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Der Kampf um das Verbrauchen von Embryonen

Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen
Worin besteht das ethische Dilemma?

Von Prof. Dr. Axel W. Bauer

Mit dem Thema Stammzellen verbinden Forscher wie Laien derzeit große Hoffnungen im Kampf gegen Krankheiten wie Krebs, Alzheimer oder Parkinson. Denn aus diesen noch nicht endgültig auf bestimmte Funktionen spezialisierten Zellen lassen sich durch gezielte gentechnische Eingriffe gesunde Gewebe und Organe züchten. Stammzellen entwickeln sich vor allem in der frühen Embryonalphase, aber auch in den Organen bereits geborener Menschen sind sie zu finden. Stammzellen sind noch nicht zu einem der mehr als 200 verschiedenen Zelltypen des Organismus ausdifferenziert. Man nennt sie daher pluripotent, also "vielbefähigt". Vor allem werden adulte und embryonale Stammzellen unterschieden.

Die sogenannten adulten Stammzellen finden sich im Körper bereits geborener Menschen. Jeder von uns trägt solche adulten Stammzellen in sich. Bislang wurden sie in rund 20 Organen des Körpers sowie beispielsweise im Nabelschnurblut entdeckt. Adulte Stammzellen, die aus dem Knochenmark gewonnen werden, setzt man heute schon klinisch bei der Bekämpfung von Blutkrebs und anderen Krankheiten ein. Man kann auch Hautzellen aus ihnen heranziehen, die als Gewebe-Ersatz zur Deckung von großen Verbennungswunden dienen. Unklar ist, ob die adulten Stammzellen ebenso flexibel und vermehrungsfähig sind wie die embryonalen Stammzellen, oder ob der Differenzierungsprozess in ihnen so weit fortgeschritten ist, dass sie sich zwar noch in einige, aber nicht mehr in alle Zelltypen umwandeln lassen. Sie wären dann nicht mehr pluripotent, sondern nur noch multipotent. Multipotente Stammzellen verfügen zumindest über die Fähigkeit, durch asymmetrische Teilung mehr als einen bestimmten Zelltyp hervorbringen zu können. Letztlich sind jedoch viele Aspekte der Grundlagenforschung ungeklärt. Dies gilt insbesondere für mögliche Zwischenstufen, die Funktionszusammenhänge und für die Frage, ob Zellen so reprogrammiert bzw. umprogrammiert werden können, dass sie ein potenteres Stadium erreichen bzw. einer anderen Differenzierungslinie entsprechen. Je weniger weit eine Zelle spezialisiert ist, also je "potenter" sie sich verhält, desto größer ist natürlich ihre Flexibilität, aber auch andererseits das Risiko, dass sie entarten und einen Tumor bilden kann. Die geringe Spezialisierung von Zellen ist also für den Biologen zwar ein faszinierender, für den Mediziner jedoch stets ein ambivalenter Zustand.

Embryonale Stammzellen können sich vermutlich in alle Zelltypen des Körpers verwandeln, sie sind also pluripotent. Das macht sie für die Forscher besonders interessant. Es gibt vor allem drei Möglichkeiten, embryonale Stammzellen zu gewinnen: Entweder werden sie aus den Vorläufern der Geschlechtszellen abgetriebener Embryonen isoliert und dann kultiviert. Die zweite Möglichkeit besteht darin, sie aus bei der künstlichen Befruchtung übrig gebliebenen oder aus eigens für Forschungszwecke produzierten Embryonen zu gewinnen. Die Embryonen werden dabei vernichtet. Zum Zeitpunkt der Stammzellengewinnung sind sie etwa vier Tage alt und bestehen aus etwa 100 bis 200 Zellen. Ein dritter Weg wäre die Herstellung von Forschungsembryonen durch Klonierung nach der Dolly-Methode. Dabei wird einer entkernten Eizelle das Erbgut einer erwachsenen Körperzelle z.B. aus der Haut eingefügt und anschließend das Wachstum stimuliert. Es entsteht dann im günstigen Falle ein Embryo, dem wiederum Stammzellen entnommen werden können. Diese embryonalen Stammzellen wären genetisch identisch mit dem Erbmaterial aus der ursprünglichen Körperzelle des Spenders.

Den embryonalen Stammzellen wird derzeit wie schon erwähnt für die medizinische Gewebezüchtung ein sehr großes Potenzial zugeschrieben. Mit ihnen könnten in Zukunft - vielleicht - Patienten mit Herzmuskelschäden, Diabetes mellitus, der Parkinsonschen Krankheit, der Multiplen Sklerose und vielen weiteren Leiden effektiver behandelt werden. Diese Aussichten propagieren jedenfalls die Forscher. Ein realistisches Nahziel ist dies alles jedoch gegenwärtig nicht. So ist es etwa dem Bonner Stammzellforscher Oliver Brüstle und seinen Kollegen in einem neuroanatomischen Experiment gelungen, aus embryonalen Stammzellen erzeugte Vorläuferzellen in die Gehirne von Ratten-Embryonen zu transplantieren, die unter der sogenannten Pelizäus-Merzbacher-Krankheit leiden [1]. Diese über das X-Chromosom vererbbare, extrem seltene Nervenkrankheit, die beim Menschen bisher überhaupt nur rund 150 mal beschrieben wurde, führt zu einer verlangsamten körperlichen und seelischen Entwicklung mit einer Reihe von neurologischen Symptomen; sie endet im 2. - 3. Lebensjahrzehnt tödlich.

