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Die Schönheit des Planes Gottes
Gedanken zum Deutschlandbesuch Papst Benedikts XVI.

von P. Lic. Sven Conrad FSSP

Beim Titel handelt es sich um ein Zitat aus der Ansprache zum Angelus auf dem Flughafengelände von Freiburg im Breisgau, zitiert nach Benedikt XVI., In Gott ist unsere Zukunft. Ansprachen & Predigten während seines Besuchs in Deutschland, Benno Leipzig 2011, 139.

„Ein paar fromme Worte und sonst nichts? Von wegen. Benedikt XVI. hat die ersten Stunden seines Deutschland-Besuchs für sehr weltliche und ungewohnt scharfe Kritik genutzt. Hält er dieses Tempo durch, könnte die Visite in die Geschichte eingehen“, so schrieb Fiona Ehlers auf Spiegel online (Mission Klartext), nach der Pressekonferenz zum Auftakt des Staatsbesuchs Papst Benedikt XVI. in seinem Heimatland.

Im Nachhinein kann man sagen, daß der Hl. Vater durchaus das Tempo durchgehalten hat, und dies nicht nur mit Blick auf die vielen wahrgenommenen Termine und die schon rein materielle Fülle der Ansprachen. An dieser Stelle kann es nicht darum gehen, die Reise abschließend zu würdigen. Dies ist nicht nur wegen des großen Schatzes unmöglich, der uns in den päpstlichen Texten geschenkt ist und der nun auch dankenswerterweise in vollständiger Wiedergabe vorliegt, die dem gehaltenen Wortlaut entspricht (Benedikt XVI., In Gott ist unsere Zukunft. Ansprachen & Predigten während seines Besuchs in Deutschland, Benno Leipzig 2011). Es wäre auch deswegen unpassend, weil die ganze Reise des Hl. Vaters eher den Charakter eines Anfangs als eines Abschlusses hat.

Es sollen hier lediglich einige Gedanken vorgelegt werden, die helfen wollen, einige der Worte des Hl. Vaters und seine Gesten recht einzuordnen. Dazu wird auf Texte, auch längere Abschnitte, aus der Theologie Joseph Ratzingers / Papst Benedikts verwiesen.

Dies geschieht in der Hoffnung, daß man noch lange über diese Reise sprechen wird und daß sie auch tatsächlich jene Frucht bringen wird, die der Papst von ihr erhofft: Deutschland, vor allem der Kirche in Deutschland, den Weg in die Zukunft zu weisen, die in Gott liegt.

Der Blick auf Gott

In seinem frei gesprochenen „Wort zum Sonntag“ hat Papst Benedikt XVI. vor Beginn der Reise sehr deutlich gemacht, worum es ihm geht: „All dies ist nicht religiöser Tourismus, und noch weniger eine Show. Worum es geht, sagt das Leitwort dieser Tage: 'Wo Gott ist, da ist Zukunft'. Es soll darum gehen, dass Gott wieder in unser Blickfeld tritt, der so oft ganz abwesende Gott, dessen wir doch so sehr bedürfen.“

Wenn wir auf die Reise rein formal zurückschauen, dann will der Papst auf verschiedenen Ebenen den Blick auf Gott und sein Wirken eröffnen.

Der Blick auf Gott im Naturrecht

Zunächst tut er dies in der allgemeinsten Form, die möglich ist. Er ruft in Erinnerung, was die Grundlage jeder rechten Zivilisation sein muß, nämlich das Naturrecht. Dieses Thema des Naturrechts war bereits dem Theologen Joseph Ratzinger nicht fremd (vgl. Joseph Ratzinger, Naturrecht, Evangelium und Ideologie in der katholischen Soziallehre, in: Christlicher Glaube und Ideologie, hg. von Kl. v. Bismarck-W. Dirks, Berlin – Mainz 1964, 24-30) und es fügt sich ein in sein Bemühen, mit der Philosophie der Zeit in einen konstruktiven Dialog zu treten. Als Papst hat er das Naturrecht verstärkt zum Gegenstand seiner Verkündigung gemacht [1]. Diese Thematisierung fügt sich ein in jenes Gebiet, das sicher zu den ganz großen Schwerpunkten seines Pontifikates gehört, zur Frage des Verhältnisses von Glaube und Vernunft.

Mit dem Diskurs über das Naturrecht knüpft Papst Benedikt inhaltlich u.a. an seine Rede vor den Vereinten Nationen (UNO) 2008 in New York an. Hier sagte er über die Menschenrechte: „Diese Rechte haben ihre Grundlage im Naturrecht, das in das Herz des Menschen eingeschrieben und in den verschiedenen Kulturen und Zivilisationen gegenwärtig ist. Die Menschenrechte aus diesem Kontext herauszulösen, würde bedeuten, ihre Reichweite zu begrenzen und einer relativistischen Auffassung nachzugeben, für welche die Bedeutung und Interpretation dieser Rechte variieren könnten und derzufolge ihre Universalität im Namen kultureller, politischer, sozialer und sogar religiöser Vorstellungen verneint werden könnte“ (Ansprache an die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 18. April 2008, zitiert nach Benedikt XVI., Eine menschlichere Welt für alle. Die Rede vor der UNO, kommentiert von Gernot Erler, Udo di Fabio, Klaus Töpfer, Freiburg Basel Wien 2008, 21).

Der Papst wendet sich hier u.a. gegen eine positivistische Auflösung der Menschenrechte, die sie der eben geschilderten naturrechtlichen Begründung berauben würde und als Ausdruck des reinen Willens der Mächtigen neu interpretierte. „Menschenrechte müssen daher als Ausdruck der Gerechtigkeit respektiert werden und nicht lediglich deshalb, weil sie aufgrund des Willens der Gesetzgeber durchsetzbar sind“ (ebd. S. 27).

