Striet die Verhältnisse auf den Kopf. Es ist genau umgekehrt: Es sind Hiobs Freunde, die nach Striets Manier Gott ethisch verträglich und sein leidbringendes Handeln einsichtig machen wollen. Das tun sie, indem sie es als Strafe für eine Schuld interpretieren. Dieses Kalkül wird von Gott verworfen. Gegenüber Hiob besteht Gott auf seiner Souveränität. “Wo warst du, da ich die Erde gründete? Sage an, bist du so klug!” (38,4). In immer neuen Wendungen stellt er heraus, dass es für Hiob unmöglich ist, den Gottesstandpunkt einzunehmen, um Gott beurteilen zu können. Gott verweigert nicht nur de facto jede Rechtfertigung seines Handelns, sondern macht deutlich, dass er eine solche Rechtfertigung grundsätzlich nicht nötig hat. Der Mensch ist weder fähig noch befugt, über Gottes Handeln zu richten. “Wer ist der, der den Ratschluß verdunkelt mit Worten ohne Verstand?” (38,2). Gott ist größer als unsere begrenzte Erkenntnis. Das ist das direkte Gegenteil von Striets Konzept, das nur einen Gott gelten lässt, der in sein Anforderungsschema passt. Striet verkehrt das biblische Denken ins Gegenteil: In der Bibel ist es in beiden Fällen (bei Abraham und bei Hiob) der Mensch, der die Prüfung bestehen muss. Bei Striet ist es Gott, der den moralischen Test bestehen muss, und zwar anhand von Kriterien, die laut Striet menschengesetzt und Errungenschaften der Moderne sind.

Hiob wird von Gott vor seinen Freunden gerechtfertigt, das sieht Striet richtig. Aber warum? Weil er die Wahrheit gesprochen hat, als er auf seiner Unschuld bestand. Thomas von Aquin kommentiert das mit den Worten: “Wer die Wahrheit sagt, kann nicht besiegt werden, mit wem immer er auch streitet.” Das ist eine Ohrfeige für Striets Umgang mit dem Wahrheitsbegriff, den er fast durchgängig negativ konnotiert. Karl-Heinz Menke gab seinem Buch, auf das Striets Ernstfall die Antwort darstellt, den Titel Macht die Wahrheit frei oder die Freiheit wahr? Striet schafft es an keiner Stelle seiner Schrift, für das Wort Jesu von der freimachenden Wahrheit (Joh 8, 32) eine positive Würdigung zu finden. Statt dessen stellt er es im Blick auf Menke unter Ideologieverdacht: “Die Rede von der Wahrheit, die frei macht, ist jedenfalls schlicht irreführend, weil sie eine Objektivität beziehungsweise ein Wissen um Gott und dessen Willen behauptet, die es so nicht gibt.” Striet korrigiert den johanneischen Jesus.

Spaemann bemerkte einmal, dass Hiob von der Antwort Gottes nicht abgestoßen wird. Hiob vertraut auf Gott, ohne ihm Bedingungen zu stellen, und sieht sein Vertrauen durch die Offenbarung von Gottes allmächtiger Souveränität bestätigt: “Ich weiß nun, dass du alles kannst und kein Gedanke dir unmöglich ist” (42,2).

Interessanterweise gibt es auch einen modernen Fall solcher Erfahrung. Esther Maria Magnis schildert in ihrem autobiographischen Buch Gott braucht dich nicht, wie sie, nachdem sie Gott wiedergefunden hatte, ihre eigene Wut auf Gott in Hiob wiedererkennt und wie dann die Antwort Gottes auf sie wirkt: “Ich konnte es nicht fassen, als ich las, was da stand. Weil es genau das war, was ich kennengelernt hatte. Gott gibt diesem Menschen auf seine Frage hin keine Erklärung, er donnert ihn mit seiner Wirklichkeit an und fragt ihn über Seiten hinweg: ‘Wo warst du, als ich die Erde gründete, sage an, bist du so klug? (...)’ Ich heulte, als ich das las. Ich konnte das gar nicht fassen. Das war der Gott, zu dem ich betete.” Magnis hatte Gott gefunden, als ihr nach vielem Nachdenken und existentieller Suche die Evidenz aufging, dass Gott die Wahrheit ist, jene Wahrheit, die wir auch in jedem moralischen Urteil voraussetzen. “Wir würden uns nicht trauen zu sagen, dass etwas ungerecht ist, glaubten wir nicht an Wahrheit (...) Wahrheit ist Gott. Das ist klarer als dieses Holz an meinem Gesicht.”

Das Wahre an Striets Ansatz ist, dass es keinen Widerspruch zwischen Gottes Handeln und der ethischen Wahrheit geben kann, die wir erkennen. Gott steht nicht jenseits von Gut und Böse. Aber wir sehen nur einen winzigen Ausschnitt von Gottes Handeln. Wir aufgeklärten Menschen können das Drama der menschlichen Geschichte vor der Aufführung des letzten Aktes ebenso wenig beurteilen wie Abraham oder Hiob ihre Prüfung vor derem Ende. Dass wir nicht den Gottesstandpunkt einnehmen können, gibt Striet selber zu - wenn auch nur in jenen Fällen, die ihm gelegen kommen, um sie gegen Menke zu wenden.

