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Entmythologisierung und Glaubenswahrheit in mythenloser Zeit

Von Leo Scheffczyk

In den folgenden Überlegungen geht es letztlich um die Feststellung des gültigen Verhältnisses zwischen dem Mythos und der Mythologie einerseits und dem biblisch-christlichen Glauben andererseits, der an der Geschichte haftet und im Dogma der Kirche seinen unerläßlichen Wahrheitsanspruch anmeldet. Dementsprechend ist hier der Ausdruck Mythos im Gegensatz zum geschichtlich-dogmatischen Glauben verstanden, wobei zugleich die Folgerung eingeschlossen ist, daß der Glaube an sich nicht entmythologisiert werden muß und sich einer solchen Operation nicht zu unterziehen braucht, weil er wesentlich mit dem Mythos nichts zu tun hat, insofern er geradezu die Überwindung und Verneinung des Mythos bedeutet.

Indessen ist diese Behauptung heute nicht mehr völlig problemlos und mit dem Anspruch absoluter Sicherheit zu erheben, wenn man bedenkt, wieviel die moderne Ethnographie, die Religionsgeschichte und selbst die theologische Exegese an Übereinstimmungen zwischen den christlichen Offenbarungsurkunden und den Mythen der Völker herausgehoben hat. Angesichts dieser nicht bestreitbaren Fakten steht die christliche Theologie wie die Verkündigung vor dem scheinbaren Dilemma, entweder den mythischen Ursprung des christlichen Glaubens in seinen Grundbeständen zuzugeben und ihn so, wie es in der Neuzeit schon vielfach versucht wurde, so z.B. bei Fr. Hölderlin (+ 1843), als Mythos anzunehmen, oder ihn durch Entmythologisierung auf eine total andere Grundlage zu stellen, etwa auf eine philosophische Idee vom Zu-sich-selbst-Kommen des absoluten Geistes wie bei Fr. Hegel oder auf eine Existenzdialektik zwischen uneigentlichem und eigentlichem Sein wie bei R. Bultmann.

Beide diese Möglichkeiten scheinen aber das Wesen des überlieferten christlichen Glaubens aufzuheben. Beide berücksichtigen auch nicht den in der Themenüberschrift berührten Zeit- und Gegenwartsfaktor, der von einer "mythenlosen Zeit" ausgeht, offenbar unter dem Eindruck, daß der durch Aufklärung, durch Rationalisierung, Technisierung und reinen Empirismus gekennzeichneten Gegenwart im Religiösen etwas vom Mythischen, vom Dichterischen, Phantasievollen beigegeben werden müßte, damit das Religiöse sich nicht gänzlich in der abendländischen Welt verliert. Diese Formulierung des Themas hält die Tatsache im Blick, daß in der Gegenwart Unternehmungen zur Rehabilitierung des Mythos im Gange sind, welche aber die Aversion einer aufgeklärten Zeit gegenüber dem Mythos doch nicht überwinden können. Eine christliche Beurteilung des Mythos und seine theologische Einordnung muß sich auch dieser Zeitlage stellen und sie zu reflektieren suchen.

Um bei der Bearbeitung dieser Aufgabe von einem sicheren Boden auszugehen, wird die Theologie gut beraten sein, wenn sie auf ihre Geschichte blickt und auf die in ihr schon geschehene Auseinandersetzung mit dem Mythos, die die Theologie als in besonderer Weise der Tradition verhaftete Wissenschaft nicht ungestraft übersehen darf. Der Blick auf die Problemgeschichte des Mythos in der Theologie kann auch das Verständnis des Mythos und den Begriff zur Klärung bringen, was eigentlich die Voraussetzung für jede Auseinandersetzung mit dem Mythos wäre. Freilich wird sich dabei zeigen, daß die Theologie einen spezifischen Begriff von Mythos entwickelte, der sich keiner allgemeinen Anerkennung erfreut. Das ist aber nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß keine Begriffserklärung eine allgemeine Anerkennung gefunden hat. Deshalb ist dem Theologen A. Anwander zuzustimmen, wenn er sagt, es sei unmöglich, eine Arbeit zu diesem Thema "mit einer Definition des Mythos zu beginnen", weil jeder unter Mythos etwas anderes versteht. 1

So wird sich erst im Laufe der Erörterung eine Inhaltsbestimmung des Mythos ergeben, und am Ende wird sich die Frage stellen, ob dieser theologische Begriff sich nicht gänzlich von den sonst gebräuchlichen Deutungen unterscheidet oder ob er nicht doch mit anderen Interpretationen kompatibel ist.
Was aber nun

1. Die Geschichte des Mythosproblems im Christentum

angeht, so ist sie weithin durch den Gegensatz zum Mythos und durch seine Ablehnung gekennzeichnet. Diese beginnt schon im Neuen Testament, das diesbezüglich in den Spuren des Alten Testamentes wandelt. Obgleich das AT (wie eine neuere Arbeit von Annemarie Ohler2 zeigt) mythische Elemente aus der polytheistischen Umwelt Mesopotamiens und Kanaans aufgenommen hat, so gibt es doch im AT nach G. Fohrer "keinen israelitischen Mythos, der als ganzer oder durch eine Anspielung darauf bekannt wäre. Anscheinend hat Israel keinen Mythos hervorgebracht."3

An den vier oder fünf Stellen, an denen das Wort mythos (im Plural mythoi) im Neuen Testament vorkommt (1 Tim 1,4; 4,7; Tit 1,14; 2 Petr 1,16; dem Sinne nach 2 Tim 4,4), trägt es immer den Charakter eines Kampfbegriffes an sich, gegen den Stellung bezogen wird. So heißt es, um nur ein besonders ausdrucksvolles Zeugnis, das des 2. Petrusbriefes, zu nennen, von den Mythen: "Denn wir sind nicht irgendwelchen klug ausgedachten (Mythen) Geschichten gefolgt, als wir euch die machtvolle Ankunft Jesu Christi, unseres Herrn, verkündeten, sondern wir waren Augenzeugen seiner Wahrheit und Größe". Aus dieser Aussage läßt sich auch relativ gut entnehmen, was das junge Christentum etwa gegen Ende des ersten Jahrhunderts von den Mythen dachte.