In seiner Bundestagsrede, die ausdrücklich eine Diskussion entfachen will, wendet er sich mit alarmierenden Worten wiederum gegen den Positivismus: „Wo die positivistische Vernunft sich allein als die genügende Kultur ansieht und alle anderen kulturellen Realitäten in den Status der Subkultur verbannt, da verkleinert sie den Menschen, ja sie bedroht seine Menschlichkeit. Ich sage das gerade im Hinblick auf Europa, in dem weite Kreise versuchen, nur den Positivismus als gemeinsame Kultur und als gemeinsame Grundlage für die Rechtsbildung anzuerkennen, alle übrigen Einsichten und Werte unserer Kultur in den Status einer Subkultur verweisen und damit Europa gegenüber den anderen Kulturen der Welt in einen Status der Kulturlosigkeit gerückt und zugleich extremistische und radikale Strömungen herausgefordert werden. Die sich exklusiv gebende positivistische Vernunft, die über das Funktionieren hinaus nichts wahrnehmen kann, gleicht den Betonbauten ohne Fenster, in denen wir uns Klima und Licht selber geben, beides nicht mehr aus der weiten Welt Gottes beziehen wollen.“

Lag einer der Schwerpunkte der Rede vor der UNO auf der Bedeutung der Religion im allgemeinen, so verbindet der Papst in Berlin - vernunftgemäß argumentiert – seine Zeitanalyse mit einem – so könnte man sagen – Postulat Gottes: „Und dabei können wir uns doch nicht verbergen, daß wir in dieser selbstgemachten Welt im stillen doch aus den Vorräten Gottes schöpfen, die wir zu unseren Produkten umgestalten. Die Fenster müssen wieder aufgerissen werden, wir müssen wieder die Weite der Welt, den Himmel und die Erde sehen und all dies recht zu gebrauchen lernen.“

Der Blick auf Gott in der Ökumene

Auch im ökumenischen Diskurs eröffnet der Hl. Vater den Blick auf Gott. Dies tut er, indem er auf den schlichten Punkt verweist, daß Gott es ist, der die Einheit der getrennten Christenheit bewirken muß.

Bereits in seinem „Wort zum Sonntag“ warnte der Hl. Vater vor überzogenen Erwartungen, mit denen er ja auch tatsächlich direkt zu Beginns seiner Reise konfrontiert wurde. In diesem Sinne sprach er davon, daß er kein „ökumenisches Gastgeschenk“ (Ansprache zum Ökumenischen Gottesdienst im Augustinerkloster Erfurt am 23.09.2011) mitbringen könne.

Dennoch würde man den Hl. Vater völlig verkennen, wenn man in der Geste des Besuchs des Augustinerklosters Erfurt ein notwendiges politisches Zugeständnis sehen würde. Der Hl. Vater bleibt jenem Weg treu, den er als Theologe stets beschritten hat. Er ist an einer gesunden Ökumene aufrichtig interessiert.

In diesem Zusammenhang ist vielleicht ein Text hilfreich, den Joseph Ratzinger 1961 verfaßt hat, da er die christologische Fundierung seines Ökumeneverständnisses aufweist [2]. Hierbei verweist Ratzinger zunächst einmal auf die Folgen der Inkarnation Gottes. Die Inkarnation müsse ein Ende der selbstgefertigen Bilder von Gott bedeuten. „Das Menschsein Gottes hat zur Folge, dass wir uns Gott nicht mehr nach den Bedürfnissen des Ich zurechtmodellieren können, dass wir uns 'kein Schnitzbild mehr von ihm machen können', wie die Schrift sagen würde, dass wir ihn nicht mehr als Verbrämung unseres Egoismus hinnehmen können, sondern dass er uns als ein selbstständiges, nicht umzubiegendes Du gegenübertritt, das so und nicht anders ist und den jeweiligen Egoismen nur allzu oft ein unerbittliches Nein entgegenhält“ (Joseph Ratzinger, Wiedervereinigung im Glauben in katholischer Sicht, in JRGW 8/2, Freiburg Basel Wien 2010, 818).

Die Ekklesiologie ist hiermit eng verbunden. „Denn der Katholizismus beruht wesentlich auf dem Glauben daran, dass die Menschwerdung Gottes nicht damals, im Jahre 33, in Palästina, aufgehört hat, als Christus die Erde verließ, sondern dass Gott Mensch geblieben ist und uns noch immer so verbindlich und aufreizend begegnen kann wie damals: nämlich in der Kirche. Katholizismus ist Glaube an das Weiterbestehen der Menschheit Gottes, der Glaube daran, dass die Kirche nicht anderes ist als der fortlebende Christus. Christus ist der menschgewordene Gott und die Menschwerdung Gottes ist noch immer und für immer das Wesen des Christentums“ (ebd. 818 f).

Daraus entwickelt er die Notwendigkeit der „Sichtbarkeit“ der Kirche und ihres „ununterbrochenen zeitlichen Zusammenhang(s) von Jesus bis heute“ (ebd. 820). Aus dieser christologisch–inkarnatorischen Fundierung leitet Ratzinger sodann konkrete Folgerungen für die Ökumene ab, die wir an dieser Stelle übergehen.

