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Die Unsterblichkeit der Seele

Von John Henry Newman

“Was soll der Mensch als Preis geben für seine Seele?” Mt 16,26

Ich glaube, es gibt keinen auch nur einigermaßen unterrichteten Christen, der nicht davon überzeugt ist, eine genaue Vorstellung von den Unterschieden zwischen unserem Glauben und dem vorchristlichen Heidentum zu haben. Jeder wird auf die Frage, welchen Gewinn uns das Evangelium gebracht hat, sofort mit der Antwort bereit sein, daß es uns die Erkenntnis unserer Unsterblichkeit gebracht hat, die Erkenntnis, daß wir eine Seele haben, die ewig leben wird; daß die Heiden dies nicht wußten, daß Christus dies aber lehrte und daß seine Jünger es annahmen. Jeder wird mit Recht sagen, daß diese ernste und erhabene Lehre es war, welche dem Christentum bei seinem ersten Auftreten das Recht gab, Gehör zu fordern; daß sie es war, welche die gedankenlose Masse, die in den Vergnügungen und Geschäften dieses Lebens aufging, stutzig machte, sie mit dem Hinweis auf ein künftiges Leben schreckte, sie ernüchterte, bis sie aus aufrichtigem Herzen sich Gott zuwandte. Man kann mit Recht behaupten, daß diese Lehre von einem künftigen Leben die Macht und Verlockung des Heidentums gebrochen hat. Die armen, verblendeten Heiden waren verstrickt in die Sünden und Torheiten einer falschen Gottesverehrung, die das Licht der Vernunft in ihnen getrübt hatte. Sie erkannten Gott, gaben ihn aber auf für die Ausgeburten menschlicher Einbildung; sie erfanden für sich selbst Schirmer und Schützer und hatten in der Folge “viele Götter und viele Herren” (1 Kor 8,5). Sie hatten ihren unreinen Götzendienst, ihre lärmenden Umzüge, ihre nachsichtige Lehre, ihre leichten Vorschriften, ihre sinnlichen Feste, ihre kindischen Schwärmereien, kurz alles, was zu einer Religion paßte, die für Wesen gut war, die siebzig oder achtzig Jahre lebten, um dann ein für allemal zu sterben und nicht mehr zu sein. “Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot”, das war ihre Lehre, das ihre Lebensweisheit. “Morgen sind wir tot”, soweit gab der Apostel ihnen recht. Soweit stimmte er mit den Heiden überein. “Morgen sind wir tot.” Dann aber fügte er hinzu: “Und nach dem Tod folgt das Gericht”, das Gericht über die unsterbliche Seele, die fortlebt, auch wenn der Leib zerfallen ist. Das war die Wahrheit, die in den Menschen die Erkenntnis der Notwendigkeit einer besseren und tieferen Religion weckte, als sie zur Zeit der Ankunft Christi auf Erden herrschte. Und diese Wahrheit ergriff sie so sehr, daß sie ihrem alten Götzendienst entsagten und das Heidentum zerfiel. Ja, obwohl dieses alle Gewalt der Welt innehatte und auf dem Gipfel der Macht thronte, ein Schauspiel, wie es die Erde noch nie gesehen, obgleich gestützt von den Großen und getragen von der Menge, von der Macht der Gewalthaber und von der Zähigkeit des Volkes, - es zerfiel. Seine Trümmer bedeckten das Angesicht der Erde, das zerstörte Werk seines mächtigen Schützers, des stolzen Feindes Gottes, des heidnischen Rom. Auch in unserem Land sehen wir Reste dieser Trümmer. Sie zeigen uns, wie gewaltig seine Macht war, aber auch wieviel gewaltiger jenes Etwas war, das diese Macht zerschlug. Und dieses Etwas war die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. So gewaltig ist der Umschwung, den diese Lehre in der Menschheit bewirkt, wenn sie in Tat und Wahrheit angenommen wird.