Die Exegese untersucht mit viel Scharfsinn die Frage, welche Mythen genau gemeint waren, ob sie aus dem griechisch-hellenistischen Bereich stammten oder aus dem jüdischen Bereich der Haggada, d.h. der theologisch-praktischen Bibelerklärung oder aus der häretischen christlichen Gnosis oder Weisheitslehre. In unserem Zusammenhang sind diese Fragen weniger wichtig als die Feststellung, was hier dem Mythos von seiten des christlichen Glaubens entgegengesetzt wird, so daß der Unterschied zwischen dem Mythos und dem christlichen Glauben hervortreten kann. Dabei fällt zunächst auf, daß der Verfasser des 2. Petrusbriefes von "klug ausgedachten Geschichten" spricht und damit wohl auf den Umstand hinweist, daß es sich hier um menschliche Bildungen oder Erfindungen handelt, denen sogar etwas Künstliches und Gemachtes unterstellt wird.

An dieser Stelle fehlt zwar der anderswo erhobene Vorwurf des Phantastischen und der Fabeleien (so 2 Tim 4,4) in den Mythen, woraus man erschließen kann, daß das junge Christentum im Mythos sowohl rationale Gedankenarbeit als auch phantastische Spekulation angelegt sah. Aber in beiden Fällen handelte es sich um von Menschen erdachte oder erfundene Geschichten, die als erfundene Geschichten auch keinen Anspruch auf geschichtliche Echtheit erheben können. Man kann hieraus schon einen ersten Gegensatz zwischen dem Mythos und dem christlichen Glauben ableiten, der sich auf die Formel bringen läßt: Geschichten - phantasievoll oder gedanklich-konstruierter Art - und Geschichte realhistorischer und durch Zeugnisse begründeter Art.

Dieser Unterschied erfährt noch eine Bekräftigung durch den Hinweis auf die Augenzeugenschaft der Apostel, durch welche die Objektivität des historischen Ereignisses gesichert und jeglicher Einflußnahme einer produktiven Subjektivität, sei es eines einzelnen, sei es eines Kollektivs, entzogen wird. Daraus ergibt sich die Berufung der Apostel zur bevollmächtigten Verkündigung der Großtaten Gottes (Apg 2,11) als geschichtlichen Tatsachen in einem Wort, das als "prophetikos logos" (2 Petr 1,9), d.h. als prophetischer Tatsachenbericht, zu verstehen ist, im Gegensatz zu den subjektiven Hervorbringungen des Mythos. Daraus folgert das Neue Testament auch einen strengen Gegensatz zwischen mythos und Wahrheit, zwischen mythos und alätheia. Das NT denkt noch nicht daran, daß dem Mythos auch eine gewisse Gültigkeit und Wahrheit zugesprochen werden könnte wie etwa einem dichterischen Werk, einem Märchen oder einer Fabel. Für sein Verständnis enthalten die Mythen keine Wahrheit, sondern verbreiten Irrtümer, welche die Gemeinde verwirren und deshalb, zumal von den Pastoralbriefen, bekämpft werden müsssen. Das Verhältnis läßt sich hier auf ein neues Begriffspaar bringen, nämlich auf den Gegensatz zwischen Mythos und geschichtlicher Wahrheit. Während die Antike noch keine scharfe Trennung von Mythos und Geschichte kannte, ist sie auf christlichem Boden von früh an durchgeführt.

Faßt man diese Aussagen zusammen, so ergibt sich der Schluß, den etwa der evangelische Exeget G. Bornkamm zieht und sagt: "Die Evangelien sind die Absage an den Mythos."4 Er stimmt mit der Feststellung eines anderen evangelischen Theologen, G. Stählin, überein, die lautet: Der Mythos "gehört zu jenen Scheidungen, die dem NT eigentümlich sind. Der Mythos ist eine heidnische Kategorie". Er hat "auf biblischem Boden keine Stätte mehr"5. Auch wenn damit grundsätzlich etwas Richtiges getroffen scheint, darf man hier schon im Hinblick auf neuere Erkenntnisse eine verhaltene Kritik an der gewissen Undifferenziertheit dieser Feststellungen anmelden. Aber eine solche Kritik konnte weder vom Boden der hl. Schrift noch von dem der christlichen Tradition geübt werden. Diese bewegt sich auf den vom NT gebahnten Wegen. Die frühchristlichen Apologeten verstärken die Antithese noch, indem sie in scharfer Polemik die heidnischen Mythen angreifen und den griechischen Philosophen sogar das Recht bestreiten, die Mythen durch allegorische Deutungen, d.h. durch sinnbildliche Auslegungen der Göttergeschichten, zu retten. Sie stellen die Überlegenheit der evangelischen Geschichte über die mythischen Schöpfungen drastisch heraus und lehnen, was für den Charakter der Auseinandersetzung bedeutsam ist, die von den griechischen Philosophen ihrerseits vorgetragenen Verdächtigungen des Neuen Testamentes als verdeckter Christusmythos entschieden ab.6

Die Theologen der im 3. Jh. besonders blühenden alexandrinischen Schule, Klemens und Origenes (+ um 254), lehnen die Mythen wegen ihrer moralischen und geschichtlichen Zweifelhaftigkeit ab und gehen dabei vor allem auf ein wichtiges inhaltliches Fundament der Mythen ein, das dem christlichen Glauben wesensfremd gegenübersteht. Die Ablehnung des Mythos durch die altkirchliche Theologie ist streng und einheitlich. Sie erfährt aber eine merkwürdige und in ihrer Bedeutung nicht leicht zu beurteilende Ausnahme in der frühchristlichen Kunst. Hier ist es mindestens zur Wahrscheinlichkeit erhoben, daß sie noch alte mythische Gestalten aufnimmt wie den Seelenführer Orpheus oder den guten Hirten nach dem Typus des Hermes darstellt. Es stellt sich hier die vorausweisende Frage, ob es möglich sei, den Mythos auch im christlichen Bereich in bestimmter Weise heimisch zu machen.

