Das Portal
zur katholischen Geisteswelt


Zum
Rezensions-
bereich
Zum
biographischen Bereich
Zum englischen
und polnischen
Bereich
Das katholische Informationsportal kath-info
dient der theologischen Aufklärung
und bietet Ihnen Beiträge zu Themen der katholischen Welt.

Die Beiträge unterliegen in der Regel dem Urheberrecht.

Zum Autorenverzeichnis

Sie befinden sich im dritten Teil
des blauen Bereichs des PkG (Buchstaben N bis Z)
Zum ersten Teil
Zum zweiten Teil

Die neuesten Beiträge finden Sie jeweils auf der Startseite

Datenschutzerklärung

Zum philosophischen Bereich
Zum
liturgischen Bereich

Links

Impressum

Themen

Nächstenliebe
Normen-verschiebung
NS 1937
Offenbarung
Ökumene
Ökumene II
Osttimor
Pallium
Papst
Papstbesuch 06
Papstbesuch 11
Papstbesuch 11b
Papstrücktritt
Papstverleumdung
Parallelgesellschaft
PAS
Pastoral
Persien
Petrusbruderschaft
Phobien
PID
Pille
Pius XII.
Piusbruderschaft
Plan
Politik u. Religion
Pornographie
Portugal
Posener A.
Pränataldiagnostik
Predigtqualität
Preußen
Priester
Priester II
Priesterberuf
Priesterheiligkeit
Priesterkleidung
Primat
pro familia
Progressismus
Prometheus
Pseudotheologie
Psychotherapie
Rahner K.
Randnotizen
Ratzinger stört
Redlichkeit
Reformkirche
Religion
Religionen
Religionsfreiheit
Religionsfreiheit II
Religionsunterricht
Ring-Eifel
Rosenkranz
Rosenkranz II
Rosenkranz III
San Bartolomeo
schlechte Priester
Schöpfung
Schweden
Schweigen
Seeleneifer
Selbstgerechtigkeit
Sexualerziehung

Symbolik

oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren Bekenntnisschriften

Von Johann Adam Möhler

Anlässlich der Luther-Dekade veröffentichen wir Möhlers Symbolik, das bis heute unübertroffene Standardwerk der theologischen Auseinandersetzung mit Luthers Lehre. Vielen Konvertiten, z.B. dem Philosophen Dietrich von Hildebrand, war es ein entscheidender Wegweiser zum katholischen Glauben. Nicht zuletzt ist es Vorbild einer Ökumene, die dem Ernst und dem Anspruch der Wahrheitsfrage gerecht wird.

Vorrede zur ersten Ausgabe

Ein jedes Buch hat eine doppelte Geschichte: eine Geschichte vor, und eine Geschichte nach seinem Erscheinen . . Die erstere kann nur der Verfasser selbst beschreiben, und es wird ihm vom Publikum als eine Art von Pflicht auferlegt, kein Geheimnis daraus zu machen, und somit öffentliche Rechenschaft teils über die äußeren Veranlassungen zu geben, welche ihn zur Ausarbeitung seines Buches aufforderten, teils die mehr in der Sache selbst gelegenen Gründe zu bezeichnen, von welchen er etwa bestimmt wurde. Hierüber habe ich nun dem geneigten Leser folgendes mitzuteilen. Vorliegende Schrift entstand aus Vorlesungen, die ich seit einigen Jahren über die dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten gehalten habe. Auf allen deutschen, lutherischen und reformierten Universitäten besteht seit Jahren die Sitte, über den genannten Gegenstand Vorträge den Kandidaten der Theologie anzubieten, und diese Sitte in hohem Grade billigend, entschloß ich mich, sie auch auf das katholische Gebiet aus folgenden Gründen zu verpflanzen. Gewiß wird mit Recht von denjenigen, die sich auf die Höhe theologischer Bildung zu erheben berufen sind, gefordert, daß sie sich eine gründliche und umfassende Kenntnis der Konfessionen erwerben, die sich seit so langer Zeit neben und gegen einander geltend gemacht haben, und in dieser ihrer Stellung fortwährend zu behaupten suchen; mit Recht wird von ihnen verlangt, daß sie sich keineswegs mit allgemeinen, unsichern, dunkeln, halt- und zusammenhangslosen Vorstellungen über die große Frage begnügen, von welcher das kirchliche Leben Europas seit drei Jahrhunderten nicht nur fortwährend bewegt wird, sondern zum Teil so tief und mächtig erschüttert wurde.

Macht es nun schon der Begriff wissenschaftlicher Bildung an sich den Theologen zur Aufgabe, in die Gegensätze der kirchlichen Parteien so scharf und tief als möglich einzudringen, fordert er sie gebieterisch auf, sich in den Stand zu setzen, Grund und Rechenschaft über die konfessionellen Eigentümlichkeiten abzulegen, so tritt die Rücksicht auf persönliche Würde und eigene Beruhigung mit noch gesteigerten Forderungen an sie, ja an jeden gebildeten Christen auf. Was ist wohl auch mit der Achtung gegen uns selbst weniger zu vereinigen, als den eigentlichen Grund und Boden unseres höheren Lebens nicht auf das genaueste und sorgfältigste zu durchforschen, und uns zu überzeugen, ob und inwiefern wir fest stehen, oder ob wir uns auf einer täuschenden Decke aufgestellt haben, die vielleicht einen ungeheuern Abgrund unter sich verbirgt? Wie ist es möglich, einen wahren und tief gegründeten Seelenfrieden zu genießen, wenn man mitten unter großen kirchlichen Gesellschaften, welche alle die religiöse Wahrheit rein und unverkümmert zu besitzen behaupten, beinahe gedankenlos dasteht, ohne irgend genügend unterrichtet zu sein? Wohl befindet sich auch in dieser Beziehung eine Ruhe, wie sie jene in betreff des jenseitigen Lebens haben, die sich - gar nicht darum bekümmern, ob es nur ein solches gibt: es ist dies eine Ruhe, die einem mit Vernunft begabten Wesen zur tiefen, unauslöschlichen Schmach gereicht. Ein jeder ist sich hienach selbst schuldig, sich zum klarsten Bewußtsein der dogmatischen Eigentümlichkeiten, der inneren Kraft und Stärke, oder der Unmacht und Unhaltbarkeit der religiösen Gemeinschaft zu erheben, als deren Mitglied er sich weiß, einem Bewußtsein, das durch die genaueste und schärfste Kenntnis des Gegensatzes bedingt ist. Es kann auch von keinem tüchtigen Erwerb und sicheren Gebrauch der Verteidigungsmomente einer Konfession die Rede sein, ohne sie in ihrem Gegensatze aufgefaßt zu haben; ja eine gründliche Kenntnis eines Bekenntnisses muß unmittelbar die Apologie desselben in sich enthalten, wenn ihm anders Wahrheit zukommt. Denn ein jeder gebildete Christ besitzt so viele allgemein-religiöse und christliche Begriffe, er besitzt eine so große Bekanntschaft mit der heil. Schrift, daß, sobald ihm irgendein Satz in seiner wahren Gestalt und in seinem ganzen Zusammenhange vorgelegt wird, er auch über seine Wahrheit ein Urteil fällen, und dessen Übereinstimmung oder Widerspruch mit den Grundlehren des Christentums auf der Stelle einsehen kann.

Auch ist in keiner Weise einzusehen, wie ein praktischer Theologe, zumal in Gegenden, in welchen entgegengesetzte Konfessionen nebeneinander bestehen, seinem Amte völlig genügen könne, wenn er nicht die Lehrverschiedenheiten derselben genau zu bezeichnen versteht. Zu öffentlichen homiletischen Vorträgen über die konfessionellen Verschiedenheiten bietet zwar der katholische Festzyklus gemäß dem Ursprunge und Wesen unserer Kirche glücklicherweise keine Veranlassung dar; alle von ihr eingeführten Feste beziehen sich nur auf die Tatsachen im Leben Jesu Christi und jene Wahrheiten, worauf all unser Glaube und unsere Hoffnung beruht, sowie auf das Andenken jener hochverdienten Personen, die in der Geschichte der christlichen Kirche ausgezeichnet dastehen, zum all derer, durch welche die Verbreitung und Befestigung des Christentums überhaupt, und insbesondere seine Einführung in gewisse Gegenden bewirkt wurde. Für das Predigtamt wird demnach der katholische Seelsorger, sehr seltene und ganz besonders veranlaßte Fälle ausgenommen, keinen unmittelbaren Gebrauch von der Kenntnis fremder Konfessionen machen können. Dagegen läßt sich hoffen, daß seine Predigt über die katholische Glaubenslehre desto gründlicher, allseitiger, lebendiger und ergreifender werde, wenn er dieselbe im Gegensatze zu den entgegenstehenden Bekenntnissen im eigentlichen Sinne des Wortes studiert hat. Daß dagegen der obersten Abteilung der Katechumenen ein gründlicher Unterricht, und zwar ein weit gründlicherer, als er bisher gegeben wurde, über die Unterscheidungslehren erteilt werden sollte. daß also hier die konfessionellen Verschiedenheiten ausdrücklich und so ausführlich als nur immer möglich berücksichtigt werden müßten, ist mir nicht im mindesten zweifelhaft. Woher die bejammernswerte Unbeholfenheit mancher Katholiken, wenn es sich im Umgange mit Protestanten von den Angelegenheiten des religiösen Glaubens handelt? Woher die kirchliche Gleichgültigkeit so mancher aus ihrer Mitte? Woher anders, als weil sie über die Eigentümlichkeiten ihrer Kirchenlehre anderen religiösen Vereinen gegenüber so viel wie nichts wissen. Woher die leichte Verführbarkeit ganzer katholischer Gemeinden durch den falschen Mystizismus ihrer Pfarrer, wenn diese im. Herzen der Kirchenlehre abgeneigt sind? Woher selbst die Erscheinung, daß manche Pfarrer der pietistischen Richtung so leicht zugänglich sind? Woher anders, als weil beide nie einen zureichenden Unterricht, oder vielmehr gar keinen über die Lehrverschiedenheiten der Konfessionen erhalten haben, Wie sehr werden die Katholiken durch die auch hierin so große Tätigkeit der Protestanten beschämt! Es begreift sich von selbst, daß die Unterweisung über die Lehrverschiedenheiten recht liebevoll, schonend und milde erteilt werden muß, mit aufrichtiger Wahrheitsliebe und ohne Übertreibung, mit steter Einschärfung endlich, daß, wenn wir auch Verirrungen als solche abweisen müssen, da die reine Lehre Jesu Christi und die evangelische Wahrheit das höchste Gut der Menschheit sei, wir doch eben durch unsere Kirche aufgefordert werden, alle Menschen um Christi willen mit Liebe zu umfassen, und den ganzen Reichtum der christlichen Tugenden in Beziehung auf sie zu entwickeln. Endlich ist es von selbst einleuchtend, daß es an gelegenen und ungelegenen Fragen, an Beratungen und Besprechungen ihrer konfessionelle Differenzen ohnedies nicht fehlen könne, gewiß aber die treffende Antwort, der gewünschte Rat und die belehrende Entgegnung vermißt werden müsse, im Falle sich der Seelsorger nicht tüchtige symbolische Kenntnisse erworben hatte.

Sollten hiermit besondere akademische Vorträge über die Lehreigentümlichkeiten der verschiedenen Konfessionen gerechtfertigt erscheinen, so ist doch noch keineswegs die öffentliche Mitteilung dieser Vorträge oder des wesentlichen Inhaltes derselben begründet. In dieser Beziehung erlaube ich mir folgende Bemerkungen. In der protestantischen Kirche ist seit einigen Dezennien eine Reihe von Lehr- und Handbüchern über Symbolik herausgegeben worden; Plank d. Ä., Marheineke in zwei Werken, einem größeren und einem kleineren, Winter, Clausen und andere versuchten sich auf diesem Gebiete. Von Katholiken wurde nun zwar eine große Menge von apologetischen und solchen Werken zutage gefördert, welche sich die Berichtigung der von Nichtkatholiken gegebenen Darstellung unseres Dogma zur Aufgabe setzten; allein eine Schrift, welche die gesamten Lehreigentümlichkeiten der protestantischen Konfessionen zugleich wissenschaftlich behandelt hätte, ist mir nicht bekannt geworden. Hienach glaubte ich eine sehr fühlbare Lücke in der katholischen Literatur auszufüllen, wenn ich den Inhalt meiner Vorlesungen öffentlich mitteilte.

Während der Quellenstudien, die ich zum Behufe meiner Vorlesungen machte, glaubte ich ferner beobachten zu können, daß das Gebiet, welches ich eben forschend betrat, noch lange nicht tüchtig genug durchgearbeitet sei, und noch manche sehr nützliche und erwünschte Aufklärungen darbieten dürfte. Dies selbst vom bloß historischen Standpunkt aus; es kann aber auch nicht fehlen, daß auf den Grund solcher nicht hinlänglich benutzter, weil nicht allseitig gekannter oder wieder vergessener Daten selbst das höhere wissenschaftliche Urteil über das Verhältnis der Konfessionen zueinander sehr an Umsicht und Reife gewinnen muß. Ob nun schon meine Untersuchungen selbst in beiderlei Beziehung von einigem Erfolge begleitet waren, mögen Sachkundige entscheiden; soviel glaubte ich jedes Falles annehmen zu dürfen, meine Mitteilungen enthielten manche Fingerzeige zumal für katholische Theologen, daß ihr Fleiß nicht unbelohnt bliebe, wenn sie sich gründlichen Forschungen auf diesem Gebiete widmeten. Die reichsten Talente schenken seit einigen Dezennien ihre Muße, ja sie opfern ihr Leben den Untersuchungen über die uns der Zeit und dem Raume nach sehr entfernt liegenden ältesten Religionen und Mythologien, und wir sind ihnen gewiß allen Dank schuldig; aber offenbar sind die Bemühungen, uns mit uns selbst bekannter zu machen, in demselben Maße seltener und weniger anhaltend, als uns diese Aufgabe näherliegen sollte, denn jene. An einer unübersehbaren Menge von Schriften, die sich in langen Räsonnements über die Verhältnisse der Konfessionen verbreiten, fehlt es freilich nicht; leider besitzen aber ihre Verfasser nur zu oft kaum die oberflächlichsten Kenntnisse von dem eigentlichen Tatbestand; wodurch es nicht selten geschieht, daß auch die vielleicht geistreich zu nennende Abhandlung nur zur Verflachung der Zeit und zum leichtfertigsten Hinweggehen über die wichtigsten Fragen des menschlichen Geistes und Herzens beiträgt. Man nennt dergleichen Leistungen Betrachtungen, während im eigentlichen Sinne nichts (Objektives) betrachtet wurde, sondern bloße Hirngespinste zum Vorschein kamen.