Ich sagte, daß jedem von uns diese Lehre geläufig ist und daß ihre Kenntnis den wesentlichen Unterschied zwischen uns und den Heiden bildet. Und doch, obschon sie uns geläufig ist und “die Richtschnur unseres Wissens” (Röm 2,20), besteht kaum ein Zweifel, daß die Mehrzahl derer, die sich Christen nennen, dieselbe in ihrem Innern nicht wirksam werden läßt. Es ist in der Tat sehr schwer, uns zum Bewußtsein zu bringen, es uns fühlen zu lassen, daß wir eine Seele haben, und es kann keinen verhängnisvolleren Irrtum geben als den Wahn, wir verstünden diese Lehre, weil wir die Worte nachsprechen können, in welche wir sie zu kleiden pflegen. Etwas so Großes ist es, zu verstehen, daß wir eine Seele haben, daß diese Erkenntnis zusammen mit ihren Konsequenzen gleichbedeutend ist mit ernster Religiösität, mit wahrem und praktischem Christentum. Das Wissen um die Unsterblichkeit seiner Seele ist für jeden Christen notwendig mit Furcht und Zittern und Reue verbunden. Wo ist derjenige unter uns, den nicht der wirkliche Anblick des höllischen Feuers und der in ihm ewig verzweifelnden Seelen erschüttern und ernüchtern würde? Würden nicht alle seine Gedanken von diesem schrecklichen Anblick gefesselt werden, so daß er stille stünde, es unverwandt anstarrte, alles andere vergäße, nichts anderes sehend, nichts anderes hörend, ganz in seine Betrachtung verloren? Und wenn der Anblick verschwände, würde er nicht seinem Gedächtnisse fest eingeprägt bleiben, so daß er von da an tot wäre für alle Freuden und Angelegenheiten dieser Welt, weil er sie nur im Licht seiner furchtbaren Vision betrachten könnte? Derartig wäre der überwältigende Eindruck einer solchen Offenbarung, gleichviel ob sie wirkliche Reue hervorriefe oder nicht. So versenkt in den Gedanken an das künftige Leben sind jene, welche aus ganzem Herzen das Wort des Herrn und der Apostel umfassen. Und doch sind diese Geistesverfassung und diese Erkenntnis der großen Menge der Christen fremd. Ein undurchlässiger Schleier liegt über ihren Augen, und obwohl ihnen diese Lehre geläufig ist, leben sie, als hätten sie nie ein Wort von ihr vernommen. Sie leben dahin genau wie die alten Heiden. Sie essen, sie trinken, sie vergnügen sich mit Eitelkeiten, sie leben in der Welt ohne Furcht und Sorgen, als hätte Gott niemals erklärt, daß ihr Leben auf Erden entscheidend sein werde für ihr ewiges Schicksal. Sie leben, als hätten sie keine Seele oder als gehe das Heil dieser Seele sie wenig oder gars nicht an. Das war ja auch das Credo der Heidenwelt.

Wir wollen nun erwägen, was es heißt, zu erfassen, daß wir eine Seele haben, und welches die hauptsächlichste Schwierigkeit ist, die dem entgegensteht.

Wir sind vom Tag unserer Geburt an abhängig von den Dingen, die uns umgeben. Wir sehen und fühlen, daß wir nicht leben noch im Leben fortschreiten können ohne die Hilfe anderer. Für das Kind ist diese Welt alles. Es erscheint sich selbst als ein Teil dieser Welt - so wie der Ast ein Teil des Baumes ist. Es hat keinen Begriff von seinem eigenen und selbständigen Sein, d.h. es hat keine richtige Idee von seiner Seele. Und wenn der Mensch durchs Leben geht, ohne diese Auffassung zu ändern, so wird er bis zum Ende seines Lebens keinen rechten Begriff davon haben, daß er seine Seele hat. Er betrachtet sich nur in Verbindung mit dieser Welt, die ihm alles ist. Er sieht zu ihr auf wie zu einem Götzen, von dem er alles erhofft. Versucht er über dieses Leben hinaus zu sehen, so kann er nichts entdecken, da er keinen Begriff von etwas anderem hat noch sich etwas anderes vorzustellen vermag als dieses Leben. Und wenn er gezwungen ist, sich etwas vorzustellen, so stellt er sich nochmals dieses Leben vor, so wie die Heiden, die, wenn sie sich gemäß ihren Sagen das Leben nach dem Tode vorstellten, sich das Glück der Seligen nicht anders vorzustellen wußten denn als die Freude an der Sonne, dem Wolkenhimmel und der Erde, genau wie zuvor, nur daß sie sich das alles etwas glänzender dachten.

