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Themen68er |
Damit sie geheiligt seien in Wahrheit. Von P. Franz Prosinger (Zu Seite 1) [Sie befinden sich auf Seite 2.] (Zu Seite 3) Auf dieser Seite (Gesamtgliederung auf Seite 1): II. Der Weg: das Heilswerk
III. Das Ziel: die Kreuzesmystik und das Heil als Heiligung
______________________ 6. Existentielle Teilnahme Es gab früher einmal eine Strömung in der Exegese, die prophetische Kultkritik als eine grundsätzliche Distanz zu Tempel und Kultvorschriften auszulegen. Damit wurde schon unterschieden zwischen den Schriften, die auf der Höhe der „Schrift“ stehen und den primitiveren Schichten, die es auszusondern gelte. Diese ganz unwahrscheinliche, aus Willkür hervorgehende und zu Willkür führende Exegese sah dann auch im Neuen Testament die Verwendung kultischen Vokabulars für den Dienst der Christen im alltäglichen Leben in demselben Gegensatz zum kultischen Dienst im liturgischen Rahmen und als Ersatz für denselben. Wer dagegen die ganze Schrift als Zeugnis nicht nur des inspirierenden Heiligen Geistes, sondern auch der Glaubensgemeinschaft sieht, die die verschiedenen Aspekte kohärent zusammensieht und lebt, wird in den genannten Aussagen einen starken Zusammenhang erkennen. Die existentielle Hingabe des Lebens am Kreuz, die im testamentarisch eingesetzten Ritus, also im Rahmen einer Liturgie, vergegenwärtigt wird, wird dort nicht nur als Zeremonie vollzogen, sondern mit eben der existentiellen Hingabe des eigenen Lebens verbunden. Der dem himmlischen Vater dargebrachte geopferte Leib des Herrn wird mit dem Opfer des eigenen Leibes verbunden, was im Ritus versprochen und im Alltag eingelöst wird. So berichtet die Überlieferung vom Martyrium des hl. Diakons Laurentius, daß er bei der Verhaftung seines Bischofs, Papst Xystus II. diesem zurief: „Wohin gehst Du, Vater, ohne Deinen Sohn; wohin, heiliger Priester, ohne Diakon? Niemals war es Deine Gewohnheit, ohne Diener das Opfer darzubringen... Prüfe doch, ob Du einen geeigneten Diener dafür erwählt hast, das Blut Christi auszuteilen.“ Es ist dieselbe Verbindung, die sich zwischen Mk 10,38, 14,24 und 14,36 nahelegt: der Kelch des vergossenen Blutes des Bundes ist das dem Vater am Ölberg hingeopferte Leben, und denselben Kelch sollen auch die Jünger trinken. a) Röm 12,1; 15,16 Der Gehorsam der Völker in Wort und Tat ist gewirkt durch Christus, in der dynamis des Heiligen Geistes (15,18f). Die logikê latreía (12,1), die wir als „Logos-gemäßen Gottesdienst“ übersetzt haben, ist durch den Logos gewirkt und besteht in der dem Logos korrespondierenden Antwort in Wort und Tat, in der Übereinstimmung von Ritus und Leben. Wenn im römischen Kanon der hl. Messe darum gebetet wird, daß dieses Opfer „rata, rationabilis et acceptabilis“ sei, so handelt es sich da nicht um ein juristisches Vokabular, sondern um diesen biblischen Hintergrund. Die prophetische Kultkritik betraf eben nicht den Kult als solchen, sondern die irrationale Trennung von Kult und Leben. Wenn das sacrificium externum nicht signum sacrificii interni ist, das durch die konkrete Hingabe im Alltag bewährt (bewahrheitet) ist, dann fungieren nur noch selbstgefällige Zeremonienmeister oder abergläubische Magier. Nach Am 5,21 stinken solche Opfer! b) 1. Petrusbrief Damit wir nicht durch selektive „Exegese“ vorgefaßte Thesen untermauern, nehmen wir eine ganze Schrift, den 1. Petrusbrief als Zeugnis. Im einleitenden Satz (1,2) werden die Stichworte angegeben, die dann aufgegriffen werden: Heiligung des Geistes (1,15f.22; 3,15), Gehorsam (1,14.22; 3,6) und Blut (1,19). Mit dem Stichwort „Blut“ eröffnet sich der Themenbereich des Leidens (páthêma 1,11; 4,13; 5,1.9 und páschein 2,19-23; 3,14.17f; 4,1.15.19; 