Auch irenische Zwecke bestimmten mich zur Bekanntmachung dieser Schrift; und zwar glaube ich sie durch die schärfste und rückhaltloseste Bezeichnung der Gegensätze erreichen zu können. Es schwebte mir allerdings kein in der nächsten Zeit herbeizuführender Friede vor, der eine wirkliche Vereinigung wäre, denn daran ist in einer Zeit nicht zu denken, welche so weit herabgesunken ist, daß sich selbst den Führern des Volkes so oft, so sehr oft das Wesen des Glaubens dergestalt entzieht, daß dieselben die Annahme desjenigen, was ihnen wahrscheinlich oder am wahrscheinlichsten dünkt, schon Glauben nennen, dessen Natur doch darin besteht, mit zweifelloser Entschiedenheit die geoffenbarte Wahrheit, die nur eine sein kann, zu umfassen. Wie jetzt geglaubt wird, glaubten auch die Heiden; denn von Meinungen über die göttlichen Dinge waren sie nicht verlassen. Wo man nun so vielfach nicht glaubt, ist auch an eine Vereinigung im Glauben nicht zu denken; es könnten daher nur Vereinigungen im Unglauben erzielt werden, d. h. solche, in welchen man sich gegenseitig das Recht einräumte, zu meinen, was man will, und wobei man sich darum auch gegenseitig, wenigstens stillschweigend, eingestünde, daß man nur noch von menschlichen Meinungen wisse, und es dahingestellt sein lasse, ob sich Gott im Christentume wirklich geoffenbart habe oder nicht, denn mit dem Glauben an Christus als einen wahren Gesandten vom Vater des Lichtes will es sich durchaus nicht vertragen, daß die von ihm Belehrten nicht genau sollen bezeichnen können, worin die durch ihn dargebotenen Aufschlüsse über die göttlichen Dinge bestehen, und was hinwiederum seinem Worte und seinen Veranstaltungen widerspreche. Alles scheint mir hienach einer Glaubenseinigung entgegen, nicht dies und jenes nur; somit mußte mir auch eine wirkliche Aufhebung der Verschiedenheit christlicher Konfessionen wirklich ferne liegen. Wohl aber möchte ich in der Zeit, der wir angehören, zur Beförderung eines Friedens einen kleinen Beitrag liefern, der aus der wahren Kenntnis des Zwiespaltes hervorgeht, insofern durch diese die Einsicht gewonnen werden kann, daß derselbe aus dem ernstesten Bestreben beider Teile hervorgegangen sei, die Wahrheit, das reine und ungetrübte Christentum festzuhalten. Eine recht scharfe Bezeichnung der Gegensätze machte ich mir daher zur Aufgabe, und strebte niemals und nirgends dahin, dieselben zu verkleiden oder zu verhüllen. Die Ansicht, es seien keine erheblichen und ins Herz des Christentums eingreifenden Unterscheidungen vorhanden, kann nur zur gegenseitigen Verachtung führen; denn Gegner, denen das Bewußtsein einwohnt, daß sie keine ausreichenden Gründe haben, sich zu widersprechen, und es dennoch tun, müssen sich verachten, und gewiß ist das dunkle Gefühl, ein Gegner dieser Art zu sein, und Selbstverachtung zu verdienen, die Ursache vieler heftiger Ausfälle von seiten mancher Protestanten auf die Katholiken und umgekehrt in der neueren Zeit geworden, indem man, sich selbst täuschend, durch diese Ausfälle die inneren Vorwürfe beschwichtigen wollte, und eine künstlich gereizte Stimmung gegen die entgegenstehende Konfession für einen wahren Schmerz über die Verkennung der Wahrheit von seiten der Anhänger derselben hielt. Auch ist die Erscheinung nicht selten, daß die Unkenntnis der wahren Differenzen falsche erkennen läßt, was ein feindseliges, liebloses Gegenüberstehen beider Parteien weit mehr unterhält, als eine richtige, genaue Kenntnis der Unterschiede; denn nichts schmerzt und erbittert mehr, als unbegründete Vorwürfe. Aus derselben Ursache ereignet sich ungemein oft, daß man sich gegenseitig nur so geradezu Verstocktheit des Willens, Berücksichtigung bloß persönlicher, vorübergehender Interessen vorwirft, und hieraus die Spaltungen im kirchlichen Leben erklärt. Den Protestanten ist es ungemein geläufig, dem, was sie hierarchischen Hochmut und absichtliche Verfinsterungssucht nennen, es beizumessen, wenn dem protestantischen Lichte nicht offene Tore zum ungehemmten Eindringen in die katholische Kirche vergönnt werden; dagegen sind viele Katholiken der Meinung, gleichwie es anfangs schon nur wirtschaftliche Interessen und der Wunsch, eine unbeschränkte Herrschaft auch über die Kirche auszuüben, gewesen seien, was die Fürsten, und häusliche Bequemlichkeit, sinnliches Wohlbehagen, hohler Dünkel und frivole Unabhängigkeitsliebe, was die Geistlichen zur Annahme und Begünstigung der protestantischen Lehre vermocht habe, so verhalte es sich großenteils noch. Leider läßt sich, was man von Hochmut, Übermut u. dgl. sich gegenseitig vorwirft, nicht in allweg in Abrede stellen; auch kann man überdies leicht in Erfahrung bringen, daß es allerwärts ungemein eifrige Männer gibt, die zwar nicht von ganz niedrigen Motiven in ihren Bemühungen anderen Konfessionen gegenüber bestimmt werden, aber doch nur die Beförderung des Interesses einer Partei, einer Faktion, eines Systems usw. zunächst im Auge haben, aber nicht das der göttlichen Wahrheit als solcher, und zwar in ihrer lebendigen Erscheinung in Christo Jesu, der doch einzig geliebt werden soll, und alles andere nur insofern, als es näher oder entfernter mit dieser Liebe in Verbindung steht. Das alles nun soll keineswegs in Abrede gestellt werden; gleichfalls kündigt es einen ungemein beschränkten Verstand an, wenn der Fortbestand der Konfessionen nicht tiefer, als in dergleichen Ursachen aufgesucht wird. Unter diesen Umständen nun möchte ich es für keinen geringen Gewinn halten, wenn es gelänge, die Aufmerksamkeit ganz auf die Sache selbst zurückzuleiten, und die Überzeugung zu fördern, daß innere Interessen durch den Gegensatz zwischen Protestantismus und Katholizismus verteidigt werden, eine Überzeugung, welche, da sie dem Gegner Ernst und Aufrichtigkeit zutraut, vielfach beruhigende Wirkungen hervorbringen muß, und auch einzig den Plan zu fördern. geeignet ist, welchen die göttliche Vorsehung bei Zulassung eines so schweren Zerwürfnisses im Auge hat.

Endlich muß ich noch eine Zeiterscheinung erwähnen, die in mir, wenn ich mich recht erinnere, zuerst den Gedanken erregte, meine Abhandlungen über die Unterscheidungslehren der Konfessionen dem Drucke zu übergeben. Das Luthertum schien längere Zeit hindurch ganz aus Deutschland verschwunden zu sein, wenigstens keine Stimme mehr in der öffentlichen Meinung zu führen; in der Tat war es kaum noch durch einen namhaften Theologen in der Literatur repräsentiert. Der finstere Calvinismus konnte ohnedies in dem besonnenen Deutschland nie recht einheimisch werden, und wenn er auch da und dort eindrang, so geschah es beinahe immer mit bedeutenden Modifikationen. Seine eigentliche Heimat blieb stets ein Teil von der Schweiz, von Frankreich, dann Holland, England und Schottland. Durch den neuesten Umschwung der Dinge aber erneuerte sich auch wieder der alte orthodoxe Protestantismus; er findet nicht nur wieder bedeutende Vertreter unter Laien und Geistlichen, sondern er zählt mitunter recht tüchtige Theologen unter seinen Anhängern. Wie es nicht anders zu erwarten stand, bezeichnete er auch sogleich sein Verhältnis zur katholischen Kirche, und bestritt dieselbe von seinem Standpunkte aus mit allen ihm zu Dienste stehenden Mitteln. Je mehr sich diese Partei zusehends erweitert, und teils durch ihre Anschließung an die längst vorhandenen pietistischen Bewegungen, teils durch die Begünstigung eines der einflußreichsten Kabinette Deutschlands aufs neue eine Macht zu werden beginnt, desto mehr stellt sich das Bedürfnis für die Katholiken heraus, sich ihr gegenüber genau zu orientieren, und wieder zum klaren Bewußtsein der Stellung zu gelangen, die sie gegen dieselbe einnehmen. Dies ist nicht so leicht, als man es sich auf den ersten Anblick vorstellen möchte; es wird uns nämlich zugemutet, uns in eine ganz andere religiöse Welt zu versetzen, wenn wir vom Naturalismus und Rationalismus zu dem symbolischen Protestantismus uns in Gedanken erheben sollen. Denn, waren seit mehreren Dezennien die Katholiken aufgefordert, einzig das Göttliche im Christentume zu verteidigen; so handelt es sich nicht mehr darum, sondern um Festhaltung des Menschlichen in demselben. Gerade von einem Extreme zum anderen müssen wir uns wenden. Doch kommt dem Katholiken das zugute, daß seine Glaubenslehre ebenso wohl das umfaßt, was die Rationalisten einseitig oder auch ausschließend im Christentum verehren, als das, was der orthodoxe Protestantismus ebenso einseitig oder ausschließend in demselben Christentume hervorhebt; diese beiden Gegensätze sind in der Tat in seinem Dogma ausgeglichen und vollkommen versöhnt. Er ist ebenso verwandt mit dem einen als mit dem anderen, und der Katholik kann darum auch beide begreifen, weil sein System die Einheit von beiden ist. Die naturalistischen Protestanten verdanken Luther gerade nur das, daß er ihnen die Freiheit erworben hat, völlig das Gegenteil von ihm und der durch ihn gestifteten religiösen Gemeinschaft bekennen zu dürfen; und die orthodoxen Protestanten haben nichts, was sie mit ihnen verbindet, als die drückende Überzeugung, daß Luther eine Kirche gegründet habe, deren Begriff sie bestimmen müsse, solche Widersacher mit Geduld in ihrer Mitte zu ertragen, und sie nicht einmal »entlassen« zu können. Der Katholik dagegen hat eine innere, in seinem Dogma gegründete Verwandtschaft mit beiden; er steht daher auch höher als beide, und übersieht beide. Er hat was beide, aber eben darum ihre Einseitigkeiten nicht; seine Glaubenslehre ist auch keine mechanische, lose und unbeholfene Zusammensetzung der Doktrinen beider, denn sie war früher als dieselben und hatte, als sie zuerst der Kirche gegeben wurde, das Wahre an ihnen organisch vereinigt; sie gingen vielmehr aus der katholischen Glaubenslehre hervor, sich in dieselbe teilend, indem die eine Partei das Menschliche in ihr sich zueignete, die andere das Göttliche; gleich als könnte das Unteilbare nur nach Willkür geteilt werden.

Noch bemerke ich, daß es mir die deutsche Gründlichkeit, oder die deutsche Pedanterie, oder das deutsche Mißtrauen, wie man es immer nennen will, zu fordern schien, die Beweisstellen ausführlich mitzuteilen. Der Leser soll in den Stand gesetzt werden, durch das ihm zugebrachte Material selbst zu urteilen, oder doch sich des Besitzes der Mittel erfreuen, das Urteil des Symbolikers zu prüfen. Ich mußte voraussetzen, daß dem ungleich größeren Teile meiner Leser die symbolischen Bücher der Protestanten, die Schriften Luthers, Zwinglis, Calvins usw. unzugänglich seien, und ich wollte lieber, wenn ich die rechte Mitte zwischen zu viel und zu wenig nicht einzuhalten imstande wäre, durch zu viel als zu wenig fehlen. Wer die größtenteils in die Noten verwiesenen Beweisstellen nicht lesen mag, kann sie leicht übergehen; dagegen läßt sich nicht sagen, daß, wer das Bedürfnis habe, gerade auch mit den Beweisstellen recht vertraut zu werden, dieselben sich leicht verschaffen könne.

Der Verfasser

Vorrede zur zweiten Ausgabe

So sehr es nur immer der kleine Zeitraum gestattete, der zwischen der ersten und zweiten Ausgabe verfloß, glaubte ich mich durch die diesem Werke vom theologischen Publikum geschenkte Aufmerksamkeit verpflichtet, dasselbe zu verbessern, und wohl auch zu vermehren. Im ersten Teile möchten sich wenige Paragraphen finden, welche nicht teils im Ausdrucke, teils durch Zusätze oder Weglassungen, sei es im Texte oder in den Noten, einige Veränderungen, wie ich hoffe, zum Vorteile des Buches, erfahren hätten. In der Lehre vom Glauben wurde der § 17. neu hinzugefügt; auch die schärfere Bestimmmung des eigentlichen Unterschiedes in der theologischen Richtung Luthers und Zwinglis §. 27 fand sich in der ersten Ausgabe nicht. Der Artikel von der Kirche hat die beträchtlichsten Umgestaltungen erhalten; §. 37, eine neue Zugabe, schien mir besonders geeignet, die Idee der katholischen Kirche anschaulich zu machen. Im zweiten Teile wurde der Artikel von den Methodisten ganz umgearbeitet, da ich die Schrift Southeys über Wesley nun benutzen konnte. Weniger Ausbeute, als ich erwartet habe, gewährte Clarkson (Portraiture of Quakerism), der mir bei der ersten Ausgabe, ungeachtet vieler Bemühungen, nicht zu Gebote stand, inzwischen aber herbeikam. In der Einleitung schien es nicht wichtig, Ausführlicheres über den Gebrauch mitzuteilen, welcher in der Symbolik von den Privat-Schriften der Reformatoren zu machen ist; ebenso wurde es für zweckdienlich erachtet, daselbst auf den Unterschied hinzuweisen, welcher in der Benutzung der Privat-Schriften der Reformatoren und der katholischen Theologen für symbolische Zwecke stattfindet.

Der Verfasser

Vorrede zur dritten Ausgabe

Die Nachricht des Herrn Verlegers, daß die zweite Ausgabe vergriffen sei, kam mir viel zu unerwartet schnell, als daß ich der dritten den vervollkommnenden Fleiß hätte zuwenden können, den ich ihr gerne hätte widmen wollen, und dessen sie so sehr bedürftig gewesen wäre. Ich kann daher nur einen Artikel nennen, worin eine bedeutende Verbesserung stattfand, den von der Erbsünde (§. 8); da in demselben einige historische Angaben, katholische Auffassungsweisen derselben betreffend, eine Berichtigung sehr nötig hatten.

Die inzwischen erschienene, bogenreiche Kritik der Symbolik von Herrn Prof. Dr. Baur wollte ich nicht in der Symbolik selbst berücksichtigen, da die nötigen Diskussionen einen verhältnismäßig allzu großen Raum würden eingenommen haben, um ihnen eine passende Stelle, sei es in den Noten, oder im Texte anzuweisen. Ich zog es daher vor, eine Erwiderung in einer besonderen Schrift zu geben, welche, wenn Gott es will, demnächst in Druck wird gegeben werden.

Der Verfasser

Vorrede zur vierten Ausgabe

Nach der Herausgabe der dritten Auflage, die zu Anfang des Jahres 1834 erschien, sah ich mich genötigt, eine Verteidigung der Symbolik zu verfassen; sie ist bereits unter dem Titel: »Neue Untersuchungen usw.« bekannt. In diesen wurden manche auf die Kontroverse bezüglichen Gegenstände abgehandelt, welche in der Symbolik kaum oder gar nicht berührt waren; nicht wenige Artikel wurden unter neuen Gesichtspunkten erörtert, andere schärfer bestimmt, nicht wenige allseitiger begründet. Von allem dem habe ich in die vierte Ausgabe der Symbolik nichts aufgenommen; ich hielt mich nur verpflichtet, an der Gestalt, in welcher sie sich von Anfang an in das gebildete Publikum einführte, und in welcher sie sich dessen nachsichtsvoller Teilnahme zu erfreuen hatte, nichts wesentlich zu ändern. Die gegen sie gerichteten Schriften, Abhandlungen und Rezensionen in ihr selbst zu berücksichtigen, hielt ich ohnedies in jeder Weise für unangemessen, und zwar völlig abgesehen davon, daß ich den friedlichen Ton der Symbolik schon gar nicht in einen kriegerischen irgend verwandelt sehen möchte. Indes wurde doch einiges in der vierten Ausgabe verbessert, anderes hinzugefügt, Veränderungen, die auch ohne Provokation von außen, und ohne Veränderung des ursprünglichen Planes vorgenommen werden konnten, wie denn auch dergleichen schon früher bei jeder neuen Ausgabe stattgefunden hatten.

Durch Gottes Fügung hat die Symbolik bisher manche gute Früchte hervorgebracht, wie mir von vielen Seiten her teils mündlich erzählt, teils geschrieben wurde; selbst protestantische Zeitschriften, wie die evangelische Kirchenzeitung vom Oktober 1834, stellen es in ihrer Weise nicht in Abrede. Möchte sie noch ferner von dem Segen des Heilandes begleitet werden, der von Anfang an auch Schwaches und Unvollkommenes zum Werkzeuge seiner Verherrlichung erwählt hat!

Der Verfasser

Vorrede zur fünften Ausgabe

Während diese fünfte Ausgabe der Symbolik unter der Presse war, hatte die katholische Kirche Deutschlands den Schmerz, den hochverdienten Verfasser durch frühzeitigen Tod sich entrissen zu sehen. Ist sein Verlust für die katholische Literatur überhaupt schmerzlich zu beklagen, so insbesondere in Bezug auf die Symbolik. Der hochselige Verfasser hatte beabsichtigt, diese neue Ausgabe um vieles zu verbessern, und dadurch zu vervollständigen, daß er teils aus seiner Schrift: “Neue Untersuchungen der Lehrgegensätze usw:” mehreres hereinziehen, teils Resultate neu hinzugekommener Forschungen derselben einverleiben wollte. Für einen sehr bedeutenden Teil hat er sein Vorhaben noch wirklich ausgeführt; manche Artikel und Paragraphen, z.B. der von der Erbsünde, haben von ihm eine Erweiterung, Umbildung oder bestimmtere Fassung erhalten. Ein Ähnliches hatte er auch noch in bezug auf die Darstellung der Lehre von den Sakramenten und die folgenden Abschnitte im Sinne. Bis zu seinem Ende beschäftigte ihn diese Angelegenheit seines Herzens, welche ihm aber nicht mehr zur Ausführung zu bringen vergönnt war.

Nur eine kurze Biographie ist beigefügt, welche ein Freund und Amtsgenosse des hochseligen Verfassers mitgeteilt hat, so umfassend als es der Zweck der Vorrede und die allgemeine Bestimmung des Buches zu erfordern oder zuzulassen schien.

Möge auch diese neue Ausgabe jene segensvollen Wirkungen tragen, welche vom Autor beabsichtigt worden waren, und welche ihm sicher bei Gott schon reichen Lohn bereitet haben!

