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Das Weihnachtsgeheimnis

Von der hl. Edith Stein

Ein Auszug aus dem Vortrag Das Weihnachtsgeheimnis vor der Ortsgruppe Ludwigshafen/Rhein des katholischen Akademikerverbandes am 31. Januar 1931. Kürzungen und Erläuterungen in eckigen Klammern durch Hermann Rieke-Benninghaus, unveränderte Rechtschreibung.

Christus ist Gott und Mensch, und wer an seinem Leben Anteil hat, muß am göttlichen und am menschlichen Leben Anteil haben. Die menschliche Natur, die er annahm, gab ihm die Möglichkeit zu leiden und zu sterben. Die göttliche Natur, die er von Ewigkeit besaß, gab dem Leiden und Sterben unendlichen Wert und erlösende Kraft. Christi Leiden und Tod setzt sich fort in seinem mystischen Leibe und in jedem seiner Glieder. Leiden und sterben muß jeder Mensch. Aber wenn er lebendiges Glied am Leibe Christi ist, dann bekommt sein Leiden und Sterben durch die Gottheit des Hauptes erlösende Kraft. Das ist der objektive Grund, warum alle Heiligen nach Leiden verlangt haben. Das ist keine perverse Lust am Leiden. Den Augen des natürlichen Verstandes erscheint es als Perversion. Im Licht des Erlösungsgeheimnisses erweist es sich als höchste Vernunft. Und so wird der Christusverbundene auch in der dunklen Nacht der subjektiven Gottferne und -verlassenheit unerschüttert ausharren; vielleicht setzt die göttliche Heilsökonomie seine Qual ein, um einen objektiv Gefesselten zu befreien. Darum: Fiat voluntas tua! [Dein Wille geschehe!] auch und gerade in der dunkelsten Nacht.