Tatsächlich wurden solche Versuche in der Folgezeit, wenn auch immer nur in Ansätzen, unternommen. Die bildungsbeflissene Karolingerzeit übernimmt die Mythen als humanistischen Bildungsstoff in der Absicht, um an ihnen und den germanischen Göttern die Überlegenheit des einzig wahren Christengottes zu erweisen. Im Mittelalter versucht man, die Mythen durch allegorische Deutung für das Verständnis des menschlichen Lebens aufzubereiten und vermag in ihnen sogar Christliches aufzufinden und freizulegen. So gibt es auch Bemühungen, die religiösen Gehalte der Mythen als Entstellungen einer Uroffenbarung und einer Urregligion zu interpretieren7, so daß in ihnen im Beginn der Aufklärung auch natürliche Gotteserkenntnis gefunden werden kann, wenn auch in entstellter Weise (H.v. Cherbury, + 1648).

Dagegen unterzieht die Aufklärung selbst in ihrem Naturalismus und Rationalismus die Mythen einer energischen Kritik und bestreitet ihnen jeden Wahrheitsgehalt und beläßt ihnen nur noch eine kulturgeschichtliche und künstlerische Bedeutung, während sich in der Romantik umgekehrt eine enthusiastische Aufwertung der Mythologie ereignet, die als Weg auf der Suche nach der Urweisheit anerkannt wird8. Diese positive Wertung des Mythos führt aber duch die Verbindung mit der Bibelkritik und der aufkommenden historisch-kritischen Methode zu einem für das Neue Testament negativen Ergebnis: Seit David Fr. Strauß (+ 1874) wird die Geschichte des Neuen Testamentes selbst als Mythos angesehen und als Ausdruck der dichtenden Phantasie des Urchristentums, die sich um das einfache Leben Jesu rankt.

Im Überblick stellt sich unter dem theologischen Interessenblick die Geschichte des Mythosverständnisses als ein Kampf gegen den Mythos dar, in dem stellenweise, wie oft im Kriege, einige Beutestücke des Gegners angeeignet und in Dienst genommen werden. In dieser Auseinandersetzung entwickeln sich auch die Konturen eines von der Theologie entwickelten und von ihr verwandten Mythosbegriffes. Danach wird der Mythos verstanden als Produkt einer naturhaft-polytheistischen Religiosität, die um das ewige Geheimnis des weltimmanent gedachten transzendenten Göttlichen kreist und es geschichtlich auszudrücken sucht, wobei aber alles Geschichtliche fingiert ist und die Wahrheit verfehlt wird. Diesem Mythos steht die von Gott kommende übernatürliche Offenbarung gegenüber, die sich als transzendente mit der Immanenz verbindet und so zur Geschichte wird, welche in sich Wahrheit enthält.

Trotz der scharfen Antithese des christlichen Glaubens gegen den Mythos konnte es nicht ausbleiben, daß dieser Glaube selbst nicht erst in der Neuzeit, aber doch vorzugsweise in ihr, als Mythos verstanden bzw. mißverstanden wurde. Der Grund dafür wurde in einer formalen Eigenheit dieses Glaubens angelegt gesehen, die ihn angeblich dem Mythos angleicht, nämlich in der auch hier geschehenden Einigung der Transzendenz mit der Immanenz, des Göttlichen mit dem Weltlichen. Ein solches Eingehen Gottes in die Geschichte, beispielhaft demonstriert an der Menschwerdung des Sohnes Gottes, wurde so als Neuauflage des antiken Mythos ausgegeben, was in der aufgeklärten modernen Welt das Christentum diskreditieren mußte. Deshalb wurde gerade zur Rettung des Christentums für die moderne Welt das Programm der Entmythologisierung entworfen, das heute noch aktuell ist, auch wenn die Auseinandersetzung nicht mehr an dieses Wort geknüpft ist. Weil die Wirkungen dieses Unternehmens aber allgegenwärtig sind, z.B. in den entscheidenden Fragen nach der Gottheit Jesu, nach der Jungfrauengeburt, nach dem Sühnetod des Erlösers, vor allem aber auch nach seiner Auferstehung, ist ein Eingehen auf die durch die Entmythologisierung geschaffene neue Situation notwendig. Sie macht ein Eingehen auf das Entmythologisierungsprogramm R. Bultmanns notwendig, das zugleich einer Kritik unterzogen werden muß.

2. Die Entmythologisierung in kritischer Sicht

Der geschichtliche Rückblick auf den sich durchhaltenden Gegensatz von Mythologie und Christentum könnte einen Versuch zur Entmythologisierung des Christlichen von vornherein als einen Fehlschlag und als ein Unding ansehen, entsprechend dem schon kurz nach dem epochemachenden Vortrag R. Bultmanns über "NT und Mythologie" vom Jahre 1941 erhobenen Einwand von H. Sasse: "Das Neue Testament braucht nicht entmythologisiert zu werden, weil es keinen Mythos enthält"9. Aber eine solch eindeutige Behauptung ist seit dem Aufkommen der historisch-kritischen Exegese und ihrer Aufnahme der modernen Ethnologie wie der Religionswissenschaft, vor allem auch der Ergebnisse der Erforschung der Gnosis und ihrer Wirkungen auf das frühe Christentum, nicht mehr möglich; denn es ist nicht zu bestreiten, daß das entstehende Christentum in seinen biblischen Urkunden tatsächlich gewisse religiöse Ausdrucks- und Stilmittel, Bilder und Symbole gebraucht, die der Alten Welt entnommen sind, ja entnommen werden mußten, und die deshalb auch Anklänge an den alten Mythos zeigen.

Es ist nicht zu verkennen, daß etwa in der alttestamentlichen Darstellung der Schöpfung oder in der neutestamentlichen Zeichnung Christi als des Menschensohnes oder als des "vom Himmel kommenden Zweiten Menschen" (1 Kor 15,47) oder als des "präexistenten Logos" oder bei der anschaulichen apokalyptischen Beschreibung der Endereignisse mythische Elemente verwandt und als Darstellungsmittel gebraucht sind. Diese zu erkennen, sie von dem inhaltlich Gemeinten abzuheben und den Unterschied zwischen dem klassischen Mythos und dem christlichen Kerygma herauszustellen, das wäre die eigentliche Arbeit an den mythologisch klingenden Äußerungen des Neuen Testamentes, nicht aber eine Identifizierung von altem Mythos und bilblischer Heilsaussage.

