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Unsere Liebe Frau von Walsingham

Von Carolin Holterhoff

Papst Benedikt XVI veröffentlichte am 4. November 2009 die Apostolische Konstitution Coetibus Anglicanorum, die es Anglikanern ermöglicht, in die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche zurückzukehren, ohne dass sie ihr besonderes anglikanisches Erbe aufgeben müssen. Dafür wurde am 15. Januar 2011 das Personalordinariat Unserer Lieben Frau von Walsingham für England gegründet.

Der Name nimmt Bezug auf den englischen Wallfahrtsort Walsingham. Er liegt an der Ostküste in der Grafschaft Norfolk und in der katholischen Diözese East Anglia. Im Mittelalter gehörte er zu den vier wichtigsten Wallfahrtsorten neben Rom, Jerusalem und Santiago de Compostela.

Sein Ursprung reicht bis in das Jahr 1061 AD zurück. Der Legende nach erschien dort einer Rycheldis dreimal im Traum die Gottesmutter, die sie mit nach Nazareth nahm und ihr das kleine Haus zeigte, in dem ihr der Erzengel Gabriel erschienen war und die Frohe Botschaft verkündet hatte. Maria gab ihr den Auftrag, in Walsingham dieses Haus nachzubauen, dazu musste sie es genau abmessen. Es sollte an einer von Maria ausgewählten Stelle stehen. Die allerseligste Jungfrau versprach ihr, dass niemand, der zu ihr an diesen Ort komme, mit leeren Händen gehen würde. Rycheldis, die die Gottesmutter gebeten hatte, ihr einen Dienst erweisen zu dürfen, beauftragte daraufhin Handwerker mit der Errichtung des Hauses. Sie taten ihr Bestes, aber sie kamen nicht voran; nichts passte zusammen, nichts wollte gelingen. Als sie Rycheldis von ihren Schwierigkeiten erzählten, verbrachte sie die folgende Nacht im Gebet. Am nächsten Morgen trauten die Menschen ihren Augen nicht. In einiger Entfernung der ursprünglichen Stelle stand das vollständige kleine Haus von Nazareth fertig gebaut.

Da das Haus nur aus Holz bestand, wurde nicht allzu lange später eine Kapelle darum gebaut, um es vor der Witterung zu schützen. Eine Statue der Muttergottes mit dem Jesuskind kam auch bald dazu. Es sind Siegel und Abzeichen mit dem Bild der Statue erhalten, die in London und Oxford im Museum zu sehen sind. Diese zeigen Maria, die auf einem Thron sitzt, an dessen hoher Rückenlehne zu beiden Seiten Schriftrollen zu sehen sind, auf denen die Sakramente stehen. Maria trägt eine davidische Krone und hält in ihrer rechten Hand den Stamm des Jesse mit einem blühenden Zweig. Mit der Linken hält sie das Jesuskind auf ihrem Schoß. Jesus hat in der linken Hand eine Bibel, die die Textstelle der Prophezeiung des Jesse zeigt, während er mit der Rechten auf den Stamm des Jesse weist [1].

Die frühesten Darstellungen der biblischen Textstelle Jes 11,1 gehen auf den Anfang des 11. Jahrhunderts zurück und greifen die Lehre der frühen Väter auf. Jesse als Wurzel des königlichen Stammbaums aus dem Hause Judah und Vater des Königs David mündet in den Zweig Maria, aus dem der davidische Messias hervorgeht und die Erfüllung der Prophezeiung ist. Der Stammbaum wird in Walsingham mit nur einem blühenden Zweig dargestellt, während sich ab dem 12. Jahrhundert im Norden Europas die Darstellung mit mehreren Knospen, die in Christus münden, durchgesetzt hat. Gut zu sehen ist dies in dem Fenster von Chartres, welches die Wurzel Jesse zeigt; dieses kann genau auf das Jahr 1145 AD datiert werden. Wenn Walsingham also 1130 AD gegründet worden wäre, wie im 19. Jahrhundert angenommen worden ist, wäre sehr wahrscheinlich auch dort die spätere Darstellung übernommen worden.