Verstehen, daß wir eine Seele haben, heißt, uns unserer Trennung von den Dingen um uns bewußt sein, unserer Unabhängigkeit von ihnen, unserer eigenen Existenz in uns selbst, unserer Individualität, unserer Macht, aus eigenem Antrieb so zu handeln oder anders, unserer Verantwortlichkeit für das, was wir tun. Dies sind die großen Wahrheiten, die keimhaft in der Seele des Kindes schlummern und die Gottes Gnade in ihr zu wecken vermag trotz der Einflüsse der äußeren Welt. Zunächst aber hat die äußere Welt das Übergewicht. Wir blicken von uns fort auf die Dinge um uns und vergessen über diesen uns selbst. Wir suchen Stütze bei einem Rohr, das uns keinen Halt bieten kann, und vergessen die eigene Kraft. So steht es mit uns, wenn Gott anfängt, uns zu einer richtigeren Auffassung von dem Platz zu erziehen, den wir in dem großen Plan seiner Vorsehung einnehmen. Wenn er uns heimsucht, beginnt eine innere Unruhe. Die Wertlosigkeit und Ohnmacht der irdischen Dinge drängt sich unserem Geiste auf. Sie versprechen und vermögen nicht, ihr Versprechen zu halten; sie enttäuschen uns. Oder wenn sie ihr Versprechen halten, so sättigen sie uns doch nicht. Wir verlangen immer noch nach etwas, ohne selbst zu wissen, was es ist, aber nach etwas, das die Welt nicht geben kann - das fühlen wir. Und dabei ihre vielen, plötzlichen, heimtückischen, ununterbrochenen Wechselfälle! Sie hört nicht auf, sich zu verändern, sie wechselt fort und fort, bis wir völlig kranken Herzens sind. Dann ist unser Verhältnis zu ihr gebrochen. Es ist uns klar geworden, wir können uns nicht länger auf sie verlassen, es sei denn, daß wir gleichen Schritt mit ihr halten und uns auch fortwährend ändern. Das aber können wir nicht. Wir fühlen, daß wir dieselben bleiben, während sie sich ändert, und so kommen wir mit Gottes Hilfe dahin, daß etwas vom Bewußtsein unserer Unabhängigkeit von den irdischen Dingen, vom Bewußtsein unserer Unsterblichkeit in uns aufdämmert. Und sollte Unglück uns heimsuchen, wie dies ja meistens der Fall ist, dann lernen wir noch besser die Nichtigkeit dieser Welt verstehen, dann lernen wir noch besser, ihr zu mißtrauen, ihr unsere Liebe zu entziehen, bis sie endlich vor unseren Augen wie ein immer durchsichtigerer Schleier zu schweben beginnt, der unerachtet all seiner Farbenpracht nicht mehr imstande ist, uns den Anblick dessen zu rauben, was hinter ihm liegt. Wir beginnen schrittweise zu erkennen, daß es nur zwei Dinge in der Welt gibt: unsere Seele und Gott, der sie erschaffen hat.

