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Die Methoden des Alan Posener

Beobachtungen zu Poseners Buch Benedikts Kreuzzug

Von P. Engelbert Recktenwald

I. Die neue Zivilreligion: Der Papst als Dissident

Welt-Korrespondent Alan Posener ist mir durchaus nicht unsympathisch. Mir imponierte etwa die Ehrlichkeit, mit der er seinerzeit unumwunden zugab, sich in seinen Vorwürfen gegenüber Bernhard Müller vom PUR-Magazin geirrt zu haben, und sich entschuldigte.

Ein Zeichen von Ehrlichkeit ist es auch, wenn er nun in seinem neuesten Buch (Benedikts Kreuzzug. Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft) schreibt, dass es heute eine “Zivilreligion der Demokratie” gebe, für die die “Erfahrung des Holocaust” bestimmend geworden sei. Dies schreibt er allerdings nicht in kritischer Absicht. Vielmehr hält er die Gesetze und Dogmen dessen, was er als die moderne Zivilreligion ansieht, für so normativ und allgemeinverbindlich, dass sich ihnen alle Menschen einschließlich des Papstes unterwerfen müssen. Im anderen Fall wirft er dem Papst “intellektuelles und moralisches Versagen” vor. Das gilt z.B. für die Rede, die Benedikt XVI. am 29. Mai 2006 in Auschwitz gehalten hat. Posener weiß genau, was der Papst sagen darf, was er nicht sagen darf und was er auf keinen Fall verschweigen darf. Er macht aus seinen eigenen, teils durchaus umstrittenen Meinungen ein engmaschiges Raster von Geboten und Verboten, die wie selbstverständlich als moralischer, unhinterfragbarer Maßstab angelegt werden und deren Übertretung moralische Ächtung verdient. Und das ist nun eine Methode, die ihrerseits mehr als fragwürdig ist. Gehen wir ins Einzelne.

Posener wirft Papst Benedikt XVI. vor, den Massenmord an den Juden “nicht als entsetzlichen Höhepunkt einer zweitausendjährigen Geschichte des christlichen Antijudaismus” hingestellt zu haben. Ist er das überhaupt? Der jüdischstämmige Jean-Marie Lustiger sieht die Wurzeln des nationalsozialistischen Antisemitismus viel eher im Antisemitismus der Aufklärung. Andere weisen darauf hin, dass jener Antisemitismus “von der damals neuen Vererbungslehre” ausging und zu einer “vermeintlich wissenschaftlichen Einteilung in hoch- und minderwertige Rassen” kam. Der rassistische Antisemitismus habe “im deutschen Katholizismus keine Resonanz gehabt. Darüber herrscht Einigkeit (...) Nicht selten wurden die Katholiken sogar als Parteigänger der Juden gescholten, wie es das Nazi-Schlagwort vom ‘Juda-Jesuitismus’ belegt” (Arnold Angenendt, Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Münster 2 2007, S. 547)

Mit Recht wehren sich die Evolutionsbiologen dagegen, wenn die nationalsozialistische Rassenideologie bloß als Spielart eines Sozialdarwinismus hingestellt wird, für die sie mit Darwin die Verantwortung zu übernehmen hätten. Genau so abwegig ist es, jene Ideologie als Spielart und Höhepunkt des christlichen Antijudaismus darzustellen. Man kann sicherlich darüber diskutieren, wie weit ein christlicher Antijudaismus die Akzeptanz der Ideologie vergrößert hat, solange man gleichzeitig fairerweise anerkennt, dass diese Akzeptanz im katholischen Bevölkerungsteil gerade am geringsten war und die Rassenideologie von der katholischen Kirche mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen wurde, was einerseits den Zorn der Nationalsozialisten über die katholische Judenfreundlichkeit entfachte und andererseits den Dank vieler Juden hervorrief, z.B. des Rabbiners von Münster für die seelische Stärkung durch den Bischof und derer, die seine Haltung teilten.

Man kann auch darüber streiten, wie die verschiedenen Stränge (christlicher Antijudaismus, Antisemitismus der Aufklärung, Sozialdarwinismus und Vererbungslehre), die im antisemitischen Denken des betroffenen Bevölkerungsteils zusammengelaufen sind, im Einzelnen zu gewichten sind, und man wird auch Herrn Posener hier eine eigene, dezidierte oder sogar falsche Meinung zugestehen dürfen. Diese Meinung aber als Dogma hinzustellen, dem sich alle zu unterwerfen hätten, und den Papst zu ächten, wenn er das nicht tut, ist unredlich.