Die besondere Aussage der Statue in Walsingham ist, dass Christus der Nachkomme des Jesse durch seine Mutter aus dem Hause Judah ist. Da bei den Juden die mütterliche Linie entscheidend ist, kommt ihr als Mutter des davidischen Messias eine außergewöhnliche Stellung zu. Deutlich wird dies daran, dass sie auf dem Thron der Weisheit sitzt und damit die Mutter der Kirche Christi ist. Sie hat Jesus, der wahrer Gott und wahrer Mensch ist, durch den Hl. Geist empfangen. Seine Herrschaft bezieht sich nicht nur auf das ewige Himmelreich, sondern auch auf das irdische Reich. Damit unterstehen Ihm alle Menschen, auch und vor allem die gesalbten Monarchen. In der Folgezeit verneinten aber die Herrscher nicht nur in England, sondern in ganz Europa, dass sie Christus schon hier auf Erden unterstanden, und nahmen auch für sich in Anspruch, anstelle der Päpste selbst die Bischöfe einsetzen zu können. Damit wurde aber auch Maria der ihr zustehende erhabene Platz versagt.

Diese Geschichte der Entstehung des Wallfahrtsortes Walsingham wird in der Pynson Ballad ausführlich beschrieben. Rycheldis wird darin als Herrin des Walsingham Manor bezeichnet. Mehr ist nicht über sie bekannt und sie taucht auch nicht in alten Dokumenten der Zeit auf. Die Ballade wurde zwar erst Ende des 15. Jahrhunderts gedruckt, aber sie war schon lange mündlich tradiert worden. Als Quelle wurde sie aber im 19. Jahrhundert als nicht glaubwürdiges Volksgut abgelehnt. Als neues Datum wurde das Jahr 1130 gegeben, da für diese Zeit in den Unterlagen eine Rycheldis de Faverches als Herrin des Walsingham Manor aufgeführt wurde. Weitere Beweise, die dieses Datum untermauern würden, gibt es nicht. Für die Glaubwürdigkeit der Ballade spricht allerdings, dass ein Teil der achtzehn Strophen vom Ende des 11. Jahrhunderts stammen muss, da sie die typischen Merkmale des Spätaltenglischen wie Vokabular, Syntax und Grammatik enthalten, während andere Strophen später gedichtet worden sein müssen, da sie starke Einflüsse des latinisierten Französisch der Normannen aufweisen. Sprachliche Besonderheiten des Mittelenglischen, also des frühen latinisierten Englischen, sind nicht vorhanden (Flint, Edith the Fair, S. 33 f).

Neueste Forschungen, die sich auf das Jahr 1061 stützen, kamen zu Ergebnissen, die zu einer interessanten These bezüglich der Identität der Rycheldis führten. Demnach war Rycheldis nur der Beiname einer Edith Swanneshals, (Schwanenhals), deren Familie Ländereien in und um Walsingham besaßen. Rycheldis ist eine Variante des Namens Rychold, der reich (rych) und schön (hold) bedeutet. Ihre Mutter Wulfhilda war eine Tochter König Aethelreds II. (978–1013, 1014–1016) und Halbschwester König Edwards des Bekenners (1042–1066 AD). Ediths Vater war entweder Ulfketel Snoring oder Thorkell Havi. Wulfhildas erster Mann, Ulfketel wurde in der Schlacht von Assundan 1016 von Thorkell, der dem Heer des dänischen Königs Canute (1016–1035 AD) angehörte und einer seiner wichtigsten Berater war, getötet. Nach skandinavischem Ehrenkodex heiratete Thorkell die Witwe Wulfhilda und übernahm die Ländereien aus dem Besitz Ulfketels. Vermutlich war Edith die Tochter Thorkells, da sie laut dem Testament ihrer Mutter einen Teil eben dieser Ländereien erbte (Flint, Edith the Fair, S. 79 ff, 101 ff).

Damit gehörte sie sowohl auf angelsächsischer als auch auf dänischer Seite dem Hochadel an. Der Name Rycheldis bezeichnete somit ihre erhabene Stellung in wirtschaftlicher/finanzieller und auch politischer/gesellschaftlicher Hinsicht, ebenso wie ihre Schönheit, die sich auch in ihrem Beinamen Swanneshals ausdrückt, der mit schön, elegant und graziös umschrieben werden kann.