Erhabene, so oft vergessene und doch so wahre Lehre! Für jeden von uns gibt es nur zwei Wesen in der Welt, er selbst und Gott. Denn was diese äußere Lebensbühne betrifft, diese Welt mit ihren Vergnügungen und Unternehmungen, mit ihren Ehren und Sorgen, ihren Erfindungen, ihren großen Männern, ihren Reichen, mit der Menge ihrer Sklaven der Arbeit, was kann sie uns sein? Nichts - nichts anderes als ein Schauspiel. “Die Welt vergeht mit ihrer Lust” (1 Joh 2,17). Und was jene betrifft, die uns näher stehen, die wir nicht der eitlen Welt zuzählen dürfen, ich meine unsere Freunde und Verwandte, die mir Recht lieben, auch sie sind im Grunde nichts für uns. Sie können uns nicht wahrhaft helfen oder nützen; wir sehen sie, und sie wirken auf uns ein gleichsam wie von ferne, durch die Vermittlung der Sinne. An unsere Seele können sie nicht heran, sie können nicht eindringen in unser Inneres, sie können uns nicht eigentlich Gefährten sein. In der künftigen Welt wird es durch Gottes Gnade anders sein. Hier aber erfreuen wir uns nicht wahrhaft ihrer Gegenwart, sondern erhalten nur einen Vorgeschmack von dem, was einmal sein wird. So treten schließlich auch sie zurück und verschwinden vor der klaren Schau, die wir haben zunächst von unserem eigenen Sein, dann von der Gegenwart des großen Gottes in uns und über uns als unseres Herrn und Richters, der in uns wohnt in unserem Gewissen als seinem Stellvertreter.

Und nun erwäget, welche Umwälzung sich in einer Menschenseele vollziehen muß, die nicht ganz verworfen ist, je mehr sie diese Beziehung zwischen ihr und dem allmächtigen Gotte erfaßt. Wir werden in diesem Leben niemals ganz verstehen, was es heißt, ewig zu leben. Wir verstehen aber, daß diese Welt nicht ewig lebt, daß sie sterben wird und nie wieder ersteht. Wenn wir das verstehen, dann begreifen wir auch, daß wir ihr keinen Dienst und keine Treue schulden. Sie hat kein Recht auf uns und kann uns in Wahrheit weder nützen noch schaden. Im Gegensatz dazu fordert das Gesetz Gottes, das in unsere Herzen eingeschrieben ist, daß wir ihm dienen, ja es belehrt uns zum Teil, wie wir ihm dienen können und sollen, und die Heilige Schrift ergänzt die Gebote, welche die Natur uns gibt. Beide aber, Schrift und Gewissen, lassen uns nicht im Zweifel darüber, daß wir für unser Tun verantwortlich sind und daß Gott ein gerechter Richter ist. Endlich tritt unser Erlöser als unser sichtbarer Herr und Gott an die Stelle der Welt und offenbart sich uns als den eingeborenen Sohn des Vaters, damit wir nicht sagen können, Gott sei verborgen und nicht zu finden. So wird der Mensch auf die verschiedenste Weise und durch die mächtigsten Einflüsse von den zeitlichen Dingen ab- und zu den ewigen hingezogen, angetrieben, sich selbst zu verleugnen, sein Kreuz auf sich zu nehmen und Christus nachzufolgen. Denn da sind einmal die schrecklichen Drohungen und Warnungen unseres Herrn, die den Menschen mit Ernst erfüllen, da sind seine Lehren und Gebote, die ihn anziehen und zu Gott erheben, da sind seine Verheißungen, die ihn ermutigen, sein gnadenreiches Leben und Leiden, das ihn demütigt bis in den Staub und sein Herz in unauslöschlicher Dankbarkeit ein für allemal an den fesselt, dessen Erbarmen ohne Grenzen ist. Alles das wirkt auf ihn ein; und wie der heilige Matthäus, als Christus ihn rief, von der Zollbank sich erhob, unbekümmert darum, was die Leute sagen würden, so gehen diejenigen, welche die Gnade haben, den geheimen Einsprechungen Gottes zu folgen, Wege, die denen der Welt entgegengesetzt sind, ohne darauf zu achten, wie andere über sie urteilen, weil sie begriffen haben, daß sie eine Seele haben, für die zu sorgen ihre einzige Aufgabe ist.

