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Der Spiegel
Von P. Engelbert Recktenwald Adventszeit ist Wüstenzeit. “Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste?”, heißt es im Evangelium des Zweiten Adventssonntags (Mt 11,7). Natürlich wollten die Leute Johannes den Täufer sehen. Aber warum ist dieser in die Wüste gegangen, wenn er doch den Herrn ankündigen sollte? Er verfuhr offensichtlich nicht nach dem heute so beliebten Motto, die Leute dort abzuholen, wo sie sind. Er hat sie vielmehr in die Wüste gelockt. Warum? Wir können unser normales Leben bildlich mit dem Aufenthalt in einem Spiegelsaal vergleichen. Du bist umgeben von lauter Spiegeln, in denen du dich selber siehst, aber in ganz verschiedener Gestalt: verkleinert, vergrößert, in die Breite verzerrt oder in die Länge gezogen, schön oder hässlich. Das sind all die verschiedenen Rollen, die du spielst, all die verschiedenen Bilder, die andere von dir haben und die deine Selbstwahrnehmung prägen. Du siehst dich immer auch mit den Augen der anderen. Es gibt Menschen, mit denen du im Konflikt lebst, gegen die du dich wehrst, die deine Aggressionen wecken. Da erscheinst du dir selbst in der Rolle des Aggressiven, des Verkannten, des Starken, der sich behauptet, oder des Bösen. Im Umfeld anderer Menschen bist du der Liebenswerte oder der Schwache, der Begehrte, der Ausgenutzte, der Wertgeschätzte, der Vergessene, der Lästige, der Bewunderte... Wenn du in die Wüste gehst, streifst du alle Rollen ab. All diese Bilder zerfallen. Alle Spiegel, in denen du dich selbst siehst, sind verschwunden. Und dann taucht die Frage auf: Wie bin ich wirklich? Wer bin ich in Wahrheit? Und diese Frage ist identisch mit der Frage: Wie bin ich vor Gott? Welches Bild gebe ich vor Gott ab? Denn Ihm kann ich nichts vormachen. Nur das “Bild”, das Gott von mir hat, entspricht der Wirklichkeit. Aber dieses Bild sehe ich nicht. Was bleibt, ist Leere. Aber gerade das kann zur Gnade der Selbsterkenntnis werden, der Erkenntnis der eigenen Armut. “Selig die Armen im Geiste”, heißt es in der Bergpredigt (Mt 5,3). Damit sind nicht die Dummen gemeint, sondern die Weisen, die ihre eigene Armut erkennen. Wenn Sokrates sagte: “Ich weiß, dass ich nichts weiß”, dann sagt der christliche Weise: “Ich weiß, dass ich nichts bin.” Was wir sind, haben wir empfangen. “Was hast du, das du nicht empfangen hast?” (1 Kor 4,7). Die Erkenntnis und Anerkenntnis der eigenen Armut ist gerade die Voraussetzung für das göttliche Empfangen, und dazu gehört an erster Stelle das Empfangen der Frohen Botschaft. “Den Armen wird die Frohe Botschaft verkündet”, heißt es in unserem Evangelium (Mt 11,5). Das ist das Werk des Erlösers. Die anderen Werke sind: “Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf.” Alle diese Werke können wir nur empfangen, wenn wir blind, lahm, taub und tot sind: blind, um die göttliche Wahrheit zu erkennen, lahm, um aus eigener Kraft auf Gott zuzugehen, tot für das göttliche Leben. Aus uns selbst sind wir das tatsächlich, ob wir es wollen oder nicht. Zudem sind wir vom Aussatz der Sünde behaftet. Es kommt darauf an, in der Wüstenerfahrung unsere Ohnmacht zum Guten zu erkennen, um dann vom Erlöser die Kraft zum Guten zu empfangen. Johannes der Täufer hat es uns vorgemacht, wenn er von sich sagt: “Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen” (Joh 3, 30). So weit war ich gekommen, als ich die Predigt zum Zweiten Adventssonntag vorbereitete. Doch danach habe ich erkannt, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Die