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ThemenHäresie |
Der 20. September 1870 Der Untergang des Kirchenstaates Von Ulrich Nersinger Napoleon Bonaparte hatte durch seine Eroberungspolitik das historische Gefüge des europäischen Kontinents erheblich gestört. Nach dem Sturz des Korsen stellte der Wiener Kongress im Jahre 1815 die alte Ordnung größtenteils wieder her auch die Päpstlichen Staaten erschienen erneut auf der Landkarte Europas, mit Ausnahme der in Frankreich gelegenen Territorien (Avignon und die Grafschaft Venaissin). Das weltliche Herrschaftsgebiet des Papstes umfasste das Patrimonium Petri (Rom, seine Umgebung, die Provinzen Velletri, Frosinone, Civitavecchia und Viterbo) sowie die Legationen (Staaten) der Marken, der Romagna und Umbriens und die Enklaven Benevent und Pontecorvo im Neapolitanischen. Aber schon bald wurde in Italien durch liberale und aufklärerisch orientierte Kräfte ein Nationalbewusstsein geweckt, das sich in dem Streben nach staatlicher Einheit äußerte. Der Kirchenstaat blieb von dieser Entwicklung nicht verschont; gegen die weltliche Herrschaft der Päpste wurde nun mit großen Anstrengungen zum Kampf aufgerufen. 1859 verlor der Papst durch revolutionäre Umtriebe die Romagna an den künftigen italienischen König, Viktor Emanuel II. Als sich im folgenden Jahr auch für die Marken und Umbrien die Gefahr einer Besatzung zeigte, ernannte Pius IX. (1846-1878) im Frühjahr 1860 den belgischen Monsignore François Xavier de Merode (1812-1878) zu seinem Pro-Ministro delle Armi (Waffen-/Kriegsminister). De Merode, ein ehemaliger Offizier, der erst spät zum Geistlichen Stand gefunden hatte, gehörte als Wirklicher Geheimkämmerer zur engsten Umgebung des Papstes. Er konnte den Papst davon überzeugen, durch die Anwerbung von katholischen Freiwilligen aus aller Welt eine schlagkräftige Armee aufzubauen. Der neue päpstliche Waffenminister erwirkte die Berufung des französischen Generals Louis-Christophe-Léon Juchault de Lamoricière (1806-1865) zum militärischen Befehlshaber des zu schaffenden Heeres. Eine der neu aufgestellten Einheiten war die Compagnie des Tirailleurs Franco-Belges (Kompanie der französisch-belgischen Scharfschützen). Doch ihre Ausbildung hatte, wie die der anderen neuen Heeresteile, kaum begonnen, als italienische Verbände am 11. September 1860 in die Päpstlichen Staaten einfielen. Sie rieben mit ihrer erdrückenden Übermacht die Päpstlichen bei Castelfidardo auf und eroberten die Seefestung Ancona, wohin sich die Armee des Heiligen Vaters zurückgezogen hatte. Umbrien und die Marken waren für den Papst verloren das Territorium des Pontifex Maximus war auf ein Fünftel seiner ursprünglichen Größe geschrumpft, auf das Patrimonium Petri. Eine unzureichende Bewaffnung und Ausbildung sowie eine allzu oberflächliche Rekrutierung hatten zu diesem Desaster geführt. Schmachvoll war die ungewöhnlich hohe Zahl von Desertionen. Dennoch hatten einige Regimenter Beispiele echten Heldentums gezeigt, allen voran die Tirailleurs Franco-Belges. Als der Kommandant der Tirailleurs für seine Truppe eine neue, bequemere Uniform suchte, besann er sich auf den Berberstamm der Zaouaoua (Zwawa), der in Algerien unter General de Lamoricière für Frankreich gefochten hatte. Gemeinsam mit dem Schneider der Kompanie, Hippolyte de