5,10). Auch das Thema der neuen Geburt wird gleich zu Beginn (1,3) erwähnt und im Zusammenhang mit Gehorsam und Heiligung ausgeführt (1,22f; 2,2.24). Die Stichwortanalyse ist nur eine erste Sondierung auf mögliche Akzentsetzungen, die sich im Nachvollzug des Diskurses bewahrheiten müssen. Die vollständige Lektüre und Kommentierung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, aber der Hinweis auf die innere Verbindung von Heiligung, Gehorsam, Leidensnachfolge und neuer Geburt in Christus wird jedem Leser leicht einsichtig sein. Diese neue Geburt hat sich einerseits schon ereignet (2,2) und die damit verbundene Freude ist gegenwärtig (1,8), andererseits warten wir noch auf die Vollendung des Glaubens (1,5.9), der sich durch eine kurze Zeit des Leidens hindurch bewähren und gefestigt werden soll (5,10). Den Weg durch das Leiden in die Herrlichkeit (5,1) ist uns Christus vorausgegangen, uns „eine Vorlage hinterlassend, damit ihr seinen Spuren nachfolgt“ (2,21). Die praktischen Mahnungen, etwa nicht Schmähung mit Schmähung zu vergelten (3,9), greifen das von Christus in seiner Passion gegebene Vorbild auf (2,23). Daß es sich dabei nicht nur um die pelagianische Idee eines bloßen Vorbildes handelt, dem wir aus eigener Kraft nacheifern, zeigt die wiederholte Betonung: „das ist Gnade“ (2,19f; vgl. 4,10; 5,5.10), und die Notwendigkeit einer neuen Geburt (s.o.). Die Heiligung geschieht nicht aus eigener Initiative, sondern durch den Gehorsam gegenüber der Wahrheit (1,22) und die Wiedergeburt verdankt sich dem Wort des lebendigen Gottes (1,23). Dieses Wort richtet sich an unsere Verantwortung, so daß wir als eben geborene Kinder auch nach der Logos-gemäßen Nahrung verlangen sollen, „damit ihr vermehrt werdet im Hinblick auf das Heil“(2,2). Das auksêthête ist als Werk der Gnade ein passivum divinum, hängt aber ab von unserem dürstenden Verlangen (epipothêsate). Ohne aktive Beteiligung wirkt sich das Heilswerk nicht aus. Die Aufforderung, hinzuzutreten (proserchómenoi 2,4), werden wir noch im Hebräerbrief bedenken, wo sie sicher eine liturgische und eine existentielle Bedeutung umfaßt. Auch hier folgt aus diesem Hinzutreten eine priesterliche Aufgabe. Es wird nicht wie im Hebräerbrief ausgeführt, aber doch vorausgesetzt und durch die Besprengung mit dem Blut Christi (1,2) angedeutet, daß das Werk Christi ein priesterliches Werk. Nur daraus wird verständlich, daß die Auferbauung auf den lebendigen Stein den auferstandenen Herrn (vgl. Heb 10,19-22) durch das „Hinzutreten“ dazu führt, daß wir lebendige Steine werden hin zu einem heiligen Priestertum, in dem wir geistige Gaben Gott darhöhen können durch Jesus Christus (2,4f - „geistig“ schließt natürlich die Leibhaftigkeit der Gaben nicht aus, sondern meint ihre Logos- Gemäßheit). Eindrucksvoll ergibt sich eine übereinstimmende Theologie des Neuen Testamentes, in der das Erlösungswerk als ein priesterliches Werk der Heiligung eine priesterliche Beteiligung der zu Heiligenden impliziert. In 1Ptr 1,2 und Heb 12,24 (vgl. 9,13.19.21) ist von der „Besprengung“ durch das Blut Christi die Rede, vielleicht in Anspielung auf Lev 6,20 (wer das Fleisch des Opfers berührt, der soll dem Heiligtum gehören, wer von seinem Blut ein Kleid besprengt, der soll das besprengte Stück waschen an heiliger Stätte) oder Psalm 51,9 (besprenge mich mit Ysop, daß ich rein werde). Allerdings hätte die LXX auch Ex 24,8 mit dem Verb rantízô übersetzen können: „Dann nahm Moses das Blut und sprengte es auf das Volk und er sagte: `Siehe, das Blut des Bundes, den der HERR mit euch aufgrund all dieser Worte schließt´“ (Ch. Dohmen, Exodus 19-40, Freiburg 2004, S. 203f, lehnt diese Verbindung zu Ex 19,6 und damit zu 1Ptr 2,5 nur aufgrund der Einmaligkeit dieses