Die Frage, wie sich embryonale Stammzellen im Gehirn erwachsener Tiere, die unter einer häufigen menschlichen Erkrankung wie der Multiplen Sklerose oder dem Morbus Parkinson litten, neurophysiologisch verhalten würden, ist derzeit ganz unzureichend beantwortet. Ob also das neu gebildete Nervengewebe tatsächlich auch richtig funktionieren würde, ist bisher im Tierversuch nicht bestätigt worden. Das im Dezember 2001 von Zhang, Wernig, Duncan, Brüstle und Thomson publizierte neuroanatomische Experiment, wonach sich aus menschlichen embryonalen Stammzellen abgeleitete neuronale Vorläuferzellen, die man in das Gehirn einer neugeborenen Maus transplantiert hatte, in verschiedenen Regionen des jungen Mäusegehirns sowohl Nervenzellen als auch Astrozyten (Stützzellen) entwickelten, liefert erneut keine Antwort auf diese entscheidende Frage [2]. Dennoch drängt es auch deutsche Forscher, jetzt unmittelbar an importierten menschlichen embryonalen Stammzellen in Laboratorien deutscher Universitäten zu forschen. Der Bonner Neuropathologe Oliver Brüstle gab in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 13. Juni 2001 immerhin zu: "An erster Stelle müssen für uns als Ärzte die Patienten stehen. Daher halte ich es für ein Unding, mit den Hoffnungen der Patienten zu argumentieren, die jetzt an diesen Erkrankungen leiden, um das Projekt politisch durchzusetzen. Die Zeitschiene ist eine lange. Es wird meiner Meinung nach mindestens fünf bis zehn Jahre dauern, bis man überhaupt abschätzen kann, in welchen Bereichen die Stammzellforschung klinisch zum Einsatz kommen kann. [...] Daher ist es unseriös und utopisch, für die nächsten zwei, drei Jahre Stammzelltherapien für so komplexe Erkrankungen wie Parkinson oder Multiple Sklerose anzukündigen. Utopisch ist auch die Vorstellung, aus embryonalen Stammzellen ganze Organe zu züchten" [3].

Professor Spiros Simitis, der Vorsitzende des "Nationalen Ethikrates" des Bundeskanzlers [bis 2005], hat zu Beginn dieses Jahres [2002] die Warnung ausgesprochen, Forschung dürfe sich nicht nach irgendwelchen Moden richten. Embryonale Stammzellen seien aber gerade schwer in Mode. Auf die Kritiker der Stammzellforschung werde erheblicher Zeitdruck ausgeübt, weil die Forscher in einem nie da gewesenen Ausmaß darauf bedacht seien, Patente zu bekommen. Forschung jedoch, die sich am maximalen Gewinn orientiere, sei denaturierte Forschung. Zu der von Bundeskanzler Gerhard Schröder in die Debatte gebrachten "Ethik des Heilens" sagte Simitis: "Ich hüte mich generell vor geflügelten Worten. Ich sage nur: Wer auf therapeutische Erfolge setzt, enttäuscht Hoffnungen, und wer nur auf Patente erpicht ist, pervertiert die Forschung. Schließlich muss er nach außen hin ständig den Eindruck erwecken, wir stünden unmittelbar vor der großen Entdeckung, die wirtschaftlich große Erfolge verspricht, obgleich er wissen muss, dass das nicht der Fall ist" [4].

Tatsächlich besteht eines der kaum diskutierten ethischen Probleme im Zusammenhang mit der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen darin, dass sich keiner ihrer Protagonisten Gedanken darüber macht, wer eigentlich in moralischer Hinsicht dafür haften wird, wenn sich die derzeit bei Patientinnen und Patienten erweckten Hoffnungen auf Heilung nicht erfüllen. In der Geschichte der Medizin gibt es wesentlich mehr Beispiele für gescheiterte Forschungsansätze und für voreilige Versprechungen als für substanzielle therapeutische "Wunder". Gerade im Zusammenhang mit Krebserkrankungen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten noch so gut wie jeder vermeintlich "revolutionäre" therapeutische Durchbruch im Nachhinein bei der klinischen Erprobung als ein Irrtum erwiesen. Denken wir nur an das vielleicht traurigste Beispiel: Vor hundert Jahren starben in Mitteleuropa etwa 4 Prozent der Menschen an Krebs. Heute jedoch sind es etwa 24 Prozent, und zwar mit weiterhin steigender Tendenz, aller Krebsforschung zum Trotz. Allein mit dem Verweis auf "Chancen" und "Hoffnungen" kann insbesondere eine ethisch bedenkliche Forschungsrichtung nicht gerechtfertigt werden, durch die zwei höchstrangige Rechtsgüter, nämlich das Recht auf Leben und die Würde des Menschen in Gefahr geraten. Bei der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen ist aber genau dies der Fall. Denn die embryonalen Stammzellen werden aus wenige Tage alten Embryonen gewonnen, die aus etwa 100 bis 200 Zellen bestehen. Nach der Entnahme der Stammzellen können die Embryonen nicht weiter leben, sie gehen zugrunde. Die Embryonen entwickeln sich und sie sterben also ausschließlich im Dienst der biologischen Forschung. Aus diesem Umstand entsteht das ethische und rechtliche Dilemma, das wir in einem größeren Kontext betrachten müssen.