Moncuit, entwarf er eine Uniform, die sich an der Tracht des Kabylenvolkes orientierte. Und so gehörte schon bald die exotisch anmutende Uniform des Korps zum gewohnten Bild auf den Straßen der Ewigen Stadt. Schon nach kurzer Zeit wurde von den Tirailleurs immer häufiger als „Zuaven“ gesprochen. Am 1. Januar 1861 erhielt das Korps dann auch offiziell die Bezeichnung „Battaglione degli Zuavi Pontifici“; 1869 wurde es zum Regiment erhoben. Besonders aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden fanden Katholiken den Weg zu den Zuaven. Sie kamen aus allen sozialen Schichten: Königliche Prinzen aus dem Hause Bourbon-Anjou dienten in dem Regiment ebenso wie Ärzte und Juristen aus Frankreich oder Handwerker und Bauern aus den Niederlanden - als einfache Soldaten, ohne irgendwelche besonderen Standesprivilegien. Um die päpstliche Kasse nicht zu belasten, waren überall in Europa und in Übersee von engagierten Katholiken Komitees gegründet worden, die für den Sold der Zuaven aufkamen. In den Jahrzehnten zuvor hatte sich Frankreich, „die älteste Tochter der Kirche“, mehrfach als Schutzmacht der Kirche bewährt, wenn auch der Kaiser, ein ehemaliger Carbonaro (Freimaurer), oft ein doppeltes Spiel trieb. So am 15. September 1864, als Napoleon III. ohne Wissen des Papstes mit Viktor Emanuel II. die berüchtigte „Septemberkonvention“ eingegangen war. Der Kaiser hatte sich darin bereit erklärt, innerhalb von zwei Jahren die französischen Truppen aus dem Kirchenstaat abzuziehen; der italienische König ging im Gegenzug die Verpflichtung ein, die bestehenden Grenzen des päpstlichen Herrschaftsgebietes zu respektieren. Bis zum Dezember 1866 sollten die Soldaten den Kirchenstaat verlassen haben; um die Gemüter aufgebrachter französischer Katholiken zu beruhigen, gestattete Napoleon III. jedoch die Aufstellung eines Freiwilligenkontingents, der so genannten „Antibes-Legion“. 1865 ernannte der Papst an Stelle von Monsignore de Merode einen der fähigsten Offiziere des päpstlichen Heeres, den aus dem Badischen stammenden Brigadegeneral Hermann Kanzler (1822-1888), zu seinem Waffenminister. Kanzler zeichnete sich durch Tapferkeit und strategische Klugheit aus. Für taktische Operationen besaß er die nötige Sachlichkeit. Der neue Waffenminister reorganisierte in kürzester Zeit das päpstliche Heer und schuf eine kleine, aber schlagkräftige Armee. „Das päpstliche Heer ist äußerst diszipliniert und engagiert“ berichtete der amerikanische Konsul, Edwin C. Cushman, an das State Department in Washington. Im September des Jahres 1867 drangen Nachrichten nach Rom, dass sich die Banden Garibaldis anschickten, in den Kirchenstaat einzufallen. Der italienische Guerilla-Kämpfer und Freimaurer Giuseppe Garibaldi (1807-1882) hatte die Parole ausgegeben: „O Roma o morte - Rom oder den Tod!“ Am 29. September traf in der Ewigen Stadt die Meldung ein, dass die Invasion der Freischaren begonnen habe. Zunächst gelang es Gendarmen und Zuaven die schlecht organisierten Banden über die Grenze zurückzuschlagen. In zahlreichen kleineren Scharmützeln ging der Sieg mit Leichtigkeit an die Päpstlichen. Doch immer mehr Freischärler gelangten über die Grenze. Schon in den Kämpfen um Bagnorea, Farnese und Nerola mussten viele Zuaven ihr Leben lassen. Zu einem blutigen Treffen wurde das Gefecht um Montelibretti (11. Oktober). Doch „die Päpstlichen schlagen sich gut“, musste Ferdinand Gregorovius, der in Rom lebende protestantische Geschichtsschreiber und überzeugte Gegner einer „Pfaffenherrschaft“, bewundernd eingestehen. Auch die Ewige Stadt blieb von revolutionären Umtrieben nicht verschont. Der Hass der nach Rom eingeschleusten Verschwörer galt vor allem den Zuaven. In einem Aufruf des „Nationalkomitees“ vom 8. Oktober hieß es voller Pathos: „Das Blut der Brüder, welches der päpstliche Zuave eben in den Provinzen vergießt, sei der Funke, unsere Geister zu entflammen.“ Am Abend des 22. Oktober kam es zu einem Blutbad in der Ewigen Stadt. Es war „Patrioten“ gelungen, an einer in unmittelbarer Nähe zu St. Peter gelegenen Zuavenkaserne Sprengladungen anzubringen. Das Gebäude wurde durch die Wucht der Explosionen beinahe völlig zerstört. Einem Wunder gleich blieben die dort für gewöhnlich untergebrachten Kompanien von dem Attentat verschont; die Zuaven hatten kurz zuvor ihr Quartier verlassen. 24 Regimentsmusiker, überwiegend Italiener, aber fanden den Tod, ebenso zahlreiche Zivilisten, unter ihnen auch einige im Nachbarhaus lebende Waisenkinder. An der Niederschlagung des von außen in die Stadt hineingetragenen „Volksaufstandes“ waren die Zuaven maßgeblich beteiligt. Die Verteilung von Pamphleten, die zur Ermordung kirchlicher Würdenträger und päpstlicher Soldaten aufriefen, wurde unterbunden, Waffenlager beträchtlichen Ausmaßes ausgehoben und Attentäter an der Herstellung von „Orsini“-Bomben (den Vorläufern unserer heutigen Handgranaten) gehindert. Inzwischen brachen immer mehr Freischärlerbanden in das Herrschaftsgebiet des Papstes ein; die Truppen des italienischen Königs beachteten formell zwar die Septemberkonvention, ließen aber die Anhänger Garibaldis ungehindert die Grenzen zum Kirchenstaat passieren. Und so befanden sich in kurzer Zeit mehr als 15.000 „Freiheitskämpfer“ auf päpstlichem Territorium. In Frankreich konnte sich Napoleon III. nun nicht mehr dem Druck seiner katholischen Untertanen entziehen, er befahl zur Unterstützung des Papstes die Entsendung eines Expeditionskorps nach Civitavecchia. Am 28. Oktober trafen die Generäle de Failly und Polhés mit 2200 französischen Soldaten in der päpstlichen Hafenstadt ein. Garibaldi hatte indessen Monterotondo und Mentana eingenommen. Monterotondo und Mentana waren zwei Ortschaften von enormer strategischer Bedeutung - von dort aus stand der Weg nach Rom offen. In den frühen Morgenstunden des 3. November verließ eine 3.000 Mann starke päpstliche Streitmacht unter dem Kommando von General Kanzler die Ewige Stadt und zog auf der Via Nomentana in Richtung Monterotondo, gefolgt von dem französischen Expeditionskorps. Es waren dann die Zuaven, die gegen 13.00 Uhr bei Mentana zur Attacke auf die zahlenmäßig überlegenen Garibaldiner ansetzten. Über mehrere Stunden hinweg tobte ein heftiges Gefecht. Als sich entgegen allem Erwarten ein Sieg für die Truppen des Papstes abzuzeichnen begann, entschied sich Garibaldi für den Rückzug. Einen Großteil seiner Kämpfer ließ der Nationalheld Italiens schmählich im Stich. Nachdem die Schlacht für die Päpstlichen gewonnen war und man auf dem Schlachtfeld die Toten und Verwundeten zu zählen begann, nahm es niemanden Wunder, dass sich unter den 30 Gefallenen der