Diese subtile Differenzierung ist oder war aber nicht Bultmanns Anliegen. Er kam vielmehr aufgrund einer aus der Aufklärung übernommenen grundsätzlichen Ablehnung des Mythos und einer aus der Religionswissenschaft abgeleiteten Gleichsetzung von neutestamentlichen Berichten und den alten Mythen zu der Folgerung, daß man das NT entmythologisieren müsse, um ihm überhaupt noch eine Bedeutung für die moderne Menschheit und ihre kritische Einstellung zu erhalten.

Bei der Ausarbeitung dieses Programmes spielte aber auch die Unklarheit des Bultmannschen Mythos-Begriffes eine verhängnisvolle Rolle. Bultmann geht nicht von einem theologischen Mythosbegriff aus, der seinen Maßstab von einem bestimmten Weltbild hernimmt. Er nennt das ganze alte Weltbild der Griechen mythologisch und erklärt: "Dieses Weltbild nennen wir mythologisch, da es sich von dem Weltbild unterscheidet, das von der Wissenschaft seit ihrem Anfang ... entwickelt wurde."10

Das antike Weltbild aber wird deshalb als mythologisch abgetan, weil es eine Gliederung der Welt in drei Stockwerken annahm, während die Wissenschaft, die einfach auch mit der Wahrheit gleichgesetzt wird, nur das eine geschlossene Weltbild kennt. Man kann an dieser Bestimmung des Mythos deutlich erkennen, daß hier nicht mehr, wie in der theologischen Mythenkritik, die Gegensätze von Dichtung und Wahrheit, von Zeitlosigkeit und Geschichte, von menschlicher Produktion und göttlicher Offenbarung, von Polytheismus und Monotheismus entscheidend sind, sondern nur noch der Unterschied ziwschen primitivem und wissenschaftlichem Weltbild oder zwischen Unwissenschaftlichkeit und Wissenschaft als wesentlich gilt.

So wird es dann für Bultmann ein leichtes, alle religiösen Aussagen, die innerhalb des alten Weltbildes gemacht werden, als mythologisch zu bezeichnen. Er übersieht dabei so schlichte Tatbestände wie den, daß z.B. die Griechen auf dem Areopag, die über die Auferstehungsbotschaft Pauli (nach Apg 17,32) spotteten, doch im mythischen Weltbild dachten und eigentlich diese Botschaft ganz leicht hätten verstehen können, oder daß andererseits die griechischen Philosophen, die wie Epikur die Mythen ablehnten, in dem gleichen Weltbild befangen waren, so daß der Mythos nicht wesentlich von einem bestimmten Weltbild abhängen kann. Das ist auch mit Bezug auf die Gegenwart zu sagen, die zwar weithin vom naturwissenschaftlichen Weltbild bestimmt ist, die aber doch neuen Mythen anhängt, wie etwa das Beispiel des Nazismus und des Kommunismus, aber auch manche evolutionistische Utopien beweisen. In der Polemik gegen Bultmann ist sogar der Vorwurf aufgetaucht, daß seine Grundvorstellung von einem geschlossenen Weltbild, die aus dem 19. Jh stammt und die von der modernen Naturwissenschaft so kaum noch vertreten wird, etwas Mythologisches an sich hat.

Aber auch wenn man von solcher Polemik absieht, muß man sagen, daß Bultmann von einer unzulässigen Grundvorstellung des Mythos ausgeht, nach der im dreistöckigen Weltbild Diesseits und Jenseits ineinander übergehen und das Transzendente, Überweltliche Gottes verweltlicht wird. Daraus ergibt sich eine rein formale Erklärung des Mythos, die besagt: "Der Mythos objektiviert das Jenseitige zum Diesseitigen."11 Danach müßten alle objektiven, gegenständlichen, in Sätze gefaßten Aussagen der hl. Schrift über Gott und über das göttliche Handeln in Jesus Christus und alle sich daran anschließende Verkündigung der Kirche mythologisch sein. Wie entschieden der Autor diesen Grundsatz durchführt, zeigt sein Urteil über die Wahrheit oder die Geltung des Dogmas des Konzils von Chalkedon, auf dem nach gemeinchristlichem Glauben die Summe der Christologie der biblischen Schriften gezogen wurde. Bultmann befindet darüber: "Die Formel 'Christus ist Gott' ist falsch in jedem Sinn, in dem Gott als eine objektivierbare Größe verstanden wird, mag sie nun arianisch oder nizäisch oder liberal verstanden sein."12 Streng genommen wäre danach schon jede Ist-Aussage über Gott Mythologie.

Solche Mythologie muß dann aus dem christlichen Denken und Reden verbannt werden. Das gelingt dann, wenn man von den neutestamentlichen Aussagen alles Mythische, d.h. schon alles Gegenständliche, Inhaltliche, Lehrhafte, abstreift und aus ihnen nur einen Anruf an die eigene Existenz heraushört. So wird der Mythos eliminiert durch die sog. "existentiale Interpretation" der hl. Schrift. Diese hat ihr Ziel in der Weckung der Entscheidung des Menschen für das eigentliche, durch Sünde und Vergebung bestimmte Sein des Menschen.