Gegenüber des Aquinaten Würdigung der Wahrheit als Siegesgarantin könnte Striet einwenden, dass es bei Hiob um die banale Satzwahrheit in Bezug auf einen empirischen, autobiographischen Sachverhalt diesseits aller philosophischen Spekulation gehe: sagen, was ist. Dieser Einwand übersieht die Normativität des Wahrheitsbegriffs, die sich auf allen Ebenen vom einfachen Beobachtungssatz bis zur Identifizierung der Wahrheit mit Gott durchhält. Anselm von Canterbury hat dies in De veritate durchdekliniert und die Kontinuität des Normativitätsmoments in den Begriff der rectitudo (Rechtheit) gefasst, die auf höchster Ebene die Gerechtigkeit konstituiert als die rectitudo voluntatis propter se servata (die Rechtheit des Willens, die um ihrer selbst willen bewahrt wird). Siebenhundert Jahre später wird Kant vom “Wert” des “guten Willens” sagen, dass er “über alles geht” (GMS AA IV, 403). Dieser durch den Willen zu realisierende höchste Wert ist der Rechtsgrund für die Freiheit. Und die “evidente Erfahrung unbedingten Sollens”, wie Striet Kants Einsicht treffend beschreibt, ist der Rechtsgrund für unser Urteil, dass es Freiheit gibt. Deshalb gilt das Gegenteil von Striets Axiom: Nicht die Freiheit ist das Höchste, sondern das Gute, christlich ausgedrückt: die Liebe. Die Freiheit ist um des Guten willen da. Die Freiheit hat ein Wozu. Allein die Liebe (als höchste Realisierung des Sittengesetzes) ist Selbstzweck.

Für Anselm ist Gott dasjenige, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann. Will man ihm nicht logische Inkonsistenz unterstellen, muss man die in De Veritate explizierte und als höchste moralische Instanz etablierte Gerechtigkeit mit Gott identifizieren (cf mein Buch Die ethische Struktur des Denkens von Anselm von Canterbury).

Anselms Evidenz Gottes als der höchsten sittlichen Instanz, über die hinaus Größeres (und Besseres!) nicht gedacht werden kann, Kants Evidenz der unbedingten Sollenserfahrung, Magnis’ Evidenz Gottes als der Wahrheit - es sind Variationen derselben Erkenntnis eines Unbedingten, dessen Erfahrung uns den Weg zu Gott ebnet, ohne unsere Freiheit zu vergewaltigen.

Striet fällt unter dieses Erkenntnisniveau wieder zurück, wenn er aufgrund der Geschichtlichkeit unseres Denkens den normativen Kern vernünftiger Selbstbestimmung der Kontingenz unterwirft. Natürlich ist mein eigenes Denken kontingent und bedingt. Aber das Unbedingte von dieser Bedingtheit betroffen zu denken, bedeutet aufzuhören, das Unbedingte zu denken. Was für einen lächerlichen Gottesbegriff uns Striet infolgedessen zumutet, wird jedem Nachdenklichen an seiner Behauptung deutlich, dass Gott “nur Akzeptanz finden” dürfe, “wenn er den moralisch-ethischen Maßstäben des Menschen entspricht”, die ihrerseits wiederum kontingentes Produkt historischer Selbstnormierung seien. Kurz: Der Mensch wird zum Gesetzgeber Gottes.

Der normativen Ohnmacht Gottes entspricht seine metaphysische: Für Striet ist Gott nicht der Schöpfer unseres freien Ichs, weil Freiheit selbstursprünglich sei. Gott habe die Welt erschaffen und dann gehofft, dass sich “Freiheit regt”. Damit wird der Gedanke hinfällig, dass jeder Einzelne von uns ein verwirklichter, individueller Liebesgedanke Gottes ist, und dass Liebe, wie es Dostojewski einmal ausgedrückt hat, bedeutet, einen Menschen so zu sehen, wie Gott ihn gemeint hat.

Gott kennt nach Striet weder mich noch meine freien Entscheidungen im voraus. Das Beten des Psalms 139 wird unmöglich. Aus dem Schöpfer, dem ich vertraut bin und der mir vertraut werden soll, so dass ich vertrauend beten kann “Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, ehe noch einer von ihnen erschien” (Ps 139, 16), wird ein Fremder, dessen Aufgabe es ist, meine Freiheit zu schützen, der mir aber ansonsten möglichst wenig dreinreden soll. Liebe zu Gott als Bindung, als Hingabe und damit als Übergabe der Freiheit in die Hand des Geliebten wird unmöglich. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Striet den Gott der “westlichen Theologietraditionen”, gegen den er seinen “freiheitsfürchtigen” Gott abgrenzt, in den dunkelsten Farben malt: “Lieber gottlos unglücklich sein, als sich noch länger in den Fängen eines Gottes zu befinden, der keine Luft zum Atmen und für das Diesseits lässt.” Der Psalmist dagegen empfindet die Nähe Gottes als beglückend: “Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir” (139, 5).

Gott ist größer, als Striet es sich ausdenkt. Diese Größe nicht als Bedrohung meiner Freiheit, sondern als ihr Ursprung und Ziel, als ihre Heimat und den Ort ihres Zu-sich-Kommens zu erfassen, ist der Lackmustest für die Tauglichkeit jedes Versuchs, Gott zu denken. Vielleicht wäre Striet geholfen, wenn er einmal mit tiefster Glaubenszustimmung Psalm 139 beten könnte. Die von ihm so verkannten Theologen von Augustinus bis Ratzinger konnten es.

Dieser Aufsatz erschien zuerst in Kirche heute, Oktober 2019. Man kann ihn auch hören.


Zum Thema:
Der missbrauchte Kant


Die Freiheit des Christen

Worin besteht die neue Freiheit, die Christus uns geschenkt und von der der hl. Paulus im Galaterbrief spricht: “Christus hat uns zur Freiheit befreit” (Gal 5,1)? Das erkläre ich in dieser Episode meines Podcasts.

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