päpstlichen Armee 24 Zuaven befanden, von den 103 Verwundeten gehörten 57 dem Zuavenregiment an. Die Franzosen hatten zwei Tote zu beklagen, die Freischärler mehr als 700 Tote und Verletzte. Die Berichte über den unerwarteten Sieg der päpstlichen Truppen trugen dazu bei, dass sich immer mehr Katholiken für den Dienst in der Armee des Papstes meldeten. Viele von ihnen baten um Aufnahme bei den Zuaven. Aus Übersee kamen mehr als 300 Kanadier zur Auffrischung des Regiments nach Rom (in Quebec hatte der dortige Oberhirte eine landesweite, mit großer Begeisterung aufgenommene Unterstützungswelle initiiert). In Europa wie auch in Nordamerika wurde unter den Katholiken mit großem Engagement Geld für die Finanzierung des päpstlichen Heeres gesammelt; in Rom tat der dem Papst treu ergebene Adel, die aristocrazia nera, desgleichen (schon 1865 hatte Franz Liszt auf Soiréen der römischen Gesellschaft zu Gunsten der päpstlichen Zuaven gespielt). Als der deutsch-französische Krieg ausbrach, sah sich Napoleon III. gezwungen, auch über seine in Rom stationierten Soldaten zu verfügen. Die französischen Truppen wurden zwischen dem 5. und 19. August abgezogen - der Kirchenstaat war nun auf sich selbst gestellt. Am 20. August teilte General Kanzler dem Papst mit, dass sein Heer aus mehr als 13.000 Mann bestehe: 1688 Gendarmen, 669 Squadraglieri (Hilfstruppen der Gendarmen), 1675 Jägern, 1075 Linieninfanteristen, 2901 Zuaven, 1262 Carabinieri esteri (Freiwillige aus dem Ausland), 1410 Mann der Antibes-Legion, 533 Dragonern, 852 Artilleristen, einem 127-köpfigen Pionierkorps, 120 Angehörigen der Versorgungstruppe, 97 Mann der Disziplinarkompanie (den Feldjägern vergleichbar), 126 Sanitätern sowie einige hundert Mann starken Veteranen- und Reserveeinheiten römischer Freiwilliger. Die päpstliche Marine, die dem Ministerium der Finanzen unterstand, setzte sich aus der Korvette Immacolata Concezione und einigen bewaffneten Dampfschiffen zusammen; Aufgaben der sieben Offiziere und 150 Matrosen waren der Küstenschutz, die Bewachung der Einfahrt zum Hafen von Civitavecchia und die Schifffahrtskontrolle über den Tiber. Der Sieg der deutschen Heere bei Sedan (2. September 1870) führte zum Sturz des zweiten französischen Kaiserreiches. Das Königreich Italien nutzte nun die Gunst der Stunde. Viktor Emanuel II. erklärte die Septemberkonvention von 1864 für nichtig - mit der Begründung, dass der Vertragspartner des Abkommens nicht mehr existiere. Am 11. September ließ er seine Truppen in den Kirchenstaat einmarschieren. In einer Audienz und in einem Brief hatte der Papst dem zum Kampf entschlossenen Waffenminister und Befehlshaber seiner Truppen, General Hermann Kanzler, mitgeteilt, dass er aufgrund eines zu befürchtenden Blutbades davon absehen wolle, von seinen Soldaten zu verlangen, für die gerechte Sache des Heiligen Stuhles bis zum letzten Mann zu kämpfen. Jedoch solle der Kirchenstaat nicht ohne Gegenwehr aufgegeben werden; das unrechtmäßige und sakrilegische Handeln des italienischen Königs müsse vor der Welt sichtbar dokumentiert werden. Die päpstliche Order, nicht bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen, traf vor allem die Zuaven hart. Sie wären bereit gewesen, alles für die Sache der Kirche zu geben. Doch sie fügten sich in Gehorsam dem Wunsch des Papstes. Am