M. den 21. Juni 1838.

[Johann Adam Möhler starb am 12. April 1838 in München im Alter von noch nicht einmal 42 Jahren]

Einleitung in die Symbolik

I. Begriff, Umfang und Quellen der Symbolik

Unter Symbolik verstehen wir die wissenschaftliche Darstellung der dogmatischen Gegensätze der verschiedenen, durch die kirchlichen Revolutionen des sechzehnten Jahrhunderts nebeneinander gestellten, christlichen Religionsparteien aus ihren öffentlichen Bekenntnisschriften (symbolischen Büchern). Aus dieser Begriffsbestimmung ergibt sich

Erstens, daß die Symbolik zunächst und unmittelbar weder polemische noch apologetische Zwecke verfolgt; sie will nur darstellen, mit den Differenzen der genannten sich gegenüberstehenden christlich-kirchlichen Gemeinschaften nur allseitig und gründlich bekannt machen. Allerdings wird sich auf eine indirekte Weise die Darstellung teils verteidigend, teils angreifend verhalten; denn schon die persönliche Überzeugung des Symbolikers, wenn er anders eine solche gewonnen hat, wird sich unwillkürlich aussprechen, und sich bald billigend und beifällig, bald tadelnd und widersprechend vernehmen lassen. Dadurch wird jedoch der bloß darstellende, erzählende und entwickelnde Charakter der Symbolik ebenso wenig verleugnet, als durch den geschichtlichen Vortrag, in welchem der Historiker seine persönliche Ansicht über die von ihm vorgeführten Personen und erzählten Tatsachen nicht verbirgt. Vorzüglich aber dürften die tieferen wissenschaftlichen Forderungen nicht befriedigt werden können, ohne daß der Vortrag da und dort ein teils polemisches, teils apologetisches Aussehen gewinnt. Eine nackte, wenn auch von der unbefangensten und gründlichsten historischen Forschung begleitete Erzählung des Tatbestandes genügt nämlich nicht, vielmehr müssen die einzelnen Sätze eines Lehrgebäudes in ihrer gegenseitigen Verknüpfung und in ihrem organischen Zusammenhange dargestellt werden; hier wird es nötig sein, ein Dogma in die Elemente, aus denen es zusammengewachsen ist, auseinanderzulegen und auf die letzten Gründe, durch welche die Urheber desselben bestimmt wurden, zurückzuführen; dort stellt sich das Bedürfnis ein, die mannigfaltigen Veränderungen, die mit ihm vorgegangen sind, zu bezeichnen, immer aber müssen die Teile eines Systems in ihrer Stellung zum Ganzen angeschaut und auf die Grundidee, die alles beherrscht, bezogen werden. Während dieser Operationen, ohne welche ein wahres, tiefes und lebendiges Eindringen in das Wesen der Konfessionen unmöglich ist, muß sich das Verhältnis derselben zu dem Evangelium und den Prinzipien einer christlich erleuchteten Vernunft von selbst herausstellen, und die Übereinstimmung der einen, sowie der Widerspruch der anderen mit allseitig anerkannten Wahrheiten ergeben. In dieser Weise wird nun freilich die Symbolik die sprechendste Verteidigung und beziehungsweise Widerlegung, ohne daß sie an sich darauf ausginge, das eine oder das andere zu sein.

Zweitens sind in der gegebenen Begriffsbestimmung auch die äußeren Grenzen und der Umfang unserer Symbolik ausgesprochen. Da nämlich nur die aus den Erschütterungen des sechzehnten Jahrhunderts hervorgegangenen kirchlichen Gegensätze Gegenstand unserer Untersuchungen werden sollen, so sind die durch frühere Ausscheidungen aus der Kirche oder freiwillige Trennungen von derselben gebildeten besonderen religiösen Vereine, auch wenn sie bis auf unsere Zeiten herab ihr Dasein fristeten, ausgeschlossen. Demnach beschäftigen wir uns nicht mit der Entwicklung der dogmatischen Besonderheiten der orientalischen Kirche. Die religiösen Gärungen des sechzehnten Jahrhunderts und die durch dieselben hervorgerufenen kirchlichen Irrungen sind ganz anderer Natur als der Zwiespalt, welcher zwischen der abendländischen und morgenländischen Kirche stattfindet. Die abendländische Frage betrifft lediglich die christliche Anthropologie; denn es wird sich herausstellen, daß alles, was sich noch anderes daran knüpfte, nur notwendige Folgerungen aus der Antwort sind, welche auf die von den Reformatoren aufgeworfene anthropologische Frage gegeben wurde. Die morgenländische Frage dagegen bewegt sich auf dem Gebiete der Christologie; es wäre nämlich ganz seltsam, wenn nur die orthodoxe griechische Kirche Berücksichtigung fände, die mit der katholischen in gar keinem die Glaubenslehre betreffenden inneren Gegensatze begriffen ist, die Nestorianer dagegen und die Monophysiten, welche wahre Gegensätze gegen die Katholiken, die rechtgläubigen Griechen und die Protestanten zumal bilden, ausgeschlossen würden. Eine so weite Ausdehnung unserer Darstellung aber ist durch die besonderen Zwecke unserer Arbeit weder veranlaßt noch gerechtfertigt. Zudem schien es auch deshalb nicht notwendig, diese Lehrverschiedenheiten darzustellen, da selbst die kompendiöseste Kirchengeschichte von allen diesen Erscheinungen mehr als für praktische Bedürfnisse ausreicht, darbietet; denn ein gegenwärtiges Interesse führt uns gewiß zur orientalischen Kirche und ihren Unterabteilungen nicht hin, da zwar der alte Gegensatz dieser Vereine mit den Katholiken und Protestanten fortbesteht, jedoch vor der Hand ohne wirkliche und lebendige Ineinanderbewegung.

Dagegen müssen die Lehreigentümlichkeiten der lutherischen und reformierten Kirche in ihrem Gegensatze zur katholischen und unter sich in ihrer ganzen Schärfe und nach allen Seiten hin vorgelegt werden, so wie umgekehrt die Positionen der letzteren gegen die Negationen der beiden ersteren. Es möchte zwar scheinen, daß die katholische Glaubenslehre, wie sie den Reformatoren gegenüber festgehalten und behauptet wurde, hier als bekannt vorausgesetzt werden könnte, wie umgekehrt Plank [Gottlieb Jakob Planck] in seiner vergleichenden Darstellung die lutherische Glaubenslehre als bekannt voraussetzte; allein gleichwie die Sätze der Protestanten nur aus ihrer Entgegensetzung zur katholischen Kirchenlehre entstanden sind, so können sie auch nur in dieser Entgegensetzung begriffen werden, weswegen denn auch die katholische These der protestantischen Antithese gegenüberstehen, und in ihrem ganzen Umfang gegenwärtig sein muß, wenn anders die letztere selbst gehörig gewürdigt werden soll. Umgekehrt erscheint auch erst die katholische Lehre in ihrem wahren Lichte, wenn die protestantische dagegengehalten wird. Außerdem ist vorliegende Bearbeitung der konfessionellen Verschiedenheiten auch für protestantische Leser, laut der Vorrede, bestimmt; daß aber diese im Durchschnitte mit dem katholischen Dogma eine mehr als oberflächliche Bekanntschaft gemacht hätten, konnte nicht vorausgesetzt werden.

Die verschiedenen Sekten, die sich aus der protestantischen Kirche heraus entwickelt haben, als da sind die Wiedertäufer oder Mennoniten, die Quäker, Methodisten und Swedenborgianer, durften um so weniger unbeachtet bleiben, als sie nur weitere Expositionen des ursprünglichen Protestantismus sind, und seine Prinzipien zum Teil nur erst recht konsequent durchgeführt und auf die Spitze gestellt haben. Wir fassen darum diese Sekten, obwohl sie nicht alle im sechzehnten Jahrhundert entstanden sind, doch als solche auf, die demselben ihrer inneren Bedeutung nach angehören.

Auch die Sozinianer und Arminianer werden unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Diese erscheinen nämlich als das andere Extrem des ursprünglichen Protestantismus; denn während dieser aus einem mächtig aufgeregten einseitigen Gefühle hervorging, verdanken jene einer eben so einseitigen Verstandesrichtung entweder schon ihr Dasein, wie die Sozinianer, oder sie verloren sich doch in eine solche, wie die Arminianer, und verwarfen völlig die dogmatischen Grundlagen der Reformation, so daß in ihnen nur ein Extrem in das andere umschlug, während der Katholizismus die Mitte von beiden hält. Ob übrigens die Sozinianer zu den protestantischen Sekten zu zählen seien, ist unter den Protestanten selbst bestritten; auch ist es wirklich keinem Zweifel unterworfen, daß der Sozinianismus durchaus nicht als Anhängsel des orthodoxen Protestantismus aufgetaßt werden dürfe, wie denn dies auch scharf genug von uns dadurch bezeichnet ist, daß wir die sozinianische Auffassung des Christentums eine der altprotestantischen geradezu entgegengesetzte nannten. Da es indes den Protestanten noch nicht gelungen ist, die Rationalisten aus ihrer Gemeinschaft zu entlassen (um mit Hrn. Hahn zu sprechen), so ist auch nicht abzusehen, warum sie jetzt wenigstens die Sozinianer in dieselbe nicht einlassen könnten. Auch wird ja einem jeden, der nur die katholische Kirche verläßt, der also nur aufgehört hat, Katholik zu sein, er mag sonst glauben oder nicht glauben, was nun immer zu glauben oder nicht zu glauben möglich ist, sollte er auch noch tief unter den Sozinianern stehen, die protestantische Kirche mit Freuden geöffnet. Es wäre darum nicht löblich, wenn im Namen der Protestanten eine Intoleranz ausgeübt, und den Sozinianern die Freude von uns versagt werden wollte, in einer Schrift wenigstens das Ziel ihrer alten Sehnsucht erreicht zu sehen. Die Lehrsätze der Rationalisten konnten dagegen nicht behandelt werden, eben weil sie noch keine besondere kirchliche Gemeinschaft bilden, und nur die Ansichten von tausend verschiedenen Individuen, aber nicht von einer Kirche oder Sekte vorgelegt werden könnten. Sie haben kein Symbol, und werden darrum auch keinen Anspruch auf eine Stelle in der Symbolik machen; zwar hat Röhr ein solches vorgelegt, und Bretschneider nicht ohne Beifall darüber geurteilt; daß es aber irgendwo auch nur in einer Gemeinde angenommen sei, ist uns nicht bekannt geworden.

Noch weniger konnten die Saint-Simonisten berücksichtigt werden, da sie nicht einmal unter die christlichen Sekten zu zählen sind. Auf daß eine religiöse Partei dieses Ehrenplatzes noch für würdig erachtet werde, wird wohl zum mindesten erfordert, daß sie Christum als denjenigen verehre, durch welchen die Menschheit die höchste Stufe religiöser Entwicklung erreicht habe, so daß alles, was von ihnen an abwärts noch in religiöser Beziehung gedacht und empfunden werde, nur als weitere Entfaltung des durch ihn im Keime wenigstens Gegebenen aufzufassen sei. Die Karpokratianer sind daher keineswegs in die Folge der christlichen Sekten einzureihen, weil sie Christum nur dem Orpheus, dem Pythagoras, dem Sokrates und Plato gleichgestellt haben; auch die Mohammedaner nicht, weil sie den arabischen Propheten über Christum erheben, obgleich sie diesen selbst auch als einen Gottesgesandten verehren. Ebenso verhält es sich nun auch mit den Saint-Simonisten; das Christentum enthält ihnen zufolge, wie das Heidentum, nur eine einseitige Aufstellung der religiösen Idee; es ist nach ihren Grundsätzen ein zwar notwendiger Durchgangspunkt, aber doch nur ein Durchgangspunkt, um zu dem zu gelangen, was sie absolute Religion zu nennen belieben, in welcher eine jede frühere als ein bloßes Moment aufgehoben sei. Indem sie sich also über das Christentum hinaufstellen, stellen sie sich eben deshalb aus demselben schlechthin hinaus.

Drittens setzt die gegebene Begriffsbestimmung die Grenzen fest, innerhalb deren sich die Charakterzeichnung der verschiedenen kirchlichen Vereine, die in den Umfang unserer Symbolik aufgenommen sind, bewegen wird. Nur die dogmatischen Gegensätze behandelnd, stellt sie sich nämlich lediglich die Aufgabe, die unterscheidenden Lehrstücke zu entwickeln, und schließt die liturgischen und disziplinären, überhaupt die außerwesentlichen kirchlichen und bürgerlich-politischen Differenzen aus; obwohl die Eigentümlichkeiten der zu besprechenden Gemeinschaften auch in dieser Beziehung im allgemeinen ihre Erklärung in der Symbolik finden müssen. In dieser Rücksicht unterscheidet sich die Symbolik von der vergleichenden Liturgik, kirchlichen Statistik usw. Nur in wenigen Fällen schien eine Ausnahme von diesem Grundsatze zulässig.

Viertens endlich sind die Quellen bezeichnet, aus welchen die Symbolik schöpfen muß. Es leuchtet von selbst ein, daß die öffentlichen Bekenntnisse der fraglichen kirchlichen Gemeinschaften vor allem beachtet werden müssen, und von daher hat die Wissenschaft selbst ihren Namen erhalten. Inzwischen dürfen andere Quellen nicht vernachlässigt werden, die irgendeine wünschenswerte Aufklärung und nähere zur Sache gehörige Bestimmungen darbieten. Auch auf die Liturgien, Gebete und Lieder, die öffentlich gebraucht werden und von den Behörden anerkannt sind, kann sich demnach die Symbolik berufen, da sich in denselben der gemeinsame Glaube ausspricht; jedoch ist bei der Berufung auf Lieder große Vorsicht durch den Umstand geboten, daß in denselben das Gefühl und die Phantasie einseitig walten, die eine eigentümliche Sprache reden, welche mit der dogmatischen Präzision nichts gemein hat. Daher sind auch aus den lutherischen Kirchenliedern, obwohl sich manches sehr Brauchbare daselbst findet, und einige protestantische Lehreigentümlichkeiten ganz treffend in denselben ausgesprochen werden, desgleichen aus katholischen Liedern, Hymnen u. dgl. keine Beweisstellen beigebracht worden.

Daß auch diejenigen Schriften der Reformatoren, welche den Charakter öffentlicher Bekenntnisse nicht erhalten haben, für die Symbolik von großer Wichtigkeit sein müssen, leuchtet von selbst ein; besonders muß auf dieselben immer zurückgegangen werden, wenn die innere Bedeutung und der Wert der protestantischen Dogmen begriffen werden soll. Desgleichen gewähren auch anerkannt kirchlich gesinnte katholische Theologen, und vor allem die Geschichte der Synode von Trient manchen erfreulichen, näheren Aufschluß über einzelne Bestimmungen der katholischen Symbole. Jedoch darf nie die individuelle Meinung eines oder auch mehrerer Lehrer einer Konfession mit der Lehre dieser Konfessionen selbst verwechselt werden, ein Grundsatz, der selbst auf die Reformatoren derart ausgeübt werden muß, daß Vorstellungen, die sich in ihren Schriften wohl finden, aber keine ausdrückliche öffentliche Bestätigung erhalten haben, nicht als allgemein protestantisch bezeichnet werden dürfen. Indes findet eine sehr beachtenswerte Differenz zwischen dem Gebrauch katholischer Schriftsteller und der Reformatoren zum Behufe des Beweisens und Erläuterns in der Symbolik statt. Die Wichtigkeit der Sache macht wohl ein tieferes Eingehen in diese Differenzen notwendig. Die Reformatoren stehen nämlich in einem ganz eigentümlichen Verhältnis zur Glaubenslehre ihrer Anhänger, in einem ganz anderen als katholische Kirchenlehrer zum katholischen Dogma. Luther, Zwingli und Calvin sind die Schöpfer der unter den Ihrigen geltenden Ansichten, während kein katholisches Dogma auf irgendeinen Theologen, als seinen Urheber, zurückgeführt werden kann. Gleichwie sich nun in Luther mit der selbständigsten Ursprünglichkeit der Kreis von Lehren erzeugt hat, welche das besondere Leben der protestantischen Gemeinschaften begründen; gleichwie alle, die zu ihm in geistiger Beziehung sich verhalten, wie Kinder zu ihren Eltern, und deshalb auch seinen Namen empfangen, aus ihm schöpfen, und aus seiner Fülle sich nähren, so muß auch aus ihm das lebendigste, tiefste und sicherste Verständnis seines Dogmas gewonnen werden können. Die eigentümlichen Bewegungen seines Geistes, aus welchen allmählich sein System hervorging, oder welche die Erzeugung desselben begleiteten, die höheren Anschauungen, in welchen er oft, wenn auch nur vorübergehend, eben so sehr alles Einzelne zusammenfaßte, als den lebendigen Grund bezeichnete, aus dem alles wie aus einem Kerne hervorwuchs, die rationelle Beweisführung und die Begründung seiner Lehre durch die Darlegung seiner Gefühle, alles dies ist von hoher Bedeutsamkeit für denjenigen, der den Protestantismus als Dogmensystem echt wissenschaftlich zu seinem Verständnisse bringen und der demselben zum Grunde liegenden Idee sich bemächtigen will. Die protestantischen Glaubenssätze sind mit der Art ihrer ursprünglichen Erzeugung im Geiste Luthers und der ganzen Reihe von Anschauungen, die seine Seele erfüllten, so lebendig verwachsen, daß keine Trennung möglich ist: das Dogma ist mit den Ursachen, die bei seiner Hervorbringung zusammenwirkten, gleich subjektiv, und hat keinen andern Halt und Wert als eben sie. Wir werden allerdings, wie gesagt, das in die symbolischen Schriften nicht Aufgenommene auch der protestantischen Religionspartei als solcher niemals beilegen. Dürfen wir aber diesen Grundsatz nie verlassen, so können wir doch ebensowenig bei ihm stehenbleiben; denn die Religionspartei begnügte sich in der Regel nur mit den Ergebnissen des geistigen Zeugungsprozesses, durch welchen ihr Dogma war gewonnen worden, löste allgemach diese Ergebnisse von ihrem lebendigen und tiefsten Grunde ab und machte sie dadurch für die Wissenschaft großenteils unverständlich, sowie denn beinahe immer die Masse mit Abgerissenem und theoretisch in der Luft Schwebendem sich zufrieden gibt. Die Wissenschaft muß den Zusammenhang zwischen Grund und Begründen wiederherstellen, und um diese Aufgabe zu lösen, eben die Schriften Luthers und verhältnismäßig der übrigen Reformatoren aufs ernstlichste zu Rate ziehen.

