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Tödliche Normenverschiebung

Von P. Engelbert Recktenwald

Es ist immer wieder interessant, den Argumenten auf den Zahn zu fühlen, die gegen einen konsequenten Lebensschutz angeführt werden. Im Deutschlandfunk hat nun Thorsten Jantschek dargelegt, warum er das deutsche Embryonenschutzgesetz und den damit verbundenen “lupenreinen Lebensschutz” für zu streng hält. Er meint zwar, die “Ethik der Heiligkeit des Lebens”, die menschliches Leben aufgrund seines Personstatus als unbedingt schützenswert ansieht, sei gut begründet, nennt die Begründung aber nicht und setzt sich deshalb mit ihr auch nicht auseinander. Klopfen wir seinen Text auf die Argumente ab, die er gegen den Lebensschutz ins Feld führt, kommt im Wesentlichen nichts anderes heraus als die Behauptung, dass sich in der Gesellschaft eben ein “Wertewandel”, “eine Normenverschiebung”, “ein Mentalitätswandel” vollzogen habe. Die “moralischen Überzeugungen” haben sich geändert. So einfach ist das. Gründe für die neuen Überzeugungen werden nicht genannt. Sie sind selber ihre eigenen Gründe.

Die Ethik der Heiligkeit des Lebens ist Jantschek zufolge abgelöst worden vom moralischen Leitbild des guten und gelingenden Lebens. Doch dieser Wandel ist ein alter Hut. Schon vor vierzig Jahren wurde mit diesem Argument das Abtreibungsverbot gelockert bis hin zu seiner praktischen Abschaffung: Das gute und gelingende Leben der Mutter wurde gegen das Lebensrecht des Kindes ausgespielt. Jetzt sind es die zum Reproduktionstourismus gezwungenen Frauen und deren “moralisches Recht auf Fortpflanzung”, die Jantschek gegen das Embryonenschutzgesetz ins Feld schickt.

Es handelt sich nicht um einen neu aufkommenden Mentalitätswandel, sondern um den alten Konflikt zwischen Lebensrecht des Kindes und Selbstbestimmungsrecht der Eltern. Dass der von Jantschek diagnostizierte “Erosionsprozess” des Lebensschutzes immer weiter voranschreitet, ist dabei aber kein Argument für die Richtigkeit dieses Prozesses. Mit demselben Argumentationsmuster könnten künftige Jantscheks alle möglichen gesellschaftlichen Normenverschiebungen rechtfertigen, etwa Kriegsmentalität, Ausländerfeindlichkeit oder die Scharia. Die entscheidende Frage, die Jantschek zu stellen versäumt, ist die, ob es sich um einen gesellschaftlichen Wandel handelt, der zu unterstützen oder dem zu widerstehen ist, ob also Opportunismus oder Opposition angemessen ist.

Immerhin geht es hier um Leben oder Tod. Der Sachfrage, ob der Embryo ab der Befruchtung ein Mensch mit Personenstatus ist, ob er also ein Lebensrecht hat oder nicht, weicht Jantschek aus. Sie kann nicht mit Verweis auf die vorherrschende Mentalität in der Gesellschaft beantwortet werden, sondern umgekehrt entscheidet sie darüber, welche Mentalität in der Gesellschaft denn eigentlich herrschen sollte. In der Logik Jantscheks wird die Rede von Rechten zu einer bloßen façon de parler, da das Lebensrecht von der Gesellschaft je nach Mentalitätslage verliehen oder aberkannt wird. Auf die fatalen Folgen für die Gesellschaft hat der von Jantschek zitierte Spaemann schon 1988 aufmerksam gemacht: “Jeder von uns tritt kraft eigenen Rechts in die Gesellschaft ein. Sobald er da ist, ist er Mitglied, geborenes Mitglied, nicht kooptiertes Mitglied. Die Verwandlung der Gesellschaft in eine Vereinigung, deren Mitglieder kooptiert werden, wäre das Ende einer freien Gesellschaft” (Verantwortung für die Ungeborenen, wieder veröffentlicht in Grenzen. Zur ethischen Dimension des Handelns, Klett-Cotta 2001, S. 367-382).

Verräterisch ist eine Aussage Jantscheks gegen Ende seiner Ausführungen: “Eine ethisch aufgeklärte Gesellschaft ist in der Lage zu wissen, dass eine befruchtete menschliche Eizelle weder Etwas ist, mit dem man beliebig verfahren kann, noch dass sie Jemand ist, den es unbedingt zu schützen gilt.” Abgesehen davon, dass seine Ausführungen wiederum nicht über den reinen Behauptungsstatus hinauskommen und aus dem Erosionsprozess nun plötzlich ein Aufklärungsprozess geworden ist, geht aus ihnen hervor, dass Jantschek Aufklärung über die Frage, was die befruchtete Eizelle ist, von der Ethik erwartet, also nicht etwa von der Biologie oder der Anthropologie. Die Umgehung der Sachfrage hat System. Und auf ethischer Ebene hat Jantschek wie beschrieben nur die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse zur Problemlösung anzubieten. Die vorherrschende Mentalität beeinflusst jetzt plötzlich nicht nur Überzeugungen, sondern erzeugt sogar “Wissen”. Analoges gab es schon in der Geschichte der Sklaverei oder der Indianerunterdrückung.

Ist dieses Glanzstück tiefschürfender Argumentation ein Symptom für den Qualitätszustand des heutigen Journalismus? Schlimmer: der Philosophie! Jantschek ist Philosoph in Bremen.


Missionaries of evil

Recent observations by Cardinal Luis Antonio Tagle suggest that the charge that Christian missionaries are agents of colonialism has not yet been laid to rest (see Cardinal Tagle defends missionaries). In reality, this is an accusation typically made by those who are themselves “colonializing” by trying to turn the third-world poor into agents of, or supports for, Western secularism.
Thomas Mirus recently called my attention to a case in point: African Archbishops: ‘They Are Sending Us Missionaries of Evil’. We have seen this again and again with the rising tide of secularization in the West over the past seventy-five years. It is always the Christian missionaries who are accused of shackling poorer populations to a self-serving “colonialism”, whereas the so-called enlightened advocates of human liberty are actually seeking to enslave them to vice—to protect them not from the sovereignty of a particular State but from the sovereignty of God.
“It is just like the missionaries who went all over to evangelize,” said Archbishop Renatus Leonard Nkwande of Mwanza, Tanzania, except that the West is now “sending us missionaries of evil.”

Aus: Jeff Mirus, Are missionaries agents of colonialism?, auf Catholic Culture vom 30. August 2024.


Prof. Dr. Axel W. Bauer:
Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen

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