In seinem 1993 ergangenen zweiten Urteil zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs hat sich das Bundesverfassungsgericht für den Schutz auch schon des ungeborenen menschlichen Lebens ausgesprochen. Im ersten Leitsatz dieses Urteils hieß es: "Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu. Die Rechtsordnung muss die rechtlichen Voraussetzungen seiner Entfaltung im Sinne eines eigenen Lebensrechts des Ungeborenen gewährleisten" [5]. Wohl bezog sich dieses Urteil nicht auf die befruchtete und sich teilende Eizelle, sondern erst auf den Embryo nach dem Zeitpunkt der Einnistung. Der für die Embryonenforschung maßgebliche Zeitraum der ersten 14 Lebenstage blieb also gerade ausgespart. Es ist aber eindeutig, dass mit der Feststellung des Gerichts, "jedenfalls" in der mit der Nidation beginnenden Zeit der Schwangerschaft handele es sich "bei dem Ungeborenen um individuelles [...] Leben, das im Prozeß des Wachsens und Sich-Entfaltens sich nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt" [6], nicht etwa die negative Aussage enthalten sollte, dass vor der Nidation der Schutz der Artikel 1 I und 2 II GG ausscheide. Ausdrücklich entschieden werden musste diese Frage damals nicht, und nur deshalb wurde sie auch nicht ausdrücklich entschieden. In der 1975 voraus gegangenen Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch hieß es: "Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Würde zu; es ist nicht entscheidend, ob der Träger sich dieser Würde bewußt ist und sie selbst zu wahren weiß. Die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten potentiellen Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde zu begründen" [7]. Natürlich ist damit keine Sicherheit darüber gegeben, wie das Bundesverfassungsgericht in der Zukunft tatsächlich über die Zulässigkeit der Embryonenforschung urteilen würde. Bliebe das Gericht aber in der Kontinuität seiner bisherigen Rechtsprechung, so würde es das, was es für den Status des Embryos während der Schwangerschaft zugestanden hat, dem noch nicht implantierten Embryo kaum verweigern können.

Bei der verbrauchenden Embryonenforschung zur Erzeugung embryonaler Stammzelllinien würde nun einmal menschliches Leben in einem sehr frühen Stadium beendet. Dieser "Embryonenverbrauch" geschähe zwar nicht aus Gründen der negativ-eugenischen Selektion von mit humangenetisch erkennbaren Krankheitsanlagen behafteten Embryonen, wie dies bei der Präimplantationsdiagnostik der Fall wäre, sondern er diente einem im Prinzip löblichen medizinischen Ziel, nämlich der Hoffnung auf bessere Therapiemöglichkeiten für schwere chronische Erkrankungen. Gerade deshalb aber wird das grundsätzliche ethische Problem des damit verbundenen Todes von menschlichen Embryonen häufig herunter gespielt bzw. fälschlich als ein angebliches Abwägungs-Dilemma zwischen Lebensrecht (Artikel 2 Absatz 2 GG) und Forschungsfreiheit (Artikel 5 Absatz 3 GG) oder gar zwischen dem Leben des Embryos und dem Leben Tausender schwer kranker Patienten rekonstruiert. Eine Abwägung zu Lasten des Lebens eines Embryos käme aber nur in Betracht, wenn tatsächlich das konkrete Leben eines Patienten durch das konkrete Leben eines Embryos gefährdet würde. Eine solche Situation ist jedoch prinzipiell unvorstellbar. Auch der Hinweis auf die Straflosigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs nach Beratung verfängt nicht: Zum Einen ist ein solcher Schwangerschaftsabbruch nach wie vor jedenfalls rechtswidrig, und zum Anderen läge bei der Gewinnung von embryonalen Stammzellen kein individueller Schwangerschaftskonflikt zwischen Mutter und Kind vor, erst recht dann nicht, wenn es sich um sogenannte "überzählige" Embryonen handelte, die ursprünglich im Rahmen einer künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation = IVF) erzeugt, schließlich aber nicht implantiert wurden.

Auch die Frage nach der etwaigen späteren Zulassung von womöglich im Ausland entwickelten Heilverfahren muss von der Frage des Imports embryonaler Stammzellen getrennt betrachtet werden. Derzeit ist eine solche rein hypothetische Frage fernab jeder Realität, ihre Beantwortung trägt daher zur Lösung des aktuellen Streits um den Import embryonaler Stammzellen nichts bei. Die möglicherweise in einer ungewissen Zukunft einmal notwendig werdende Zulassung bestimmter Heilverfahren kann argumentativ nicht dafür in Anspruch genommen werden, die dazu erforderliche Grundlagenforschung heute in Deutschland zuzulassen, sofern diese gegen höchstrangige verfassungsrechtliche Normen verstößt. Aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit ergibt sich jedenfalls keine Verpflichtung des Staates, Rahmenbedingungen zur Entwicklung einer bestimmten Therapie bereit zu stellen. Weder die Eignung der "überzähligen" Embryonen zu Forschungszwecken noch der erhoffte therapeutische Nutzen stehen mit der Lebensgefährdung kranker Menschen durch ihre Krankheit in einem ursächlichen Zusammenhang [8]. Aus der fehlenden Lebensperspektive "überzähliger" Embryonen folgt wegen der gleichwohl bestehenden unantastbaren Würde des Menschen keineswegs eine Erlaubnis zu deren forschungsbedingtem Verbrauch. Wenn Befürworter der Embryonenforschung so argumentieren, verwechseln sie die verfassungsrechtlich durchaus verschiedenen Themen Lebensrecht und Würdeschutz miteinander, indem sie beide scheinbar gleich setzen.