Im Jahr 1042 heiratete Edith Harold Godwin, den zweiten Sohn des Godwin, Earl von Wessex, der ein wichtiger Mann Canutes war. Im gleichen Jahr hatte Edward der Bekenner den englischen Thron bestiegen; er war der Sohn Aethelreds und hatte während der Herrschaft Canutes und seiner Söhne im Exil in der Normandie gelebt. Er hatte nun die schwierige Aufgabe, den Frieden zwischen den Angelsachsen und den Skandinaviern zu bewahren. Die Heirat von Edith und Harold konnte dabei sehr hilfreich sein, da der Earl von Wessex ein ernstzunehmender Gegner auf skandinavischer Seite war. Außerdem heiratete Edward selbst Edith, eine Tochter Godwins. Ihren Bruder Harold ernannte er zum Earl von East Anglia; nach den Tod seines Vaters Godwin wurde Harold auch Earl of Wessex. Er wurde mit der Zeit nicht nur sein wichtigster Berater, sondern auch der reichste und mächtigste Mann nach dem englischen König selbst.

Aus der Ehe von Edith Swanneshals und Harold Godwin gingen sechs Kinder hervor. Beide waren fromme Christen und mit Bischof Stigand von Elmham und Winchester und Bischof Wulfstan von Worcester befreundet. Sie unterstützten viele Klöster und Kirchen und waren dort regelmäßig zu Gast. So auch in dem beliebten Wallfahrtsort Waltham Abbey, in dem ein heiliges Kreuz zu sehen war. Dieses war von einem von Canutes Männern gefunden und dorthin gebracht worden. Es stammte aus römischer Zeit und war anscheinend in der Bretagne angefertigt worden. Ihm wurden Wunderheilungen zugeschrieben. Es heißt, dass Canute von diesem Fund so tief bewegt war, dass er sich taufen ließ. Waltham Abbey ging schließlich an Edward, der es Harold Godwin übergab. Dieser ließ die Kirche erneuern und vergrößern. Sie wurde schließlich im Beisein des Königs 1060 AD geweiht.

Es heißt auch, dass Harold im selben Jahr erkrankte und zeitweise gelähmt war; nur seine Gebete und die seiner Freunde vor eben diesem Kreuz hätten zu seiner Genesung geführt (Flint, Edith the Fair, S. 129 f). Inwieweit dieses Ereignis mit der Vision von Walsingham zu tun hat, ist nicht klar, aber es ist zu vermuten, dass Edith sehr dankbar war, dass ihr Mann wieder gesund geworden war. In der Ballade wird erzählt, dass Rycheldis der Gottesmutter einen Dienst erweisen wollte. Zeitlich gesehen würde die Erscheinung der Gottesmutter in Walsingham im Jahr 1061 AD ins Bild passen.

Als König Edward Anfang Januar 1066 AD starb, wurde am folgenden Tag Harold zum neuen König Harold II gewählt. Damit war Edith die neue Königin. (Nicht zu verwechseln mit Königin Edith, der Ehefrau Edwards und Halbschwester Harolds.) Harold hatte gemeinsam mit dem später heiliggesprochenen Bischof Wulfstan von Worcester Pläne für eine große moralische Erneuerung im Lande, die eine Reform des Klerus und Unterstützung der Armen einschloss, da sich eine gewisse Laxheit in der Bevölkerung ausgebreitet hatte (Flint, Edith the Fair, S. 97). Diese hatte sich durch den ständigen Kontakt mit den heidnischen Skandinaviern entwickelt, die im Danelaw (einem Gebiet im Nordosten Englands) seit dem 9. Jahrhundert ihr eigenes Rechtsgebiet hatten. Viele von ihnen waren zwar mit der Zeit getauft worden, aber die angelsächsische, tiefgläubige christliche Bevölkerung war stark erschüttert worden.

Aber sowohl König Harald Hardrada von Norwegen als auch Herzog William von der Normandie erhoben Ansprüche auf den englischen Thron. Schließlich musste Harold II mit einem Heer gegen den Norweger ziehen, der bei York an Land gegangen war. In der Schlacht bei Stamford Bridge konnte Harold ihn am 27. September 1066 besiegen. Da in der Zwischenzeit aber auch William im Süden des Landes gelandet war, musste Harold mit seinem erschöpften Heer in einem Gewaltmarsch auch gegen ihn marschieren. Auf dem Weg machte er aber noch einmal in Waltham Abbey Halt, um dort zu beten. In der Schlacht bei Hastings am 14. Oktober 1066 wurde Harold getötet.