Der Weg zu einer sichtbaren Einheit der Christen ist nach Ratzinger auch versperrt durch den Ballast zum Teil sehr heftiger Auseinandersetzungen, die lange über die Generation der an einer konkreten Kirchenspaltung Betroffenen weitergeführt wurden. Es gilt, diesen Ballast wegzuräumen und durch die Liebe zu ersetzen. Diese Gedanken äußerte er anläßlich des Bruderkusses zwischen Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras. Dazu schrieb er: „Was bleibt und was folgt aus dem Ganzen? Der Kernvorgang ist dieser: Das Verhältnis der ‘erkalteten Liebe’, der ‘Gegensätze, des Misstrauens und der Antagonismen’ ist ersetzt durch die Beziehung der Liebe, der Brüderlichkeit, deren Symbol der Bruderkuss ist. Das Symbol der Spaltung ist durch das Symbol der Liebe ersetzt. Die Kommuniongemeinschaft ist freilich nicht hergestellt. Aber nachdem der 'Dialog der Liebe' ein erstes Ziel erreicht hat, ist der 'theologische Dialog' verlangt...“ [3]

Es gilt demnach, das Gemeinsame zu betonen, ohne das Trennende in faulen Kompromissen aufzulösen oder auch nur schweigend zu übergehen. „Der Glaube ist nicht etwas, was wir ausdenken und aushandeln. Er ist die Grundlage, auf der wir leben. Nicht durch Abwägung von Vor- und Nachteilen, sondern nur durch tieferes Hineindenken und Hineinleben in den Glauben wächst Einheit“ (Ansprache zum Ökumenischen Gottesdienst im Augustinerkloster Erfurt am 23.09.2011).

Dabei ist es dem Papst ein Anliegen, zu betonen, was bereits an Einheit gewachsen ist. „Es war der Fehler des konfessionellen Zeitalters, dass wir weithin nur das Trennende gesehen und gar nicht existentiell wahrgenommen haben, was uns mit den großen Vorgaben der Heiligen Schrift und der altchristlichen Bekenntnisse gemeinsam ist. Es ist für mich der große ökumenische Fortschritt der letzten Jahrzehnte, dass uns diese Gemeinsamkeit bewusst geworden ist“ (Begegnung mit dem rat der EKD, Erfurt am 23.09.2011).

Es ist für den Theologen, der 1960 „Die christliche Brüderlichkeit“ (neu abgedruckt in JRGW 8/1, Freiburg Basel Wien 2010, 37-117) schrieb, auch keine Floskel, wenn er den Ratsvorsitzenden der EKD mit „Bruder“ anspricht.

Aus diesen Gemeinsamkeiten leitet der Hl. Vater eine gewisse Weltverantwortung und ein gemeinsames Zeugnis der Christen ab. Dieses steht im „Kontext der säkularisierten Welt, in dem wir heute als Christen unseren Glauben leben und bezeugen müssen. Die Abwesenheit Gottes in unserer Gesellschaft wird drückender, die Geschichte seiner Offenbarung, von der uns die Schrift erzählt, scheint in einer immer weiter sich entfernenden Vergangenheit angesiedelt. Muß man dem Säkularisierungsdruck nachgeben, modern werden durch Verdünnung des Glaubens? Natürlich muß der Glaube heute neu gedacht und vor allem neu gelebt werden, damit er Gegenwart wird. Aber nicht Verdünnung des Glaubens hilft, sondern nur ihn ganz zu leben in unserem Heute. Dies ist eine zentrale ökumenische Aufgabe, in der wir uns gegenseitig helfen müssen: tiefer und lebendiger zu glauben“ (Begegnung mit dem Rat der EKD, Erfurt am 23.09.2011).

Und an anderer Stelle: „Unser erster ökumenischer Dienst in dieser Zeit muß es sein, gemeinsam die Gegenwart des lebendigen Gottes zu bezeugen und damit der Welt die Antwort zu geben, die sie braucht. Zu diesem Grundzeugnis für Gott gehört natürlich ganz zentral das Zeugnis für Jesus Christus, wahrer Mensch und wahrer Gott, der mit uns gelebt hat, für uns gelitten hat und für uns gestorben ist und in der Auferstehung die Tür des Todes aufgerissen hat. Liebe Freunde, stärken wir uns in diesem Glauben! Helfen wir uns, ihn zu leben. Dies ist eine große ökumenische Aufgabe, die uns mitten ins Gebet Jesu hineinführt“ (Ansprache zum Ökumenischen Gottesdienst im Augustinerkloster Erfurt am 23.09.2011).

Über allem geht es aber um ein Orientierung auf Christus hin und um aufrichtiges Beten um die Einheit. Und wenn man ehrlichen Herzens diese Grundhaltungen lebt, dann leidet man an der Trennung der Christenheit mehr als solche, die mit Verweis auf die schmerzhafte Trennung einfache Scheinlösungen suchen.

Wer aufrichtig an einer Einheit in der Wahrheit interessiert hat, konnte dies verstehen (vgl. etwa Klenk). Selbstverständlich unterscheiden sich diese päpstlichen Perspektiven und Hoffnungen fundamental vom heutigen mainstream (vgl. etwa die Ökumene der Romfeindschaft). Leider sind Menschen, Geistliche wie Laien, die den integren Glauben der Kirche leben wollen, oft mit diesem mainstream konfrontiert, der sehr intolerant sein kann.

Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch eine für unsere Breiten typische Blickverengung des ökumenischen Strebens auf die kirchlichen Gemeinschaften, die aus der Reformation hervorgegangen sind. Umso wichtiger war es, daß der Hl. Vater einen starken Impuls in Richtung der von Rom getrennten Ostkirchen setzte: „Einen besonderen Dank sage ich Ihnen, lieber Metropolit Augoustinos für Ihre tiefgehenden Worte. Es hat mich vor allem bewegt, was Sie über die Muttergottes gesagt haben und über die Heiligen, die alle Jahrhunderte umgreifen und einen. Und gern wiederhole ich in diesem Kreis, was ich an anderer Stelle gesagt habe: Unter den christlichen Kirchen und Gemeinschaften steht uns ohne Zweifel die Orthodoxie theologisch am nächsten; Katholiken und Orthodoxe haben die gleiche altkirchliche Struktur bewahrt; in diesem Sinn sind wir alle alte Kirche, die doch immer gegenwärtig und neu ist. Und so wagen wir zu hoffen, auch wenn menschlich immer wieder Schwierigkeiten auftreten, daß der Tag doch nicht zu ferne ist, an dem wir wieder gemeinsam Eucharistie feiern können“ (Ansprache zur Begegnung mit der Orthodoxen Kirche, Freiburg am 24.09.2011).