II. Sorge um die Menschenwürde als Verrat am Fortschritt

Posener wirft im ersten Kapitel Papst Benedikt XVI. vor, den Wunsch zu hegen, Europa möge “wieder zu einem christlichen Kontinent werden.” Dass ein Papst so etwas überhaupt darf! Dagegen verteidigt Posener “die geistigen Grundlagen des modernen Europa”, die er vor allem in der Aufklärung sieht. Dieser einfältigen, von jeder “Dialektik der Aufklärung” unbeleckten Entgegensetzung von schlechtem Christentum und guter Aufklärung würde ein Schuss Chesterton-Lektüre gut tun. Aber es kommt noch dicker: Posener wirft dem Papst vor, für eine “Überordnung der Ethik über die Politik” zu plädieren. Daraus dürfen wir folgern, dass für Posener das moderne Europa auf der Überordnung der Politik über die Ethik aufbaut, also auf dem Machiavellianismus und dem Recht des Stärkeren. Zu welcher Menschenverachtung dieser Ansatz führt, hat das 20. Jahrhundert mehrfach in erschreckendem Maße gezeigt, übrigens stets im Namen des Fortschritts. Die sich daraus wie von selbst ergebende kritische Hinterfragung des Fortschrittsglaubens ist für Posener die Schlachtung einer heiligen Kuh, die er dem Papst nicht verzeihen kann.

Er kreidet ihm an, das jetzige Europa mit dem Römischen Reich zur Zeit seines bevorstehenden Untergangs zu vergleichen (in: Europas Identität. Seine geistigen Grundlagen gestern, heute, morgen; veröffentlicht in Werte in Zeiten des Umbruchs, Freiburg i.Br. 2005). Ganz schlimm ist es, dass Ratzinger im Laufe einer klugen Analyse der gegenwärtigen Kulturkrise die Bemerkung macht: “Diesem inneren Absterben der tragenden seelischen Kräfte entspricht es, dass auch ethnisch Europa auf dem Weg der Verabschiedung begriffen erscheint.” Während Ratzinger aus seiner Analyse folgert, dass die Unbedingtheit der Menschenwürde und Menschenrechte garantiert bleiben müsse, ist sie für Posener ein Freibrief, dem Papst die Ansicht zu unterstellen, “dass die rassenmäßig richtigen Menschen ausreichend Kinder bekommen” (S. 10) sollten. Solche Unterstellungen sind die Folge, wenn man mit der eigenen Denkungsart Gedanken des Gegners weiterdenkt.

Während Ratzinger auf hoher Reflexionsstufe die Kulturtheorien Spenglers und Toynbees diskutiert und zu durchaus differenzierten Antworten gelangt, lässt sich Posener von keinem historischen Faktum davon abhalten, sein einfach geschnittenes lineares Weltbild auf den Lauf der Geschichte zu projizieren: So hält er den Untergang des römischen Reiches im Zuge der “Zuwanderung” für ein Indiz “der Anziehungkraft des damaligen Rom”! Die touristische Attraktion Roms als Stimulans der Völkerwanderung - wenn das kein origineller Gedanke ist, der die Aufnahme in die Geschichtslehrbücher verdient, dann wenigstens die Berücksichtigung in jedem künftigen Komiklehrkurs.

Posener gibt zwar zu, dass das von ihm gezeichnete Bild des Papstes einseitig sei, aber in Wirklichkeit ist es nicht nur einseitig, sondern falsch. Er wirft ihm beispielsweise “die Verneinung von allem” vor, “was den Westen bei aller Unzulänglichkeit zur liebens- und lebenswertesten Gesellschaft macht” (S. 17). Wie schon erwähnt, geht es Ratzinger gerade um die Sicherstellung der Menschenwürde, also um das Fundament dessen, was die westliche Gesellschaft überhaupt erst als lebenswert möglich macht. Es geht ihm auch nicht um den “Abschied vom wissenschaftlichen Denken”, sondern um den Abschied von einer Verengung des wissenschaftlichen Denkens auf die instrumentelle Vernunft, die das Humanum aus dem Auge verliert. Das Anliegen Ratzingers ist die Rettung des Humanum, also das Gegenteil dessen, was Posener ihm vorwirft.