Anders verhält es sich mit den einzelnen katholischen Theologen. Da sie das Dogma, über welches sie sich verbreiten, welches sie erklären, erläutern usw., schon als ein ihnen Gegebenes vorfanden, so ist ihr Besonderes und Eigentümliches auf das genaueste von dem Gemeinsamen (dem von der Kirche ausgesprochenen, von Christus und den Aposteln überkommenen Dogma) zu unterscheiden; gleichwie dieses vor jenem bestand, so kann es auch nach jenem bestehen und kann eben darum ohne jenes, überhaupt ganz unabhängig von ihm wissenschaftlich dargestellt werden. Die Unterscheidung zwischen dem Individuellen und Gemeinsamen setzt eine sehr ausgebildete und zugleich ganz auf Geschichte, auf dem Leben, auf Tradition gegründete Gemeinschaft voraus, und ist nur in der katholischen Kirche möglich; aber, wie sie in ihr möglich ist, so ist sie auch notwendig, denn Einheit ist ihrem Wesen nach nicht Einerleiheit. Der freien Bewegung des Individuellen ist, wie im Leben, so in der Wissenschaft, ein so weiter Raum zu gestatten, als er nur immer mit dem Bestande des Gemeinsamen verträglich ist, d. h. soweit es dem Gemeinsamen nicht widerspricht, und dasselbe mit Verdrängung und Auflösung bedroht. Nach diesen Grundsätzen wurde immer in der katholischen Kirche gehandelt, und danach ist sowohl der oft ausgesprochene Vorwurf zu beurteilen, daß die Katholiken bei all ihrer Hervorhebung der Einheit doch auch Verschiedenheiten und mancherlei Gegensätze unter sich hätten, als [auch] die protestantische Sitte, Meinungen einzelner oder auch mehrerer der ganzen Kirche beizulegen. So verriete es z. B. eine höchst mangelhafte Einsicht in das Wesen des Katholizismus, wenn man Augustins und Anselms Darstellung der Erbsünde, oder des letzteren Theorie der stellvertretenden Genugtuung Christi, oder Anton Günthers spekulative Erörterung dieser Dogmen für die Lehre der Kirche ausgeben wollte; es sind dies sehr lobenswerte und scharfsinnige Versuche, die geoffenbarte Lehre, das allein alle Verpflichtende, als Vernunftbegriff aufzufassen, aber man sieht leicht, daß es eben darum großer Unverstand wäre, sie mit der Kirchenlehre selbst zu verwechseln. Es kann sogar eine Zeitlang eine gewisse Vorstellung von einem Dogma oder überhaupt eine Vorstellung ziemlich allgemein sein; ohne daß jedoch diese Vorstellung je integrierender Bestandteil des Dogmas oder Dogma selbst werden könnte. Wir haben hier ewig wechselnde individuelle Gestaltungen eines Allgemeinen, welche dieser oder jener Person oder auch einer bestimmten Zeit dienen mochten, sich des Allgemeinen auf dem Wege der Reflexion und Spekulation zu bemächtigen, welche auch mehr oder weniger Wahrheit haben mögen, worüber indes die Kirche sich nicht ausspricht, weil ihr die entscheidenden Anhaltspunkte in der Überlieferung abgehen, worüber sie also lediglich der theologischen Kritik das Urteil anheimstellt.

Aus dem Gesagten ergibt sich aber auch, daß den Protestanten diese Auseinanderhaltung überaus schwerfallen müsse. Da ihr ganzes ursprüngliches System nur ein zur Allgemeinheit erhobenes Individuelles ist, indem den Reformatoren die Art, in welcher sie gewisse Dogmen auffaßten, und sich persönlich in dieselben hineindachten und hineinlebten, mit diesen selbst vollkommen zusammenfiel, so vererbte sich von ihnen aus eine unwiderstehliche Neigung, allenthalben beides gern zu identifizieren. Es war in Luther die ungeordnete Geltendmachung eines Ichs, welches eigenmächtig als Mittelpunkt hervortreten wollte, um den sich alle sammeln sollen, eines Ichs, welches sich als den universellen Menschen aufstellte, in dem sich jedermann zu spiegeln habe, kurz: es war formell die Erhebung an die Stelle Christi selbst, der allerdings als Individuum zugleich die erlöste Menschheit repräsentiert, ein Vorzug, der lediglich ihm eigen ist, nach ihm aber nur der Gesamtkirche, und zwar übertragen von ihm. In der neueren Zeit, in der den Protestanten nach vielen Richtungen hin gerade das andere Extrem der ursprünglichen Reformation gefällt, werden nicht nur alle denkbaren Individualitäten und Besonderheiten, die sich an das Dogma anschließen können, gerne geduldet, sondern gar vielfach selbst alle eigentümlich christlichen Dogmen nur als Doktrinen betrachtet, die man dulden und den Individuen, die für ihre persönlichen Bedürfnisse derselben benötigt seien, lassen müsse; so daß, wenn Luther sogar sein Individuelles zur Würde des Allgemeinen erhob, nun das Allgemeine zum bloßen Individuellen herabgezogen wird, also nie das wahre Verhältnis des einen zum andern mehr gewonnen werden kann. In konsequenter Entwicklung betrachtet sich nämlich in immer weiteren Kreisen ein jeder als den Repräsentanten der wenigstens vom Irrtum erlösten Menschheit, als einen Christus im kleinen; damit nun aber diese Erscheinung nicht gar zu seltsam sich herausnähme, denn nicht leicht stimmt einer mit dem andern überein, so erfand man die versöhnende Auskunft, einem jeden das Seine zu lassen, d. h. ihm zu gestatten, sein eigener Erlöser zu sein, und eben sich selbst zu repräsentieren, als das die erlöste Menschheit Repräsentierende aber nur die äußersten Linien zu betrachten, worin alle einzelne zusammentreffen. Das Gemeinsame der Protestanten könnte jetzt nur noch in abstrakten Formeln bestehen, die auch sehr vielen Nichtchristen genehm sein müssen; da ein jeder sich als Christus benahm, fiel der wahre Christ, das eigentlich Anstößige für die Welt, notwendig hinweg; da ein jeder sich selbst erlöste, gab es keinen gemeinsamen Erlöser mehr.

Dazu kommt nun aber noch Folgendes, wodurch die besondere Art des Individuellen bestimmt wird, welches die Protestanten so ungemein gern mit dem Allgemeinen der katholischen Kirche ohne Unterschied zusammenfließen lassen. Der Protestantismus entstand teils aus der Entgegensetzung gegen unleugbar viel Schlechtes und Fehlerhaftes in der Kirche, und darin besteht sein Gutes (das ihm freilich nicht eigentümlich ist, indem die von kirchlichen Grundlagen ausgehende Bekämpfung des Bösen vor ihm schon war und neben ihm niemals aufgehört hat); teils aus dem Kampfe gegen besondere wissenschaftliche Darstellungen des Dogmas und Gestaltungen im kirchlichen Leben, die wir unter dem Ausdrucke einer mittelalterlichen Individualität zusammenfassen können (an deren Verwandlung übrigens gleichfalls schon von kirchlichen Gesichtspunkten aus seit der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts gearbeitet worden war). Während sich nun der Kampf leidenschaftlich entwickelte, geschah es, denn die Leidenschaft sieht alles verkehrt, daß sich den Reformatoren die Sache in der Art gestaltete, als bestände die bisherige Kirche aus jenem Schlechten und dieser Individualität, als sei aus beiden das Wesen der Kirche zusammengesetzt. Nachdem sich diese Ansicht gebildet hatte, wurde beides noch mehr übertrieben und ganz auf die Spitze gestellt; denn es zeigte sich auch der Vorteil bei diesem Verfahren, daß in solcher Weise die katholische Kirche am leichtesten zu bekämpfen war. Hiernach finden wir so häufig bei den Reformatoren, seltenere erfreuliche Eingeständnisse in Luthers Schriften ausgenommen, nicht nur nicht die nötige Unterscheidung zwischen dem Dogma der Kirche und dem Individuellen einzelner Schriftsteller und einer ganzen Zeit, sondern eine derartige Hervorhebung des letzteren, daß jenes nicht selten völlig in den Hintergrund trat. Die Art des Entstehens eines Dinges bedingt aber in der Regel auch seinen Fortbestand; würden hiernach die Protestanten auf die fragliche Auseinanderhaltung eingehen, bei der Beurteilung des Katholizismus rein sich an das Gemeinsame, in den öffentlichen Symbolen Niedergelegte halten, und das übrige der Geschichte anheimgeben, so wäre ihr abgesondertes Dasein, wie ursprünglich unmöglich, so auch jetzt wesentlich gefährdet. Die so überaus oft erhobene, hier besprochene Beschwerde der Katholiken erscheint demnach so sehr mit ihrem Gegensatze zum Protestantismus an sich verwachsen, daß sie nur mit der Verschwindung dieses Gegensatzes überhaupt dermaleinst wird beseitigt werden können.

Durfte hieraus einleuchten, daß von den Schriften der Reformatoren überhaupt in der Symbolik ein Gebrauch zu machen ist, der von keinem katholischen Schriftsteller gemacht werden kann, so müssen wir jetzt noch auf einige besondere Schwierigkeiten bei dem Gebrauche der Werke Luthers und Melanchthons aufmerksam machen. Luther ist in seinen Behauptungen sehr wandelbar, er bringt gar zu oft auch das Gegenteil seiner eigenen Aussagen vor, und zeigt sich den Eindrücken des Augenblicks und vorübergehenden Stimmungen auf die überraschendste Weise preisgegeben. Auch gefällt er sich in Übertreibungen nach jeder Richtung hin, stellt gerne auf die Spitze, und liebt sogenannte Kraftausdrücke, in welchen oft, für sich allein betrachtet, sein wahrer Sinn gewiß nicht leicht zu erkennen ist. Das ratsamste Verfahren unter diesen Umständen ist nun wohl, den Grundton, der das Ganze durchdringt, durch sorgfältiges Studium seiner Werke kennenzulernen; einzelne Stellen dürfen jedenfalls nie für sich allein als entscheidend betrachtet werden, und die Annahme einer Art von Durchschnittsgröße stellt sich als sehr empfehlenswert von selbst heraus. Mindere Schwierigkeiten bietet Melanchthon dar; zwar verwickelte er sich in Widersprüche von ungleich größerem Belange als Luther, allein eben dadurch erleichtert er uns auch die Mühe des Ausscheidens des echt Protestantischen von dem demselben Entgegengesetzten. Sein reformatorisches Leben zerfällt in der hier zu nehmenden Rücksicht genau in zwei Hälften; in der ersten wurde er als junger, theologischen Studien noch fremder, nur klassisch gebildeter Mann allmählich von Luthers Persönlichkeit in religiös-kirchlicher Beziehung so beherrscht, daß er dessen Denkweise unbedingt in sich aufnahm; in dieser Periode fällt die erste Ausgabe seiner berühmtesten Schrift, seiner loci theologici. Mit reifendem Talente, zunehmender theologischer Bildung und reicherer Lebenserfahrung gewahrte er den Abgrund, vor welchen er hingeführt worden war, und zog sich nach und nach zurück, freilich ohne je mehr eine ausgeprägte Selbständigkeit zu gewinnen, da er in der Blüte seiner Jahre fremden, geistbeschränkenden Einflüssen übereilt sich hingegeben hatte. Er schwankte jetzt einerseits haltungslos zwischen Katholizismus und Luthertum, andererseits zwischen diesem und den calvinischen Bestimmungen. Wir trugen daher kein Bedenken, nur sein obengenanntes Werk in der bezeichneten Ausgabe zu gebrauchen, und berufen uns denjenigen gegenüber, die anderer Meinung sein könnten, auf die unter den Lutheranern über das Corpus Philippicum entstandenen Streitigkeiten, und das endliche Ergebnis derselben. In Betreff Zwinglis und Calvins hat es keine Schwierigkeiten; indem jener guten Teils nur eine historische Bedeutung hat, dieser aber sich immer gleich bleibt.

II. Die symbolischen Schriften der Katholiken und Protestanten

a) Der Katholiken

Bevor wir zur Symbolik selbst übergehen, müssen wir noch die öffentlichen Bekenntnisschriften sowohl der Katholiken als der Protestanten kennenlernen. Es kann hier begreiflich nur von jenen Symbolen die Rede sein, in welchen die Eigentümlichkeiten und die Gegensätze der beiderseitigen Konfessionen niedergelegt sind, keineswegs aber von jenen, in welchen die Protestanten in ihrer ursprünglichen Gestalt gleich den Katholiken ihren Glauben ausgesprochen finden. Das apostolische, nizänische und athanasianische Syrnbolum, überhaupt alle dogmatischen Sätze, welche die vier ersten ökumenischen Synoden in betreff der Trinität und der Person Christi ausgesprochen haben, erkennen die ihrer Kirche treuen Protestanten nicht minder als die Katholiken an, und feierlich erklärten sich die Lutheraner hierüber im Eingange der Augsburgischen Konfession, sowie in den Schmalkaldischen Artikeln; auch die Reformierten sprechen sich ganz unzweideutig und öffentlich hierüber aus. Diese Symbole bilden das Gemeinsame der getrennten Kirchen, die teure Mitgabe, die die überklugen Töchter aus dem mütterlichen Hause auf ihre neuen Ansiedelungen übertrugen, und kommen somit hier nicht zur Sprache, wo nur von den Zwistigkeiten die Rede ist, welche die Scheidung veranlaßt haben, keineswegs aber von den auch die Getrennten noch vereinigenden Banden. Wir nennen nun zuerst die Schriften, in welchen die katholische Kirche die uralten Hausgesetze über den entstandenen Unfrieden aussprach.

1) Das Concilium von Trient. Bald nach dem Beginne der Streitigkeiten, deren Urheber zwar Luther war, deren Grund aber in der ganzen Zeit verborgen lag, wurde der Wunsch von vielen Seiten gehört, und von Kaiser Karl V. am päpstlichen Hofe lebhaft unterstützt, dass eine allgemeine Kirchenversammlung die Beseitigung derselben übernehmen möchte. Die höchst schwierige Lage der Dinge an sich und zahlreiche besondere Hindernisse, die selten unbefangen gewürdigt wurden, gestatteten jedoch die Eröffnung der Synode nicht früher als im Jahre 1545 unter Paul III. Nach mehreren langen Unterbrechungen, wovon eine zehn Jahre dauerte, wurde sie im Jahre 1563 unter Pius IV. nach geschlossener 25. Session beendigt. Die Beschlüsse betreffen das Dogma und die Disziplin. Die ersteren sind teils in der Form von Abhandlungen, decretum oder auch doctrina überschrieben, vorgetragen, teils in der Form kurzer Sätze, canones genannt; jene beschreiben, zum Teil sehr umständlich, das katholische Dogma, diese sprechen sich gedrängt und kernhaft gegen die Verirrungen in der Lehre aus. Die disziplinären Verordnungen, mit der Aufschrift decretum de reformatione, werden uns nur selten beschäftigen.

2) Die zweite Schrift, die hier genannt werden muß, ist der tridentinische oder römische Katechismus, mit dem Titel Catechismus Romanus ex decreto Concilii Tridentini. Die in Trient versammelten Väter der Kirche fühlten selbst das Bedürfnis eines ganz tüchtigen und allgemein einzuführenden Katechismus, obschon es an sehr brauchbaren Arbeiten dieser Art damals nicht mehr fehlte; es häuften sich dieselben sogar, während die Synode gefeiert wurde, in großer Menge an. Inzwischen genügte keiner vollkommen, und es wurde beschlossen, daß die Synode selbst einen ausarbeiten und bekanntmachen wolle. In der Tat prüfte sie noch einen von einer Kommission angefertigten Entwurf, der jedoch leider auch, mangels praktischer Brauchbarkeit und Gemeinverständlichkeit, verworfen werden mußte. Da nun aber die Versammlung schon im Begriffe war, sich aufzulösen, sah sie sich genötigt, auf die eigene Herausgabe eines Katechismus zu verzichten und in den Vorschlag der päpstlichen Legaten einzugehen, dem apostolischen Stuhle die Ausarbeitung desselben zu überlassen. Der Heilige Vater wählte drei ausgezeichnete Theologen für diese wichtige Arbeit, den Leonardo Marino nämlich, Erzbischof von Lanciano, den Egidio Foscarari, Bischof von Modena, und den Francisco Fureiro, einen portugiesischen Dominikaner. Beigegeben wurden ihnen drei Kardinäle, und der berühmte Philologe Paulus Manutius, welcher der Arbeit in bezug auf den lateinischen Ausdruck und den Vortrag die Vollendung geben sollte.