Morgen des 20. September, gegen 3.20 Uhr, erreichten den päpstlichen Generalstab die ersten Mitteilungen von feindlichen Bewegungen bei der Porta Pia und der Porta Salaria. Die Kompanien der Zuaven standen an allen strategisch wichtigen Orten bereit. Italienische Truppen drangen zur Porta del Popolo vor und besetzten die Villa Borghese, wurden aber dort von den Zuaven in Schach gehalten. General Nino Bixio, ein von tiefem Hass gegen den Papst erfüllter Alt-Garibaldianer, eröffnete von der Villa Doria Pamphili aus mit 24 Geschützen das Feuer auf die Bastionen der Porta San Pancrazio. Die herausragende militärische Leistung des Generals bestand darin, Trastevere durch hunderte von Granaten zu verwüsten Wohnhäuser, Klöster und Hospitäler wurden entgegen jeglicher militärstrategischer Logik und Notwendigkeit zerstört. Die päpstlichen Truppen bei der Porta San Giovanni waren Zuaven-Oberstleutnant de Charette unterstellt. Die Zone bei der Porta Pia wurde von Oberst Allet, dem Kommandeur der Zuaven, persönlich befehligt; hier tobte der Kampf am heftigsten, hier waren auch die meisten Opfer auf beiden Seiten zu beklagen. Gegen 9.30 Uhr ließ der Papst den Befehl geben, das Feuer einzustellen und die weiße Fahne zu hissen. Am frühen Nachmittag begab sich der päpstliche Waffenminister in die Villa Torlonia. Die Kapitulationsurkunde sah die Auflösung aller militärischen Formationen des Heiligen Stuhles vor, nur die Leibgarden des Papstes - Nobelgarde, Palatingarde und Schweizergarde - sollten weiter ihren Dienst innerhalb der vatikanischen Mauern ausüben dürfen, ferner „gestattete“ Italien den Fortbestand einer Kompanie der Päpstlichen Gendarmerie. Die Regimenter des päpstlichen Heeres hatten sich nach der Kapitulation in die Leostadt zurückgezogen und auf dem Petersplatz ihr Quartier aufgeschlagen. Am folgenden Morgen, um 10.00 Uhr, wurde den kommandierenden Offizieren der Tagesbefehl des Waffenministers mitgeteilt, das addio (Verabschiedung) an die Truppen und die Modalitäten des defilè (Abzug unter Ablegung der Waffen). In die Dramatik der letzten Tage des alten Kirchenstaates schildert Anton de Waal in seiner Erzählung „Der 20. September“. Der Autor, 1837 im niederrheinischen Emmerich als Sohn eines Kaufmanns geboren, erwarb am humanistischen Gymnasium seiner Heimatstadt das Abitur und studierte katholische Theologie in Münster (Westfalen). Dort empfing er 1862 die Priesterweihe und wirkte als Lehrer am Collegium Augustinianum in Gaesdonck. Im Juli 1868 wurde Anton de Waal Kaplan an der deutschen Nationalkirche Santa Maria dell’Anima in Rom und promovierte im Februar 1869 zum Doktor der Theologie. Im Sommer und Herbst 1870, bei der Belagerung und Eroberung Roms durch italienisches Militär, war de Waal freiwilliger Feldkaplan der päpstlichen Truppen; im besonderen betreute er die vielen deutschsprachigen Soldaten in der Armee des Heiligen Vaters. Ab 1872 wirkte er als Vizerektor und ab 1873 als Rektor des Campo Santo Teutonico. 