Der Blick auf Gott in der Kirche unseres Landes

Schließlich eröffnete der Hl. Vater den Blick auf Gott der Kirche in seiner Heimat. Dieser Heimat ist er nach wie vor sehr verbunden. So sagte er bei der Pressekonferenz im Flugzeug: „Hölderlin hat gesagt: Am meisten vermag doch die Geburt. Und das spüre ich natürlich auch. Ich bin in Deutschland geboren, und die Wurzel kann nicht abgeschnitten werden und soll nicht abgeschnitten werden. Ich habe meine kulturelle Formung in Deutschland empfangen. Meine Sprache ist deutsch, und die Sprache ist die Weise, in der der Geist lebt und wirksam wird. Meine ganze kulturelle Formung ist dort geschehen. Wenn ich Theologie treibe, tue ich es aus der inneren Form heraus, die ich an den deutschen Universitäten gelernt habe; und leider muß ich gestehen, daß ich immer noch mehr deutsche als andere Bücher lese, so daß in meiner kulturellen Lebensgestalt dieses Deutschsein sehr stark ist. Die Zugehörigkeit zu dieser eigenen Geschichte mit ihrer Größe und ihrer Schwere kann und soll nicht aufgehoben werden” (Interview auf dem Flug nach Deutschland, 22.09.2011).

Aber der Hl. Vater ist sich der Probleme der deutschen Bistümer sehr bewußt und so bildete die „Öffnung des Blicks für Gott“ für die Kirche in unserem Land sicherlich den Schwerpunkt des Besuchs. Zu nennen sind hier u.a. die Predigten, der die klassische katholische Frömmigkeit stärkende Besuch des Wallfahrtsbilds von Etzelsbach, die Begegnung mit Seminaristen, den Bischöfen, den institutionalisierten Laienvertretern et cetera. Herausgreifen möchten wir an dieser Stelle zwei Texte, die Predigt im Olympiastadion Berlin und die Freiburger Rede im Konzertsaal.

Kirche als faszinierendes Geheimnis

Die Predigt seiner ersten großen Messe beim Staatsbesuch in Deutschland widmete der Hl. Vater der Kirche selbst. Dies war seine erste große Antwort auf Pessimismus und Nörgelei unserer Zeit, welche er von ihren Wurzeln her sehr gut beschreibt: „Manche bleiben mit ihrem Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen. Dann erscheint die Kirche nur mehr als eine der vielen Organisationen innerhalb einer demokratischen Gesellschaft, nach deren Maßstäben und Gesetzen dann auch die so sperrige Größe „Kirche“ zu beurteilen und zu behandeln ist. Wenn dann auch noch die leidvolle Erfahrung dazukommt, daß es in der Kirche gute und schlechte Fische, Weizen und Unkraut gibt, und der Blick auf das Negative fixiert bleibt, dann erschließt sich das große und schöne Mysterium der Kirche nicht mehr” (Predigt zur Eucharistiefeier im Olympiastadion Berlin, 22.09.2011).

Der Papst beschreibt mit dem biblischen Bild des Weinstocks die Kirche als faszinierende, geheimnisvolle Heilswirklichkeit: „Im Gleichnis vom Weinstock sagt Jesus nicht: „Ihr seid der Weinstock“, sondern: „Ich bin der Weinstock – ihr seid die Reben“ (Joh 15,5). Das heißt: „So wie die Rebzweige mit dem Weinstock verbunden sind, so gehört ihr zu mir! Indem ihr aber zu mir gehört, gehört ihr auch zueinander.“ Und dieses Zueinander- und Zu-ihm-Gehören ist nicht irgendein ideales, gedachtes, symbolisches Verhältnis, sondern – fast möchte ich sagen – ein biologisches, ein lebensvolles Zu-Jesus-Christus-Gehören. Das ist die Kirche, diese Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus und füreinander, die durch die Taufe begründet und in der Eucharistie von Mal zu Mal vertieft und verlebendigt wird. „Ich bin der wahre Weinstock“, das heißt doch eigentlich: ‚Ich bin ihr und ihr seid ich‘ – eine unerhörte Identifikation des Herrn mit uns, mit seiner Kirche” (Predigt zur Eucharistiefeier im Olympiastadion Berlin, 22. 09.2011).

Benedikt XVI. wendet sich mit diesem positiven Inhalt gegen ein Kirchenbild nach eigenem Geschmack, das letztlich zur Desillusionierung führt: „Dann kommt auch keine Freude mehr auf über die Zugehörigkeit zu diesem Weinstock „Kirche“. Es verbreiten sich Unzufriedenheit und Mißvergnügen, wenn man die eigenen oberflächlichen und fehlerhaften Vorstellungen von „Kirche“, die eigenen „Kirchenträume“ nicht verwirklicht sieht! Da verstummt dann auch das frohe „Dank sei dem Herrn, der mich aus Gnad’ in seine Kirche berufen hat“, das Generationen von Katholiken mit Überzeugung gesungen haben” (Predigt zur Eucharistiefeier im Olympiastadion Berlin, 22. 09.2011).

