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Gardesalut für Lämmer

Über Ursprung und Bedeutung des Palliums

Von Ulrich Nersinger

Die Hohenpriester des Alten Testamentes trugen bei ihrem Dienst im Tempel besondere Gewänder. Auch die Kirche kennt diesen Brauch. Jedes Jahr, am Hochfest der Apostelfürsten Petrus und Paulus, empfangen die neu ernannten Erzbischöfe, die den Kirchenprovinzen in aller Welt vorstehen, aus den Händen des Papstes ein ganz besonderes Würdezeichen: das Pallium.

Das Pallium geht auf ein Gewandstück zurück, das der römische Kaiser bei Staatsakten und festlichen Gelegenheiten trug. Der Überlieferung nach soll es Konstantin der Große dem Bischof von Rom zum Geschenk gemacht haben. In der Ewigen Stadt galt das Pallium schon früh als eine den Papst besonders auszeichnende Insignie, als Abzeichen seiner obersten Hirtengewalt. Später ließ es der Papst auch den Erzbischöfen zukommen – als Ausdruck der Einheit mit dem Apostolischen Stuhl und als Sinnbild der Fülle bischöflicher Vollmacht.

Beim Pallium handelt es sich um ein weißes, mit schwarzen Kreuzen versehenes ringförmiges Wollband mit zwei länglichen Streifen, das um die Schultern auf das Messgewand gelegt wird, und von dem ein Streifen über die Brust, der andere über den Nacken herabfällt. Die elf Enden der beiden Streifen sind mit in schwarzer Seide eingenähten Bleiplättchen beschwert. An den Kreuzen befinden sich Schlaufen, durch die kostbare Nadeln gezogen werden können.

Ein Teil der Wolle für die Pallien kommt von zwei Lämmern, die am 21. Januar, dem alljährlichen Gedenktag an die heilige Agnes, in der Kirche, die sich über ihrem Grab erhebt, geweiht werden. Die frühchristliche Märtyrin des 3. Jahrhunderts wird in Anspielung auf ihren Namen und ihr Blutzeugnis mit dem Lamm dargestellt, dem Symbol der Unschuld und Hinweis auf den Opfertod Jesu. Das Pallium, so Papst Benedikt XVI. in einer Predigt, „erinnert an die Lämmer und Schafe Christi, die der auferstandene Herr dem Petrus zu weiden aufgetragen hat … Es ist aber auch ein Bild für das Joch Christi, das man auf seine Schultern nehmen muss. Das Joch Gottes – das ist der Wille Gottes, den wir anzunehmen haben.“

Schon am Vortag der Weihe ziehen die beiden Lämmer die Aufmerksamkeit der römischen Bevölkerung auf sich. Dann nämlich werden sie von den Mönchen der Trappistenabtei Tre Fontane, wo sie mit viel Liebe aufgezogen wurden, zum Kloster der Schwestern der „Heiligen Familie von Nazareth“ auf dem Esquilin gebracht. Die Ankunft der Lämmer ist ein Fest für die Bewohner des Stadtteils, vor allem für die Kinder. Dicht gedrängt stehen sie an der Straße. Wenn die Tiere ins Kloster hineingetragen werden, wird laut und lange applaudiert. Danach werden die Tiere gewaschen und dürfen sich ausruhen.

Am frühen Morgen des nächsten Tages schmücken die Schwestern sie mit einem Umhang. Bei dem einen Lamm ist er rot, zum Gedenken an das Martyrium der Heiligen, beim anderen weiß, zum Gedenken an ihre Jungfräulichkeit. Zwei Blumenkränze, ein roter und ein weißer, werden ihnen auf den Kopf gesetzt und die Ohren mit kleinen Schleifen verziert. Nach dieser „Einkleidung“ kommt jedes der beiden Lämmer in einen Korb. Die Schwestern sind gezwungen sie anzubinden, um zu verhindern, dass sie bei der Weihe „flüchten“. Denn vor einigen Jahren sprang eines der Lämmer auf und lief weg. Das Anbinden ihrer Schützlinge gefällt den Ordensfrauen nicht, doch es muss sein. Den Vorschlag ihres Hausgeistlichen – oder besser gesagt ihres ehemaligen Hausgeistlichen – den Tieren ein Beruhigungsmittel einzuflößen, haben sie empört zurückgewiesen.

Ein Wagen bringt die Körbe zur Basilika Sant’Agnese fuori le mura an der Via Nomentana. Nach dem Wortgottesdienst des feierlichen Pontifikalamtes trägt man die Körbe mit den beiden Lämmern unter Applaus und „Viva“-Rufen in die Kirche und legt sie auf den Altar. Dann ruft der Zelebrant den Segen Gottes herab und bittet darum, dass „auf die Fürbitte der heiligen Jungfrau und Märtyrin Agnes, all jene, die mit dem Gewand bekleidet werden, das aus der Wolle dieser Lämmer gefertigt wird, göttlichen Beistand erhalten mögen und einst mit dem ihnen anvertrauten Volk gemeinsam zur ewigen Herrlichkeit gelangen.“

Die Besprengung mit Weihwasser und die Inzens mit Weihrauch begleiten die Lämmer mit lautem Geblöke. Die Gläubigen sekundieren mit fröhlichem Lachen, Beifallsrufen und Händeklatschen. Die Feier in der Kirche ist zu einem Volksfest geworden, der Gottesdienst fast ein wenig in den Hintergrund getreten. Dann aber wird dem Zelebranten ein Zeichen gegeben und die soeben geweihten Tiere müssen die Basilika verlassen. Denn draußen vor der Kirche wartet schon ein Fahrzeug mit vatikanischem Nummernschild auf sie. Das Auto bringt die beiden Lämmer in den Apostolischen Palast. Dem Papst werden sie in der Kapelle Urbans VIII. wie Staatsgäste präsentiert; die Wache der Schweizergardisten am Eingang zum Palast hat sogar vor ihnen salutiert. Der Heilige Vater streichelt sie, erteilt ihnen seinen Segen und entlässt sie nach der kurzen Begegnung in die Obhut der Benediktinernonnen von Santa Cecilia. In ihrem Kloster im römischen Stadtviertel Trastevere werden die Schwestern die beiden Tiere scheren, die Wolle mit der anderer Lämmer mischen und daraus die Pallien weben.

So finden in der Wolle zweier Tiere über das Pallium des Papstes und der Erzbischöfe das Martyrium einer Heiligen, eine kaiserliche Insignie und die Hirtensorge in der Kirche auf eindrucksvolle und einzigartige Weise zueinander.

Es handelt sich bei diesem Text um das 2. Kapitel des Bucher von Ulrich Nersinger Die Arche Petri. Von großen und kleinen Tieren im Vatikan. 94 Seiten, broschiert, 8,90 Euro, 2015 erschienen im Verlag Petra Kehl.


Dunkle Wolken über Rom: Ein Hörbuch von Ulrich Nersinger

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