Die Politik wird deutlicher als bisher kritisch nachfragen müssen; sie darf sich nicht von äußerst vagen Heil(ung)sversprechungen den Blick auf die Wirklichkeit verstellen lassen. Das konkrete Leben eines menschlichen Embryos im Hier und Jetzt kann grundrechtlich nicht gegen die vollkommen abstrakten Heilungschancen künftiger Patienten "abgewogen" werden. Sofern der Embryo ethisch und rechtlich mehr gelten soll als ein gestaltloser "Zellhaufen", darf man ihn nicht wie ein synthetisches biochemisches Reaktionsprodukt zu Zwecken instrumentalisieren, die in Gänze außerhalb seiner selbst liegen. Spräche man dem Embryo deshalb Lebensrecht und Menschenwürde bis zu einem passenden Zeitpunkt ab, so hätte man zwar das moralische Problem per definitionem aus der Welt geschafft. Eine solche "Ethik des Wegdefinierens" hätte jedoch ihrerseits Konsequenzen für unser Menschenbild – zum Beispiel auf das Ende des Lebens bezogen - , die von den Befürwortern der Stammzellforschung leider konsequent ausgeklammert werden.

Untrennbar mit der Forschung an embryonalen Stammzellen verbunden, sobald diese in die Nähe klinischer Anwendungen führen würde, wäre ferner das sogenannte "therapeutische" Klonen, dessen Bezeichnung uns bereits in die Irre führt: Der Begriff therapeutisch, der grundsätzlich positiv besetzt und entsprechend moralisch aufgeladen ist, soll von vorn herein für eine hohe Akzeptanz des Verfahrens sorgen, die sicherlich nicht einträte, wenn man die Dinge nüchtern so beschriebe, wie sie tatsächlich sind und nicht so, wie man sie gerne hätte: In Wirklichkeit geht es um die Klonierung nach der Dolly-Methode, also um die Erzeugung von winzigen Embryonen aus der Körperzelle eines Patienten und der entkernten Eizelle einer Eizellspenderin, an denen sodann verbrauchende Forschung betrieben werden soll. Zur Frage des Klonens hat sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in ihren am 3. Mai 2001 herausgegebenen Empfehlungen zur Forschung mit menschlichen Stammzellen auf den ersten Blick zwar eindeutig ablehnend geäußert: "Die DFG ist der Ansicht, dass sowohl das reproduktive als auch das therapeutische Klonen über Kerntransplantation in entkernte menschliche Eizellen weder naturwissenschaftlich zu begründen noch ethisch zu verantworten sind und daher nicht stattfinden können" [9]. Unumstritten ist diese Festlegung jedoch selbst innerhalb der DFG nicht. So betont etwa der Heidelberger Humangenetiker Claus R. Bartram, dass das "therapeutische" Klonen erlaubt werden sollte [10]. Bartram schrieb in der FAZ: "Die Erzeugung von Embryonen für Forschungszwecke mit Ei- und Samenzellen erscheint mir nicht akzeptabel, der Weg des therapeutischen Klonens schon" [11].

Sollten embryonale Stammzellen tatsächlich eines Tages zu therapeutischen Anwendungen beim Menschen führen, so bliebe nämlich – jedenfalls für alle Regionen außerhalb des Gehirns - das gravierende Problem der immunologischen Abstoßung des fremden Zelltransplantats zu lösen. Diese Abstoßung könnte nur durch die Verwendung von Zellen umgangen werden, die vom Patienten selbst abstammen. Solche Zellen aber liefert gerade das "therapeutische" Klonen. Der Baden-Württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel hat am 11. Januar gewarnt, es bestehe die Gefahr, dass der Import embryonaler Stammzellen nur der Einstieg in einen Embryonenverbrauch von weit größerer Dimension sein werde. So gebe es Hochrechnungen, nach denen später rund eine Million Embryonen verbraucht werden müssten, um den therapeutischen Bedarf an Zellkulturen zu decken [12]. Wer sollten eigentlich künftig die Spenderinnen oder Lieferantinnen für jene unendlich vielen Eizellen sein, die man für das "therapeutische" Klonen benötigen würde [vgl. hierzu die Greenpeace-Reportage über den Eizellenhandel]? Bereits jetzt müsste insbesondere die Frage nach der Menschenwürde der Frauen viel intensiver diskutiert werden, als dies im Augenblick noch geschieht. Ministerpräsident Teufel plädiert deshalb dafür, sich auf die ethisch sichere Seite zu begeben und zunächst alle Forschungswege zu beschreiten, für die kein Verbrauch menschlicher Embryonen nötig ist. Das Land Baden-Württemberg hat darum ein Förderprogramm in Höhe von 7,5 Millionen Euro aufgelegt, das der Forschung an adulten Stammzellen sowie an embryonalen Stammzellen von Tieren zugute kommen soll.

Die Tötung menschlicher Embryonen für Forschungs- oder auch für Therapiezwecke kann im Rahmen unserer Verfassungsordnung kein legitimes Unterfangen sein. Zu Recht stellt das 1990 erlassene Embryonenschutzgesetz solche Handlungen unter Strafe. Das Bundesverfassungsgericht hat darüber hinaus festgestellt, dass Menschenwürde nicht nur die individuelle Würde einer Person ist, sondern zugleich die Würde des Menschen als Gattungswesen. Jeder besitzt sie, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Sie ist auch dem eigen, der aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht sinnhaft handeln kann [13]. Es kommt demnach zusätzlich auf die objektiv-rechtlichen Konsequenzen an, die sich aus dem obersten Gebot der Verfassung ergeben, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Es geht nicht allein um die Frage, ob dem Embryo, der zugunsten einer verbrauchenden Forschung geopfert werden soll, ein Abwehrrecht im Sinne eines Grundrechts zusteht, sondern darüber hinaus um die sehr viel weiter reichende Frage, ob es in einem Gemeinwesen, das die Achtung und den Schutz der Würde des Menschen zum obersten Leitprinzip allen Handelns gemacht hat, erlaubt sein kann, mit menschlichem Leben so wie mit einem beliebigen anderen Gut zu verfahren [14].