Dabei mahnt er die Kirche mit einem ernsten Wort des hl. Augustinus dazu, Frucht zu bringen: „Vor diese Entscheidung ist jeder von uns gestellt. Wie ernst sie ist, sagt uns der Herr wiederum in seinem Gleichnis: „Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen, und er verdorrt. Man sammelt die weggeworfenen Reben, wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen“ (Joh 15,6). Dazu kommentiert der heilige Augustinus: „Eines von beiden kommt der Rebe zu, entweder der Weinstock oder das Feuer; wenn sie nicht im Weinstock ist, wird sie im Feuer sein; damit sie also nicht im Feuer sei, möge sie im Weinstock sein“ (In Ioan. Ev. tract. 81,3 [PL 35, 1842]).” (Predigt zur Eucharistiefeier im Olympiastadion Berlin, 22. 09.2011).

Kirche und Welt

Die Freiburger Rede wurde zum markanten Schlußakkord einer großartigen Reise. Liebevoll und geduldig zeichnet der Papst hier den Weg der Kirche in die Zukunft. Schon am Vormittag hatte er in seiner Predigt ernstere Worte gewählt.

Der Papst stellt sich nach einem Dank an alle in der Kirche Engagierten direkt den Einwänden. Man kann also nicht behaupten, er habe den Dialog verweigert, er sei nicht auf die Forderungen sog. „Reformer“ eingegangen. Papst Benedikt sagt ganz klar: „Seit Jahrzehnten erleben wir einen Rückgang der religiösen Praxis, stellen wir eine zunehmende Distanzierung beträchtlicher Teile der Getauften vom kirchlichen Leben fest. Es kommt die Frage auf: Muß die Kirche sich nicht ändern? Muß sie sich nicht in ihren Ämtern und Strukturen der Gegenwart anpassen, um die suchenden und zweifelnden Menschen von heute zu erreichen?“ (Ansprache zur Begegnung mit engagierten Katholiken, Freiburg am 29.09.2011).

Eine erste Antwort ist der Verweis auf die persönliche Bekehrung des Herzens, die immer die Kirche unfehlbar zu erneuern imstande ist. Der Papst verweist sodann auf die Sendung der Kirche, die vom Herrn kommt. Und es ist genau diese Sendung, die sie in einen gewissen Konflikt mit der Welt hineinstellt: „Um ihre Sendung zu verwirklichen, wird sie auch immer wieder Distanz zu ihrer Umgebung nehmen müssen, sich gewissermaßen 'ent-weltlichen'.“ (Ansprache zur Begegnung mit engagierten Katholiken, Freiburg am 29.09.2011).

Hiermit ist das Stichwort gefallen, das diese Rede wirklich als Freiburger Rede in die Geschichte eingehen läßt. Daniel Deckers hatte in seinem Fernsehkommentar unmittelbar zuvor mit einer gewichtigen Rede gerechnet, vergleichbar der Regensburger Vorlesung 2006. Aber dieses Stichwort hatte wohl auch er nicht erwartet, er wirkte nach der Rede sehr betroffen auf die Zuschauer. Was genau meint der Hl. Vater? Schon Deckers wies in nachfolgenden Kommentaren darauf hin, daß Joseph Ratzinger solche Gedanken nicht neu sind. Sie sind prinzipieller Art!

Vielleicht ist hilfreich, wie er an mehreren Stellen seines theologischen Werkes die Gestalt des hl. Franziskus beschreibt. Es lohnt sich, hier eine längere Passage anzuführen, in der Franziskus, die Kirche in der Gesellschaft und Rom genannt werden. Vergessen wir dabei nicht, daß der Hl. Vater auch auf Rom verweist, wenn er über die Zukunft der Kirche unseres Landes spricht.

Nun der Text über Franziskus: „Franz von Assisi war nicht eigentlich ein Ordensgründer, er wollte es jedenfalls nicht sein. Der Auftrag, unter dem er sich wusste, war viel radikaler: Er wollte einen novus populus sammeln, der die Begpredigt sine glossa befolgen und in ihr seine einzige und unmittelbare 'Regel' finden sollte Das bedeutete für Franciscus das genaue Gegenteil zu 'Ordensgründung': Er hat sich immer wieder leidenschaftlich dagegen gewandt, sein neues Volk in das vorgesehene kirchliche Schema 'Orden' zu fügen und es zu einer neuen Variante des bestehenden Mönchtums mit Sonderspiritualität, Sonderaufgaben, Sonderfrömmigkeit, Sondereigentum zu machen. Aus dem Zeugnis der Quellen geht mit großer Deutlichkeit hervor, wie leidenschaftlich er diesen Gedanken verwarf, wie wenig er es zulassen konnte, seinen Auftrag in die bestehende Rechtsschematik 'Orden' einzufügen. Was er brachte, musste viel eher eine Antithese zum bestehenden Mönchtum sein, dessen individuelle Armut zu einem immer größeren kollektiven Reichtum geführt hatte, so dass die Klöster nicht mehr, wie einst, die fuga saeculi, den Ausbruch aus dem bestehenden Weltsystem darstellten, sondern sogar dessen bevorzugte Träger waren: Cluny, die Reformabtei des 10. bi 12. Jahrhunderts, wurde immer mehr zu einem der reichsten Grundherren, zur bevorzugten Darstellung des feudalistischen Systems; Mönch werden bedeutet nicht mehr, aus der Welt, das heißt aus ihren Herrschaftssystemen ausbrechen und auf die Seite der Heimatlosen, der Armen, der Vergessenen treten, sondern es hieß, in die vorderste Schicht der Herrschenden aufgenommen zu werden. Vor allem: Die Orden bedeuteten nicht mehr die peregrinatio des Evangeliums, die missionarische Unruhe des Apostels, sondern fixierten mit ihrer stabilitas loci die Kirche in ein statisches ortskirchliches System ohne missionarische Dynamik. Sie waren nicht mehr das Korrektiv des Glaubens gegen die Gesellschaft, sondern Ausdruck der völligen Verschmelzung von Glaube und Gesellschaft, in der notwendig das Salz des Glaubens etwas von seiner Schärfe verliert.