III. Moral zwischen Telefonauskunft und Erbanlagen

Vom Rechtsphilosophen und ehemaligen Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde stammt das berühmte Wort über die Grundlagen des Staates, die derselbe sich nicht selber geben kann: “Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.” Die Voraussetzungen, an die Böckenförde dachte, sind jene “inneren Regulierungskräfte” der Freiheit “aus der moralischen Substanz des Einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft.” Damit meint er “ein staatsstragendes Ethos”, einen minimalen, unentbehrlichen Grundkonsens, der z.B. unserer Verfassung zugrunde liegt und die Unantastbarkeit der Menschenwürde und grundlegender Menschenrechte umfaßt. Andererseits darf der Staat diesen Grundkonsens nicht erzwingen wollen. Er kann sich nicht in eine moralische Erziehungsanstalt verwandeln, “ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben.” Gerade das war ja ein typischer Zug der totalitären Staaten etwa kommunistischer Prägung, dass sie nicht nur das Verhalten, sondern auch die Gesinnung ihrer Bürger regulieren wollten. Der Verzicht auf solche Anmaßung bei gleichzeitiger Angewiesenheit auf ein Minimum an moralischer Gesinnungsgemeinschaft im Hinblick auf die grundlegenden Rechtsgüter unserer Verfassung (oder auf “die Solidarität” der Staatsbürger, wie Habermas es nennt) macht “das große Wagnis” aus, als welches Böckenförde dieses Dilemma bezeichnet. Der Staat kann, wie Habermas sagt, Solidarität nicht verordnen. Böckenförde im Wortlaut: “Das ist das große Wagnis, das er [der freiheitliche, säkularisierte Staat], um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des Einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt, mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots, zu garantieren versuchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und - auf säkularisierter Ebene - in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.”

Genau über dieses Thema fand am 19. Januar 2004 auf hohem intellektuellem Niveau ein Gespräch zwischen Jürgen Habermas und dem damaligen Joseph Kardinal Ratzinger statt, das zeigte, wie hier die Religion und die säkularisierte Vernunft in ein respektvolles und fruchtbringendes Gespräch miteinander eintreten können.

Doch Alan Posener zeigt im ersten Kapitel seines Buches Benedikts Kreuzzug, dass man es auch anders machen kann: intellektuell anspruchslos, respektlos und steril. Auf Seite 40 zitiert er obige Passage aus Böckenfördes Buch Staat, Gesellschaft, Freiheit (Suhrkamp 1976, S. 60), um seine Antwort auf die aufgeworfene Frage nach den vorpolitischen Grundlagen des Staates zu geben: Das seien die Revolutionen, die zum gegenwärtigen Staatswesen geführt hätten. Damit zeigt er, dass er nicht verstanden hat, worum es geht. Es geht nicht um die historische Genese des Rechtsstaates, sondern um seine “normativen Bestandsvoraussetzungen” (Habermas). Doch diese sind für Posener einfach “Vorurteile”, die man überwinden muss. Das gilt jedenfalls für jene Bestandsvoraussetzungen, die Ratzinger als solche ansieht. Und welches sind das? Für Ratzinger sind es jene moralischen Überzeugungen, die dazu führen, die “Macht unter das Maß des Rechtes zu stellen und so ihren Gebrauch zu ordnen” (so in seiner Rede bei der Begegnung mit Habermas, in: Jürgen Habermas, Joseph Ratzinger, Dialektik der Säkularisierung, Freiburg im Breisgau 2005, S. 42). Mit anderen Worten: Der Sinn für Gerechtigkeit, die Anerkennung der Menschenrechte usw. müssen in einem Gemeinwesen so ausgeprägt sein, dass staatliche Macht niemals rechtswidrig werden kann.