Die Grundlagenforschung kann derzeit mit Stammzellen anderer Herkunft (ES-Zellen von Primaten, menschliche Stammzellen aus Nabelschnurblut und menschliche adulte Stammzellen) in ausreichendem Maß verfolgt werden. In den vergangenen zwei Jahren haben mindestens 13 Arbeitsgruppen in anerkannten Zeitschriften über die erstaunlichen Entwicklungspotenziale adulter menschlicher Stammzellen berichtet: Neuronen konnten in Blutzellen, Blutzellen in Leberzellen, Hautzellen in Nervenzellen umgewandelt werden. Der Baden-Württembergische Staatsrat Professor Konrad Beyreuther, Direktor des Zentrums für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg, schrieb im November 2001 in der FAZ, es sei noch unklar, ob embryonale Stammzellen jemals eine klinische Relevanz gewinnen werden, während adulte Stammzellen teilweise schon in der Klinik eingesetzt würden [15].

Man kann darüber hinaus jedoch die Frage diskutieren, ob in bestimmten Ausnahmefällen wenigstens der Import solcher menschlicher embryonaler Stammzelllinien aus dem Ausland erlaubt werden sollte, die bereits heute existieren. Diese Zelllinien sind aus Embryonen gewonnen worden, deren Tod bereits irreversibel in der Vergangenheit erfolgte, der also nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. US-Präsident George W. Bush hat am 9. August 2001 eine entsprechende Entscheidung im Hinblick auf die staatliche Förderung der Stammzellforschung in den Vereinigten Staaten getroffen. Die Mehrheit des "Nationalen Ethikrates" des Bundeskanzlers hält in ihrem am 20. Dezember 2001 veröffentlichten Votum die bestehenden ca. 70 Stammzell-Linien allerdings für nicht auf Dauer ausreichend; sie sagt: "Eine Beschränkung der importierbaren Stammzellen auf Linien, die vor einem bestimmten Stichtag entstanden sind, halten die Befürworter des Imports nicht für sinnvoll. [...] Eine solche Eingrenzung wird zudem die Herstellung weiterer Stammzelllinien im Ausland wegen der dort bestehenden eigenen Forschungsinteressen, etwa an der Verbesserung von Kulturbedingungen unter Vermeidung von Substanzen anderer Spezies oder an der Vergleichbarkeit genetisch unterschiedlicher embryonaler Stammzellen, nicht beeinflussen. Forschern in Deutschland würde damit schließlich eine mögliche Nutzung von im Ausland erzielten Fortschritten verwehrt werden" [16].

So wenig uns diese Argumentation gefallen dürfte, so sehr muss man sie dennoch Ernst nehmen, denn die Befürworter der Stammzellenforschung werden diese argumentative Linie im Sinne einer "Salami-Taktik" in der Zukunft weiter vertiefen. Das bedeutet: Mit der - wenn auch nur sehr eingeschränkten - Erlaubnis des Imports embryonaler Stammzellen würde ein Bedarf geweckt, der später vielleicht nicht mehr einzudämmen wäre. Man kann nicht davon ausgehen, dass sich die Forscher auf Dauer mit dem Import solcher Stammzellen zufrieden geben würden, die vor einem bestimmten Stichtag erzeugt worden sind. Die nach unserem Embryonenschutzgesetz und unseren allgemeinen Wertvorstellungen unerlaubte Art und Weise der Gewinnung dieser Stammzellen wird andererseits auch nicht schon dadurch neutralisiert, dass die entsprechenden Handlungen bereits in der Vergangenheit unumkehrbar erfolgt sind. Hier können ethische und verfassungsrechtliche Bedenken nicht restlos ausgeräumt werden.

Sofern sich der Deutsche Bundestag dennoch auf eine solche Option verständigen sollte, [am 25. April 2002 hat der Bundestag das Stammzellgesetz mit der Stichtagsregelung verabschiedet: Es dürfen nur Stammzellen und Stammzelllinien importiert werden, die vor dem 1. Januar 2002 erzeugt wurden] müsste er jedenfalls unmissverständlich klar stellen, dass dies nicht etwa nur ein erster Schritt wäre, dem später bei Bedarf noch weitere folgen könnten, sondern dass es sich dabei um ein äußerstes Entgegenkommen des Gesetzgebers gegenüber den Interessen der Forscher handelte, durch das sowohl das Recht auf Freiheit der Forschung (Artikel 5 Absatz 3 GG) gewährleistet als auch die – in jedem Falle vorrangige - Würde des Menschen (Artikel 1 Absatz 1 GG) geschützt werden soll. Es bliebe gleichwohl eine Option hart am Ufer des Rubikon, die extrem sorgfältig gegen das zu erwartende Hochwasser abgesichert werden müsste [17].

Literatur

Bartram, Claus R.: Warum auf den Ethikrat warten? Die Embryonenforscher sollen tun dürfen, was gesetzlich erlaubt ist. Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 148 vom 29.6.2001, 46.

Bauer, Axel W.: Ethische und gesellschaftliche Aspekte: "Die Grenzen des Erlaubten". In: "Was kann, was darf der Mensch?" Symposium zu aktuellen Fragen der Bioethik am 16. Oktober 2001. Protokoll. Landtag Rheinland-Pfalz, 14. Wahlperiode. Mainz 2001, 40-43.