Wenn Franciscus ein neues Volk ruft, das keine Regeln hat als das Evangelium, das sich nicht hinter dem Schutz der Kommentare und der theologischen Reflexion versteckt, sondern sich direkt dem Anspruch der Bergpredigt ausliefert, das nicht die Versicherung des Grundbesitzes hat, sondern sich der Unsicherheit der täglichen Arbeit überlässt und so arm ist mit den Armen – dann heißt das nicht weniger, als dass er die Kirche selbst in die eschatologische Stunde hineinrufen, sie vom Evangelium her reinigen will zu jenem totalen Gehorsam, der sie für die Ankunft des Herrn zubereitet. Im Grunde nimmt Franciscus weitgehend das wieder auf, was die pauperes Christi, die Waldenser, schon versucht hatten: Kirche der Armen gegen Kirche des Adels und des Großgrundbesitzes, Laienfrömmigkeit und Laienpredigt gegen die Dominaz eines selbstzwecklich gewordenen Kultes, Einfachheit des Evangeliums gegen die Subtilitäten der Scholastik. Das alles sind heiße Eisen, alle Bewegungen dieser Art waren von Misstrauen umgeben und glitten häufig ins bloß Sozialrevolutionäre, ins Sektiererische ab. Ein aussichtsloser Versuch also, den Franciscus dennoch in der Fröhlichkeit seines Glaubens und in der Gewissheit seines Auftrags unternimmt, bis dahin, dass er gegen die Kreuzzugsidee als die Äußerungsform jenes mit der Gesellschaft identisch gewordenen Glaubens gegenüber der nichtchristlichen Welt auftritt und ihr die Idee und die Tat der Evangelisation entgegenstellt. Das Nein zu den bestehenden Formen der Kirche, das also, was man heute prophetischen Protest nennen würde, konnte nicht radikaler sein, als es bei Franciscus war. es ging bis an die Wurzeln, so sehr, dass er einen novus populus fordern musste. Aber dieses radikale Nein zu den konkreten Formen der abendländischen Christenheit besteht mit einem ebenso radikalen Ja zur Kirche zusammen: Nichts anders als im Gehorsam gegen die römische Kirche zu tun, das ist für Franciscus ein ebenso radikales Programm wie dies Vorige: allein im strengsten Gehorsam gegen den Buchstaben des Evangeliums zu leben und eben durch diese Buchstäblichkeit ganz im Zeitalter des Heiligen Geistes zu stehen … Es gibt bei Franz von Assisi geradezu eine Mystik der römischen Kirche, der in ihr zusammengefassten hierarchischen Ordnungen, wie es eine Mystik des Evangeliums, der Bergpredigt und des darin auf uns zutretenden freimachenden Geistes gibt.

Damit ist man an der eigentlichen Wurzel seines Wesens und seines Tuns angelangt, das von einem leidenschaftlichen doppelten Gehorsam bestimmt ist: absoluter Gehorsam gegen seinen Auftrag, der ihn auf das Evangelium, allein auf das Evangelium verweist … Gleichzeitig mit diesem unverkürzten Gehorsam gegen den direkten Auftrag, in dem das Charisma dieses Heiligen sich zeigt, bleibt jedoch der ebenso entschiedene Wille zum gehorsamen Stehen in der konkreten Kirche, um in ihr den Auftrag des göttlichen Gehorsams durchzustehen und durchzuleiden, der nirgends anders als in ihr, in der Geduld des Durchhaltens des eigentlichen Auftrags im Stehen an ihr und zu ihr erfüllt werden kann“ (Joseph Ratzinger, Bemerkungen zur Frage der Charismen in der Kirche, in JRGW 8/1, Freiburg Basel Wien 2010, 357-360).

An einer anderen Stelle betont Joseph Ratzinger einmal, wie notwendig es war, daß der Franziskanerorden rechtliche, institutionelle Formen annehmen mußte. Dann sagt er weiter: „Die Kirche lebt ja eigentlich in diesem Dilemma, daß wir alle mehr sein müßten, daß wir alle radikaler aus den Kompromissen unseres Lebens aussteigen sollten. Aber dann, wenn wir schon mal diese Kompromisse weiterleben müssen in der Welt, so wie sie eben beschaffen ist, dann sollten wir wenigstens den Stachel dieser Beunruhigung in uns tragen und unser eigenes Leben und das der Welt auf die ganze Größe des Evangeliums hin öffnen“ (Joseph Kardinal Ratzinger, Gott und die Welt. Glaube und Leben in unserer Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald, München 20002, 339).

Der Papst steht in der Regel über einer konkreten „Tagespolitik“. Deswegen kann über konkrete Folgerungen der Freiburger Rede nur gemutmaßt werden. Sie ist sicher weder eine Absage an die Güter der Schöpfung, an die Welt in sich, noch an den Dienst der Kirche in der Welt. Gerade der Spiritualität des Hl. Vaters ist es zu eigen, aus den hohen Gütern der Schöpfung Gott zu erkennen. In seinem „Wort zum Sonntag“ hatte er ja noch gesagt: „In der Größe des Kosmos können wir etwas erahnen von der Größe Gottes. Wir können die Welt technisch nützen, weil sie rational gebaut ist. In dieser großen Rationalität der Welt ahnen wir etwas von dem Schöpfergeist, von dem sie kommt, und wir können in der Schönheit der Schöpfung doch etwas von der Schönheit, Größe und auch von der Güte Gottes sehen.“