Doch das sind Vorurteile. Für Posener ist alles viel einfacher. Dank Richard Dawkins hält er es für erwiesen, dass aufgrund unserer Gene der moralische Schatz der Menschheit genau so da ist, wie Geräte da sind, die man benützt. Einen moralischen Fortschritt gibt es so, wie es einen wissenschaftlichen Fortschritt gibt. Wenn etwas schief geht, z.B. “das industrialisierte Massenmorden im Ersten Weltkrieg, der Große Terror der Bolschewisten, der Holocaust, der Bombenkrieg gegen Deutschland und Japan...” (S. 45) usw., dann sind daran die außergewöhnlichen Umstände daran schuld. Mit anderen Worten: Für das dritte Beispiel gilt nicht, dass die Menschen die Weimarer Republik kaputt gemacht haben, sondern diese die Menschen. So vertauscht Posener Opfer- und Täterrolle.

Wenn Ratzinger dagegen mit der Freiheit des Menschen Ernst macht und die Frage nach der Möglichkeit und Notwendigkeit einer Reifung seines Verantwortungsbewußtseins aufwirft, ist Posener überfordert. Damit kann er nichts anfangen. Für ihn müssen nur die äußeren Rahmenbedingungen stimmen, dann geht alles wie von selber. Wer daran zweifelt, zeigt nur, dass er dem Menschen misstraut, während das “Großartige an der Demokratie” darin bestehe, dass sie den Menschen vertraue. Deshalb wirft Posener dem Papst Misanthropie vor und nimmt ihm die Aussage übel, “die freie Zustimmung zum Guten” sei “nie einfach von selber da”. Und beim Ratzingerschen Ausdruck des “Anrufs an die Freiheit” kommt Posener nicht viel mehr als die “Telefonauskunft” in den Sinn. Natürlich macht Posener bei seiner Exkulpierung des Menschen eine große Ausnahme: beim Papst selber, dem er seine Anschauungen stets im Brustton moralischer Entrüstung vorhält.

Die Verwunderung über so viel Verständnisunvermögen steigert sich nur noch angesichts des “intellektuellen Vergnügnens”, welches dieses Buch angeblich einigen Rezensenten bereitet. Im Berliner Wochenblatt der Freitag hat sich jedenfalls Sabine Pamperrien in aller Öffentlichkeit dazu bekannt...