Beyreuther, Konrad und Ho, Anthony: Ohne Embryonenopfer. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.11.2001.

Blech, Jörg und Traufetter, Gerald: "Aldi-Kinder für die Armen" . Der Vorsitzende des Nationalen Ethikrats, Spiros Simitis, über die verfrühten Heilsversprechen der Stammzell- Forscher und das schädliche Profitstreben in der Wissenschaft. . DER SPIEGEL Nr. 2 vom 7.1.2002, 144-146.

Brüstle, Oliver und Wiestler, Otmar: Die Heilungsversprechen sind utopisch. Was drängt deutsche Forscher so sehr zur Eile? Warum reichen Tierversuche nicht aus? Warum menschliche Embryonen? Ein Gespräch mit Oliver Brüstle und Otmar Wiestler. Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 135 vom 16.6.2001, 58-59.

[DFG:] Die Zellen unserer Embryonen könnten Kranke heilen. "Es gibt echte Chancen auf Realisierbarkeit": Die umstrittenen Empfehlungen der DFG zur Forschung mit menschlichen Stammzellen im Wortlaut. Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 109 vom 11.5.2001, 53.

Learish, R. D., O. Brüstle, S. C. Zhang, I. D. Duncan: Intraventricular transplantation of oligodendrocyte progenitors into a fetal myelin mutant results in widespread formation of myelin. Annals of Neurology 46 (1999) 716-722.

Zhang, S. C., M. Wernig, I. D. Duncan, O. Brüstle, J. A. Thomson: In vitro differentiation of transplantable neural precursors from human embryonic stem cells. Nat. Biotechnol. 19 (2001) 1129-1133.

Anmerkungen:

1 Learish et al. 1999.
2 Zhang et al. 2001.
3 Brüstle/Wiestler 2001.
4 Blech/Traufetter 2002, 144 und 146.

5 Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Urteil vom 28.5.1993 - 2 BvF 2/90, 2 BvF 4/92, 2 BvF 5/92. Neue Juristische Wochenschrift 46 (1993) 1751-1779, hier 1751.

6 BVerfGE 39, 1 [41]; 88, 203 [252].
7 BVerfGE 39, 1 [41].
8 Vgl. das Minderheitsvotum des "Nationalen Ethikrates" Punkt 5.2.2 b.
9 Vgl. [DFG] 2001, Punkt 4.

10 So äußerte sich Prof. Dr. Claus Bartram im Rahmen des Interdisziplinären Diskussionsforums Baukasten Mensch? Chancen und Gefahren der (Stamm-)Zelltherapie im Hörsaal 10 der Neuen Universität in Heidelberg am 21.6.2001.

11 Bartram 2001, 46.

12 Vgl. Den Artikel "Teufel lehnt Stammzellimport ab" in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Nr. 10 vom 12.1.2002, 5.

13 BverfGE 87, 209 (228).

14 Hier folge ich der Darlegung von Prof. Ernst Benda in dem "Diskussionspapier zur Präimplantationsdiagnostik – PID" (Stand: Januar 2002, S.6), das die Arbeitsgruppe und der Wissenschaftliche Beirat Biound Gentechnologie der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erarbeitet haben. Der Autor ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats.

15 Beyreuther und Ho 2001.

16 Nationaler Ethikrat: Stellungnahme zum Import menschlicher embryonaler Stammzellen vom 20.12.2001, Optionen A und B.

17 Bauer 2001.

Die Ergänzungen in roter Farbe stammen von Engelbert Recktenwald.

Es handelt sich bei diesem Beitrag um einen Vortrag, den Prof. Bauer auf dem Workshop zur Bio- und Gentechnologie im Rahmen der Klausurtagung des Bundesvorstandes der Frauen-Union der CDU Deutschlands im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin am 25. Januar 2002 gehalten hat.
Im Nachhinein erweist sich der politische Teil der Ausführungen angesichts der neuesten Forderung der DFG, die Stichttagsregelung fallen zu lassen, als geradzu prophetisch. Ein Interview von Prof. Bauer zu dieser neuesten Entwicklung ist am 14. November 2006 in der Tagespost erschienen.

Axel W. Bauer ist Professor für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg.


Der Kampf um das Verbrauchen von Embryonen

Stand: 22. Dezember 2006

Zur Zeit tobt die Auseinandersetzung um die Lockerung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit dem Stammzellgesetz.

Heute hat sich in einem Interview mit der FAZ ausgerechnet die Vorsitzende des Nationalen Ethikrates Kristiane Weber-Hassemer (SPD) für eine Lockerung seiner derzeit bestehenden Fassung ausgesprochen, die nur die Einfuhr und Verwendung von embryonalen Stammzellen erlaubt, die vor dem 1. Januar 2002 hergestellt wurden. "Besonders schwerwiegend" empfindet sie, "daß die deutschen Forscher riskieren, daß sie sich strafbar machen, wenn sie mit ausländischen Forschern kooperieren, die nicht den Restriktionen des deutschen Stammzellgesetzes unterliegen. Es ist zwar meines Wissens bisher zu keinem Verfahren gekommen. Aber dieses Damoklesschwert hängt über ihnen."