Ebenso bekräftigt der Papst in der Freiburger Rede den kirchlichen Dienst an der Welt. Es geht um eine Verwandlung der Welt durch Gottes Liebe: „Und die göttliche Liebe will nicht nur für sich sein, sie will sich ihrem Wesen nach verströmen. Sie ist in der Menschwerdung und Hingabe des Sohnes Gottes in besonderer Weise auf die Menschheit, auf uns zugekommen, und zwar so, daß Christus, der Sohn Gottes, gleichsam aus dem Rahmen seines Gottseins herausgetreten ist, Fleisch angenommen hat, Mensch geworden ist, nicht nur, um die Welt in ihrer Weltlichkeit zu bestätigen und ihr Gefährte zu sein, der sie so läßt, wie sie ist, sondern um sie zu verwandeln“ (Ansprache zur Begegnung mit engagierten Katholiken, Freiburg am 29.09.2011).

Denken wir hierbei auch an die große Liebe, die Franziskus gegenüber den Geschöpfen hat, die Ehrfurcht vor der Kreatur [4].

Dafür darf sich aber die Kirche letztlich nicht mehr der Gesellschaft und ihren Sachzwängen identifizieren. Sie wirkt nur dann fruchtbar in die Gesellschaft hinein, wenn sie – zwar, und dies aufrichtig, das Gute in ihr bewahrt, aber sich doch zugleich distanziert. Einfach ausgedrückt, darf die Kirche es sich hier nicht gemütlich machen. Wie oft haben wir in den letzten Jahrzehnten die Versuchung zu einer Art aufgeklärten Staatskirchentum gesehen, die das Zeugnis der Kirche zu verdunkeln drohte! Diese prinzipielle Forderung der Ent-weltlichung ist ein weitreichenderer Anspruch als jede schnelle Lösungen, weitreichender auch als etwa die schnelle Abschaffung der Kirchensteuer.

Es ist auch zu bemerken, daß der Papst das historische Geschehen der Säkularisierung bewertet, nachdem es geschehen ist. Dadurch rechtfertigt er kein der Kirche widerfahrenes Unrecht. Auch ruft er nicht zur Selbstsäkularisierung auf, sondern zu Ent-Weltlichung, d.h. in seinem Aufruf wählt er einen Begriff, der nicht historisch oder politisch belastet, sondern spirituell ist. Die Kirche muß die ihr eigene Distanz zur Welt wiedergewinnen, wieder als geistliche Wirklichkeit wahrnehmbar sein und nicht reduziert auf eine Instanz der Gesellschaft, die vielleicht für ethische Belange zuständig wäre und auch da zu Kompromissen neigen müßte, wie alle Mitspieler im politischen System.

Wenn die Folgerungen der aus der Freiburger Rede auch weitreichender und prinzipieller sind, so scheint es dennoch sehr befremdend auf den unvoreingenommenen Betrachter (Der Schreiber dieser Zeilen ist persönlich eigentlich nicht per se gegen die Kirchensteuer.), daß die Umgestaltung oder Abschaffung der Kirchensteuer als mögliche Folgerung aus der Rede kategorisch und sofort ausgeschlossen wird. Sehr hilfreich sind zu dieser konkreten Frage die Stellungnahmen von Kardinal Koch und Robert Spaemann.

Möchte man denn wirklich nicht zur Kenntnis nehmen, daß es diese „Herzverfettung“ der Kirche in unseren Ländern gibt? Nimmt man nicht zur Kenntnis, daß Teile der hochbezahlten kirchlichen Struktur im negativen Sinne des Wortes ver-beamtet sind, daß wertvolle Initiativen manchmal doch kaputt-bürokratiert werden von Menschen, die in Machtpositionen der Struktur sitzen, die sich aber zugleich sehr leicht tun, sich von „Rom“ zu distanzieren?

Gibt es neben den vielen Guten nicht auch jene, wirklich der Korrektur bedürfen, weil sie vielleicht weniger von Gott sehen als ein Agnostiker? Eben diese hatte der Papst am Morgen in der Predigt gesagt: „Agnostiker, die von der Frage nach Gott umgetrieben werden; Menschen, die unter ihrer Sünde leiden und Sehnsucht nach dem reinen Herzen haben, sind näher am Reich Gottes als kirchliche Routiniers, die in ihr nur noch den Apparat sehen, ohne daß ihr Herz davon berührt wäre, vom Glauben berührt wäre“ (Predigt zur Eucharistiefeier am Flughafen Freiburg, 25.0.2011).

Auch die Werke der kirchlichen Nächstenliebe können manchmal so institutionalisiert sein, daß die konkrete Nächstenliebe sehr weit weg rückt von denen, die sie üben sollen, weil die zum Lebensvollzug der Kirche gehört. Dies ist nicht per se mißzuverstehen als Kritik an den notwendigen Strukturen, aber diese Strukturen bedürfen zuweilen der Hinführung zum Eigentlichen.

Die Freiburger Rede des Papstes war ein aufrichtiger Dank an sehr viele Menschen, die sehr ehrlich und gläubig in der Kirche ehrenamtlich tätig sind. Die Rede ist aber nicht zu verwechseln mit politischen Gepflogenheiten, wo jeder seinen Dank bekommt, weil es sich irgendwie gehört. Schon gar nicht ist die Rede eine Ermunterung im Sinne eines naiven „Weiter so, es ist schon alles recht!“.

Der Papst als Anwalt der Kirche

In der Gesamtschau fügt sich der Stil und der Inhalt des Staatsbesuchs in einen Rahmen ein, den man vielleicht als eine neue Form kirchlicher Selbstverteidigung bezeichnen könnte, so wie die Väter Apologien schrieben. Es handelt sich um eine Beschreibung, die versucht, Zerrbilder des Glaubens und der Kirche geduldig, aber auch mutig zu enttarnen und den Glauben von seiner ganzen Schönheit und Faszination her zu erschließen.