1876 gab de Waal der um 1450 gegründeten Erzbruderschaft zur schmerzhaften Muttergottes eine Satzung und ließ die Kirche der Bruderschaft und den zugehörigen Deutschen Friedhof renovieren. Das Bruderschaftshaus gestaltete er in ein bis heute bestehendes deutsches Priesterkolleg um. Der selige Pius IX. ehrte den Geistlichen im Jahre 1875 durch die Berufung zum Geheimkämmerer; 1896 ernannte ihn Leo XIII. (1878-1903) zum Päpstlichen Hausprälaten und im Heiligen Jahr 1900 zum Apostolischen Protonotar. Im November 1904 erhielt er die Beauftragung zum Kommissar der Seelsorge aller Deutschen in Italien. Über seine wissenschaftliche und seelsorgerische Arbeit hinaus verfasste er deutschsprachige Biografien der Päpste seiner Zeit (Leo XIII., Pius X. und Benedikt XV.) sowie historische Erzählungen und Laientheater- Stücke. Anton de Waal starb 1917 in der Ewigen Stadt und wurde auf dem Campo Santo Teutonico beigesetzt. Die Geschehnisse im letzten Jahrzehnt des alten Kirchenstaates wurden der katholischen Leserschaft der damaligen Zeit nicht nur durch Zeitungsberichte und fachliche Abhandlungen nahegebracht, sondern auch durch eine Reihe von Romanen und Erzählungen. Die Autoren zeichneten sich so gut wie alle dadurch aus, dass sie Augenzeugen der Ereignisse waren, manchmal sogar mitten im Geschehen standen. Der Roman aus der Feder des Anton de Waal wurde neu aufgelegt, mit Einleitung und historischen Erläuterungen durch Ulrich Nersinger. Anton de Waal war Kaplan im päpstlichen Heer und verfügte zudem durch sein priesterliches und wissenschaftliches Wirken über Kontakte zu allen gesellschaftlichen Schichten in der Ewigen Stadt; um es modern auszudrücken: Er war bestens vernetzt. De Waal kann nicht als ein neutraler Beobachter angesehen werden. Er war eindeutig Partei, was für einen guten Katholiken und treuen Anhänger des Papstes auch als selbstverständlich galt. Doch wie kaum ein anderer ist er in seiner Erzählung darum bemüht, den personae dramatis des Monats September 1870 Gerechtigkeit angedeihen zu lassen. Er beschreibt das Geschehen in seiner ganzen Tragik und gibt literarisch Zeugnis von der gequälten Seele eines Teiles der römischen Bevölkerung, durch deren Familien ein Riss ging in der Entscheidung, zu ihrem angestammten geistlich-weltlichen Souverän zu stehen oder den italienischen Einheitsstaat zu erhoffen und herbeizuführen. Er zeigt das unwürdige Spiel der europäischen Mächte um die Existenz des Kirchenstaates, lässt aber auch diplomatische Erwägungen in den Gesprächen seiner Protagonisten zu Wort kommen. Er würdigt das selbstlose Engagement vieler mutiger Katholiken aus aller Welt, für den Heiligen Vater ihr Leben aufs Spiel zu setzen. De Waal informiert schonungslos über die Verbrechen des Mobs, der die italienische Invasionsarmee „begleitete“, und gibt Auskunft über das Agieren der Geheimen Gesellschaften im Kampf um den Kirchenstaat; er verschweigt aber nicht, dass es unter den königlichen Soldaten Männer gab, die glaubten, ihrem Gewissen zu folgen. Die letzten Tage der Ewigen Stadt unter der weltlichen Herrschaft des Heiligen Vaters versteht der Autor in ein anschauliches Szenario hineinzubringen. Anton de Waals Werk ist mehr als eine fesselnde historische Erzählung aus dem 19. Jahrhundert, es ist ein wichtiges Zeitdokument, eine anschauliche Beschreibung eines militärischen Vorgehens, ein Zeugnis religiösen Empfindens und Handelns - und nicht zuletzt ein berührender Liebesroman. Es handelt sich bei diesem Text um das Vorwort zum Buch Der 20. September von Anton de Waal; broschiert, 157 Seiten, 19,90 € ISBN 9783930883868 |
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