Verschiedene Quellen berichten, dass er in Waltham Abbey seine letzte Ruhestätte gefunden habe, während andere besagen, dass er unter den Klippen bei Hastings begraben worden sei. Damit endete das Kapitel der angelsächsischen Könige Englands, die in ihrer Reihe Märtyrer und Heilige zählen. Ihnen allen ist gemein, dass sie das alte, christlich verstandene Königtum vertraten. Sie waren sich bewusst, dass auch sie als gesalbte Könige ihrem Herrn nicht erst in der Ewigkeit, sondern bereits auf Erden unterstanden.

Mit dem Sieg Williams des Eroberers wurde England Teil des beträchtlichen Reiches der Normannen auf dem Kontinent. Es wurden viele Normannen in wichtige Positionen eingesetzt, Französisch wurde die Sprache des Hofes. Unter Bischof Lanfranc, der mit William gekommen war, wurden Organisation und Praktiken vom Kontinent in der englischen Kirche eingeführt. Er lehnte besonders die Verehrung lokaler Heiliger ab, die oft königlicher Herkunft waren; ihre Heiligkeit war aber nicht bewiesen (Flint, Edith the Fair, S. 25). Für William war diese Änderung von Vorteil, da dadurch Harold nicht mehr zu einem Heiligen stilisiert werden konnte. Sein Interesse war dabei aber mehr politischer und persönlicher Natur. Er berief sich in seinem Anspruch auf den Thron auf seinen Onkel Edward den Bekenner, der ihn als Erben und Thronfolger anerkannt habe. Da auch Harold ihm 1064 AD in der Normandie einen Treueeid geschworen habe, wäre Harold illegitim auf den Thron gekommen; dieser hatte die Gültigkeit des Eides aber bestritten, da er unter Zwang in der Gefangenschaft abgenommen worden sei.

Auch seine Witwe Edith konnte als Visionärin von Walsingham nicht mehr zu einer Heiligen gemacht werden, obwohl sie auf breite Unterstützung in der Bevölkerung bauen konnte. Wenn sie von Maria auserwählt worden war, hatte die Herrschaft Harolds eine Legitimation, über die man nicht so einfach hinweggehen konnte. Das Risiko, dass Walsingham mit seinem Marienschrein zu einem Zentrum der Opposition werden würde, vor allem da Ediths und Harolds Söhne von Dublin aus versuchten, gegen William zu agieren, wurde damit erheblich verringert.

Es kamen Gerüchte auf, nach denen Harold mit einer Edith of Clywed verheiratet gewesen wäre und er mit Edith Swanneshals demnach nur eine langjährige uneheliche Beziehung geführt hätte. Tatsächlich war diese Edith Clywed mit einem walisischen Adeligen verheiratet, was heute gemeinhin bestätigt ist (Flint, Edith the Fair). Es bleibt, dass Harold und Edith eine Ehe more danico geführt haben. Das heißt, sie waren nach dänischem Brauch die Ehe eingegangen, nicht aber nach kirchlichem Recht (Flint, Edith the Fair, S. 9 f). Als Beweis dient die Tatsache, dass es keine Unterlagen über eine kirchlich geschlossene Ehe der beiden gibt. Eine Ehe more danico war damals aber im nordeuropäischen Raum üblich. Da beide wie erwähnt sehr fromm und mit den Bischöfen Stigand und Wulfstan befreundet waren, ist anzunehmen, dass sie doch in einer kirchlichen Zeremonie ihr Eheversprechen vor Gott abgelegt haben.

Edith flüchtete schließlich mit ihrer zweitjüngsten Tochter Gytha zwischen 1066 und 1070 nach Dänemark zur Familie ihres Vaters. Am Rande sei nur bemerkt, dass Gytha Waldemarus Monomakh, den Gründer des modernen Russland, geheiratet hat, mit dem sie fünf Söhne hatte, die alle im ukrainisch-russischen Gebiet herrschten. Laut Ahnenforschern haben die Nachkommen Gythas und Waldemarus dynastische Verbindungen in Europa geschaffen, die dazu führten, dass Elizabeth II von England eine Verwandtschaft mit Edith Swanneshals und Harold, dem letzten angelsächsischen Königspaar – als Nichte zweiunddreißigsten Grades – vorweisen kann. Auch ihr Prinzgemahl Phillip kann eine solche Verbindung seinerseits zurückverfolgen (Flint, Edith the Fair, S. 126 f.).