Er erschien im Jahr 1566 unter Pius IV., und die kirchlichen Provinzen beeilten sich, ihn in Anerkennung seiner Vortrefflichkeit, zum Teil sogar durch zahlreiche Synodalbeschlüsse, einzuführen. In der Tat verdiente er diese bereitwillige Aufnahme wegen des echt evangelischen Geistes, der ihn durchringt, wegen der Salbung und Klarheit zugleich, in der er geschrieben ist, und der glücklichen Ausscheidung der Schulmeinungen und Vermeidung scholastischer Formen, welche allgemein gewünscht wurde. Inzwischen sollte er bloß als Handbuch für praktische Seelsorger dienen, und Katechismen für Kinder durch ihn nicht ersetzt werden, obgleich der ursprünglich fortlaufende Vortrag später in Fragen und Antworten aufgelöst wurde.

Es frägt sich nun aber, ob er wirklich ein symbolisches Ansehen und symbolischen Charakter habe? Diese Frage kann nicht geradezu bejaht werden; denn erstens wurde er vom tridentinischen Concilium weder selbst herausgegeben, noch bestätigt, sondern nur veranlaßt. Zweitens sollte er vermöge der Bestimmung, die ihm von der Synode zugedacht war, keinem auf dem Gebiete der Kirche entstandenen Irrtum nach der Weise symbolischer Schriften entgegengesetzt werden, sondern nur das bereits aufgestellte Symbol zum praktischen Gebrauche verarbeiten; er dient daher ganz anderen Bedürfnissen, und ist hienach ganz anders eingerichtet, als öffentliche Bekenntnisschriften. Auch beschäftigt er sich ja nicht bloß mit jenen Lehrstücken, welche der katholischen Kirche, den protestantischen Vereinen gegenüber, eigentümlich sind, sondern mit der gesamten Lehre des Evangeliums, und möchte daher eher eine Bekenntnisschrift der christlichen Kirche im Gegensatz zu den nichtchristlichen Religionen genannt werden, wenn sich der Sprachgebrauch und die eigentümlichen Zwecke der Symbole mit einer solchen Benennung vertrügen. Gehet mithin dem römischen Katechismus nach dem angeführten ersten Grund die formelle allgemein kirchliche Sanktion ab, so ermangelt er nach dem zweiten aller der inneren Eigenschaften und der besonderen Richtung, welche die Symbole zu haben pflegen. Drittens verdient endlich noch bemerkt zu werden, daß einst die Jesuiten in einer Streitsache (betreffend das Verhältnis der Gnade zur Freiheit) vor den höchsten kirchlichen Behörden behaupteten, daß ihm ein symbolisches Ansehen nicht zukomme, und auch keine ihrer Ansicht widersprechende Erklärung abgegeben wurde.

Wird nun auch dem römischen Katechismus der Charakter einer Bekenntnisschrift abgesprochen, so doch keineswegs eine große Autorität, die ihm schon aus dem Umstande zufließt, daß er auf Geheiß der Synode von Trient verfaßt wurde; sodann erfreute er sich, wie gesagt, einer sehr allgemeinen Billigung der lehrenden Kirche, und hat besonders viele, bei verschiedenen Veranlassungen gegebene Empfehlungen der Päpste aufzuweisen. Wir werden demnach auch häufig auf ihn verweisen, und uns seiner als eines sehr wichtigen Zeugen der katholischen Lehre bedienen; zumal in den Fällen, wo die Synode von Trient nicht ausführlich genug und erschöpfend ist.

Auf eine ähnliche Weise verhält es sich auch drittens mit der Professio fidei Tridentina.

Viertens. Bald nach den Zeiten der Synode von Trient, ja zum Teil schon während ihres Verlaufes erhoben sich innerhalb der katholischen Kirche Lehrstreitigkeiten. die sich großenteils über das Verhältnis der Gnade zur Freiheit und verwandte Gegenstände verbreiteten, und daher auch für unsere Zwecke nicht unwichtig geworden sind. Der apostolische Stuhl sah sich nämlich genötigt, mehrere Konstitutionen zur Beilegung des Zwiespaltes zu erlassen, in welchen in die bestrittene Materie selbst mußte eingegangen werden. Es gehören hierher besonders die von Innozenz X. erlassene Bulle gegen die fünf Propositionen des Jansenius, und die Bulle Unigenitus von Clemens IX. Es ist nun allerdings auch von diesen Konstitutionen zu sagen, daß sie keinen symbolischen Charakter haben, indem sie nur gewisse Sätze als irrtümlich bezeichnen, die dem Irrtum entgegenstehende Lehre aber nicht aufstellen, sondern vielmehr als bekannt voraussetzen. Ein Glaubenssymbol muß aber Lehren darbieten, nicht bloß Irrlehren verwerfen. Da die genannten Bullen jedoch die Bestimmungen von Trient strenge festhalten und ganz im Geiste derselben gefaßt sind, da sich dieselben überdies auf manche wichtige Frage beziehen, und diese im Sinne der genannten Bestimmungen wenn auch nur negativ lösen, so werden wir auf sie hie und da zurückkommen, und manche katholische Glaubenslehre durch sie erläutern.

Es leuchtet aus dem Gesagten ein, daß die katholische Kirche im Grunde nur eine symbolische Quelle in der fraglichen Beziehung besitze. Alles, was etwa noch eine solche genannt werden möchte, ist nur eine Ableitung aus ihr oder eine nähere Bestimmung, Erläuterung und Anwendung des in ihr schon Enthaltenen, wurde zum Teil nur durch sie erst angeordnet, oder erhält doch jedenfalls erst seinen Wert durch Übereinstimmung mit ihr, und kann darum an Würde mit der Quelle selbst nicht verglichen werden.

b) Der Lutheraner

Das erste symbolische Buch der Lutheraner ist die Augsburgische Konfession; sie verdankt ihr Entstehen folgenden Umständen. Mehrere Reichstage hatten sich schon mit der kirchlichen Spaltung beschäftigt, die von Wittenberg ausgegangen war; allein was zu Worms gegen dieselbe (im Jahre 1521) beschlossen wurde, zeigte sich bereits zu Speyer (Juni 1526) unausführbar, und hatte sich schon drei Jahre später zu einer höchst bedenklichen Spannung entwickelt, die sich besonders auf einer abermals am letztgenannten Orte (im März des Jahres 1529) zusammenberufenen Fürstenversammlung zutage legte. Jene Reichsstände, welche hier gegen die Forderung, der Reformation Luthers keine weitere Ausdehnung zu geben, protestiert und ihre entschiedene Abneigung ausgesprochen hatten, die da und dort noch bestehenden katholischen Eigentümlichkeiten in ihren Ländern zu dulden, worauf katholischerseits angetragen war, schlossen nun enge Verbindungen unter sich, und 19 zu Schwabach aufgesetzte Artikel enthielten die dogmatische Grundlage des Vereins, ohne deren Anerkennung niemand Bundesglied sollte werden können. In Torgau wurden die genannten Artikel bestätigt. Aus diesen Elementen ging nun die Augsburgische Konfession hervor.

Karl V. sagte nämlich einen in Augsburg im Jahr 1530 zu haltenden Reichstag an, welcher nach unbefangener, ernster Würdigung der gegenseitigen Lehre Reichs- und Religionsfrieden gewähren sollte. Diese löbliche Absicht war in keiner anderen Weise zu erreichen, als wenn vor allem anderen die protestantischen Stände ihre dogmatischen Ansichten vorlegten, und was sie an den bisher üblichen kirchlichen Gebräuchen und der Kirchenzucht Anstößiges fanden, entwickelten. Melanchthon erhielt den Auftrag, in einem Aufsatze, später die Augsburgische Konfession genannt, die Meinungen der Seinigen kurz darzustellen; denn Luther wurde für ein Friedensgeschäft allgemein als untauglich erachtet.

Obschon der Verfasser des Bekenntnisses die Schwabacher und Torgauer Artikel vielfach geändert, überhaupt die früheren Behauptungen Luthers sehr gemildert und wirklich verbessert hatte, so fehlte desungeachtet viel, daß die Katholiken dasselbe hätten billigen können. Es wurde daher eine Widerlegung der vorgelesenen protestantischen Konfession ausgearbeitet und gleichfalls in der Fürstenversammlung vorgelesen. Da dieselbe indes auch die lutherischen Stände nicht überzeugen konnte, verfaßte Melanchthon eine Apologie seines Bekenntnisses, welche, obgleich von ihr kein öffentlicher Gebrauch auf der Reichsversammlung mehr gemacht werden durfte, später dennoch als die zweite symbolische Schrift der Lutheraner verehrt wurde.

Die Absicht des Kaisers, Friede und Eintracht in Deutschland zu erneuern, wurde nicht erreicht, obschon noch besondere Konferenzen zwischen den friedliebendsten und gemäßigten Theologen beider Parteien in Augsburg veranstaltet wurden. Sie verglichen sich zwar über mehrere Artikel, jedoch nur äußerlich und scheinbar, durch die Umstände genötigt. Alle Hoffnung war inzwischen schon längst auf eine allgemeine Synode gesetzt worden, und Papst Paul III. schrieb eine solche nach Mantua aus. Auch an die protestantischen Stände erging die Einladung, dieselbe zu beschicken; Schmalkalden wurde nun von ihnen gewählt, um sich unter anderem auch deshalb unter sich und mit den kaiserlichen und päpstlichen Abgeordneten, Held und Vorstius, zu besprechen (im Jahre 1537). Luther hatte schon vorher den Auftrag erhalten, Sätze vorzubereiten, welche die protestantische Gesinnung aussprechen, die Grundlage einer etwaigen Vereinigung bilden und, was vielleicht den Katholiken nachgegeben werden könnte, bezeichnen sollten; zu Schmalkalden erhielten sie ihre Bestätigung von den protestantischen Fürsten und mehreren zu Rate gezogenen Theologen. Sie wurden zwar für den beabsichtigten Zweck nicht gebraucht, da die Synode durch einen Zusammenfluß hindernder Zeitumstände nicht zustande kam; die Lutheraner hatten jedoch wieder eine Gelegenheit gehabt, sich dem Katholizismus gegenüber auszusprechen, und dem Aufsatze Luthers wurde unter dem Namen der Schmalkaldischen Artikel eine Stelle unter den symbolischen Büchern der Protestanten vergönnt.

Schon während dieser Erklärungen gegen die Katholiken wurden die Keime zu einem großen innern Zwiespalt unter denjenigen selbst gelegt, welchen Luther seinen Namen und seine Lehre gegeben hatte; jedoch entfalteten sich die Keime erst recht nach seinem Tode. Die Gegenstände des Streites und die in demselben beteiligten Hauptpersonen werden in der Symbolik selbst bezeichnet werden; hier darf nur die Bemerkung nicht unterbleiben, daß es sich nach langen Stürmen vorzüglich Andreä, Kanzler von Tübingen, zur höchsten Ehre rechnete, eine Formel ausfindig zu machen, welche sich in der Weise gegen die versuchten Neuerungen für die echte Orthodoxie ausspräche, daß sie zugleich allenthalben als der einzige richtige Ausdruck des lutherischen Glaubens angenommen würde, die Eintracht auf ewige Zeiten befestigte, und die rechte Lehre für alle Zukunft gegen Fälschungen sicherstellte. Nach langen, oft sehr zweifelhaften und die äußerste Geduld in Anspruch nehmenden Bemühungen gelang es ihm endlich, besonders mit Hilfe des Chemnitz, eines sehr angesehenen braunschweigischen Theologen, die beabsichtigte Formel zustande zu bringen (im Jahre 1577). Sie heißt gewöhnlich die Konkordienformel, oder auch von dem in der Nähe von Magdeburg gelegenen Kloster Bergen, wo die genannten Theologen mit Zuziehung Sellneckers die letzte Hand an das Werk legten, das bergische Buch. Diese Bekenntnisschrift besteht aus zwei Stücken, aus einem kurzen Abriß der orthodoxen Lehre, Epitome genannt, und einer sehr weitläufigen Darstellung derselben, die gewöhnlich unter dem Namen Solida Declaratio zitiert wird. Übrigens wurde diese Schrift keineswegs allenthalben angenommen, sosehr sie auch im Geiste der ursprünglichen lutherischen Lehre gehalten ist, und sonderbar genug, gerade deswegen.

Zu den genannten symbolischen Schriften kommen endlich noch der größere und kleinere Katechismus Luthers hinzu, von der Epitome die Bibel der Laien genannt. An sich hatten diese beiden Katechismen die Bestimmung nicht, symbolische Bücher zu sein, obwohl sie begreiflich den Inhalt des Symbols der lutherischen Kirche in sich aufnahmen; indessen gefiel es dieser, dieselben auch unter diesem Gesichtspunkte zu verehren.

c) Der Reformierten

Wenn die symbolischen Bücher der lutherischen Konfessionen von allen Einzelkirchen, die in die Ansichten der wittenbergischen Reformatoren eingingen, angenommen wurden, eine Erscheinung, die nur in betreff der Konkordienformel nicht ganz durchgreifend ist, so besitzen hingegen die reformierten Gemeinden keine allenthalben mit gleicher Verehrung anerkannten Bekenntnisschriften. Der Grund ist teils in Zwinglis Auffassung der Lehre vom heiligen Abendmahle zu suchen, welche den tieferen religiösen Sinn des sechzehnten Jahrhunderts allzu sehr verletzte, als daß sie irgendwo einen bleibenden, oder gar einen weit verbreiteten Eingang hätte finden mögen; teils in der die christliche Vernunft zu tief empörenden Prädestinationslehre Calvins, welche gleichfalls nicht in alle reformierten Kirchen einzudringen vermochte. Es existierte daher von Anfang an keine durchgreifende Harmonie unter den Reformierten, weswegen sich auch keine solche in einem gemeinsamen Symbol aussprach. In England kam noch der besondere Umstand hinzu, daß die göttliche Einsetzung des Episkopats gegen den Presbyterianismus der übrigen Anhänger Zwinglis und Calvins festgehalten, und hiermit im Zusammenhange eine mehr der Weise der katholischen Kirche sich nähernde Liturgie eingeführt wurde.

So geschah es also, daß beinahe eine jede reformierte Landeskirche ein eigenes Symbol oder gar mehrere, voneinander abweichende Symbole besitzt. Die vorzüglicheren sind folgende:

1. Die Confessio Tetrapolitana, welche von den vier Städten Straßburg, Konstanz, Memmingen und Lindau auf dem Reichstage zu Augsburg im Jahre 1530 besonders eingereicht, jedoch von der Versammlung nicht berücksichtigt wurde, weil diesen Städten wegen ihrer Hinneigung zur Zwinglischen Ansicht vom Abendmahle die protestantischen Stände die Aufnahme in ihren Bund hartnäckig verweigerten. Da einige Jahre später die genannten Städte aus politischen Gründen die Augsburgische Konfession unterzeichneten, so bekannte sich freilich zur Tetrapolitana in kurzer Zeit niemand mehr.

2. Die drei helvetischen Konfessionen. Die in den Sammlungen der reformierten symbolischen Schriften vorangestellte helvetische Konfession, also die erste, wurde im Jahre 1536 von Heinrich Bullinger und Leo Judä, Myconius und Simon Grynäus verfaßt. im Jahre 1566 aber umgearbeitet, und im Namen aller helvetischen Kirchen, mit Ausnahme der von Basel und Neuchatel, herausgegeben. Die zweite ist die eben genannte erste in ihrer ursprünglichen Form. Die dritte ist die Mühlhäuser, von Oswald Myconius im Jahre 1532 herausgegeben; sie wird auch die Basler genannt.

3 Die XXXIX Artikel, das Symbolum der anglikanischen Kirche. Schon im Jahre 1553 waren unter König Eduard VI. XLII Artikel, wahrscheinlich von Erzbischof Cranmer von Canterbury, und dem Bischof Ridley von London, als das Glaubensbekenntnis der englischen Kirche ausgearbeitet worden; unter Elisaberh aber wurden sie im Jahre 1562 auf XXXIX zurückgebracht und von einer Londoner Synode bestätigt.

4. Die französischen Reformierten schrieben ihr Symbol im Jahre 1559 auf einer Pariser Synode nieder, welche Antoine de Chantieu, reformierter Prediger zu Paris, nach erhaltener Aufforderung hiezu zusammenberufen hatte.

5. Die Anhänger Calvins in den Niederlanden erhielten im Jahre 1569 eine Bekenntnisschrift, die von Guy de Bres und Hadrian Saravia unter dem Beistande mehrerer anderer Mitarbeiter in französischer Sprache verfaßt, bald aber auch in die niederländische übersetzt wurde. Da die genannten Männer nicht öffentlich zu dieser Arbeit aufgefordert waren, gewann sie erst allmählich eine symbolische Autorität, welche zumal nach der im Jahre 1574 zu Dordrecht gehaltenen Synode, welche die genannte Bekenntnisschrift mit Ausnahme weniger und unbedeutender Momente bestätigte, nicht mehr fehlen konnte.