Ritus ab aber viele große Dinge waren einmalig!). Da die Substanz der fälschlich so genannten „Deuteworte“ über den Kelch des Letzten Abendmahls mit Ex 24,8 übereinstimmt, dürfen wir auch das „Ausgießen“ und das „Besprengen“ des Blutes zusammensehen. Die praktischen Ermahnungen des 1. Petrusbriefes sind kein Anhängsel, sondern innere Konsequenz. Der Gehorsam (hup-akoê 1,2.14.22; 3,6), die Unterordnung (hupo-tagê 2,13.18; 3,1.5) und die Geduld (hupo-monê 2,20) gehen auf das Vorbild Christi zurück (hupolimpánôn hupogrammón 2,21), der sich freiwillig untergeordnet hat (2,23): so sollen auch die Hausdiener (2,18), die Frauen (3,1), die Männer (3,7) und alle Menschen (3,8) sich unterzuordnen wissen. Die Mahnung, nicht wie Herren über Gottes Herde zu herrschen, setzt das Wort Christi voraus, der „nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösepreis für viele“ (Mk 10,45). Daß wir durch kurze Zeit des Leidens hindurchgehen müssen, um die ewige Herrlichkeit zu erlangen (5,10), setzt das Wort des Herrn voraus, daß der „Messias dies alles leiden mußte, um so in seine Herrlichkeit einzugehen“ (Lk 24,26). Vor allem betont der 1. Petrusbrief aber die Notwendigkeit der Heiligung (1,14-16), einer Konsekration der Seelen im Gehorsam gegenüber der Wahrheit (1,22 vgl. Joh 17,17 dazu später), einem Heilighalten Christi in unseren Herzen (3,15) und einem dem entsprechenden „Wandel“ (anastrophê 1,15.17.18; 2,12; 3,1.2.16 6 von 13 mal im NT). Die Dynamik des Erlösungsprozesses keineswegs nur eine zugesprochene Sündenvergebung bestätigt sich eindrucksvoll im 1. Petrusbrief. Der 1. Petrusbrief zitiert das Gottesknechtslied Is 52/53 ausführlich (2,21-25) und zeigt damit, daß das Leiden Christi für uns, das Tragen unserer Sünden an seinem Leib (dazu später mehr) und die Heilung durch seine Strieme nicht als ein Ersatzopfer interpretiert werden muß. Wie aber kann man den inneren Zusammenhang verstehen, daß „er unsere Sünden selbst getragen hat in seinem Leib auf das Holz, damit wir der Sünde `ab-geworden´ der Gerechtigkeit leben“ (2,24)? Ja, wie kann Petrus schreiben, daß wir durch unsere Vereinigung mit den Leiden Christi uns freuen sollen (4,13)? Das noch nicht erklärte zweite Erfüllungszitat der Passion Christi im Johannesevangelium (19,37) kann uns da näheren Aufschluß geben. c) Joh 19,37: Zach 12 „Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben.“ (Zach 12,10) Johannes beschreibt in 19,34 die Durchbohrung der Seite Jesu und sieht das Prophetenwort aus Zacharias erfüllt (19,37). Es ist dies das zweite Erfüllungszitat neben dem Hinweis auf das Paschalamm in 19,36. Das Schauen auf den Durchbohrten ist in Zach 12,10 begleitet von einer Trauer so wie man Totenklage hält und trauert um den einzigen Sohn. Die Hoffnung auf Erbe und Heil im Heiligen Land ruhte im Weiterleben des Namens im männlichen Nachkommen, der Verlust des einzigen Sohnes bedeutet das Abgeschnittensein aus dem Lande der Lebenden (vgl. Lk 7,12f). In dieser Trauer manifestiert sich der existentielle Aspekt des Erlösungswerkes: die Erkenntnis dessen, was wir getan, was wir verschuldet haben. Nach Apg 3,15 haben wir den Wegbereiter des Lebens getötet und damit uns selbst zum Tod verurteilt. Das, was wir dem angetan haben, dem wir alles verdanken, wird uns im Sterben Christi am Kreuz sichtbar vor Augen geführt. Aber dieses Gericht kann uns noch zum Heil gereichen, ja es ist ein letzter und eindringlichster Appell an Reue und Umkehr. „Ich werde einen Geist der Erbarmung und des Flehens ausgießen“ - so wird der Aufblick zum Durchbohrten eingeführt (Zach 12,10) und in 13,1 weiter erklärt: „An jenem Tage wird es eine Quelle geben... für Sünde und Befleckung“ (die LXX B S übersetzt „zur Umkehr und Besprengung, eis