Interessanterweise wurde bei all den Bestrebungen, Williams Anspruch auf den Thron zu untermauern und seine Herrschaft zu festigen, der Wallfahrtsort Walsingham nicht besonders behelligt. Etliche heilige Orte der Angelsachsen wurden von den Normannen aus machtpolitischen Gründen unterdrückt. Das Land, auf dem der Marienschrein steht, wurde zwar zum Kronland Williams, aber er unterdrückte die Verehrung der Gottesmutter im englischen Nazareth nicht; er hob zwar hervor, dass er in der Zeit Edwards des Bekenners entstanden ist, verschwieg aber wohlweislich Edith und auch Harold.

Vielleicht wurde Edith in der Entstehungsgeschichte von Walsingham bewusst von den Verfassern nur mit ihrem Beinamen Rycheldis genannt, um sie und auch den Wallfahrtsort vor William zu schützen. Immerhin hielt die lokale Bevölkerung ihn am Leben und verbreitete seine Geschichte mit Erzählungen und der Ballade über die regionalen Grenzen hinaus.

Walsingham war der erste Wallfahrtsort, der der Verkündigung Mariens geweiht ist; sie wird dort als Our Lady of the Annunciation verehrt. Der Tradition nach wurde England das erste Mal zur Zeit Edwards des Bekenners der Jungfrau Maria geweiht. Seither trägt England den Titel Mary´s Dowry (Marias Mitgift). Das Wort dowry kommt vom lateinischen dos, was Geschenk, Gabe bedeutet. Da Maria die Visionärin von Walsingham damit beauftragt hatte, einen Nachbau des kleinen Hauses von Nazareth in England zu errichten, wurde hier ihre Stellung als Braut Gottes untermauert. Traditionell stand ihr eine Mitgift zu. Diese war England und sie kann darüber frei verfügen.

Als am Ende des 11. Jahrhunderts der Erste Kreuzzug stattfand, war es für die Pilger schwieriger, ins Heilige Land zu reisen. Viele wandten sich deshalb dem englischen Nazareth zu, wo es sicherer war.

1153 AD übernahmen Mitglieder des Augustinerordens die Verwaltung des Wallfahrtsortes und die Sorge für die Pilger, während die rechtliche Verantwortung an den in Norwich ansässigen Bischof überging. Die Augustiner waren dabei verpflichtet worden, ein Chorherrenstift zu bauen, welches die Kapelle mit dem kleinen Haus von Nazareth und der Marienstatue integrierte. Mit dieser Veränderung fand ein erstes Aufblühen des Wallfahrtsortes statt.

William der Eroberer übernahm im Gegensatz zu Edward dem Bekenner und Harold II keine königliche Schirmherrschaft für den Wallfahrtsort Walsingham mit seinem Marienschrein. Das tat auch kein anderer seiner normannisch-angevinischen Nachfolger auf dem englischen Thron. Vielmehr gerieten sie alle mehr oder minder stark mit der Kirche in Streit. William II Rufus (1087–1100) zum Beispiel ließ Bischofssitze gern unbesetzt, um die Einkünfte, die mit dem Amt verbunden waren, selbst einnehmen zu können. Der Streit, welche Rechte den Herrschern und welche den Bischöfen vorbehalten waren, prägten auch die folgende Zeit in England.

Henry II (1154–1189) ist bekannt für seinen Streit mit Thomas Becket, der schließlich ermordet wurde. Als Buße für seine zumindest moralische Mitschuld an dessen Tod wurde Henry dazu verurteilt, als Büßer nach Walsingham zu pilgern. Insgesamt scheint er neunmal dort gewesen zu sein; wie es heißt, hat er auch dreitausend Kerzen anzünden lassen.

Mit Henry III (1216-1272) wurde der Marienschrein von Walsingham wirklich zu einem wichtigen Teil Englands und der Christenheit. Da sein Vater John Lackland (1199–1216) fast den gesamten Besitz in Frankreich verloren hatte, wollte Henry die englische Identität wieder aufleben lassen, die auf die Zeit vor Edward den Bekenner zurückgriff. Er besuchte den Schrein 1226 das erste Mal und machte ihn damit zu einem wichtigen Pilgerort, vor allem, da er nach fast zweihundert Jahren als erster König wieder die Schirmherrschaft über den Wallfahrtsort übernahm und ihn zum Royal Shrine of England machte. Alle nachfolgenden Könige waren Schirmherren und es war ihre Plicht, allen Pilgern freies Geleit nach Walsingham und zurück zu gewähren, auch dann, wenn es europäische Herrscher waren, mit denen sie im Streit lagen.