IV. Vermisste Unterschiede und schmackhafte Formulierungen

Haben Sie schon gewußt, dass derjenige, der vor “Menschenzüchtung und -selektion” warnt, einen wichtigen “Wesensunterschied bewusst verschleiern will”, und zwar den zwischen einer “Rationalität des Heilens und einer Rationalität des Mordens”? Die Warnung vor Menschenzüchtung und -selektion stammt von Kardinal Ratzinger, geäußert im bereits erwähnten Gespräch mit Jürgen Habermas (Habermas / Ratzinger, Dialektik der Säkularisierung, S. 47), der Vorwurf der bewussten Verschleierung und einer “allzu durchsichtigen sprachlichen Verschleierungstaktik” stammt von Posener (Kreuzzug S. 54). Eine “Rationalität des Heilens” sieht dieser in Präimplantationsdiagnostik und Abtreibung, eine “Rationalität des Mordens” in der “nationalsozialistischen Rassenzüchtung”. In den Ausführungen Ratzingers ist von letzterer nicht die Rede, es geht im Gespräch mit Habermas ausschließlich um die gegenwärtige Situation. Es ist Posener, der kontextfremd nachträglich den Nationalsozialismus ins Spiel bringt, um Ratzinger die Verschleierung eines Wesensunterschieds vorzuwerfen. Er moniert, Ratzinger lasse bewusst offen, was er meine. Dabei verschweigt er, dass der Kardinal genau dies unmittelbar zuvor erklärt hat: “Inzwischen ist eine andere Form von Macht in den Vordergrund gerückt, die zunächst rein wohltätig und allen Beifalls würdig zu sein scheint, in Wirklichkeit aber zu einer neuen Art von Bedrohung des Menschen werden kann. Der Mensch ist nun imstande, Menschen zu machen, sie sozusagen im Reagenzglas zu produzieren. Der Mensch wird zum Produkt, und damit verändert sich das Verhältnis des Menschen zu sich selbst von Grund auf. Er ist nicht mehr ein Geschenk der Natur oder des Schöpfergottes; er ist sein eigenes Produkt. Der Mensch ist in die Brunnenstube der Macht hinuntergestiegen, an die Quellorte seiner eigenen Existenz. Der Versuchung, nun erst den rechten Menschen zu konstruieren, die Versuchung, mit Menschen zu experimentieren, die Versuchung, Menschen als Müll anzusehen und zu beseitigen, ist kein Hirngespinst fortschrittsfeindlicher Moralisten.”
Das sind konkrete Gefahren, Visionen und Projekte, von denen jeder weiß, der nur oberflächlich das Zeitgeschehen mitverfolgt. Aber Posener stellt sich dumm, um ins Blaue hinein zu spekulieren, Ratzinger habe womöglich die nationalsozialistische Rassenzüchtung mitgemeint und damit den erwähnten Wesensunterschied “bewusst verschleiern” wollen. Doch einen schlagenden Beweis hat Posener doch noch vorzuweisen: Joachim Kardinal Meisner habe am 6. Januar 2005 (also ein Jahr nach dem Ratzinger-Habermas-Disput) Abtreibung als “Holocaust an den Ungeborenen” verdammt (was falsch ist: in Wirklichkeit hatte Meisner verschiedene Verbrechen, darunter jene Hitlers, nur aufgezählt, also etwas getan, was Posener in seinem Buch auf Seite 45 selber tut) und ebenso Bischof Walter Mixa am 25. Januar 2009 (in Wirklichkeit hielt er die inkriminierte Rede am 25. Februar, und auch in diesem Fall handelt es sich um dieselbe Verfälschung Poseners wie bei Meisner). Weil das so ist, “muss man annehmen, dass Ratzinger in der Tat diesen Wesensunterschied bewusst verschleiern will.” So einfach geht das. Schließlich führt Posener noch eine Taufpredigt an, die Benedikt XVI. am 8. Januar 2006 gehalten hat. Darin ist zwar wiederum vom Nationalsozialismus keine Rede, aber der Papst habe “ausgerechnet die weltliche Kultur des Westens als ‘Anti-Kultur des Todes’ verdammt.” Was der Papst damit meinte, verschweigt Posener, kann aber in der Rede selber in aller Deutlichkeit nachgelesen werden.

Diese Taktik wendet Posener fast durchgängig an: Er zerrt Äußerungen des Papstes in einen anderen Kontext und manipuliert sie so lange, bis sie eine Bedeutung erhalten, die Posener angreifen und als enttarnte, eigentliche Aussageabsicht des Papstes präsentieren kann. Diese Vorgangsweise ist nicht nur unfair, sondern unappetitlich. Nehmen wir ein weiteres Beispiel: Er zitiert Ratzingers Aufforderung, darüber nachzudenken, “ob nicht die Vernunft unter Aufsicht gestellt werden” müsse: eine Ratzinger-Formulierung, die man sich, so Posener, “sozusagen auf der Zunge zergehen lassen sollte”. Er verschweigt, dass Ratzinger auch die umgekehrte Frage stellte, nämlich ob “nicht Religion unter das Kuratel der Vernunft gestellt” werden müsse. Ratzinger macht einerseits auf die Pathologien der Religion aufmerksam, wie sie sich etwa im religiös motivierten Terrorismus äußern, andererseits auf die Pathologien der Vernunft, wie sie sich in der Emanzipation der instrumentellen Vernunft von Recht und Moral zeigt, beispielsweise im schon beschriebenen Machbarkeitswahn bezüglich des Menschen. Er plädiert für eine gegenseitige Begrenzung: Religon muss durch Vernunft geregelt sein, was z.B. Gewalttätigkeit ausschließt, Vernunft muss durch Ethik geregelt sein, indem sie unantastbare Werte und Rechte anerkennt. Dass Religion zu dieser Regelung beitragen kann, indem sie für Werte sensibilisiert und Quellen der Moral offenlegt, war gerade der gemeinsame Nenner, auf dem sich das Gespräch zwischen Habermas und Ratzinger bewegte. Von all dem erfährt der Leser Poseners nichts. Dieser greift geschickt nur Formulierungen der einen Hälfte der Ratzingerschen Ausführungen heraus, um aus dessen Suche nach einer Balance zwischen Wissenschaft und Ethik einen Generalangriff auf die Vernunft zu machen.