So kann in der Verkündigung nicht mehr von Gott und über Gott geredet werden, sondern nur noch vom Menschen. Der Glaube wird zu einem neuen Existenzverständnis, die Theologie zur Existenzanalyse in Verbindung mit existentiellen Impulsen und, generell betrachtet, zur Anthropologie. Der Mensch könne nichts von Gott aussagen als nur, daß Gott als ein Geschehen am Menschen handelt. Auf die Frage, ob die Formel "Gott handelt am Menschen" nicht auch noch einen Rest von Mythologie an sich trage, gab Bultmann keine befriedigende Antwort. Am Ende erklärte er sich auch mit der sog. nicht-theistischen Position seines Schülers H. Braun einverstanden, der Gott nur noch als das "Woher meines Umgetriebenseins" bezeichnet wissen wollte.13

Der Schweizer Theologe Fr. Buri trieb die Entmythologisierung noch weiter bis zur sog. Entkerygmatisierung, d.h. bis zur Preisgabe auch des Anredecharakters der neutestametlichen Aussagen. Die dahinter stehende Einsicht besagt: Wenn man schon alles theologische Reden von der Objektivität und von objektiven Wahrheiten ablöse, dann könne man die Objektivität einer in den biblischen Texten angeblich enthaltenen Anrede Gottes oder die in ihnen anerkannte Bedeutsamkeit Jesu auch nicht halten. Danach wäre auch das Festhalten an einem objektiven Kerygma noch ein Restbestand von Mythologie, der eliminiert werden müßte. Gemeint ist damit: Der Ruf zur Eigentlichkeit kommt aus der menschlichen Existenz selbst. Es bedarf dazu nicht mehr eines Rückganges auf die Bedeutsamkeit Jesu und seines Kerygmas. So wendet sich die Entmythologisierung Bultmanns am Schluß gegen ihn selbst. Methodologisch darf man das so interpretieren, daß ein zu weit gefaßter Mythosbegriff, der jede inhaltliche Aussage schon als mythologisch versteht, am Ende überhaupt nichts Objektives mehr neben der Subjektivität der eigenen Existenz gelten lassen kann.

Der Fehlschluß Bultmanns liegt demnach in einer falschen Bestimmung des Mythos, der aber, tiefer gesehen, die mangelnde Unterscheidung von christlichem Glauben und Mythos zugrundeliegt. Das Entmythologisierungsprogramm ist eigentlich weniger von der Auseinandersetzung mit dem Mythos her entwickelt, den Bultmann ja souverän und ohne theologische oder religionswissenschaftliche Begründung ganz eigenwillig definiert, als vielmehr von einer existentialphilosophischen Option für den Glauben, die im Grunde auch unabhängig von jeder Mythosproblematik und vor jedem Blick auf den Mythos getroffen wurde. So konnte auch der Wesensunterschied zwischen dem christlichen Glauben und dem Mythos nicht recht bedacht werden. Seine Kenntnis hätte von vornherein die Annahme einer Verschmelzung zwischen christlichem Glauben und Mythos auf dem Boden des Neuen Testamentes unmöglich gemacht und damit auch die Forderung nach einer Entmythologisierung gegenstandslos erscheinen lassen.

Schon an den bisherigen Überlegungen zur Geschichte des Mythos konnten die Unterschiede zwischen dem Mythos und dem christlichen Offenbarungsglauben erkannt werden. Es gilt nun, im Hinblick auf die Fehleinschätzung R. Bultmanns, den Blick auf den

3. Eigentlichen Wesensunterschied zwischen Mythos und christlichem Glauben

zu werfen.

Einzelne Unterschiede wie Polytheismus und Monotheismus, Zeitlosigkeit und Geschichte, menschliche Produktivität und göttliche Verursachung, Innerweltlichkeit (Immanenz) und Überweltlichkeit (Transzendenz) sind schon genannt worden. An dem letzten Gegensatzpaar: Innerweltlichkeit und Überweltlichkeit Gottes, setzt Bultmann vor allem seine Kritik an, wenn er behauptet, daß Gott im Mythos verweltlicht werde und daß er damit zum Gemächte des Menschen gemacht würde. Gott könne nur wahrer Gott bleiben, wenn er unendlich existiere und agiere und wenn daraufhin alle Aussagen des Menschen über Gott als Existenzaussagen über den Menschen verstanden werden. Auf diese Weise ist nach Bultmann gewährleistet, daß Gottes Sein und Handeln sich mit der Welt nicht vermengt, was gegen das geschlossene wissenschaftliche Weltbild verstoßen würde, und daß der Mensch eine echt menschliche Existenz bleibe, bestimmt allerdings vom Glauben, der freilich auch nichts Überweltliches darstellt, sondern nur ein besonderes Existenzverständnis meint. Darum empfängt der Glaubende auch keine neue überweltliche Qualität, sondern er existiert ganz weltlich in dieser Welt, wenn er auch nicht aus dem Weltlichen lebt, sondern in Distanz zur Welt steht.

Gegen diese Argumentation, die am Maßstab des Gott-Welt-Verhältnisses den Mythos, auch den neutestamentlichen Mythos, kritisieren will, ist zu sagen, daß sie das christliche Verständnis von Gott und Welt aufgrund des falschen philosophisch-existentialistischen Ansatzes verfehlt. Es ist richtig, daß das mythische Denken den Unterschied von Welt und Gott, von Immanenz und Transzendenz Gottes nicht kennt und daß es deshalb der Gefahr anheimfällt, Gott zu verweltlichen und die Welt zu vergöttlichen. Der Mythos ist tatsächlich gänzlich weltimmanent konstruiert; so kann er z.B. auch Göttergeschichten (die es im Christentum gar nicht gibt) wie menschliche Geschehnisse erzählen und Ereignisse in der Menschenwelt als direkte Eingriffe des Göttlichen in den Naturzusammenhang schildern. Das läßt sich vom christlichen Gottesglauben gerade nicht sagen.

In ihm ist Gott als Schöpfer (eine Wahrheit, die der Mythos gar nicht kennt) der Welt in seiner Allmacht und Unendlichkeit gänzlich überhoben und ihr qualitativ und wesentlich transzendent; aber gerade wegen dieser seiner schöpferischen Allmacht, Unendlichkeit und Transzendenz kann er der Welt auch gänzlich nahe und immanent sein, was insbesondere für den Menschen zu der zutreffenden Feststellung führte: "Gott ist mir näher, als ich mir selbst nahe bin" ("Deus interior intimo meo": Augustinus, Conf. III, 6).