Henry VII (1485–1509) besuchte Maria in Walsingham 1487 gemeinsam mit seiner Mutter, Lady Margaret Beaufort (ihr Beichtvater war St. John Fisher). Er ließ in der Kirche die Fahne aufstellen, die er in der entscheidenden Schlacht bei Stoke Field um den Thron 1485 mitgeführt hatte; diese Schlacht hatte das Ende der Rosenkriege besiegelt und die Herrschaft der Tudors eingeleitet.

Sein Sohn Henry VIII (1509–1548) kam 1511 nach Walsingham, um für die Geburt seines Sohnes Henry zu danken, der aber leider kurze Zeit später starb. Seine Frau, Catherine von Aragon, pilgerte auch zu Unserer Lieben Frau von Walsingham, um darum zu bitten, einen Sohn zu gebären, da Henry unbedingt einen männlichen Nachfolger wollte, um die Dynastie zu sichern. Da er aber nur eine legitime Tochter namens Mary bekam, ging er seinen eigenen Weg in die Reformation und machte sich zum Oberhaupt der Kirche Englands.

Erasmus von Rotterdam, der auf Betreiben Bishop John Fishers und Lady Margaret Beauforts in England weilte und in Oxford lehrte, besuchte Walsingham mehrmals; einmal schrieb er einen Brief an Henry VIII, in dem er ihm mitteilte, wie zugig es in der Kapelle sei, da sie keine Glasfenster hatte. Daraufhin schickte Henry Geld, damit Glasfenster eingebaut werden konnten.

Leider überlebte auch Walsingham die Reformation in England nicht. Die Augustinermönche gehörten zu den ersten, die den Eid auf ihn leisteten; nur der Subprior weigerte sich und wurde vor Ort gehängt (Anne Vail, Shrines of Our Lady in England. Gracewing, Leominster, 2004, Reprint 2008, S. 184). Das Chorherrenstift wurde 1538 aufgelöst, alles Wertvolle neu verteilt und der Besitz an Getreue der Reformation gegeben. Das kleine Haus von Nazareth wurde vernichtet, die Marienstatue wurde nach London gebracht und vor den Augen Thomas Cromwells verbrannt (Vail, Shrines of Our Lady, S. 184). Heute markiert eine Steinplatte die Stelle, an der das kleine Haus von Nazareth stand.

Die Gegend von Walsingham gehörte wie der Rest von Norfolk zu den Gebieten, in denen der Widerstand gegen die Reformation besonders stark ausgeprägt war. Viele sogenannte recusants lebten hier und wurden für ihre Treue zur Katholischen Kirche und der Gottesmutter hart bestraft und zum Teil hingerichtet.

Erst im Jahr 1778 wurde das Leben für die wenigen übrigen Katholiken in England (etwa 60.000) langsam leichter, da der erste Catholic Relief Act im Parlament verabschiedet wurde; 1791 erfolgte der zweite Catholic Relief Act und 1829 kam schließlich – zumindest per Gesetz – die volle Gleichberechtigung für die Katholiken.

1897 erteilte Papst Leo XIII den Bischöfen von England und Wales die Erlaubnis, das Heiligtum Unserer Lieben Frau von Walsingham mit einem Nachbau des Heiligen Hauses von Nazareth als Lady Chapel der Catholic Church of the Annunciation in King´s Lynn wiederherzustellen. Gleichzeitig bezeichnete er England als Mariens Mitgift; damit bestätigte er diesen alten Titel, den England schon seit dem Mittelalter getragen hatte. Leo XIII sagte den Bischöfen auch, dass, wenn England wieder nach Walsingham zurückkehre, Maria wieder nach England käme.

In King´s Lynn befand sich zu der Zeit die einzige katholische Gemeinde in der Gegend. Eine neue Statue der hl. Jungfrau mit dem Jesuskind, die sich am Original orientierte, wurde auch angefertigt und in der Lady Chapel aufgestellt.

1896 hatte eine Anglikanerin namens Charlotte Boyd die kleine Kirche St. Catharine of Alexandria, genannt Slipper Chapel, die aus dem 14. Jahrhundert stammt, gekauft (Vail. Shrines of Our Lady. S. 185 ff). Sie war die letzte Kirche auf dem Pilgerweg zu dem Marienschrein in Walsingham gewesen und war der Patronin der Pilger geweiht. Der geläufigere Name Slipper Chapel geht vermutlich darauf zurück, dass die Pilger die letzte Strecke des Weges von dort zum Schrein barfuß zurücklegten und in dieser Kirche ihre Schuhe (slippers) zu treuen Händen zurückließen.