Die Methode Poseners könnte noch an unzähligen weiteren Beispielen belegt werden. Ich würde das auch tun, wenn dabei wenigstens sachlich ein noch so kleiner Erkenntnisgewinn herausspringen würde. Aber je unappetitlicher es wird, um so unergiebiger. Ich weiß nicht, was in der Seele eines Mannes vorgehen muss, um solcher Methoden fähig zu sein. Tut er es in bewusst demagogischer Absicht oder glaubt er selber, was er schreibt, befangen in einem ideologischen Denken, das er trotz seiner Abwendung vom Marxismus nicht überwunden hat? An vielen Stellen wirft er Ratzinger ersteres vor. Ich selber möchte mich mit diesem Vorwurf zurückhalten. Aber eines nehme ich Posener ab, nämlich wenn er in seiner Schlussbetrachtung schreibt: “Je näher ich diesem Mann kam, desto kleiner erschien er mir” (S. 245). Denn was ihm erschien, waren nicht die Ideen Ratzingers, sondern seine eigenen Gedanken und Vorurteile, die er in die Texte hineingelesen und auf deren Niveau er Ratzinger heruntergezerrt hat. Und dieses Niveau ist tatsächlich so erbärmlich, dass selbst anspruchslose Denker davon enttäuscht sein müssen.

V. Poseners Umgang mit Texten

Die Fragwürdigkeit eines naiven Fortschrittsoptimismus stellt Joseph Ratzinger durch den Hinweis auf die Atombombe heraus - ein Argument, mit dem schon Adorno gearbeitet hat. Für Posener genügt die Tatsache, dass Israel der Atombombe bedarf, um dieses Argument zurückzuweisen. Dann unterscheidet Posener zwischen der instrumentellen und existentiellen Vernunft. Die Produkte der instrumentellen Vernunft, von Mobiltelefonen bis zur Atombombe, können so lange missbraucht werden, wie sie in den Dienst der existentiellen Unvernunft, also des Wahns, gestellt werden können. Deshalb gehe es darum, “auch die menschlichen Beziehungen vernünftig zu regeln” (S. 57). Das ist eine der Stellen, in denen er mit Ratzinger übereinstimmt. Aber Posener besitzt nicht die Größe, das zuzugeben. Ratzinger fordert einen Vernunftbegriff, der über die instrumentelle Vernunft hinausgeht und auch die menschlichen Beziehungen mit einbezieht, “eine Vernunft, die spricht, das heißt sich in Beziehung setzt. Damit stehen wir bereits vor einer Neufassung des Begriffs der Vernunft, die über die reine Mathematik, die reine Geometrie des Seins hinausgeht” (Joseph Ratzinger, Paolo Flores d’Arcais, Gibt es Gott?, Berlin, 3. Auflage 2006, S. 25 f.). Posener zitiert Ratzingers geforderte “Neufassung des Begriffs der Vernunft” (S. 62), unterschlägt aber, was Ratzinger damit meint, nämlich dasselbe wie Posener. Stattdessen stellt er diesen Ausdruck in den Zusammenhang mit spezifisch katholischen Glaubensinhalten, etwa der eucharistischen Wesensverwandlung, und behauptet dann, dass Ratzinger verlange, dass diese Neufassung des Vernunftbegriffs für alle Menschen gelten solle. Er unterstellt Ratzinger quasi einen katholischen Imperialismus, indem er ein Zitat von ihm in einen sinnfremden Zusammenhang stellt. Das sind die Methoden Poseners.

Alexander Gauland hat Recht, wenn er Posener vorwirft, Ratzinger diskreditieren zu wollen, und ebenso Manfred Lütz, wenn er in der Argumentation Poseners zahllose Skurrilitäten und waghalsige Kapriolen feststellt. Ein Blick auf die Originaltexte Ratzingers führt leicht zu dieser Einsicht und zur Erkenntnis der perfiden Methoden, deren sich Posener bedient. Um so blamabler ist es, wenn Rezensenten wie etwa Claudia Keller vom Tagesspiegel dies nicht durchschauen, die Absurditäten Poseners für “ mit reichlich Zitaten aus Papst- und Bischofsreden belegt” und das unappetitliche Machwerk für “wohltuend” halten.
Übrigens: Mein “Ave Maria” für Posener habe ich schon gebetet.


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