Dies hat zur Folge, daß Gott weder in der Geschichte noch in der Natur in die Welt direkt einzugreifen braucht. Er ist ihr innerlich so nahe, daß er sie von innen her, ohne ihre Gesetzlichkeit und Freiheit anzutasten, zu den von ihm gewollten Wirkungen führen kann. Das gilt auch für die Wunder, die Bultmann als Musterbeispiel für mythisches Denken anführt. Von ihrer göttlichen Verursachung ist zu sagen: Gott greift dabei nicht in die Naturgesetze ein oder verändert sie, sondern er nimmt sie in Dienst und verhilft ihnen zu höheren Wirkungen, indem er die in der Natur angelegten latenten Möglichkeiten aktiviert. Dadurch wird Gott nicht zu einer Naturkraft degradiert und verweltlicht, sondern durch seine schöpferische Virtuosität beweist er in der Immanenz wiederum seine Transzendenz. Ein Gott-Welt-Verhältnis aber, das trotz der Immanenz die vollkommene Transzendenz Gottes festhält, hat mit dem Mythos nichts zu tun und bedarf auch keiner Entmythologisierung. Weil Bultmann diesen Unterschied nicht anerkennt und das duale (nicht dualistische) Verständnis mit dem monistischen gleichsetzt, muß seine Entmythologisierung das Wesen des Christlichen antasten.

Dieses polare Gott-Welt-Verhältnis bestimmt auch die Eigenart des christlichen Glaubens, der nach Bultmann keine höheren inhaltlichen Wahrheiten zu eigen haben darf als nur die Wahrheit der eigenen Existenz als Existieren in Möglichkeiten, zwischen denen der Mensch sich entscheiden muß. Dabei wendet sich Bultmann nicht nur gegen die inhaltliche Wahrheit überhaupt, sondern vor allem gegen die geheimnishaften Wahrheiten des christlichen Glaubens. Sie entsprechen auf der Erkenntnisebene durchaus der auf der Seinsebene festgestellten Polarität von Immanenz und Transzendenz. Die Glaubensgeheimnisse sind nämlich nur der erkenntnismäßige Ausdruck der seinshaften Transzendenz. Für Bultmann bedeutet die Annahme solcher Geheimnisse ein der wahren Existenz des Menschen widersprechendes "Opfer des Intellektes", das die Eigentlichkeit der menschlichen Existenz verfälschen müßte. Die Ablehnung des Geheimnisses aber hat zur Folge, daß der Glaube in ein existentielles Wissen transformiert wird, so daß auch keine Spannung mehr zwischen Glauben und Wissen herrscht. Genausowenig wie die Spannung zwischen Gott und Welt ernst genommen wird, wird auch die Polarität zwischen Wissen und Glauben festgehalten. Es kommt hier, ähnlich wie im Mythos, zu einer monistischen Einheit, nun allerdings nicht mit irrationalen Vorzeichen, sondern mit rationalistisch-existentialistischen Vorzeichen. Mit all dem wird der christliche Glaube als geheimnishafte Wahrheit in der Geschichte der Welt letztlich verfehlt.

Diese Entgegensetzungen zum Entmythologisierungsprogramm erfolgen von einem Standpunkt außerhalb des Bultmannschen Systems. Es gibt aber auch eine gleichsam systemimmanente Kritik, die auf die in dem Konzept angelegten inneren Aporien und Widersprüche eingeht. Etwas davon deutete sich schon an in der von mancher Seite gestellten Frage, ob nicht Bultmanns unwissenschaftliches Festhalten an dem geschlossenen Weltbild selbst ein Rest von moderner Mythologie ist. Dazu gehört auch der früher erhobene Vorwurf an das Entmythologiesierungskonzept, wonach die Behauptung vom "Handeln Gottes" am Menschen oder in der Welt selbst noch mythologische Wurzeln an sich trägt. Vor allem zeigt sich eine innere Aporie angesichts der Frage, was bei einem solchen Glauben an einen weltlosen Gott eigentlich aus diesem Gott und aus der Gottesvorstellung wird. Kann der weltlose Gott, der in keiner Weise mehr objektiv gefaßt und ausgesagt werden darf, etwas anderes sein als ein Existential, als eine Verfassung des Menschen, welche Folgerung H. Braum tatsächlich zieht, wenn er sagt, daß Gott "eine bestimmte Art von Mitmenschlichkeit" sei14.

Eine noch wesentlichere Frage lautet: "Wie ist die Unweltlichkeit Gottes zu verstehen, wenn er doch die Existenz des Menschen betrifft und sich in ihr ereignet?" Bultmann gebraucht hierfür den Ausdruck von der "paradoxen Identität", "die nur hier und jetzt gegen die anscheinende Nicht-Identität geglaubt werden kann"15. Dies will sagen, daß Gott und Welt an sich nicht identisch sind, aber im Akt des Glaubens paradoxerweise als identisch erlebt werden. Da es sich aber um einen paradoxen Glauben handelt, ist die behauptete Identität nicht begründbar und nicht verstehbar. Wenn man aber den Nachdruck auf die behauptete Identität setzt, kommt man zu dem schon angedeuteten Ergebnis, daß Gott ein Existential am Menschen ist. In der Gottesfrage hat man Bultmann deshalb einen Hang zum Agnostizismus, wenn nicht gar zu einem christlichen Nichttheismus, bescheinigt.

Wenn so die Entmythologisierung eine Gefährdung des christlichen Glaubens erbringt, ist bereits ein Schritt in eine Richtung getan, in der eine gewisse positive Beziehung zwischen dem Mythos und dem christlichen Glauben festgestellt werden kann.

4. Die Beziehung zwischen dem Mythos und dem Glauben

Zum Ausgangspunkt dieser letzten Betrachtung darf man eine Erkenntnis des großen Widersachers R. Bultmanns in der Mythosproblematik nehmen, nämlich K. Jaspers, der um eine Rehabilitierung des Mythos bemüht war. Er verstand den Mythos als "Chiffresprache", die in Bildern und Symbolen auf die Transzendenz hinweist. Der Mythos ist nicht Sache der Vergangenheit, weil er es mit dem Gleichbleibenden im Menschen zu tun hat, mit seiner Erstreckung auf ein Transzendentes. So kann Jaspers gegen Bultmann sagen: "Denn die Sprache der Mythen als Chiffren einer übersinnlichen Wirklichkeit scheint mir unerläßlich und ihr Entbehren ein Unheil."16 So ist nach Jaspers auch keine Entmythologisierung von Glaubensaussagen seitens eines philosophischen Glaubens gefordert, sondern eine Reinigung der Mythen zum Gewinn ihres tieferen Sinnes und ihrer Wahrheit.