Ich weiß wohl, daß unberufene Lehrer ausgezogen sind und fast dieselbe Sprache führt haben wie ich und doch etwas völlig Anderes meinten. Zu ihnen gehören jene, welche die Taufgnade leugnen, dagegen an eine plötzliche und unvermittelte Bekehrung des Sünders durch Gott glauben. Ich braucht jetzt nicht die Abweichung ihrer Lehre von jener der Heiligen Schrift darzustellen. Was immer ihre besonderen Irrtümer sein mögen, soweit sie behaupten, daß wir von Natur aus blind und sündig sind und durch Gottes Gnade und die eigene Mitwirkung zur Erkenntnis kommen müssen, daß wir eine Seele haben, daß wir zu einem neuen Leben uns aufschwingen müssen, indem wir uns lossagen von der Welt und im Glauben wandeln an das, was wir nicht sehen und was zukünftig ist, soweit haben sie recht, denn so lehrt auch die Heilige Schrift: “Wache auf, der du schläfst, steh auf von den Toten, und Christus wird dich erleuchten. Seht zu, daß ihr vorsichtig wandelt, nicht wie Toren, sondern wie Weise. Nutzet die Zeit aus, denn die Tage sind böse. Seid daher nicht unverständig, sondern erkennet, was der Wille Gottes ist.” (Eph 5,14 ff)

Wir wollen uns darum ernstlich die Frage stellen und Gott um die Gnade bitten, daß wir sie aufrichtig beantworten, die Frage, ob wir losgelöst sind von der Welt, oder ob wir, in Abhängigkeit von ihr lebend statt in Abhängigkeit von dem ewigen Urheber unseres Seins, in der Tat unseren Anteil in der vergänglichen Welt suchen, völlig vergessend, daß wir eine Seele haben. Ich weiß wohl, daß solche Gedanken normalerweise sehr wenig nach dem Geschmack der Menge sind. Ohne Zweifel wird mancher, der solche Lehren vernimmt, wie ich sie vorgetragen habe, in seinem Herzen denken, daß man das Christentum auf diese Weise finster und abstoßend macht; daß er lieber auf jemanden hört, der weniger strenge Anschauungen vertritt; daß doch das Christentum kein finsteres und drückendes Gesetz sei, sondern eine Religion des Frohsinns und der Freude. So denkt die Jugend, auch wenn sie sich nicht in dieser Weise ausdrückt. Sie betrachtet ein ernstes Leben der Pflicht als etwas Abstoßendes und Hassenswertes; der bloße Gedanke daran stößt sie zurück. Werden sie aber älter und haben sie sich mehr in der Welt umgesehen, lernen sie ihre Ansicht verteidigen und drücken sich ungefähr so aus, wie ich es getan habe. Sie hassen die Wahrheit und widerstreben ihr. Und je mehr man ihnen sagt, sie hätten eine unsterbliche Seele, um so entschlossener sind sie, so zu leben, als hätten sie keine. In der Tat ist ja klar, daß die religiösen Pflichten denen eine Last sind, die sie vernachlässigen. Alles, was wir lernen müssen, erscheint uns anfänglich schwer; die Pflichten aber, die wir gegen Gott und um seinetwillen gegen die Menschen haben, sind besonders schwierig, da sie von uns nicht weniger verlangen, als daß wir ein neues Leben beginnen und die Liebe zu dieser Welt aufgeben zugunsten einer anderen. Es ist nicht zu vermeiden: Wir müssen in Furcht und in Sorge sein, bevor wir uns freuen können. Das Evangelium muß für uns eine Bürde sein, bevor es uns ein Trost wird und uns den Frieden bringt. Niemand kann sein Herz von den natürlichen Gegenständen seiner Liebe loslösen, ohne diese Lösung schmerzlich zu empfinden und noch nachher das Pochen seines Herzens zu vernehmen. Das liegt in der Natur der Sache. Und so wahr es sein mag, daß dieser oder jener Prediger hart und zurückstoßend sei, das ändert nichts am Wesen der Dinge. Die Religion erscheint der weltlich gesinnten Seele zunächst als eine Last. Von jedem, der sich ehrlich zu einem religiösen Leben entschließt, fordert sie Anstrengung und Selbstverleugnung.