Soll das heißen, daß in der Praxis schon jetzt das Gesetz nicht mehr beachtet wird? Damit man nicht in die Verlegenheit kommt, es anwenden bzw. seine Übertretung sanktionieren zu müssen, will man es abschaffen. Hier zeigt sich, daß das am 25. April 2002 verabschiedete Gesetz selber schon ein schwacher Kompromiß war, das den einmal eingerissenen Dammbruch auf die Dauer nicht wird aufhalten können. Um so befremdender muß wirken, daß sich am 10. November der Ratsvorsitzende der EKD Wolfgang Huber für eine weitere Aufweichung des Kompromisses durch eine Verschiebung des Stichtages vom 1. Januar 2002 auf den 31. Dezember 2005 ausgesprochen hatte. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) wie auch ihr Staatssekretär Thomas Rachel, gleichzeitg Vorsitzender des evangelischen Arbeitskreises in der CDU, fingen den Ball auf und dachten bereits laut über eine mögliche Änderung nach, während Bundeskanzlerin Angela Merkel die Wissenschaft sogar aufforderte, Alternativen zur Stichtagregelung vorzuschlagen. Die ALfA e.V. (Aktion Lebensrecht für alle) reagierte mit einer deutlichen Presseerklärung: "Es ist unerträglich, dass weder Bundeskanzlerin Angela Merkel noch der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, derzeit die Kraft aufbringen, den Zumutungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit Entschiedenheit entgegen zu treten", erklärt ihre Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski am 16. November. Daß deutsche Forscher ihre wirtschaftlichen Interessen gefährdet sehen, rechtfertige nicht den Abbau des in Deutschland geltenden Embryonenschutzes.

Die DFG hatte am 10. November unter ihrem inzwischen bereits verabschiedeten Vorsitzenden Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker, in München lehrender Biochemiker, die Aufhebung der Stichtagregelung gefordert und so den Streit angefacht. Sie beklagte, daß deutsche Forscher durch das gegenwärtige Gesetz von internationalen Forschungen weitgehend ausgeschlossen seien.

Dagegen fand der Bioexperte der SPD Wolfgang Wodarg in einem Interview mit der Tagespost vom 14. Dezember klare Worte: Man nehme aus wirtschaftlichen Interessen "in Kauf, Embryonen für die Forschung zu töten". Er sehe keinen Nachbesserungsbedarf des Gesetzes, da die Grundlagenforschung gesichert sei. "Das reicht aus. Therapieerfolge sind in weiter Ferne. Mit großen Versprechungen wird lediglich Unternehmenspolitik gemacht. In Wirklichkeit geht es um etwas anderes: Marktvorteile sichern und die ‘Produkte' im internationalen wissenschaftlichen Betrieb dann monopolisieren. Man sieht doch an Herr Brüstles Patent, das vom Europäischen Patentamt abgelehnt wurde, dass im Hintergund immer wirtschaftliche Interessen maßgeblich sind. Darüber spricht nur keiner. Dafür nimmt man aber in Kauf, Embryonen für die Forschung zu töten."

Auch Kardinal Lehmann wandte sich in einem Interview vom 11. Dezember gegen jede Auflockerung des Embryonenschutzes und erinnerte daran, daß schon die jetzt geltende Regelung bedenklich sei: "Ich habe jedoch, wie schon 2002, einen grundlegenden Einwand gegen eine Festlegung von Stichtagen, weil der Verbrauch von Embryonen dadurch legitimiert erscheint. Fest steht doch: Zur Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen werden Embryonen getötet; dies widerspricht der Menschenwürde und der Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens von Anfang an." Der Schutz des menschlichen Lebens gelte uneingeschränkt, deshalb könne es keine Ausnahmen geben. Gegen das Argument der Forschungsinteressen wendet er ein, daß "diese Art der Forschung mit der Tötung von menschlichen Embryonen verbunden und deshalb nicht akzeptabel ist."

Die Eindeutigkeit dieser Stellungnahme ist um so begrüßenswerter, als Zweifel aufgetreten sind, ob die Bischofskonferenz auch innerkirchlich eine eindeutige Linie durchsetzt, da die Beraterin der "Publizistischen Kommission der Bischofskonferenz", Eva-Maria Streier, sich skandalöserweise für das Gegenteil stark gemacht hatte.

Die linke taz wiederum kritisierte Dagmar Schipanski, seit dem 27. November Mitglied im Bundesvorstand der CDU. Sie hatte dafür plädiert, die das deutsche Stammzellgesetz zu überdenken, weil sie sich darüber Sorgen machte, "dass in Deutschland das Gebiet der Stammzellforschung nicht auf internationalem Niveau bearbeitet werden kann". Dazu meinte die taz am 15. Dezember lapidar: "Dabei übersieht sie jedoch, dass das deutsche Patentgesetz hier identisch ist mit den europäischen Regeln."

Tatsächlich fallen solche CDU-Politiker wie Schipanski damit jenen Europaabgeordneten in den Rücken, denen der Embryonenschutz ein Anliegen ist. 51 Europaabgeordnete aus CDU, CSU, SPD, Linkspartei und GRÜNE, also eine Mehrheit der 99 deutschen Abgeordneten, hatten sich Ende November in einem offenen Brief an die Mitglieder des deutschen Bundestags gegen eine Lockerung des Stammzellgesetzes gewandt. Das deutsche Embryonenschutzgesetz werde von vielen Ländern als Vorbild angesehen. Verbrauchende Embryonenforschung sei nicht nur in Deutschland, sondern auch in neun anderen europäischen Staaten illegal. Die Namen der Unterzeichner: Angelika Beer, Rolf Berend, Reimer Böge, Hiltrud Breyer, André Brie, Elmar Brok, Daniel Caspary, Albert Deß, Karl-Heinz Florenz, Ingo Friedrich, Michael Gahler, Evelyne Gebhardt, Prof. Alfred Gomolka, Rebecca Harms, Ruth Hieronymi, Elisabeth Jeggle, Gisela Kallenbach, Sylvia-Yvonne Kaufmann, Ewa Klamt, Christa Klaß, Dieter-Lebrecht Koch, Helmut Kuhne, Wolfgang Kreissl-Dörfler, Werner Langen, Kurt Lechner, Peter Liese, Thomas Mann, Helmuth Markov, Prof. Hans-Peter Mayer, Hartmut Nassauer, Angelika Niebler, Cem Özdemir, Doris Pack, Tobias Pflüger, Willy Pieczyk, Markus Pieper, Prof. Horst Posdorf, Bernd Posselt, Mechthild Rothe, Heide Rühle, Horst Schnellhardt, Andreas Schwab, Renate Sommer, Gabriele Stauner, Feleknas Uca, Thomas Ulmer, Sahra Wagenknecht, Manfred Weber, Anja Weisgerber, Karl von Wogau, Gabriele Zimmer.

Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn ausgerechnet die deutsche CDU zur Vorreiterin einer europaweiten Aufweichung des Lebensschutzes avancieren würde.


Das Zitat
Das Tumorrisiko der embryonalen Stammzellen
"Schon die wissenschaftlichen Fakten sprechen gegen die embryonale Stammzellforschung. So geht zum Beispiel Professor Kenner in seiner schriftlichen Stellungnahme ausführlich auf das hohe Tumorrisiko ein, das embryonale Stammzellen bergen. Diese gipfeln in der Aussage des Experten, dass embryonale Stammzellen außerhalb ihrer ‘natürlichen Umgebung' – das heißt im Innern des intakten Embryos – ‘Tumorzellen' seien. ‘Vor jedem therapeutischen Einsatz müsste dieses Tumorrisiko (...) nicht nur reduziert, sondern praktisch zu hundert Prozent eliminiert werden. Zudem müsste insbesondere der sichere tierexperimentelle Nachweis geführt sein, dass ein Tumorrisiko nicht nur in einer relativ kurzen Studie, sondern gerade auch langfristig ausgeschlossen werden kann', so Kenner. Die zum Wohl des Patienten erforderliche Sicherheit wäre selbst dann nicht gegeben, ‘wenn man keine undifferenzierten embryonalen Stammzellen mehr nachweisen kann. Hierzu bedürfte es nicht nur reproduzierbarer Protokolle zur Aufreinigung der (prä-)differenzierten Zellen, sondern auch deren langfristiger Erprobung in Tierstudien.' Genau dies hat aber bislang noch niemand unternommen. Deshalb schreibt Kenner: ‘Die Nichtbeobachtung von Tumorbildung im Mausmodell über wenige Wochen gewährleistet nicht die für eine klinische Studie notwendige Sicherheit. Eine solche Evidenz, die unabdingbare Voraussetzung klinischer Studien am Menschen wäre, ist nicht vorhanden.' Mit anderen Worten: Die Forscher, die heute neue Stammzellen fordern, für deren Gewinnung menschliche Embryonen getötet werden müssen, haben ihre Hausaufgaben noch nicht einmal im Tierversuch erledigt."

Stefan Rehder in seinem Bericht "Der Zug nach Nirgendwo" in der Tagespost über die vom Forschungsausschuss des Deutschen Bundestages veranstaltete Experten-Anhörung zur Stammzellforschung am 9. Mai 2007.


Der springende Punkt in der Diskussion

“Manchmal fragen wir uns im Rückblick auf andere Zeiten, warum man früher diese oder jene Bedenken, z.B. gegen Hexenwahn und Kriegsbegeisterung, nicht erkannt oder wenigstens besser zur Geltung gebracht hat. Uns ist dann eine frühere Entscheidung darum oft unerklärlich. Zugleich muss man aber auch fragen, ob wir nicht bei aller Aufklärung heute auch in mancher Hinsicht partiell geradezu blind sein können und manches, was wir durchaus wissen, nicht zur vollen Geltung kommen lassen. So scheint es mir mit dem verfassungsrechtlichen und ethischen Schutz des Lebens und der Würde des Embryo zu sein: In der befruchteten Eizelle liegt individuelles menschliches Leben vor. Warum gewinnt diese Einsicht in unseren Diskussionen nicht das notwendige Gewicht?”

Karl Kardinal Lehmann in einem Gastkommentar für die Mainzer Kirchenzeitung Glaube und Leben im August 2007

“Wir lehnen eine Forschung mit embryonalen Stammzellen ab. Es geht nicht um den Stichtag, sondern um die Voraussetzungen dafür. Die entsprechenden embryonalen Stammzellen kann man nur erhalten, wenn ein Embryo getötet wird. Da die katholische Kirche, aber nicht nur wir, sondern viele Wissenschaftler und auch Ethiker, nach der Vereinigung von Ei- und Samenzelle im Embryo ein Menschenwesen erblicken, dem Menschenwürde und Lebensrecht zukommen, sehen wir keine Grundlage, moralische und rechtliche Abstufungen dieses Lebensschutzes durchzuführen. Darum haben wir auch 2002 bei der ersten Festlegung eines Stichtages nicht zugestimmt. Hier kommt es auf Klarheit an von Anfang an.”

Kardinal Lehmann in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 22. Januar 2008.

Inzwischen hat der Diözesanrat von Aachen im Januar 2008 in einem Brief an alle Bundestagsabgeordneten im Bistum sich gegen jegliche weitere Lockerung der bestehenden gesetzlichen Begrenzungen gewandt. Besonders inakzeptabel findet er den Versuch einiger Befürworter, Embryonen die menschliche Würde abzusprechen. Vgl. dagegen die Meldung über das merkwürdige Verhalten der Aachener Kirchenzeitung.


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