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Gottes Liebe im Werk der Erlösung

Von P. Franz Prosinger

Zwei Veröffentlichungen aus jüngster Zeit geben Anlaß, noch einmal auf das Thema der Soteriologie (Lehre vom Erlösungswerk) zurückzukommen [1]. Von Hubertus Halbfas wurde ein Interview von 2013 wiederveröffentlicht unter dem Titel Was einmal hilfreich war, kann störend werden, und Hansjürgen Verweyen schrieb ein Buch zum Thema Ist Gott die Liebe? Spurensuche in Bibel und Tradition. Regensburg 2014 – das in der Tagespost vom 26. August auf S. 6 besprochen worden ist.

Daß der nun achtzigjährige H. Halbfas mit der katholischen Theologie radikal gebrochen hat – in vielen Punkten stimmt er mit E. Biser überein [2] -, bekennt er offen. In geradezu nostalgischer Weise vertritt er die These der 70-er Jahre, Paulus habe die Botschaft Jesu grundlegend verfälscht und dessen Tod am Kreuz mit den Kategorien von Opfer, Sühne und Versöhnung umgedeutet. Während angeblich Jesus in allen Menschen die vom Vater geliebten Gotteskinder sehe und ohne Erbsünde, Gnade, Rechtfertigung und Erlösung das Reich Gottes verkündet habe, wäre für Paulus der Mensch ein erlösungsbedürftiger Sünder. Dagegen ist zu sagen, daß nicht nur Paulus, sondern auch das Markusevangelium ganz gezielt und von Anfang an auf den Prozeß und Todesbeschluß zugeht. Der zweite Teil (8, 27 bis 16, 8) ist strukturiert durch die drei Leidensankündigungen mit ihren jeweiligen Deutungen des Kreuzes als Überwindung und Hingabe seiner selbst. Daß die Auslieferung in die Hände der Sünder geschieht „als Lösepreis für viele“ (10, 45), ist nicht etwa ein Zusatz und eine spätere Deutung, sondern in den Duktus des ganzen Evangeliums eingebunden, welcher zielt auf die Worte über den Kelch im Abendmahlssaal (14, 24) und das Gebet Jesu am Ölberg (14, 36). [3] -

Seriöser und deshalb beunruhigender sind die Ausführungen des Ratzinger-Schülers Verweyen. Freilich werden auch hier alte Vorurteile transportiert. Unverständlich ist etwa, daß man auch heute noch im Kohelet einen Agnostiker und profanen Glückssucher sehen kann, nachdem der Fachwelt der sowohl spirituell wie auch exegetisch beeindruckende Kommentar von Schwienhorst-Schönberger geschenkt worden ist [4]. Aber auch in der zentralen Frage zum Kreuzestod Jesu zeigt Verweyen wenig theologisches Feingefühl. Schon die Formulierung, „ob der Kreuzestod Jesu notwendig für Gott selber war“, ist anthropomorph und führt schließlich zur Frage, „ob diese Selbstdarbringung (des Sohnes) vom Vater verlangt wurde als Lösegeld für die vielen und damit doch als eine Sühneleistung“. Wenn in den Evangelien der göttliche Heilsplan mit dem griechischen dei (“müssen”, lat. oportet; etwa in Mt 26, 54 als Erfüllung der Schrift, in Mk 8, 31 und Lk 24, 26 bezüglich der Passion, der Tötung und der Auferstehung des Menschensohnes, aber auch das Sein des Sohnes in dem, was des Vaters ist in Lk 2, 49) angedeutet wird, so wird damit eben jene anthropomorphe Vorstellung vermieden, als ob sich Vater und Sohn als zwei Personen gegenüberständen und der Vater seinem Sohn eine Notwendigkeit auferlegte. Natürlich kostete es dem menschlichen Willen Jesu Überwindung, sich als der ganz Heilige in die Hände der Sünder auszuliefern (Mk 14, 36f; Heb 5, 7f), aber die unzertrennliche Übereinstimmung von Vater und Sohn, wie sie vor allem im Johannesevangelium zum Ausdruck kommt, stand nie in Zweifel. Die freiwillige und vollkommene Hingabe an den Vater, in die uns Christus hineinnehmen will, dient der Verherrlichung des Vaters (12, 23. 28; 13, 31f; 17, 1. 5), seiner Verherrlichung in den Seinen (17, 10) und deren Heiligung (17, 17. 19). Nach Joh 3, 3.5 besteht die Notwendigkeit in uns, zu einem neuen Leben wiedergeboren zu werden. Also nicht Gott hat es notwendig, durch ein Sühnopfer versöhnt zu werden, sondern wir müssen unser verwirktes Leben zum Opfer der Sühne darbringen, damit so der Tod verwandelt werde zu neuer Geburt. Daß dies dem Sohn das Leben „kostete“ und er sein kostbares Blut als „Lösepreis“ dahingab, darf nicht einseitig verstanden werden: die Erlösung besteht nach Heb 9, 11-14 nicht in einem äußeren Akt der Wiedergutmachung durch die Bezahlung einer Schuld, sondern in der Eröffnung eines neuen, nicht von Menschhand gemachten Heiligtums durch die Hingabe und Konsekration des Sohnes als dem wahren und einzigen Sühnopfers.