6. Weit berühmter und berüchtigter wurden indes die dogmatischen Beschlüsse einer im Jahre 1618 und 1619 gleichfalls in Dordrecht gehaltenen reformierten Synode. Die starre Prädestinationstheorie Calvins konnte nicht lange festgehalten werden, ohne selbst in der Mitte der Reformierten Gegner zu finden. Dies lag in der Sache selbst. Allein die Mehrzahl der Reformierten zeigte sich ebenso abgeneigt, eine von den dogmatischen Grundlagen ihrer Kirche bestreiten zu lassen, als die Lutheraner in Deutschland. Als daher Arminius, Prediger in Amsterdam und seit 1603 Professor in Leiden, mit mehreren Gleichgesinnten Calvins Vorstellungen in Zweifel zog, sein Collega Gomar aber dieselben streng verteidigte, entspann sich ein höchst folgenreicher Zwiespalt, dessen Beilegung die genannte Synode versuchte, während sie ihn im Grunde nur befestigte. Die, wenn auch sehr verfolgten, Arminianer oder Remonstranten erhielten sich als eine eigene Sekte. Inzwischen fanden die Beschlüsse von Dordrecht außer Holland auch noch in der Schweiz, bei den Reformierten in Frankreich und anderwärts eine sehr beifällige Aufnahme; während sie freilich in England ausdrücklich verworfen und anderwärts nicht gebilligt wurden.

7. Friedrich III., Pfalzgraf bei Rhein, der vom lutherischen Bekenntnisse zum calvinischen übertrat, und auch seinen Untertanen die ihm beliebten Meinungen aufdrang, ließ einen Katechismus ausarbeiten (im Jahre 1562), der auch in die Reihe der symbolischen Bücher der Reformierten aufgenommen wurde. Er wird gewöhnlich der Heidelberger oder pfälzische Katechismus genannt, und fand so großen Beifall, daß ihn viele reformierten Gemeinden als Schulbuch bei sich einführten.

8. Die protestantischen Fürsten hatten meistens gleich dem Pfalzgrafen Friedrich die Ansicht von sich, daß sie für ihre Untertanen die religiösen Streitfragen entscheiden und ihre individuellen Ansichten notwendig das Eigentum aller werden müßten. Nach seinem Tode folgte ihm im Jahre 1576 sein Sohn Ludwig, der die reformierten Prediger wieder vertrieb und mit dem lutherischen Symbol auch den lutherischen Kultus erneuerte, bis sein Nachfolger Friedrich IV. im Jahre 1582 abermals die reformierten Eigentümlichkeiten zurückführte und den Predigern und Professoren der nun wieder geächteten Konfession ein ähnliches Schicksal bereitete, als die calvinischen unter seinem Vorgänger erlitten hatten. Auch die Beschlüsse von Dordrecht mußten in der Pfalz geglaubt werden. Ähnlich nun erging es in dem Fürstentum Anhalt. Johann Georg, seit dem Jahre 1586 Fürst von Anhalt-Dessau, glaubte sein Land von Luthers Ansichten und Institutionen reinigen und dafür die reformierte Weise gebieten zu müssen. Im Jahre 1597 erschien eine symbolische Schrift in XXVIII Artikeln, und den Predigern blieb nur die Wahl zwischen deren Annahme und der Landesverweisung übrig. Als jedoch Johann im Jahre 1614 die Regierung antrat, stellte er ebenso gewaltsam das lutherische Bekenntnis wieder her. In Hessen-Kassel wurde zwar auch nach dem Übertritte des Landgrafen Moritz die reformierte Konfession aufgezwungen und die lutherisch-orthodoxen Prediger abgesetzt, jedoch kein besonderes symbolisches Buch, worüber man sich sehr wundern muß, zur gläubigen Annahme vorgelegt. Vielleicht würde es aber doch nicht unterlassen worden sein, wenn nicht bald darauf der Glaube an die dogmatischen Bestimmungen von Dordrecht wäre angeordnet worden.

9. Hingegen vermochte es der Markgraf von Brandenburg, Johann Sigismund, nicht über sich, das Vergnügen zu entbehren, ein besonderes Symbol bei seinem Übertritt aus der lutherischen in die reformierte Kirche herauszugeben. Es ist unter dem Namen der Marchischen Konfession bekannt.

10. Noch ist endlich zu bemerken, daß die Augsburgische (veränderte) Konfession nicht nur in den deutschen reformierten Kirchen ein symbolisches Ansehen besitzt, sondern überhaupt von den Reformierten hoch geachtet wird. Melanchthon nämlich näherte sich in seinen späteren Jahren der Calvinischen Vorstellung vom Abendmahle, und brachte darum auch in den vom Jahre 1540 an besorgten Ausgaben der genannten Bekenntnisschrift einige Veränderungen an, die sie den Reformierten um so mehr empfehlen mußten, als es wenigstens bei nicht Unterrichteten den Anschein gewinnen konnte, Calvins Meinung werde durch die älteste Orthodoxie der lutherischen Kirche selbst begünstigt. Näheres hierüber weiter unten. Über die polnische, ungarische, thornische und andere Konfessionen ist es nicht nötig, hier mehr beizubringen, da wir aus diesen nichts Sonderliches lernen können.

Die symbolischen Schriften der kleineren protestantischen Sekten oder die anderweitigen Bücher, woraus die Glaubenslehre derselben entnommen werden kann, nennen wir besser in den diesen Sekten gewidmeten Kapiteln.

[Anmerkung PER: Der besseren Lesbarkeit wegen setze ich die Anmerkungen Möhlers nicht an den Schluss des Textes, sondern in Kästen in die Nähe der Stelle, auf die sich die Anmerkung bezieht.]

Erstes Buch
Die dogmatischen Gegensätze der Katholiken, Lutheraner und Reformierten

Erstes Kapitel
Differenzen in der Lehre von dem Urstande des Menschen und dem Ursprunge des Bösen

§ 1
Urstand des Menschen nach katholischer Lehre.

Je nachdem von katholischen oder protestantischen Gesichtspunkten aus die Geschichte der Menschheit oder auch des einzelnen Menschen betrachtet wird, stellen sich teilweise sehr entgegengesetzte Ergebnisse von unserm gemeinschaftlichen Stammvater an, durch alle Schicksale des ganzen Geschlechtes hindurch, bis zu seinem Eingange in das jenseitige Leben heraus; und selbst die ersten Momente von diesem gestalten sich uns sehr verschieden, je nachdem wir sie im Lichte des Katholizismus oder des Protestantismus anschauen.

Zwar waren sich die Parteien anfangs eines so durchgreifenden Gegensatzes keineswegs bewußt, da kirchliche Revolutionen, so wenig als bürgerliche, nach einem zuvor entworfenen, allseitig abgerundeten Systeme ausgeführt werden; vielmehr die Grundprinzipien derselben erst im Leben selbst und durch dasselbe sich folgerichtig zu entfalten, und die ihnen ungleichartigen Einzelheiten nur allmählich umzubilden pflegen. Beim Beginne der kirchlichen Umwälzung des sechzehnten Jahrhunderts wurde daher auch die Reflexion nicht sogleich auf die ersten Anfänge unseres Geschlechtes, auch nicht auf dessen Ende und Eingang in die Ewigkeit gerichtet, da die genauere dogmatische Entwicklung dieser Lehrstücke teilweise doch nur von sehr untergeordnetem Interesse, und manche Züge in ihr nur angebracht zu sein schienen, um alle Lücken im Systeme der Begriffe auszufüllen. Der große Zwiespalt, der uns beschäftigt, nahm vielmehr von der innersten und tiefsten Mitte der Menschengeschichte seinen Ausgang, indem es sich um die Art und Weise handelte, in der sich der gefallene Mensch mit Christus in Gemeinschaft setzen, und der Früchte der Erlösung teilhaftig werden könne. Von dieser Mitte aus wirkte aber notwendig der Gegensatz bald auch vor- und rückwärts, und dehnte sich bis zu den beiden Enden der Menschengeschichte aus, welche nun auch im Einklange mit den im Zentrum vorgegangenen Veränderungen angeschaut werden wollten. Je konsequenter durchgeführt, je harmonischer es in sich selbst ausgeführt ist, desto mehr erschüttert eine an seiner Grundidee vorgenommene Modifikation alle Teile desselben. Wer darum den Katholizismus, dessen Lehren sämtlich auf das innigste miteinander verschlungen sind, in seiner Mitte angriff, mußte allmählich noch vieles andere, dessen Verwandtschaft mit dem zuerst Bestrittenen anfänglich vielleicht kaum geahnt wurde, zugleich bekämpfen.

Wir könnten nun auch von dem eigentlichen Mittelpunkt aller Gegensätze ausgehen und zeigen, wie er alles ergriffen und in seinen Kreis gezogen habe; auch würde ohne allen Zweifel der Anfang unserer Darstellung das Interesse der Leser ungleich mehr erregen, wenn sie sogleich in die Mitte des Streites gestellt würden, und von da aus das ganze Gebiet, das er beherrscht, überschauten. Allein einfacher und faßlicher dürften doch die Gegensätze dargestellt werden, wenn wir den umgekehrten Weg verfolgen und uns an dem Faden eines natürlichen Fortganges der Menschengeschichte die Lehrverschiedenheiten zur Anschauung bringen. Wir beginnen daher mit dem ursprünglichen Zustande des Menschen, sprechen hierauf von seinem Falle und den Folgen desselben, und gehen dann in den eigentlichen Mittelpunkt des Widerspruchs ein, indem wir zur Lehre von der Erhebung vom Falle durch Christus Jesus schreiten; sofort weisen wir den Einfluß der entgegengesetzten Lehren über die Entstehung und Beschaffenheit des inneren Lebens der mit Christus zu Vereinigenden auf die Vereinigung derselben unter sich zu einem äußeren gemeinsamen Leben nach, verbreiten uns also über den Begriff und das Wesen desselben je nach den verschiedenen konfessionellen Betrachtungsweisen, und schließen mit dem Übergange der einzelnen aus dieser auf Erden bestehenden Gemeinschaft in eine jenseitige, sowie mit der fortdauernden Wechselwirkung zwischen beiden.

Das Erste demnach, was uns beschäftigt, ist der Urstand des Menschen.

Der gefallene Mensch, als solcher, vermag in keiner andern Weise zur wahren und reinen Kenntnis seiner ursprünglichen Beschaffenheit zu gelangen, als durch die Belehrungen göttlicher Offenbarung; denn auch das ist ein Teil des Schicksals des von Gott entfernten Menschen, daß er zugleich sich selbst entfremdet wird, und weder wahrhaft weiß, was er anfangs gewesen, noch was er geworden ist. Vorzüglich muß bei der Bestimmung des Urstandes des Menschen der Blick auf die Erneuerung des Gefallenen in Christo Jesu gerichtet werden; denn da die Wiedergeburt eben in der Wiederbringung des uranfänglichen Zustandes besteht, und die Um- und Neuschaffung die wiedergewonnene erste Schöpfung ist, so gewährt uns auch die Einsicht in das, was uns Christus zurückgegeben hat, den erwünschten Aufschluß über das, was uns gleich von Anfang an gegeben war.

Dieser Weg wurde auch von jeher und von allen Seiten betreten, wenn die ursprüngliche Beschaffenheit des Menschen ausgemittelt werden sollte.

[1] Catechism. ex decret. Concil. Trident. ed. Colon. 1565, p. 33. Quod ad animam pertinet, eam ad imaginem et similitudinem suam formavit (Deus), liberumque ei tribuit arbitrium: omnes praeterea motus animi atque appetitiones ita in ea temperavit, ut rationis imperio nunquam non parerent. Tum originalis justitiae admirabile donum addidit etc.

Was nun zuvörderst die katholische Glaubenslehre betrifft, so verbreitet sich dieselbe sowohl über das ganze geistige als das leibliche Dasein des paradiesischen Menschen, und in beiderlei Beziehung nicht nur über seine Vorzüge, sondern auch über das ihm mit allen Menschen Gemeinsame, insofern nämlich die dogmatischen Streitigkeiten des sechzehnten Jahrhunderts eine besondere Hervorhebung auch des Letzteren erheischten. Demnach wird Adam seinem höheren Teile nach beschrieben als Bild Gottes, d. h. als ein geistiges, mit Freiheit begabtes Wesen, fähig, Gott zu erkennen und zu lieben und alles in ihm anzuschauen. [1]

[2] Das Concil. Trident. Sess. V. decret. de peccat. origin. sagt nichts, als: justitiam et sanctitatem, in qua constitutus fuerat.

Hatte Adam dieses göttliche Bild mit dem ganzen Menschengeschlecht gemein, so bestand die Auszeichnung, deren er sich erfreute, darin, daß er nach dem einfachen und schlichten Ausdrucke der Synode von Trient heilig und gerecht, mit andern Worten, vollkommen gottgefällig war [2]; oder wie die Schule nicht ganz genügend sagt: “daß sich seine niedern Seelentätigkeiten und leiblichen Triebe unter der Leitung seiner Vernunft ohne Widerstreben bewegten, denmach alles in ihm der Vernunft, diese aber Gott gehorchte”, und er somit in seliger Harmonie in sich selbst und mit Gott lebte. Die mit der gottergebenen Vernunft einträchtige, allen Widerstreit mit ihr ausschließende Bewegung der leiblichen Triebe und Kräfte war endlich mit der großen Gabe der Unsterblichkeit auch des irdischen Teiles des Menschen verbunden, sowie mit der Freiheit von allem Übel und von allen Krankheiten, den nun gewöhnlichen Vorspielen des Todes [3].

[3] Catechism. ex decret. Concil. Trid. p. 33. Sic corpore effectum et constitutum effinxit, ut non quidem naturae ipsius vi, sed divino beneficio immortalis esset et impassibilis. Sehr gut sagt Augustinus (de Genes. ad lit. VI. c. 25): Aliud est, non posse mori, aliud posse non mori etc.

Den sittlich idealen Zustand, in welchem sich hienach Adam im Paradiese befand, kennen die Theologen der Vorzeit unter der Bezeichnung “ursprüngliche Gerechtigkeit”, über deren Begriff und Wesen einige weitere, zum Teil geschichtliche Bemerkungen nicht umgangen werden können, um die Opposition zum Verständnisse zu bringen, in welche die Protestanten zu den Katholiken in diesem Lehrstücke treten.

Das allgemeine und wesentliche Interesse, welches das christliche Dogma bei Bestimmung des uranfänglichen Zustandes unsers gemeinschaftlichen Stammvaters zu wahren hat, wird durch die vorgelegte kurze Kirchenlehre vollständig befriedigt; dieses Interesse besteht nämlich darin, einerseits zu verhüten, daß das Böse in der Welt auf eine göttliche Kausalität zurückgeführt, und das Dogma von dem heiligen Gott, der zugleich Weltschöpfer ist, entstellt werde; andererseits aber auch der Idee einer ganz unverdienten Erlösung vom Falle - dieser praktischen Grundlehre des Christentums - durch die angelegentlichste Einschärfung, daß Gott den Urmenschen aufs beste ausgestattet habe, dieser also nur durch eine tiefe Selbstschuld gefallen sei, eine feste Grundlage zu geben. Gleichwohl finden sich noch über den einen und den andern Punkt nähere und zwar keineswegs überflüssige kirchliche Bestimmungen, desgleichen waren auch die Theologen bemüht, auf der Grundlage der biblisch und traditionell feststehenden Kirchenlehre nach Maßgabe gewisser Winke, die einzelne Stellen der Heiligen Schrift und einige Dogmen zu haben scheinen, noch genauer in die Beschaffenheit der ursprünglichen Gerechtigkeit einzudringen, und die Kirche erfreute sich der Liebe und Aufmerksamkeit, mit welcher das heilige Werk betrachtet wurde, und ließ den Geistern innerhalb der bezeichneten, von der Offenbarung selbst abgemessenen Grenzen den freiesten Spielraum.

Wenn nun die Kirche dem Adam in seinem Urstande Heiligkeit und Gerechtigkeit beilegt, so wird damit keineswegs nur gesagt, daß er mit gottwidrigen, seinem natürlichen Zuge und seiner Richtung zu Gott entgegengesetzten Beimischungen nicht verunstaltet gewesen sei, sondern, was ungleich mehr ist, daß er mit Gott in innerlichster und innigster Gemeinschaft gestanden habe. Nun aber ist es eine durchgreifende, alle, auch die höchsten Ordnungen und Kreise geistbegabter Geschöpfe betreffende Lehre, daß ein solches Verhältnis zu Gott, wie das des paradiesischen Adams, durch keinerlei Naturkräfte zu erreichen und festzuhalten sei, daß folglich hierzu eine besondere Herablassung Gottes erfordert werde; mit einem Worte: daß kein endliches Wesen heilig sei, außer durch den heiligen und heiligenden Geist, daß kein endliches Wesen mit Gott in lebendiger (sittlicher) Gemeinschaft stehe, als durch die Gemeinschaft eben dieses heiligen Geistes. Dieses Verhältnis Adams zu Gott, als Erhöhung über die menschliche Natur und als Versetzung in die Teilnahme an der göttlichen, wird darum auch, wie es in dem Begriffe derselben gelegen ist, ein übernatürliches, ein zu den Naturgaben hinzugegebenes Geschenk der göttlichen Gnade genannt. Übrigens ist diese nähere Erklärung des Dogmas von der ursprünglichen Heiligkeit und Gerechtigkeit Adams nicht bloß Ansicht der Theologen, sondern integrierendes Moment des Dogmas selbst, und daher selbst auch Dogma [4].