Doch es gibt andere Menschen, die zu größerer Hoffnung berechtigen als jene, von denen ich eben sprach. Wenn sie von Reue hören und von der Notwendigkeit, ein neues Leben zu beginnen, erschrecken sie bei dem Gedanken an die Größe des Geforderten. Sie sind entmutigt, da so viel von ihnen gefordert wird. Doch sie sollen verstehen, daß das, wovon ich gesprochen habe, nicht plötzlich und auf einmal zu geschehen hat. Ich habe nirgends behauptet, es könne eine Seele nicht auf gutem Wege sein, die noch nicht völlig die Eitelkeit der Welt und den Wert der Seele erfaßt hat. Nicht auf gutem Wege befindet sich aber ohne Zweifel derjenige, der nicht den Wunsch und das Verlangen hat, all dies zu fassen und zu fühlen. Gebt mir einen Christen, der einerseits die Unsterblichkeit der Seele mit dem Munde bekennt, andererseits so sein Leben einzurichten sucht, daß es seine Worte nicht Lügen straft, so sage ich, er ist auf dem Weg des Heiles, er ist auf dem Weg zum Himmel, auch wenn er sich noch nicht völlig aus den Fesseln der Welt befreit hat. Keiner von uns ist schon ganz frei von der Welt. Wir alle bleiben bezüglich unserer Pflichten mit unseren Taten hinter unseren Worten zurück. Niemand erfaßt es ganz, was es heißt, eine unsterbliche Seele zu haben. Auch der Beste ist erst noch auf dem Weg zu diesem Ziel, aber auch der Schwächste und Unwissendste, der nach demselben sucht, befindet sich auf diesem Weg. Darum braucht niemand mutlos zu werden, wenn er hört, er habe noch viel zu tun, bevor er zu einer völlig geläuterten Auffassung seines Verhältnisses zu Gott gekommen sei, d.h. zu einem völlig geläuterten Glauben. Uns allen bleibt viel zu tun. Der springende Punkt aber ist, ob wir entschlossen sind, es zu tun.

Ach, hätten wir doch bloß ein Herz, das diese sichtbare Welt verschmäht, sie nur betrachtet als eine Scheidewand zwischen Gott und uns, das nur an ihn denkt, der hinter dieser Hülle wohnt, der über uns wacht, uns prüft, uns segnet, uns anspornt und stärkt zum Guten, Tag für Tag. Doch ach! Wie sehr lassen wir uns von den wechselnden Geschicken des Tages beeinflussen! Wie schwierig ist es, fest und unerschütterlich zu bleiben gegenüber den Lockungen und Drohungen der Welt! Wie wechseln unsere Anschauungen je nach Ort, Zeit und Umgebung! Wir sind des Sonntags voll guter Vorsätze, um vielleicht schon am Montag mit Wissen und Willen zu sündigen. Wir stehen des Morgens auf mit Gewissensbissen über unser Tun und mit dem Entschluß, uns zu bessern, um vielleicht rückfällig zu werden, ehe die Nacht hereinbricht. Der bloße Wechsel unserer Umgebung genügt, um einen Wandel in unserem Inneren hervorzurufen; und doch erkennen wir nicht hinreichend die Schwäche des eigenen Selbst und suchen Stärke nicht dort, wo sie allein zu finden ist, im unveränderlichen Gott. Was werden unsere Gedanken sein, wenn schließlich der Tag erscheint, da diese Welt für uns versinkt und wir uns selbst da finden, wo wir schon immer gewesen sind, nämlich unter den Augen Gottes, zu dessen Rechten Christus sitzt, der Herr?