Hier gilt das Wort des heiligen Augustinus: sacrificium externum signum sacrificii interni – wenn das äußere Opfer nicht Ausdruck innerer Hingabe ist, verkommt es zu bloßem Ritualismus. Ein re-ligiöses Werk ist einzig die innere Rückbindung an den, der mich ins Leben ruft. Diese Bindung bzw. diesen Bund wiederherzustellen, ist das Werk unserer Erlösung: „Sei ohne Furcht, ich habe dich erlöst, ich rufe dich bei deinem Namen: mein bist du“ (Jes 43, 1). Wenn nur ein anderer für meine Schuld bezahlt, würde sich nichts an meiner eigenen Entfremdung ändern [5].

Unter den drei Theologen, J. Ratzinger, K. Rahner und H. U. v. Balthasar kann Verweyen noch am ehesten der Soteriologie Balthasars zustimmen. Aber ausgerechnet dieser schöpft seine Gedanken weniger biblischem als griechisch-mythologischem Denken. Die unendliche Zerspannung zwischen Vater und Sohn, die „alle Distanzen der Sünder von Gott überholt und in sich einfaßt“ [6], wird als ein Wüten Gottes gegen sich selbst gesehen, als ein ersatzweises Austragen von Schuld und Strafe zwischen Vater und Sohn. So etwas mag auf dem Olymp denkbar sein, aber nicht auf Golgotha.

Zur Beurteilung der gegenwärtigen Situation in Theologie und Kirche ist zu bedenken, daß Theologen so verschiedener Provenienz und Erudition wie Halbfas und Verweyen jeweils die Möglichkeit einer ewigen Verwerfung ausdrücklich ausschließen. Demnach gäbe es keinen doppelten Ausgang in der Geschichte des Einzelnen und der Menschheit insgesamt, nicht einen breiten und bequemen Weg, der ins Verderben führt (Mt 7, 13), nicht ein Aussenden der Engel am Ende der Zeit, welche die Gerechten von den Bösen sondern, keinen Ort, wo es Heulen und Zähneknirschen gibt (Mt 13, 49f), sondern alle, Johannes der Täufer und Herodias, Adolf Hitler und Alfred Delp werden gemeinsam, Hand in Hand im Paradies lustwandeln – oder nach der Formulierung Leo Scheffzcyks: der Mensch könnte sich demnach nicht davor retten, gerettet zu werden. Daß der biblischen Botschaft und dem kirchlichen Leben damit der Ernst der Entscheidung, der Ruf zur Bekehrung und der Sinn des Erlösungswerkes entzogen wird, kennzeichnet die gegenwärtige Situation zumindest im deutschsprachigen Raum nach wie vor.

Wer keine unbiblischen Vorstellungen in das Werk der Erlösung am Kreuz hineinliest, muß die Liebe Gottes im Kreuzestod Jesu nicht problematisieren. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn für uns dahingab, damit jeder, der an ihn glaubt (und somit an dessen Hingabe teilnimmt), nicht verlorengehe, sondern das ewige Leben habe (Joh 3, 16). Jesus selbst erläutert seine Liebe bis zur Vollendung (Joh 13, 1) so, daß niemand eine größere Liebe habe als der, der sein Leben hingibt für seine Freunde (Joh 15, 13). Und der heilige Paulus gibt darüber hinaus noch zu bedenken, daß Gott seine Liebe zu uns darin beweist, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder bzw. seine Feinde waren (Röm 5, 8-10). Wer das Erlösungswerk verstehen will, muß mit der schmerzhaften Mutter am Fuß des Kreuzes stehen und aufschauen zu dem, den wir durchbohrt haben (Joh 19, 26. 37). Dann gilt es aber auch, sich dem von der geöffneten Seite ausgehenden Geist der Buße und Sühne-Besprengung zu öffnen (Zach 13, 1 LXX B).

Auch in Bezug auf die Liturgie der Meßfeier wird sich Verweyen von Halbfas deutlich unterscheiden, der an die „offenen Tischgemeinschaften Jesu“ anknüpfen will. Aber trotz der Wahrung einer gewissen Sakralität wird man angesichts einer Allerlösungslehre der immer wieder erneuten Darbringung des Opfers Christi durch die Kirche kein Verständnis entgegenbringen können.

[1] F. Prosinger, ... Damit sie geheiligt seien in Wahrheit. Siegburg 2008. War der Kreuzestod Jesu ein Opfer? in Communio 1999 (II), S. 189 (auch auf kath-info).

[2] Vgl. E. Biser, Der unsichtbare Sonnenaufgang. In: Stimmen der Zeit; Bd.213 (1995) S.723-729.

[3] Siehe hierzu die über 800-seitige Darlegung von A. Weihs, Die Deutung des Todes Jesu im Markusevangelium, Würzburg 2003

[4] L. Schwienhorst-Schönberger, Kohelet. HThKAT, Freiburg 2004.

[5] Siehe hierzu meinen Artikel Wer bezahlt das zerbrochene Fenster? Gedanken zur Erlösungslehre.

[6] H. U. v. Balthasar, Theodramatik III. Die Handlung. Einsiedeln 1980, S. 465.


Prosinger: Exegetische Sumpfblüten


Die katholische Antwort

Auf die Frage, wodurch wir gerechtfertigt werden, gibt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter die Antwort, und zwar nicht die lutherische, sondern die katholische Antwort. Meine Predigt dazu.

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