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Was wir sind, werdet ihr sein

Die Kapuzinergruft der Via Veneto

Von Ulrich Nersinger

Eine ungewöhnliche, den Menschen unserer Zeit merkwürdig erscheinende Gedenkstätte des Todes findet sich mitten im pulsierenden Zentrum Roms. Sie liegt unweit der Straße, die mit dem dolce vita, dem „süßen Leben“ der Fünziger und Sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Verbindung gebracht wird.

In der Nähe der Piazza Barberini, am Beginn der Via Veneto, liegen Kirche und Kloster der Nostra Signora della Concezione dei Cappuccini. Sie wurden von Papst Urban VIII. (Maffeo Barberini, 1623-1644) in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts für seinen Bruder, den Kardinal Antonio Barberini, ein Mitglied des Kapuzinerordens, erbaut. Der Pontifex selbst segnete den Grundstein der Kirche und feierte in ihr den ersten Gottesdienst. Ein Lichtblick in der Zeit des Nepotismus!

Viele Rombesucher lenken ihre Schritte jedoch nicht in das Gotteshaus, sondern sie steigen hinab in die Krypta der Kirche - und dies oft nicht in frommer Gesinnung, sondern aus einer bizarren Neugierde heraus. Selbst der Tourist, der aus den Stadtführern um das weiß, was ihn in den unterirdischen Räumen erwartet, erschrickt und verstummt angesichts dessen, was er erblickt. Ein Inschrift am Eingang der Krypta prophezeit: „Quod fuimus, estis, quod sumus, eritis - Wir waren, was ihr seid, und was wir sind, werdet ihr sein.“

Die Wände der Gänge und Säle der Gruft sind von Gebein bedeckt. Alle Verzierungen - Blumen, Rosetten, Arabesken und Schmuckbänder - sind aus menschlichen Knochen geformt, und zwar in einer beinahe unerreichbaren Vollendung. An Ketten aus Schienbeinen hängen Lampen, die ihrerseits wieder aus Rippen und Gelenken Verstorbener bestehen. Selbst die Sanduhren entstammen Skelettteilen. Der Besucher schaut auf ungeheure Anhäufungen von Schädeln. Einige von ihnen bilden die Nischen, in denen mumifizierte Mönche, gehüllt in ihre Gewänder, liegen oder stehen.

Fast viertausend Söhne des heiligen Franziskus sind hier beigesetzt worden, in einem Erdreich, das aus Jerusalem in das römische Gotteshaus gebracht worden war. Inmitten der Ordensbrüder haben auch drei weibliche Personen ihre letzte irdische Ruhestätte gefunden: eine Fürstin und zwei kleine Mädchen - Angehörige des römischen Adelsgeschlechts der Barberini, das bis in die jüngste Zeit das Patronat über die Kirche und den Konvent der Kapuziner innehatte. Nachdem das Fleisch ihrer Leichname verwest war, wurden die Skelette zum Schmuck der Krypta genutzt - nicht aus einer makaberen Laune heraus, sondern mit einer ganz bestimmten Absicht.

Ein berühmter Auslandsrömer, Constantin Maes, erkannte die Botschaft. Zunächst erschien ihm die Gruft der Kapuzinermönche dunkel und schauerlich. „Heiliger Schrecken“ erfüllte ihn, als er in sie mit einer Fackel hinunterstieg; die „Ausstattung“ der Krypta ängstigte, verwirrte ihn und nahm ihm fast den Atem. Dann aber wurde ihm bewusst, dass sie auf diese Weise „mit dem Tode gleichsam scherzt, es ihr so gefällt, auf die große, unleugbare Wahrheit der Auferstehung hinzudeuten“.

Und ein römischer Schriftsteller empfand in den Gewölben unter der Kirche der Muttergottes ein Gefühl beruhigender Hoffnung: „Hier macht der Tod keine Angst. In diesem Schauspiel des Todes spüren wir den Glauben an ein anderes Leben. Wir erkennen an diesem Ort das Morgen unter der Maske unseres vergänglichen Fleisches.“

Es handelt sich bei diesem Text um ein Kapitel aus dem Buch von Ulrich Nersinger Dem Glauben auf der Spur, Verlag Petra Kehl, 2015, 126 Seiten.


Ulrich Nersinger: Wider alle Regeln. Das Konklave auf dem Konzil von Konstanz

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