Spiegel, die uns im täglichen Leben umgeben, verzerren nicht nur die Wahrheit, sondern können sie auch offenbaren. Stell dir vor, du hast hinter dem Rücken eines Menschen dessen Vertrauen in schändlicher Weise missbraucht, vielleicht gar nicht mal in böser Absicht, sondern weil du in der Versuchung schwach geworden bist. Aber es ist passiert. Solange der andere nichts davon erfährt, kannst du damit irgendwie weiterleben - trotz des schlechten Gewissens. Aber deine Rolle bleibt intakt. Das ändert sich schlagartig, sobald der Andere von deinem Vertrauensbruch erfährt. In seinem Entsetzen spiegelt sich die Verabscheuungswürdigkeit deines Tuns. Sein Entsetzen ist der Spiegel deiner Sünde. Erst in diesem Spiegel wird dir das Ausmaß deiner Bosheit bewusst. Du erkennst den Abgrund in dir. Indem du würdelos gehandelt hast, hast du deine Würde verloren, deine Vertrauenswürdigkeit verspielt. Als moralische Person hast du dich selber vernichtet. In diesem Fall verhilft dir also der Spiegel zur Wahrheit. Und die Wahrheit ist ja eher noch schlimmer, als wie sie im Spiegel des Anderen erscheint. Von vielen Mystikern kennen wir die Erfahrung, dass ihnen selbst kleine Sünden, die ihnen in göttlichem Licht gezeigt wurden, unerträglich erschienen. Die billige Ausflucht in den Gedanken also, der Spiegel vergrößere womöglich die Bosheit der Tat, in Wirklichkeit sei es vielleicht gar nicht so schlimm, ist dir versperrt. Die modernistische Verharmlosung der Sünde hilft dir nicht weiter. Es ist übrigens ein interessantes Faktum, dass viele Menschen mit einem Nahtoderlebnis davon berichten, dass sie selber den Schmerz durchleben mussten, den sie anderen im Laufe ihres Lebens zugefügt hatten (cf. Regina Maria Stellners Studie über Nahtoderfahrungen Sprosse für Sprosse dem Leben entgegen, Kisslegg 2014, S. 53 f.). Die Spiegelung des Wertes der eigenen Tat in ihren Folgen beim Nächsten scheint also tatsächlich ein geplanter Schachzug der göttlichen Heilsökonomie zu sein. Im wahrgenommenen Schmerz des Nächsten wird für dich der Unwert deines Tuns fühlbar. Das bedeutet also: Das Entsetzen des Nächsten ist das Todesurteil über dich als moralische Person. Doch dann kann auch etwas Schönes und Wunderbares geschehen: Indem er dir verzeiht, hebt er dieses Todesurteil auf. Er gibt dir deine Würde zurück. Natürlich kann dies im eigentlichen Sinne nur Gott. Jede Sünde ist immer auch ein Verrat an Gottes Gnade, ein Missbrauch des “Vertrauensvorschusses”, den Gott dir mit seiner Gnade geschenkt hat. Er allein kann dich im eigentlichen Sinne vom Tod der Sünde wieder erwecken und dir das Leben der Gnade zurückgeben. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass auch die Beziehung zum Nächsten geheilt werden muss, und dass diese Heilung außer von Gottes Gnade auch vom Verzeihen des Nächsten abhängt. Und indem er verzeiht, macht er das Verzeihen Gottes für dich sichtbar. Aus dem Spiegel, der deine Sünde spiegelt, wird nun der Spiegel, der Gottes Güte widerspiegelt. “Lasst alle Menschen eure Güte erfahren” (Phil 4, 5), schreibt der hl. Paulus in der Lesung des darauffolgenden Adventssonntags Gaudete den Philippern. Natürlich haben die Philipper diese Güte nicht aus sich selbst: Es ist die Güte des Herrn, die sie weitergeben. Sie werden zu Spiegeln seiner Güte und damit zu Menschen, die durch ihre verzeihende Liebe mitwirken, Tote zum Leben zu erwecken und Sündern ihre Würde zurückzugeben. Dieser Beitrag war Teil des blogozösanen Adventskalenders 2016. |
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