Aber können wir es denn noch sprechen, wenn wir keine Gewißheit mehr haben, was Gottes Wille von uns verlangt? Haben wir noch Mittel, uns auf seinen Wegen zu halten, wenn das innere Licht erlischt? Es gibt solche Mittel und so starke Mittel, daß das Abirren bei aller prinzipiellen Möglichkeit tatsächlich unendlich unwahrscheinlich wird. Gott ist ja gekommen, uns zu erlösen: uns mit sich zu verbinden, uns untereinander zu verbinden, unsern Willen dem seinen gleichförmig zu machen. Er kennt unsere Natur, er rechnet mit ihr und hat darum alles mitgebracht, was uns helfen kann, ans Ziel zu gelangen. Das göttliche Kind ist zum Lehrer geworden und hat uns gesagt, was wir tun sollen. Um ein ganzes Menschenleben mit göttlichem Leben zu durchdringen, dazu genügt es nicht, einmal im Jahr vor der Krippe zu knien und sich von dem Zauber der Heiligen Nacht gefangennehmen zu lassen. Dazu muß man das ganze Leben lang im täglichen Verkehr mit Gott stehen, auf die Worte hören, die er gesprochen hat und die uns überliefert sind, und diese Worte befolgen. Vor allen Dingen beten, wie es der Heiland selbst gelehrt und so eindringlich immer wieder eingeschärft hat. „Bittet, und ihr werdet empfangen.“ Das ist die sichere Verheißung der Erhörung. Und wer täglich von Herzen sein „Herr, dein Wille geschehe“ spricht, der darf wohl darauf vertrauen, daß er den göttlichen Willen auch da nicht verfehlt, wo er keine subjektive Gewißheit mehr hat. Ferner: Christus hat uns nicht als Waisenkinder zurückgelassen. Er hat seinen Geist gesandt, der uns alle Wahrheit lehrt; er hat seine Kirche begründet, die von seinem Geist geleitet wird, und hat in ihr seine Stellvertreter eingesetzt, durch deren Mund sein Geist in Menschenworten zu uns spricht. Er hat in ihr die Gläubigen zur Gemeinschaft verbunden und will, daß einer für den andern einsteht. So sind wir nicht allein gelassen; und wo das Vertrauen auf die eigene Einsicht und selbst auf das eigene Gebet versagt, da hilft die Kraft des Gehorsams und die Kraft der Fürbitte. Et Verbum caro factum est [Und das Wort ist Fleisch geworden]. Das ist Wahrheit geworden im Stall zu Bethlehem. Aber es hat sich noch erfüllt in einer andern Form. „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben.“ Der Heiland, der weiß, daß wir Menschen sind und Menschen bleiben, die täglich mit menschlichen Schwächen zu kämpfen haben, er kommt unserer Menschlichkeit auf wahrhaft göttliche Weise zu Hilfe. Wie der irdische Leib des täglichen Brotes bedarf, so verlangt auch der göttliche Leib in uns nach dauernder Ernährung. „Dieses ist das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.“ Wer es wahrhaft zu seinem täglichen Brot macht, in dem vollzieht sich täglich das Weihnachtsgeheimnis, die Menschwerdung des Wortes. Und das ist wohl der sicherste Weg, das unum esse cum Deo [Einssein mit Gott] dauernd zu erhalten, mit jedem Tage fester und tiefer in den mystischen Leib Christi hineinzuwachsen. Ich weiß wohl, daß das vielen als ein allzu radikales Verlangen erscheinen wird. Praktisch bedeutet es für die meisten, wenn sie es neu beginnen, eine Umstellung des gesamten äußeren und inneren Lebens. Aber das soll es ja gerade! In unserem Leben Raum schaffen für den eucharistischen Heiland, damit er unser Leben in sein Leben umformen kann: ist das zu viel verlangt? Man hat für so viele nutzlose Dinge Zeit: allerhand unnützes Zeug aus Büchern, Zeitschriften und Zeitungen zusammenzulesen, in Cafés herumzusitzen und auf der Straße Viertel- und halbe Stunden zu verschwatzen: alles „Zerstreuungen“, in denen man Zeit und Kraft splitterweise verschleudert. Sollte es wirklich nicht möglich sein, eine Morgenstunde herauszusparen, in der man sich nicht zerstreut, sondern sammelt, in der man sich nicht verbraucht, sondern Kraft gewinnt, um den ganzen Tag davon zu bestreiten? Aber freilich, es ist mehr dazu erforderlich als die eine Stunde. Man muß von einer solchen Stunde zur andern so leben, daß man wiederkommen darf. Es ist nicht mehr möglich, „sich gehen zu lassen“, sich auch nur zeitweise gehen zu lassen. Mit wem man täglich umgeht, dessen Urteil kann man sich nicht entziehen. Selbst wenn kein Wort gesagt wird, fühlt man, wie die andern zu einem stehen. Man wird versuchen, sich der Umgebung anzupassen, und wenn es nicht möglich ist, wird das Zusammenleben zur Qual. So geht es einem auch im täglichen Verkehr mit dem Heiland. Man wird immer feinfühliger für das, was ihm gefällt und mißfällt. Wenn man vorher im großen und ganzen recht zufrieden mit sich war, so wird das jetzt anders werden. Man wird vieles zu ändern finden und wird ändern, was man ändern kann. Und manches wird man entdecken, was man nicht mehr schön und gut finden kann und was man doch nicht zu ändern vermag. Da wird man allmählich sehr klein und demütig; man wird geduldig und nachsichtig gegen die Splitter in fremden Augen, weil einem der Balken im eigenen zu schaffen macht; und lernt es schließlich auch, sich selbst in dem unerbittlichen Licht der göttlichen Gegenwart zu ertragen und sich der göttlichen Barmherzigkeit zu überlassen, die mit all dem fertig werden kann, was unserer Kraft spottet. Es ist ein weiter Weg von der Selbstzufriedenheit eines „guten Katholiken“, der „seine Pflichten erfüllt“, eine „gute Zeitung“ liest, „richtig wählt“ usw., im übrigen aber tut, was ihm beliebt, bis zu einem Leben an Gottes Hand und aus Gottes Hand, in der Einfalt des Kindes und der Demut des Zöllners. Aber wer ihn einmal gegangen ist, wird ihn nicht wieder zurückgehen. So besagt Gotteskindschaft: Kleinwerden. Es besagt aber zugleich Großwerden. Eucharistisch leben heißt ganz von selbst aus der Enge des eigenen Lebens herausgehen und in die Weite des Christuslebens hineinwachsen. Wer den Herrn in seinem Haus aufsucht, wird ihn ja nicht immer nur mit sich selbst und seinen Angelegenheiten beschäftigen wollen. Er wird anfangen, sich für die Angelegenheiten des Herrn zu interessieren. Die Teilnahme am täglichen Opfer zieht uns unwillkürlich in das liturgische Leben hinein. Die Gebete und die Gebräuche des Altardienstes führen uns im Kreislauf des Kirchenjahres die Heilsgeschichte immer wieder vor die Seele und lassen uns immer tiefer in ihren Sinn eindringen. Und die Opferhandlung selbst prägt uns immer wieder das Zentralgeheimnis unseres Glaubens ein, den Angelpunkt der Weltgeschichte, das Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung. Wer könnte mit empfänglichem Geist und Herzen dem heiligen Opfer beiwohnen, ohne selbst von der Opfergesinnung erfaßt zu werden, ohne von dem Verlangen ergriffen zu werden, daß er selbst und sein kleines persönliches Leben eingestellt werde in das große Werk des Erlösers? Die Mysterien des Christentums sind ein unteilbares Ganzes. Wenn man sich in eines vertieft, wird man zu allen andern hingeführt. So führt der Weg von Bethlehem unaufhaltsam nach Golgotha, von der Krippe zum Kreuz. [...]

Als die Jungfrau das Kind zum Tempel hintrug, da ward ihr geweissagt, daß ihre Seele ein Schwert durchdringen werde, daß dieses Kind gesetzt sei zum Fall und zur Auferstehung Vieler, zum Zeichen, dem man widersprechen würde. Es ist die Ankündigung des Leidens, die Ankündigung des Kampfes zwischen Licht und Finsternis, der sich schon an der Krippe zeigte. [...] In der Nacht der Sünde strahlt der Stern von Bethlehem auf. Auf den Lichtglanz, der von der Krippe ausgeht, fällt der Schatten des Kreuzes. Das Licht erlischt im Dunkel des Karfreitags, aber es steigt strahlender auf als Gnadensonne am Auferstehungsmorgen. Per passionem et crucem ad resurrectionis gloriam [durch sein Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung; Angelusgebet *] ist der Weg des fleischgewordenen Gottessohnes. Mit dem Menschensohn durch Leiden und Tod zur Herrlichkeit der Auferstehung ist der Weg für jeden von uns, für die ganze Menschheit.

[* Angelusbitte: Lasset uns beten. Allmächtiger Gott, gieße deine Gnade in unsere Herzen ein. Durch die Botschaft des Engels haben wir die Menschwerdung Christi, deines Sohnes, erkannt. Führe uns durch sein Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung. Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn. Amen.]


Das wahre Licht

In dieser Weihnachtspredigt, die ich in Hannover gehalten habe, erkläre ich, was der Evangelist Johannes mit dem wahren Licht meint, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt (Joh 1,9).


Eduard Kamenicky: Menschwerdung

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