[4] Die Päpste Pius V. und Gregor XIII. haben folgende Sätze verurteilt: Art. XXI. Humanae naturae sublimatio et exaltatio in consortium divinae naturae debita fuit integritati primae conditionis, ac proinde naturalis dicenda est, non supernaturalis. Art. XXVI. Integritas conditionis non fuit indebita naturae humanae exaltatio, sed naturalis ejus conditio. Hienach ist die in den früheren Ausgaben vorgetragene Ansicht, dass die Lehre von dem donum supernaturale primi hominis zwar allgemein bei den Theologen gefunden werde und im ganzen katholischen Systeme begründet sei, dass sich jedoch die Kirche noch nicht formell darüber ausgesprochen habe, zu berichtigen.
Folgende Bemerkung dürfte nicht unwichtig erscheinen. Sooft von rein philosophischen Standpunkten aus, wir meinen, sooft ohne Berücksichtigung oder Kenntnis der geoffenbarten Wahrheit das Verhältnis des menschlichen Geistes zu Gott tiefer ergründet werden wollte, sah man sich zur Annahme der Homousie, der Wesensgleichheit der göttlichen und menschlichen Natur, genötigt, zum Pantheismus, und da mit zur hochmütigsten Vergötterung des Menschen. Wie dagegen das katholische Lehrsystem von vorneherein dem Pantheismus begegnet, und von dem Geiste der Demut erfüllt ist, gleichwohl aber jenes tiefere wissenschaftliche Bedürfnis befriedigt, welches sich eine pantheistische Weltweisheit zu befriedigen vergebens bemühet, ist aus dem Obigen ersichtlich. Was der Mensch als Geschöpf durch seine sich selbst überlassene Natur nicht zu erreichen vermag, wird ihm als Gnade des Schöpfers gewährt. So überschwenglich ist die Güte und Liebe Gottes!

Die eben beschriebene Segnung, welche das höhere, das heilige und selige Band zwischen Gott und dem paradiesischen Adam knüpfte, wird von vielen Theologen in der Voraussetzung, daß sich zwischen der sinnlichen und geistigen Natur des Menschen allmählich von selbst ein Kampf entwickelt hätte, auch als jene Kraft bezeichnet, durch welche der sinnliche mit dem übersinnlichen Teil Adams in ungestörter Eintracht zusammengehalten war. Dieselben Gottesgelehrten nehmen sodann notwendig auch an, daß dem Adam die übernatürlichen mit den natürlichen Gaben gleichzeitig, d. h. daß ihm beide im Momente seiner Schöpfung gewährt worden seien [5].

[5] Thom. Summa P. I. q. 98 art. 1. Manifestum est, quod illa subjectio corporis ad animam et inferiorum virium ad rationem non erat naturalis; alioquin post peccatum mansisset, cum etiam in daemonibus data naturalia post peccatum manserint. Ex quo datur intelligi, si deserente gratia soluta est obedientia carnis ad animam, quod per gratiam in anima existentem inferiora ei subdebantur. Bellarmin fügt de grat. prim. hom. c. V. hinzu: Ex hoc loco aperte discimus, hominem in puris naturalibus conditum habiturum fuisse rebellionem istam carnis ad spiritum, quam tunc post amissum justitiae originalis donum omnes experimur. Quandoquidem obedientia carnis ad spiritum non fuit in primo homine naturalis et gratuita. Proinde justitia originalis divintus homini collata non conservavit solum, sed attulit et fecit rectitudinem partis inferioris.
Andere Theologen dagegen ziehen, ohne Zweifel zwischen Gerechtigkeit und Heiligkeit unterscheidend, die Annahme vor, daß Adam nur als gesunde, lautere und reine Natur (mit dem harmonischen Verhalten aller seiner Teile) geschaffen, die übernatürliche Gabe der heiligen und seligen Gemeinschaft mit Gott aber ihm später erst zuteil geworden sei, nämlich erst dann, als er sich auf ihren Empfang vorbereitet, und ihrer durch freies Bestreben würdig gemacht hatte. Diese letzte Darstellung zeichnet sich durch den Vorzug der schärferen Unterscheidung der beiden Ordnungen der Natur und der Gnade aus, woran sich der empfehlende Umstand knüpft, daß das, was die Natur in sich selbst ist, und durch sich selbst vermag, zugleich recht einleuchtend hervorgehoben ist. Daß nämlich die geistige Natur des Menschen vermöge ihres Wesens als Ebenbild Gottes, die Anlage und Empfänglichkeit, Gott zu erkennen und zu lieben, in sich trage, ja daß sie ihn aus sich selbst auf eine gewisse Weise wirklich zu lieben fähig, und daß ihr nach der vollen Vereinigung mit ihm zu verlangen an sich natürliches Bedürfnis sei, tritt in dieser Darstellung treffend hervor. Hiemit sind also die natürlichen und notwendig vorauszusetzenden Anknüpfungspunkte für die höheren Gnadenmitteilungen sehr schön entwickelt. Dieselbe unterscheidet auch die ursprüngliche Gerechtigkeit von der inneren Heiligkeit und Gottgefälligkeit Adams, und faßt jene als Eigenschaft der reinen, aus Gottes Hand hervorgegangenen Natur auf, diese aber allein als Gabe übernatürlicher Gnade, und setzt sich dadurch in den Stand, die Behauptung folgerecht durchzuführen, daß auch aus der Schöpfung als solcher heraus niemals von selbst irgendein Mißverhältnis zu Gott, irgendeine Störung der Freiheit würde hervorgegangen sein, und jegliches Mißverhältnis und jegliche Störung nur in dem Mißbrauch der Freiheit ihren Ursprung habe. (Vgl. § 5.) Ferner in dieser Darstellung bedeutungsvoll darauf hingewiesen, daß dem Menschen, ohne allen Gegensatz des Bösen, sowohl seine eigene Natur und ihre höchsten über sie selbst hinausreichenden Bedürfnisse, als auch die Erweise der übernatürlichen göttlichen Huld und Gnade zum Bewußtsein kommen können, eine Lehre, die von der höchsten Wichtigkeit ist. Endlich ist die mögliche Beschaffenheit des Menschen nach dem Fall und der Gang seiner Bekehrung und Wiedergeburt vorgebildet.
[6] Pallavic. hist. Concil. Tridentin. l. VII. c. 9. p. 275. ed. Antv. 1673. Er sagt, es sei diese Veränderung auf Antrag des Pacecus geschehen: Paceco monente, non esse citra controversiam, an Adamus interiorem sanctitatem obtinuerit primo quo creatus fuit momento, unde patet, quam infirma a quibusdam deducatur probatio ad id affirmandum ex verbis concilii, quae nunc exstant. (Sess. V. decret. de peccat. origin.)

Übrigens betrachten beide Auffassungsweisen die Gerechtigkeit und Heiligkeit Adams als akzidentelle Eigenschaften desselben. Das Concilium von Trient hat sich weder für noch gegen eine dieser Darstellungen ausgesprochen, sondern sich solcher Ausdrücke bedient, daß beide innerhalb der Kirche bestehen können. Die erste, den Urmenschen betreffende Erklärung war nämlich mit den Worten gegeben: “die Gerechtigkeit und Heiligkeit, in welcher er [Adam] geschaffen (conditus) war”; diese Fassung wurde aber insofern wieder abgeändert, als anstatt “geschaffen war” die Worte “sich befand” (constitutus) gewählt wurden [6].

§ 2
Die lutherische Lehre vom Urstande des Menschen

[7] Eine Prüfung Adams war notwendig, damit der Mensch sich selbst entscheiden und dadurch das Gute, das er bereits besaß, besonders aber seine Freiheit, zum vollkommenen Selbstbewußtsein bringen möchte; aber keineswegs war der Fall notwendig. Allerdings bewirkte nun auch der Fall diese Erhebung zum selbstbewußten und freien Besitz des Wahren und Guten, weil durch Gottes Gnade selbst das Böse zur Beförderung des Guten dienen muß; aber die einfache Behauptung der Notwendigkeit des Falles erhebt das Böse selbst zum Guten.

Luther stellte keineswegs in Abrede, daß Adam positiv heilig und gerecht gewesen sei; vielmehr kannte er die späteren negativen Vorstellungen von einer bloßen Unschuld, von einer Indifferenz zwischen Gut und Bös nicht einmal, in welcher sich der paradiesische Mensch befunden haben soll, und war somit weit von jenen Behauptungen entfernt, welche die Lehre vom Sündenfalle zur Torheit machen, und das Menschengeschlecht einen Ausgang nehmen lassen, der der notwendige Eingang in die Verkehrtheit war, um der Durchgang zur selbstbewußten Rückkehr zu werden! [7] Unglücklicherweise verfiel er aber in andere Verirrungen, die, in ihren Folgen betrachtet, die eben bezeichneten wenigstens aufwiegen.

[8] Luther, in Genes. c. III. Op. ed. Jen. Tom. I. p. 83. Quare statuamus, justitiam non esse quoddam donum, quod ab extra accederet, separatumque a natura hominis (so drückten sich die Scholastiker nicht aus), sed fuisse vere naturalem, ut naturae Adae esset diligere Deum, credere Deo, cognoscere Deum etc.

Über die ursprüngliche Gerechtigkeit brachte Luther an sich keine neue, ihm eigentümliche Ansicht in den Ideenumlauf seiner Zeit; er wählte nur aus dem reichen Vorrate von Theorien, welche die fruchtbare Scholastik erzeugt hatte, die ihm besonders zusagende heraus, behandelte sie ziemlich ungeschickt, und verflocht sie in jener Gestalt, welche sie unter seinen Händen annahm, der Weise in sein ganzes Lehrgebäude, daß dieses ohne dieselbe gar nicht verstanden werden kann. Ihre Bedeutung im ganzen lutherischen System wird sich daher auch erst weiter unten herausstellen. Gegen jene Theologen, die Adams Gottgefälligkeit eine übernatürliche nannten, behauptete Luther, sie sei eine natürliche; und im Gegensatz zu den Scholastikern, von welchen sie als ein Akzidens aufgefaßt wurde, begriff er sie als ein Essentiale der menschlichen Natur, als einen die letztere mitkonstituierenden, dieselbe integrierenden Bestandteil (esse de natura, de essentia hominis) [8].

[9] Apol. de peccat. orig. §. 7. p. 56. Itaque justitia originalis habitura erat aequale temperamentum qualitatum corporis, sed etiam haec dona: notitiam Dei certiorem, timorem Dei, fiduciam Dei, aut certe rectitudinem et vim ista efficiendi. Idque testatur scriptura, cum inquit, hominem ad imaginem et similitudinem Dei conditum esse. Quod quid est aliud, nisi in homine hanc sapientiam et justitiam effigiatam esse, quae Deum apprehenderet, et in qua reluceret Deus, hoc est, homini dona esse data notitiam Dei, timorem Dei, fiduciam erga Deum et similia. Sie verstehen also unter dem, was Gott dem Adam gab, sowohl wirkliche Aktionen des Geistes (timorem Dei, fiduciam), als das Vermögen dazu (vim ista efficiendi). Ganz auffallend ist Gehrhards Behauptung, dass nach lutherischer Lehre das Ebenbild Gottes im Menschen nichts Substantielles des Letzteren sei, sondern nur eine Beschaffenheit der menschlichen Substanz, eine Qualität der letzteren. (Joann. Gerhard loci theolog. Ed. Cotta. 1735. Tom. IV. p. 249 seq. cfr. Ejusdem Confess. Cathol. l. II. art. XX. c. II., p. 349.) Merkwürdig hierbei ist der ihn selbst widerlegende Umstand, dass er sagt, das Gewissen im Menschen sei noch ein Rest des göttlichen Ebenbildes; da er nun hinzufügt, das Gewissen sei nicht aus einer übernatürlichen Aktion Gottes auf den Menschen zu erklären, so wird es doch wohl auf jeden Fall ein substanzielles Vermögen des Letzteren sein müssen und folglich auch das Ebenbild. Er aber sagt: das letztere sei concreata humanae substantiae integritas, perfectio ac rectitudo et proinde in categoria qualitatis collocanda. Loci theo. l. c. p. 286. Cfr. Chemnit. loc. theolog. P. I. p. 217. Ed. Leys. 1615

Er wollte sagen, die reine aus dem Machtwort des Schöpfers hervorgegangene Natur des Menschen enthielt alle Bedingungen ihrer Gottgefälligkeit lediglich in sich selbst; durch die den verschiedenen einzelnen Teilen der Natur Adams einwohnende eigenste Kraft standen dieselben im schönsten Gleichgewicht unter sich und der ganze Mensch im rechten Verhältnisse zu Gott. Insbesondere blühte die religiöse Anlage des Urmenschen vermöge der ihr angeschaffenen Kraftfülle gottgefälligst auf, so daß er ohne jegliche übernatürliche Stütze Gott wahrhaft erkannte, an ihn glaubte, ihn vollkommen liebte und heilig war. Die religiös sittliche Anlage Adams samt ihrer lebendig heraustretenden Entfaltung nannten die Reformatoren das Bild Gottes, ohne zwischen Vermögen und dessen dem Willen Gottes entsprechenden Tätigkeitsäußerung eine Unterscheidung eintreten zu lassen. Dadurch, daß Adam die genannte Anlage hatte, war er, auch wirklich religiös, wirklich gottesfürchtig, in allem Gott und seinem Willen ergeben und vollkommen geeinigt mit ihm [9]. Die katholischen Theologen unterscheiden dagegen zwischen dem Einen und dem Andern sehr genau, so zwar, daß sie, um den Unterschied recht zu fixieren, gewöhnlich nur die religiöse Anlage “das Bild Gottes” nannten, die gottgefällige Entwicklung derselben aber “Gottähnlichkeit” [10]. Wir werden sehen, von welchen entscheidenden Folgen diese dem oberflächlichen Anblick nach kleinlichen Lehrdifferenzen, die an sich bloß die Schule zu betreffen scheinen, begleitet waren, und zum Voraus müssen wir gefaßt sein, eine höchst auffallende Lehre von der Erbsünde von Seiten Luthers zu vernehmen. Übrigens hat die eben berührte Nichtunterscheidung teilweise auch ihren Grund in dem Bestreben der Reformatoren, recht praktisch und gemeinverständlich zu sein; sie vermieden daher sorgfältigst alle Distinktionen und abstrakte Ausdrücke als eine scholastische Ausgeburt so viel als möglich, verfielen aber auch dadurch häufig in seltsame und höchst schädliche Begriffsverwirrungen.

[10] Bellarm. de grat. prim. hom. c. II. l. c. p. 7. ... Imago, quae est ipsa natura mentis et voluntatis, a solo Deo fieri potuit: similitudo autem, quae in virtute et probitate consistit, a nobis quoque, Deo adjuvante, perficitur. Gott kann uns keine Actionen mehr geben. Weiter unten: Ex his igitur tot patrum testimoniis cogimur admittere, non esse omnino idem imaginem et similitudinem, sed imaginem ad naturam, similitudinem ad virtutes pertinere. Die bekannte Stelle in der Genesis mag nun wirklich eine solche Auslegung zulassen, oder nicht; die Distinction selbst hat einen von aller biblischen Auslegung unabhängigen Wert in sich selbst.
[11] Luther de servo arbitrio adv. Eras. Roterod. Opp. ed. lat. Jen. Tom. III. f. 170. Est itaque et hoc imprimis necessarium et salutare Christiano nosse, quod Deus nihil praescit contingenter, sed quod omnia incommutabili et aeterna infallibilique voluntate et providet et proponit et facit. Hoc fulmine sternitur et conteritur penitus liberum arbitrium. Ideo qui liberum arbitrium volunt assertum, debent hoc fulmen vel negare vel dissimulare, aut alia ratione a se abigere. fol. 171. Ex quo sequitur irrefragabiliter, omnia quae facimus, etsi nobis videntur mutabiliter et contingenter fieri et fiant, et ita etiam contingenter nobis fiant, revera tamen fiunt necessario et immutabiliter, si voluntatem Dei spectes. fol. 177. Alterum paradoxon: quidquid fit a nobis, non libero arbitrio, sede mera necessario fieri. Das Buch endlich schließt fol. 238. mit den Worten: Ego vero hoc libro non contuli, sed asserui et assero, ac penes nullum volo esse judicium, sed omnibus suadeo, ut praestent obsequium. Die Solid. Declar. II. de libero arbit. p. 639. bestätigt dieses Buch und billigt insbesondere, was de absoluta necessitate contra omnes sinistras suspiciones et corruptelas gesagt worden sei, und schließt: Ea hic repetita esse volumus, et ut diligenter legantur et expetantur omnes hortamur.