Wenn man sich im Hinblick auf das im Menschen Gleichbleibende seiner Ausrichtung auf das Geheimnis des Göttlichen und seines Bemühens um Veranschaulichung des transzendenten Geheimnisses davon überzeugt hat, daß mythisches Denken eine Eigentümlichkeit des naturhaft-religiösen Menschen ist, dann wird man auch ein legitimes Verhältnis des Offenbarungsglaubens zum Mythos annehmen dürfen. Dieses läßt sich genauer nach der zeitlichen Stellung des Mythos zur Offenbarung festlegen, nämlich für die Zeit vor der erfolgten Offenbarung, für seine Verquickung mit der Offenbarung oder mit den Offenbarungszeugnissen und für die Zeit nach der erfolgten Offenbarung. Wenn die Heilsgeschichte mit der Schöpfung beginnt und wenn sie in ihrer vorchristlichen Dimension eine göttliche Pädagogik auf Christus hin war, dann gehört auch das mythische Denken der Urzeit in die geschichtlichen Führungen Gottes mit hinein und in den Bereich der göttlichen Pädagogik. So dürfen auch die Mythen als ein Ausdruck natürlicher Religiosität verstanden werden, in welcher sich die Menschen im Advent der Menschheit auf das Kommen des Wortes Gottes und der Wahrheit vorbereiteten. Man wird freilich für diese Zeit auch die Verunstaltung des Naturhaft-Religiösen durch die geistige Schwäche des Menschen und durch die Sünde in Rechnung stellen müssen. Aber das kann nicht zur gänzlichen Ablehnung und Verurteilung der alten Mythen führen. Wohl aber dürfen sie in gereinigter Form als Ausdruck der menschlichen Sehnsucht nach der Nähe Gottes, nach seinem Kommen in die Welt wie nach seiner Vollendung verstanden und so auch interpretiert werden.

Damit ist auch schon ein Vorentscheid über die Beurteilung der mythologischen Züge innerhalb der Offenbarungsurkunden, also innerhalb des Alten und Neuen Testamentes, gefällt. Förmliche Mythen finden sich in den Offenbarungszeugnissen nicht; auch ausführliche inhaltliche Übernahmen wie etwa die Geschichte von den Engelehen mit den Menschentöchtern in Gen 6,1-4 sind selten und immer nur aufgenommen, wie eben an dieser Stelle, unter Abbrechen der Sinnspitze des Mythos, der das Entstehen der Heroen auf der Erde erklären wollte, während der Jahwist die kosmisch-dämonische Gewalt der Sünde ausdrücken will. Sonst sind gewisse mythologische Motive, Symbole und Bilder verwandt, wie etwa die Chaosvorstellung im ersten Schöpfungsbericht (Gen 1,2) oder die Schlange in der Paradieseserzählung (Gen 3,1-5) oder die Vorstellung vom himmlischen Menschen Adam, die im Hintergrund der Adam-Christus-Parallele Röm 5,12-19 steht, aber eben nur im Hintergrund steht, weil Adam für Paulus ein irdischer Mensch war17. In all den genannten Fällen ist der etwa dahinterstehende Mythos nur das Material, das im Lichte und im Sinn der neuen Christuswahrheit völlig umgeformt wird.

Freilich könnte man fragen, warum die Bibel, wenn sie schon etwas anderes meint und im Sinn hat, auf die Heranziehung eines solchen Materials nicht gänzlich verzichtet. Aber eine solche Forderung stammt im Grunde aus einem ungeschichtlichen Denken; denn einmal hat die Offenbarung den glaubenden Menschen keine neuen Denk- und Aussageformen übermittelt. Sie mußte von den vorhandenen Rede- und Denkweisen Gebrauch machen. Eine wirklich sachgemäße Frage aber wäre an die Vertreter der Entmythologisierung zu richten. Sie könnte lauten: Wie kann man denn überhaupt unter Menschen das Geschehen der Schöpfung oder das Geheimnis der Menschwerdung realistisch anders aussagen als mit der ausdrücklichen Darstellung der Bildung des Menschen aus dem Staub der Erde oder mit dem Herabsteigen Gottes in die Welt?

Schon wenn man die Worte vom "Bilden" und "Herabsteigen" gebraucht, nimmt man unweigerlich, aber auch unerläßlich, mythologisches Material auf. Aber die Berührungen mit dem Mythos mögen noch so eng und die Anklänge an ihn noch so deutlich sein, sie werden durch einen einzigen Gedanken christlicher Herkunft sachlich entwertet und entkräftet. So mögen im Schöpfungsbericht noch so viele mythologische Angleichungen vorhanden sein: Allein der Gedanke an den einen Gott, der alles aus seiner allmächtigen Kraft ins Sein ruft, weist alle mythologischen Anspielungen in ihre Grenzen. Darum läßt sich zur Verwendung des Mythischen in der hl. Schrift mit H. Thielicke sagen: "Die Entmächtigung des Mythos, wie es sich im Glauben an den 'Gott der Götter' vollzieht ... erlaubt die freie Handhabung mythischer Elemente."18

So bleibt noch die Frage nach der Beurteilung des Mythos in unserer Zeit. Insofern dieses Zeitalter die Epoche einer zweiten Aufklärung ist, hat sie wesentlich keine positive Einstellung zur mythischen Denk- und Aussageweise. Allerdings beschwört das Extrem der Rationalität, der Technisierung und Verzwecklichung des geistigen Lebens wiederum das andere Extrem der Mystifizierung des Daseins herauf, das sich etwa in der New Age-Bewegung zeigt, wo auch wieder mythische Elemente in einer neuen Gnosis aufgenommen werden. Wo es sich nicht geradezu um eine radikale Revolutionierung der menschlichen Daseinsverfassung handelt, die das Christentum nicht gutheißen kann, sondern wo Fragen und Antworten auf die großen Menschheitsprobleme nach Ursprung, Tod und Weiterleben gestellt werden, muß sich die christliche Verkündigung mit diesen Äußerungen befassen und sie von ihren manchmal phantastischen Hüllen zu befreien suchen mit dem Ziel, das geschichtliche Christusereignis mit seinen universalen Folgen als Erfüllung und Überbietung alles Mythischen auszuweisen.