Für ersteres ist wiederum die Rede vor dem Bundestag bezeichnend. Im Berliner Reichstag wies der Papst vor den Mitgliedern des Deutschen Bundestages darauf hin, daß die Kirche gerade nicht eine religiös begründete Rechtsordnung vorlegt. „Im Gegensatz zu anderen großen Religionen hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, nie eine Rechtsordnung aus Offenbarung vorgegeben. Es hat stattdessen auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen verwiesen – auf den Zusammenklang von objektiver und subjektiver Vernunft, der freilich das Gegründetsein beider Sphären in der schöpferischen Vernunft Gottes voraussetzt“ (Besuch des Deutschen Bundestags, Berlin, am 22.09.2011). Kurz vor der Rede hielt es jener Abgeordnete, der dann den Deutschen Bundestag nach der Begrüßung des Papstes verließ, noch für möglich, daß dieser mit der bischöflichen Mitra vor das Parlament treten würde, also diesen wirklich staatlichen Teil des Staatsbesuchs religiös vereinnahmen würde [5]. Man verkennt völlig die Stellung, die die Kirche der Vernunft zuerkennt; diese Unkenntnis ist erschreckend!

Für den zweiten Aspekt, das Faszinierende des Glaubens herauszustellen, sei auf die Predigten verwiesen, die eine reiche Spiritualität zeigen. Dies fügt sich ein in ein konstantes Bemühen des Papstes, seit Beginn seines Pontifikates das Große und Befreiende, das Schöne des Glaubens zum Ausdruck zu bringen. Schon in seiner Predigt zur feierlichen Amtseinführung sagte er in diesem Sinne kurz und prägnant: „Wer Christus einläßt, dem geht nichts, nichts – gar nichts verloren von dem, was das Leben frei, schön und groß macht. Nein, erst in dieser Freundschaft öffnen sich die Türen des Lebens. Erst in dieser Freundschaft gehen überhaupt die großen Möglichkeiten des Menschseins auf. Erst in dieser Freundschaft erfahren wir, was schön und was befreiend ist. So möchte ich heute mit großem Nachdruck und großer Überzeugung aus der Erfahrung eines eigenen langen Lebens Euch, liebe junge Menschen, sagen: Habt keine Angst vor Christus! Er nimmt nichts, und er gibt alles. Wer sich ihm gibt, der erhält alles hundertfach zurück“ (Predigt zur Amtseinführung am 24. April 2005).

Diese neue Form kirchlicher Behauptung in einem säkularen Umfeld möchte auch gerade einer agnostischen Umwelt gegenüber deutlich vor Augen stellen, daß der Glaube keine Bedrohung der Gesellschaft darstellt. Dies wurde zum Beispiel sehr deutlich bei der bereits erwähnten Rede an die UNO und – vielleicht noch ein wenig mehr – bei der Ansprache zu beiden Häusern des Britischen Parlaments in Westminster Hall 2010.

Die Reise des Hl. Vaters hat – so sagten wir – den Charakter eines Anfangs. Der Papst hat der Kirche seiner Heimat Wegweiser überantwortet. An der Treue zu diesen wertvollen Weisungen wird sich zeigen, ob wir das Ziel erreichen. Allen sei die intensive Lektüre der päpstlichen Botschaften ans Herz gelegt, vielleicht sind sie ja ein Geschmack, auch in Zukunft verstärkt zu verfolgen, was der Papst uns zu sagen hat.

Anmerkungen:

[1] Wolfgang Waldstein schreibt: „Inzwischen hat auch Papst Benedikt XVI. mehrfach zum Naturrecht Stellung genommen. Bereits in der Enzyklika Deus caritas est vom 25. Dezember 2005 hat der Papst (Nr. 28a) gesagt: 'Die Soziallehre der Kirche argumentiert von Vernunft und Naturrecht her, das heißt von dem aus, was allen Menschen wesensgemäß ist.' In ganz umfassender Weise hat Papst Benedikt XVI. diese Fragen in seiner Enzyklika Caritas in veritate 'über die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in der Liebe und in der Wahrheit' vom 29. Juni 2009 behandelt“ (Wolfgang Waldstein, Ins Herz geschrieben. Das Naturrecht als Fundament einer menschlichen Gesellschaft, Augsburg 2010, 13). Waldsteins Buch wird vom Papst in den Fußnoten seiner Rede im Reichstag ausdrücklich erwähnt.

[2] Uns geht es hierbei nicht um eine Darstellung seines Ökumeneverständnisses. Mit letzterem befaßt sich folgende Dissertation im Fachbereich Evangelische Theologie an der Universität Marburg: Thorsten Maaßen, Das Ökumeneverständnis Joseph Ratzingers, „Kirche-Konfession-Religion 56“, Göttingen 2011.

[3] Joseph Ratzinger, Rom und die Kirchen des Ostens nach der Aufhebung der Exkommunikation von 1054, in JRGW 8/2, Freiburg Basel Wien 2010, 772f. (Zitat hier der Einfachheit halber unter Auslassung der Anführung seiner Zitate aus den offiziellen römisch / byzantinischen Dokumenten.)

[4] Vgl. auch zur franziskanischen Spiritualität der Verwandlung der Welt Eugen Mederlet, Die Hochzeit des Lammes, Stein am Rhein 1983.

[5] Der Autor dieser Zeilen hat dies in einem Radiobeitrag am selben Morgen in Berlin gehört.


Janne Haaland Matláry: Ratzinger über Vernunft und Tyrannei der Mehrheit

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