Welch freudige Entdeckung aber wird es für jene geben, die erkannt haben, daß diese Welt nur Eitelkeit ist und Schein, und die immer in der Gegenwart ihres Heilands gelebt haben. Dies ist ein Gedanke, den man kaum vor einer gemischten Versammlung eingehender behandeln darf; denn warum sollen die Geheimnisse des Christen denen enthüllt werden, die dies nicht sind? Warum soll sein kostbarer Schatz den achtlos Dahinlebenden verraten werden? Der wahre Christ kennt seine Seligkeit und braucht niemanden, der sie ihm kündet. Er weiß, wem er geglaubt hat, und in der Stunde der Gefahr oder der Prüfung erkennt er, was es um jenen Frieden ist, den Christus nicht erläuterte, als er ihn seinen Aposteln gab, sondern von dem er nur sagte, daß die Welt ihn nicht geben kann.

“Du wirst ihn in vollkommenem Frieden bewahren, dessen Seele auf dich gestellt ist, da er auf dich vertraute. Bauet auf den Herrn für immer, denn in dem Herrn Jahwe ist ewige Stärke.” (Is 26,3 f)


Neuerscheinung der Apologia

2010, im Jahr Seligsprechung John Henry Newmans, ist bei media maria dessen Bekenntnisschrift Apologia pro vita sua. Geschichte meiner religiösen Überzeugungen (Apologia pro vita sua, being a History of his religious opinions), “eines der berühmtesten Bücher der Weltliteratur” (Heinrich Fries), publiziert worden. Newman schrieb sie 1864 innerhalb von sieben Wochen anläßlich seiner Kontroverse mit Charles Kingsley, der öffentlich die Wahrhaftigkeit Newmans wegen seiner Konversion am 9. Oktober 1845 in Zweifel gezogen hatte. Darin zeigte er, wie ihn seine Wahrheitsliebe nach vielen Jahren quälenden Seelenkampfes und historischer Studien in die katholische Kirche geführt hatte. “Niemals hat ein Mensch sein Leben und seine geistige Entwicklung überzeugender und packender dargestellt. Niemals ist das Florett blitzender Satire meisterlicher geführt worden. Das Buch trägt den Stempel eines überlegenen Geistes und zugleich eines redlichen und klaren Charakters. Es ist eins der Meisterwerke englischer Prosa, das einzige von Newmans Büchern, das seinem Verfasser unmittelbaren Erfolg brachte und ihm die Bewunderung der ganzen Nation, der Katholiken wie der Nichtkatholiken, eintrug” (Gisbert Kranz in: Lexikon der christlichen Weltliteratur, Freiburg i.Br. 1978, Sp. 762). Es löste eine Konversionsbewegung aus, die lange anhielt. Unter deren deutschen “Opfern” war Theodor Haecker, der 1921 durch das Studium Newmans katholisch wurde und einige seiner Hauptwerke übersetzte.

Die Verlegerin Gisela Geirhos hat die als Standardübersetzung geltende Fassung von Maria Knoepfler aus dem Jahr 1921 sprachlich überarbeitet. Zusätzlichen Wert erhält diese Ausgabe durch die Einleitung, die Prof. Dr. Roman A. Siebenrock, der Vorsitzende der Deutschen Newman Gesellschaft e. V., verfasst hat, und durch einen Beitrag von Joseph Kardinal Ratzinger über Newman.

“Das ist ein sehr wichtiges Werk”, sagte Papst Benedikt XVI., als ihm Gisela Geirhos am 28. April 2010 das Werk überreichen konnte.


Wir ernten, was wir säen

Meine Predigt zum 15. Sonntag nach Pfingsten-


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Matthias Joseph Scheeben über die Glaubensregel

Martin Deutinger über die neuzeitliche Philosophie

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Maria u. ihre Kinder
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