Wenn man den Mythos, wie es K. Hübner tut,19 in seinem Kern als Ausdruck der Erfahrung des Numinosen versteht, als Ehrfurcht vor der geheimnishaften Tiefe des Daseins und insofern als eine metaphysische Ansicht von der Welt, dann kann er auch vom christlichen Denken als Vorstufe des Religiösen und als Anknüpfungspunkt des Glaubens angesehen werden. Das wird aber nicht in der Form der Übernahme des Mythischen geschehen können, sondern immer nur in der Weise der Beurteilung und Läuterung aus der Distanz des Glaubens. Insofern wird die christliche Begegnung mit dem Mythos, etwa in der aktuellen Form des Mythos der Seelenwanderung, immer auch in einer Arbeit am Mythos geschehen müssen, wie z.B. auch H. Blumenberg20 auf kulturgeschichtlicher Ebene fordert. Allerdings kann diese Arbeit nicht als Ziel haben, die Menschheit nur in Bewegung und in Unruhe zu halten, sondern sie in die Wahrheit einzuführen, die aus der Offenbarung kommt.

Anmerkungen:

1) A. Anwander, Zum Problem des Mythos, Würzburg 1964, 11.
2) Mythologische Elemente im AT, Düsseldorf 1969.
3) Sellin - Fohrer, Einleitung in das AT, Heidelberg 10. Auflage 1965, 95.
4) Jesus v. Nazareth, Stuttgart 5. Auflage 1960, 20.
5) ThWNT IV, 800.
6) Athanagoras 10,1.
7) A. Horstmann: Hist. WBPH VI, 284.
8) Ebda., VI, 295.
9) H. Sasse, Flucht vor dem Dogma, in: Luthertum 53 (1942) 161ff.
10) Jesus Christus und die Mythologie, in: Glauben und Verstehen IV, Tübingen 1965, 143.
11) Jesus Christus und die Mythologie, Hamburg 1964, 17.
12) Glauben und Verstehen II, Tübingen 1958, 258.
13) Gesammelte Studien zum NT und seiner Umwelt, Tübingen 2. Auflage 1967, 341.
14) Gesammelte Studien, 341.
15) Jesus Christus und die Mythologie, Hamburg 1964, 72.
16) K. Jaspers - R. Bultmann, Die Frage der Entmythologisierung, München 1954, 77.
17) Vgl. H. Schlier, Der Römerbrief, Freiburg 1977, 187f.
18) Der evangelische Glaube I, Tübingen 1968, 125.
19) in seinem Werk "Die Wahrheit des Mythos", München 1985.
20) Arbeit am Mythos, Frankfurt 3. Auflage 1984.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift Umkehr vom Juli 1994, hg. vom Priesterseminar St. Petrus


Wenn das Fleisch wieder Wort wird

“In vielen theologischen Bemühungen, die Fleischwerdung Gottes zu erklären, besteht die große Gefahr, dass das Fleisch wieder Wort wird. Das tiefgreifende theologische Projekt eines Rudolf Bultmann, die Entmythologisierung, steht besonders in dieser Gefahr: Nimmt man den Inhalt, die Geschichten, aus den Evangelien weg, beraubt man sich auch ihrer Geschichtlichkeit. Es handelt sich dann bei den Evangelien nur noch um beliebige, austauschbare Erzählungen, die sich allein im Wort erschöpfen. Das Fleisch nimmt dann wieder die Gestalt des Wortes an, aber nicht den göttlich-geistigen lógos, sondern menschliches, fehlerbehaftetes Wort, das zwar von Gott sprechen, aber in diesem Wort Gott nicht mehr bezeugen kann.”

Hans Otto Seitschek, Das Wort wird Fleisch, in der Tagespost vom 22. Dezember 2010


Wahrheit oder Mythos?

Auferstehung vom Tod? Die Welt lächelt höhnisch. Für den postmodernen Menschen und für alle spätliberalen Fundamentalisten von heute, diesseits und jenseits der Theologie, sind dies nur Mythen. Für andere aber liegt darin die Wahrheit, die einzige Wahrheit, von der alles abhängt und auf die alles ankommt. Es ist die Wahrheit, mit der, in der und für die sie leben und sterben werden.

Aus: Thorsten Paprotny, Geschenk und Geheimnis.


Fataler Trugschluss der Theologen

Ganze Generationen junger Theologen wurden fortan in dem Irrglauben ausgebildet, es sei nicht so wichtig, auf welchen historischen Tatsachen der Glauben beruhe. Ein fataler Trugschluss, wie im 20. Jahrhundert der französische Philosoph Gabriel Marcel (1889–1973) bekräftigte: „Der Mensch, der sagt: ‚Es ist nicht wichtig, was du für wahr hältst, solange du ein christliches Leben lebst’, macht sich einer der schwersten Sünden schuldig an dem, der sagte ‚Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben’. Es geht um die Wahrheit! Auf dem Boden der Wahrheit schlagen wir unsere erste Schlacht für den Glauben. Nur auf diesem Boden kann der Glauben gewonnen und verloren werden.“

Aus: Markus Spieker, Hilfe, sie haben Jesus geschrumpft! Das böse Vermächtnis der radikalen Bibelkritik und wie wir uns davon befreien, in: IdeaSpektrum vom 26. August 2020. Von Spieker erschien gestern das Buch Jesus. Eine Weltgeschichte, 1.004 Seiten.


Ein Kritiker der Entymthologisierung: Karl Prümm SJ

Georg May: Widerlegte Beispiele für die Entmythologisierung

Exegetische Sumpfblüten

Leo Scheffczyk:
Das Dogma als Ausdruck der "inkarnatorischen" Struktur
des katholischen Glaubens

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