Charlotte Boyd war sehr religiös und an der Förderung der spirituellen Lebensweise interessiert. Sie begann mit der Restaurierung der Kirche, die seit der Reformation als Stall und Scheune benutzt worden war. Als sie aber in neuem Glanz erstrahlte, war Charlotte Boyd bereits katholisch geworden und übergab die Slipper Chapel den Benediktinerinnen, die sie ihrerseits dem zuständigen Bischof übergaben. Die erste Wallfahrt von King´s Lynn zur Slipper Chapel fand 1897 statt.

Charlotte Boyd hatte sich sehnlichst gewünscht, dass der Marienschrein wieder nach Walsingham in die Slipper Chapel gebracht würde. Die Bischöfe waren aber dagegen, da sich der neue Schrein seit 1897 in King´s Lynn befand, sodass sie 1906 starb, ohne dass ihr Wunsch erfüllt worden war. Aber knapp dreißig Jahre später, 1934, wurde der Marienschrein doch noch feierlich von King´s Lynn nach Walsingham in die Slipper Chapel überführt. Diese Prozession unter der Leitung von Cardinal Bourne, dem Erzbischof von Westminster, war gleichzeitig eine Pilgerreise, die als Wiedergutmachung für die Reformation und den „Act of Supremacy“ gedacht war. Die gesamte katholische Hierarchie von England und Wales nahm daran teil, ebenso wie fast 10.000 Gläubige. Walsingham wurde bei diesem Ereignis zum Roman Catholic National Shrine ernannt.

Am 17. Mai 1945 fand auf dem Gelände, auf dem das Chorherrenstift gestanden hatte, die erste katholische Messe seit über vierhundert Jahren statt; organisiert wurde sie von den amerikanischen Soldaten, die in der Gegend stationiert waren.

Drei Jahre später fand die erste Student Cross Wallfahrt statt, bei der während der Karwoche Studenten Kreuze nach Walsingham tragen. Diese Studentenwallfahrt ist inzwischen eine jährliche Tradition.

Pius XII verfügte eine kanonische Krönung der Marienstatue. Für die Krone wurden Schmuckstücke – einige davon Familienerbstücke – aus ganz England gespendet; diese wurden dann eingeschmolzen und die Krone angefertigt. Sie besteht aus Gold und ist mit 118 wertvollen Edelsteinen besetzt. Am 15. August 1954 wurde die Marienstatue schließlich vom Apostolischen Legaten Erzbischof O´Hara feierlich gekrönt und in einer anschließenden Prozession entlang der Holy Mile zur Slipper Chapel gebracht. Mehr als 20.000 Menschen nahmen daran teil.

Als Papst Johannes Paul II 1982 England als erstes Oberhaupt der Katholiken überhaupt besuchte, wurde die Marienstatue mit dem Jesuskind von Walsingham ins Wembley-Stadion gebracht, wo er die Heilige Messe feierte.

Walsingham ist wieder ein beliebter Wallfahrtsort in England geworden und Papst Franziskus hat diesem Ort mit seinem Marienschrein 2015 die besondere Ehre zuteil werden lassen, ihn zur Basilica Minor zu erheben.

Literatur

Flint, Bill, Edith the Fair. Visionary of Walsingham, Gracewing. Leominster, 2015

Vail, Anne, Shrines of Our Lady in England, Gracewing. Leominster, 2004 (Reprint 2008), S. 177-191

www.ordinariate.org.uk

www.acatholicland.org/walsingham-national-shrine

Anmerkungen:

[1] Flint, Bill. Edith the Fair. Visionary of Walsingham. Gracewing, Leominster, 2015, S. xxxiii ff. Flint gibt anhand der Darstellungen auf dem Siegel und der Abzeichen, die sehr klein sind, eine detaillierte Beschreibung der Statue. In Verbindung mit einer historischen und theologischen Einbettung ist seine Interpretation eine fast zwingende und logische Schlussfolgerung.

Das Bild zeigt die neue Statue von 1954. Sie wurde 1982 von Papst Johannes Paul II. im Rahmen seines Englandbesuchs gesegnet.


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