Die zweite Hauptunterscheidung beider Bekenntnisse indem vorliegenden Stück bildet die Lehre von der Freiheit. Luther behauptete nämlich und wollte diese Behauptung als Glaubenssatz festgehalten wissen, daß der Mensch keine Freiheit besitze, daß alles (vermeintlich) freie Handeln nur auf einem Scheine beruhe, daß eine unabweisbare göttliche Notwendigkeit alles beherrsche, und alles menschliche Tun im Grunde nur Gottestat sei [11].

Melauchthon lehrte dasselbe; auch er beschloß alles in eine unausweichliche Notwendigkeit und Vorherbestimmung, erklärte die Annahme, daß Gott alles wirke, für einen notwendigen Bestandteil des christlichen Wissens, da dadurch die Weisheit und Klugheit der menschlichen Vernunft geziemend niedergehalten und verdammt werde, und schärft wiederholt ein, daß das Wort “Wahlfreiheit” der Heiligen Schrift fremd sei, und ihr Begriff durch das Urteil des geistlichen Menschen verworfen werden müsse; es sei, fügt er hinzu, durch die Philosophie, gleich dem grundschädlichen Worte “Vernunft”, der er sich ebenso abhold erklärt, in die christliche Kirche eingeführt worden. Durch keinen Gegenstand glaubt er sich in seinen Hypotyposen so sehr berechtigt, die Professoren der theologischen Lehranstalten im Mittelalter, die sogenannten Scholastiker nämlich, Sophisten, Theologaster, Theologisten u. dgl. nennen zu dürfen, als durch ihr Verbrechen, die Lehre von der Freiheit so sehr unter den Christen befestigt zu haben, daß sie kaum mehr, wie er klagt, zu vertilgen sei [12].

[12] Melancht. loc. theol. ed. August. 1821. Sensim irrepsit Philosophia in Christianismus et receptum est impium de libero arbitrio dogma. Usurpata est vox liberi arbitrii, a divinis literis, a sensu et judicio spiritus alienissima ... additum est e Platonis philosophia vocabulum rationis aeque perniciosissimum. p. 10. In quaestionem vocatur, sitne libera voluntas et quatenus libera sit? Respons. Quandoquidem omnia, quae eveniunt, necessario juxta divinam praedestinationem eveniunt. Nulla est voluntatis nostrae libertas. p. 12

Durch eine reifere Erfahrung und vielseitigeres Nachdenken, besonders aber durch den Kampf mit den Katholiken auf den ungeheuren Abgrund aufmerksam gemacht, in welchen die Kirche durch eine solche Lehre gestürzt werden müsse, verließ er sie später wieder, und bestritt sie sogar [13]. Von Luther hingegen ist uns kein Widerruf bekannt geworden, und die Konkordienformel hat Luthers Schrift gegen Erasmus ausdrücklich bestätigt. Diese Lehre ist von der höchsten Wichtigkeit geworden, und ihr Einfluß durchdringt selbst nach Melanchthons Versicherung das ganze Lehrgebäude (Melancht. l. c. p. 13. In omnes disputationis nostrae partes incidet.)

[13] In den Ausgaben der Loci von 1535 an. Merkwürdig ist die Erscheinung, dass er nun auch wieder den Scholastikern vorwirft, sie hätten eine absolute Notwendigkeit gelehrt, von sich und Luthern aber schweigt, während er in den früheren Ausgaben dieselben beschuldigt, die Freiheit so vermessen behauptet zu haben. “Et quod asperior paulo sententia de praedestinatione vulgo videtur: debemus illi impiae Sophistarum theologiae, quae inculcavit nobis contingentiam et libertatem voluntatis nostrae, ut a veritate scripturae molliculae aures abhorreant;” heißt es in der ersten Ausgabe; dagegen in den Ausgaben vom Jahre 1535 bis 1543: Valla et plerique alii non recte detrahunt voluntati hominis libertatem. Wer sind denn diese plerique? Einer großen Zahl von der dergleichen Ungebührlichkeiten begegnen wir in den Schriften der Reformatoren. In den Ausgaben vom Jahre 1543 an wird diese Lehre auf die Stoiker zurückgeführt. Haec imaginatio orta ex Stoicis disputationibus etc.

In Ansehung der ursprünglichen Beschaffenheit des Körpers stimmen beide Bekenntnisse miteinander überein, und sprechen auch die lutherischen Symbole nicht ausdrücklich von jener Eigenschaft desselben, vermöge welcher er, wenn Adam nicht sündigte, vom Tode unberührt blieb, so geschieht dies deshalb, weil hierin kein Gegensatz bestand (cf. Gerhardi loc. theolog. Tom. IV. p. 268.; loc. IX. c. IV. §. 99.).

§ 3
Die reformierte Lehre vom Ursta
nde des Menschen
[14] Calvin. Instit. l. I. c. 15. § 8. fol. 59. ed. Gen. 1559. Animam hominis Deus mente instruxit, qua bonum a malo, justum ab injusto discerneret; ac quid sequendum vel fugiendum ist praeeunte rationis luce videret; unde partem hanc directridem to hegemonikon dixerunt Philosophi. Huic adjunxit voluntatem, penes quam est electio. His praeclaris dotibus excelluit prima hominis conditio, ut ratio, intelligentia, prudentia, judicium non modo ad terrenae vitae gubernationem suppeterent, sed quibus transcenderent usque ad deum ad aeternam felicitatem. ... In hac integritate libero arbitrio pollebat homo, quo si vellet adipisci posset aeternam vitam.

Wenn sich Calvin über die geistige Beschaffenheit des paradiesischen Menschen verbreitet, so setzt er sich den Katholiken darin entgegen, daß er sich dieselbe mit Luther ohne übernatürliche Kräfte denkt; den Lutheranern aber, daß er ausdrücklich der Willensfreiheit erwähnt, mit der der Urmensch begabt gewesen sei [14]. Im übrigen findet sich in diesem Artikel keine Unterscheidungslehre; eine Bemerkung, die auch von den reformierten Symbolen gilt [15]. In betreff der nachteiligen Folgen der Sünde unseres Urvaters für sein und seiner Nachkommen leibliches Dasein lehren die meisten Bekenntnisschriften der Reformierten mit Calvin ausdrücklich, daß der Tod eine Frucht der Sünde Adams sei [16].

[15] Helvet. I.c. VII. (Corpus libr. symbol. eccles. reform. ed. August. 1827.) p. 16 II. p. 95. III. p. 103. Jedoch sagen sie nur ohne nähere Bestimmung, der Mensch sei nach dem Bilde Gottes geschaffen worden und erwähnen, mit Ausnahme der ersten, der Freiheit nicht. Confess. Scot. Art. II. l.c. p. 145. gibt dem Adam Freiheit, die gallische und englische schweigen von derselben, und die belgische verleiht sie ihm wieder. C. XIV. pag. 178. Differenzen, die sich liecht erklären lassen.

[16] Helvet. I. c. VIII. l.c. p. 17. Belg. c.XIV. p. 178. Quo (peccato) se morti corporali et spirituali obnoxium reddidit.

Es fragt sich aber, wie sich Calvin berechtigt glauben durfte, dem Adam Freiheit des Willens beizulegen, da er mit Zwingli Luthers Lehre von einer göttlichen Notwendigkeit alles Geschehens vollkommen teilte und dieselbe sogar auf die Spitze stellte. Allerdings bemerkt er im Bewußtsein dieser Disharmonie, es werde hier am ungelegenen Orte die Frage von der geheimnisvollen Vorherbestimmung Gottes aufgeworfen, da es sich nicht darum handle, was sich habe ereignen können, sondern wie der Mensch ursprünglich beschaffen gewesen sei [17]. Ungeachtet dieser ausdrücklichen Forderung, die zwei Lehren, die von einer göttlichen Notwendigkeit, von einer unbedingten ewigen Bestimmung, die alles fesselt und gefangen hält, und die von der Freiheit des nicht gefallenen Menschen zu trennen, ist doch nicht einzusehen, wie dieser Forderung könne Folge geleistet werden, da diese beiden Lehren in der Tat unzertrennlich sind und mit der Annahme der einen die andere preisgegeben werden muß; es sei denn, es werde mit dem Worte “Freiheit” ein Begriff verbunden, der im Grunde gar keine Freiheit setzt. So verhält es sich auch in der Tat; denn, wie wir zu beobachten Gelegenheit haben werden, es setzt Calvin, offenbar nach Luthers Vorgange [18], der Freiheit nicht die innere Notwendigkeit, sondern den äußern Zwang entgegen. Ganz aufrichtig und offen hatte sich dagegen über die Beziehung beider Lehrstücke zueinander Melanchthon ausgesprochen, und geglaubt, sie darum auch ausdrücklich auf das engste miteinander verbinden und gleichzeitig behandeln zu müssen [19]. Überdies werden wir finden, daß Calvin auch eine ewige unabänderliche Vorherbestimmung des Falles des ersten Menschen lehrt; eine Vorstellung, welche doch gewiß mit dem Satze, Adam sei frei gewesen, d. h. er habe auch das Sündigen vermeiden können, ganz und gar unverträglich ist. Daher übrigens wohl die Erscheinung, daß zwar einige symbolische Schriften der Reformierten dem Adam ausdrücklich mit Calvin Freiheit beilegen, während es andere vorziehen, derselben auch in der Lehre vom paradiesischen Menschen nicht zu erwähnen, was offenbar am folgerichtigsten ist.

[17] Calvin. l.c. § 8. (fol. 59) Hic enim intempestive questio ingeritur de occulta praedestinatione Dei: quia non agitur, quid accidere potuerit, nec ne, sed qualis fuerit hominis natura.

[18] Luther. de servo arbitr. ad Erasm. Roterod. l. I. fol. 171. Optarim sane aliud melius vocabulum dari in hac disputatione, quam hoc usitatum. Necessitas, quod non recte dicitur, neque de divina, neque de humana voluntate; est enim nimis ingratae et incongruae significationis pro hoc loco, quandam vleut coactionem, et omnino id quod contrarium est voluntati, ingerens intellectui. Cum tamen non hoc velit causa ista que agitur; voluntas enim, sive divina sive humana nulla coactione, sed mera lubentia vel cupiditate quasi vere libera, facit quod facit, sive bonum sive malum. Sed tamen immutabilis et infallibilis est voluntas Dei quae nostram voluntatem mutabilem gubernat, ut canit Boetius: “stabilisque manens das cuncta moveri”; ein übrigens unpassendes Zitat, da Manlius Torquatus Boethius Luthers Lehre von der Notwendigkeit nicht anerkennt.

[19] Melancht. loc. theolog. p. 13. Sed ineptus videar, qui statim initio operis de asperrimo loco, de praedestinatione disseram. Quamquam quid attinet in compendio, primo an postremo loco id again, quod in omnes disputationis nostrae partes incidet?

Noch glauben wir die Aufmerksamkeit auf die inneren Gründe hinlenken zu müssen, die Calvin für die Lehre einer unbedingten, die menschliche Freiheit vernichtenden Notwendigkeit vorbrachte, teils weil sich denn doch ergeben wird, daß sie mit dem heidnischen Fatum nicht verwechselt werden dürfe, wenigstens nicht geradezu und unmittelbar [20], teils weil die Bekanntschaft mit der Begründung derselben für spätere Untersuchungen von Wichtigkeit sein wird. Wenn Melanchthon neben derben Versicherungen im Grunde kein anderes praktisches Moment für sich anzuführen wußte, als daß das Bewußtsein des berührten Verhältnisses des Menschen zu Gott zur Dämpfung des menschlichen Hochmutes sehr heilsam sei [21], so bemerkte hingegen Calvin: die Kunde, daß Gott nicht bloß im allgemeinen die Weltbegebenheiten lenke, ja auch nicht bloß im einzelnen, daß vielmehr gar nichts sich ereignen könne ohne ausdrückliche Anordnung Gottes (destinante Deo), enthalte ungemein viel Tröstliches in sich, da sich nur in dieser Weise der Mensch in der Hand eines allwissenden, allbestimmenden, mächtigen und gütigen Vaters sicher wisse [22]. Der Begriff einer göttlichen Zulassung und einer solchen Leitung der Dinge, daß am Ende doch alles, selbst das Böse in der Welt, denen, die Gott dienen, zum Besten gereiche, genügte ihm daher nicht: er glaubte die Auserwählten nicht sicher, und den Begriff von einer göttlichen Vorsehung nicht bestimmt genug, wenn nicht auch z. B. die feindlichen Anschläge auf einen Auserwählten von Gott geradezu gewollt und angeordnet seien. Übrigens nehmen auch hie und da selbst öffentliche Bekenntnisschriften der Reformierten diese Begründung von Calvins Betrachtungsweise der providentiellen Leitung der Dinge auf, jedoch mit bedeutender Milderung der Ansichten und einer sehr lobenswerten Scheu, Calvins schroffes Wesen ganz in sich auszuprägen (Confess. Belgic. c. XIII, bei Augusti. Corp. libror. symbol. eccles. reform. p. 177 seq.). Von diesem selbst aber, desgleichen von seinem Schüler Theodor Beza [23], wurden die berührten Ansichten von der göttlichen Vorsehung so entschieden festgehalten und so folgerichtig entwickelt, daß es ihnen äußerst schwer ward, die Welt zu überzeugen, ja daß sie sehr viele ungeachtet aller Beredsamkeit und dialektischen Kunst nie überzeugen konnten, daß sie nicht in der Tat auf Gott alles Böse zurückführten. Wir haben die Verpflichtung, näher in die Sache einzugehen.

[20] Calvin. Instit. rel. Christ. l. I. c. 16. n. 8. nimmt selbst auf diese Parallele Rücksicht und sagt: Non enim cum Stoicis necessitatem comminiscimur ex perpetuo causarum nexu et implicita quadam serie, quae in natura contineatur: sed Deum constituimus arbitrum ac moderatorem omnium, qui pro sua sapientia ab ultima ceternitate decrevit quod facturus esset, et nunc sua potentia, quod decrevit, exsequitur. Eine besondere Berücksichtigung gegen den Vorwurf fatalistischer Lehren Calvins schrieb Beza. (Abstersio calumniarum, quibus aspersus est Joan. Calv. a Tillemanno Heshusio, einem lutherischen Professor in Heidelberg, p. 208, seq.)

[21] Melancht. l. c. Multum enim omnino refert ad premendam damnandamque humanae rationis tum sapientiam, tum prudentiam, constanter credere, quod a Deo fiant omnia.

[22] Calvin. Institut. rel. Christ, l. I. c. 17. §. 3. Doch ist ihm hierin Luther de servo arbitrio Opp. Tom. III, fol. 171. b. schon mit Winken vorausgegangen. Ultra dico, non modo quam ista sint vera, de quo infra latius ex Scripturis dicetur, verum etiam quam religiosum, pium et necessarium sit, ea nosse; his enim ignoratis, neque fides, neque ullus Dei cultus consistere potest. Nam hoc esset vere Deum ignorare, cum qua ignorantia salus stare nequit, ut notum est. Si enim dubitas, aut contemnis nosse, quod deus omnia, non contingenter, sed necessario et immutabiliter praesciat et velit, quomodo poteris ejus promissionibus credere, certo fidere, ac niti? Cum enim promittit, certum oportet te esse, quod sciat, possit et velit praestare, quod promittit; alioqui eum non veracem, nec fidelem aestimabis, quae est incredulitas et summa impietas et negatio Dei altissimi.

[23] Theod. Bezae quaestionum et respons. christian. lib. ed. 4ta, 1573, (ohne Druckort) p. 105. Quaeso, expone, quid providentiam appellas? Resp. Sic appello non illam modo vim inenarribilem, qua fit, ut Deus omnia ab aeterno prospexerit, omnibusque futuris sapientissime providerit, sed imprimis decretum illud aeternum Dei sapientissimi simul et potentissimi, ex quo quicquid fuit, fuit: quicquid est, est: et quicquid futurum est, erit, prout ipsi ab aeterno decernere libuit.

Fortsetzung auf Seite 2

Themen

Sexuallehre
Silesius
Sinnthesen
Sixt. Kapelle
Spanien 711
Span. Bürgerkrieg
Span. Märtyrer
Spiegel
Staat
Stammzellen
Starkmut
Striet Magnus
Südsee
Sühnopfer
Synodaler Weg
Syn. Weg u. Greta
Terror
Theater
Theodizee
Theologeneifer
Theologenkongress
Theologie
Thomaschristen
Thomismus
Tier
Todesstunde
Todeswunsch
Toleranz
Tradition
Transgender
Türkenkriege
Umkehr
Unauflöslichkeit
Unbefl. Empfängnis
Urlaub
Urteilen
veilleurs
Veränderung
Verblendung
Vergebung
Verheißung
verlorenes Schaf
Vernunft
Vertrauen
Verweyen
Verzicht
Vorsehung
Wahrheit
Weihestufen
Weihnachten
Weihnachten II
Weihnachtsmann
Wiederverheiratete
WJT
Woche f. d. L.
WSW-Gutachten
Wunder
Wunder II
Wurzeln
Yad Vashem
ZdK
Zeugnis
Zölibat
Zweigewaltenlehre

Zu den neuesten Beiträgen