metakínêsin kaì rhantismón; zum Begriff „Sünde“ als Sündopfer bzw. Entsündigung später). Das Thema des aus der Seite des Tempels hervorströmenden Quellwassers, das nach Osten fließt und das Salzmeer in einen Paradiesesgarten verwandelt (Ez 47,1-12; Ps 46,5; Offb 22,1) wird hier, wie auch in Ez 36,25 im Zusammenhang mit der Gabe eines neuen Herzens als Wasser der Reinigung gesehen, in dem Reue und Erbarmen einander begegnen. Von Joh 19,34 („mich dürstet“) geht der Blick zurück auf den sehnsüchtigen Ruf des Herrn (ékraksen): „Wer Durst hat, der komme zu mir und trinke; wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, für den werden aus dem Leib von ihm“ aus Christi Leib „Ströme lebendigen Wassers fließen“ (7,37f). Die intertextuellen Bezüge führen weiter zurück zum Gespräch am Jakobsbrunnen, in dem sich der Durst Jesu (4,7) schließlich herausstellt als sein Verlangen, uns zu tränken (4,10.13f), womit sich der Kreis schließt zu Jesu Durst am Kreuz und der Öffnung seiner Seite als Quell von Blut und Wasser (19,28.34). Der Prophet Zacharias gibt viele Hinweise auf die Passion Christi: der Einzug des Friedenskönigs auf dem Füllen einer Eselin in 9,9; das Blut des Bundes in 9,11; die dreißig Silberlinge in 11,12. Das ganze Buch steht im Horizont von Umkehr und Reinigung (1,3f; 14,8.20f) und ist stark messianisch geprägt (3,8 im Targum ist hinzugefügt „der Messias“; 6,12 mit dem Bau des Tempels; 9,9), so daß das Erfüllungszitat im Johannesevangelium ebenso wie das der Exodusstelle einen ganzen Horizont eröffnet. Während Ex 12,10.46 zunächst in dem Bereich des rituellen Opfers führt, der aber die existentielle Dimension impliziert, verweist Zach 12,10 in die Situation des Gewissens, wobei Reinigung und Heiligung wiederum in eine kultische Dimension führen, den neuen Tempel, der sich aus dem geopferten Leib Christi bildet (vgl. Joh 2,21). Wenn in Zacharias die Gefangenen entlassen werden „um deines Bundesblutes willen“ (9,11), so ist das auch hier nicht ein äußerer Ersatz, das Zahlen eines Lösepreises, sondern ein Quell der Reinigung wie in einem Feuer, das eine neue Beziehung zwischen Gott und seinem Volk ermöglicht (Zach 13,9). Wir haben dieses Feuer schon in der Liebesreue der Magdalena betrachtet. Auch im Passionsbericht des Lukas schlugen die Umstehenden beim Anblick des Gekreuzigten an ihre Brust und kehrten um (23,48). Bei Matthäus heißt es, daß die Erde bebte und sich die Felsen spalteten (27,51). In der Zusammenschau dürfen wir hier über das äußere Zeichen hinaus einen Hinweis auf die innere Erschütterung sehen, die in der Prophezeiung Ezechiels vorausgesagt ist: „Ich entferne das Herz aus Stein aus eurem Leib und gebe euch ein Herz aus Fleisch“ (36,26 vgl. 37,25 mit Zach 12,10; 13,1!). Das also ist das „Kunststück“ einer Herztransplantation ohne Vollnarkose: da uns der Geist der Reue durchdringt, kann der Herr Neues in uns schaffen. Augustinus sagt: Gott hat uns zwar geschaffen ohne uns, aber er will uns nicht erlösen ohne uns(ere Mitwirkung). Daß wir bei der radikalen Neuwerdung, der Verwandlung unserer eigenen Existenzgrundlage mitwirken können und so unsere Kontinuität als Individuum wahren in eine neue Existenz hinein, geschieht wiederum durch jenen circulus gratiae, den wir schon besprochen haben. Die große Vorgabe ist das geöffnete Herz am Kreuz, das mit sanfter Gewalt alle an sich ziehen will (Joh 12,32). Das Verb helkúsô verweist auf Jer 31,3: die ewige Liebe Gottes als das Hineinziehen in sein Erbarmen. Gott hat sich nicht gegen sich selbst gewandt, um den Konflikt der verletzten Gerechtigkeit in sich selbst auszutragen (nach H.U.v. Balthasar - dazu später), sondern seine Zuwendung von Urbeginn durchgetragen, die durch die Sünde zwar zurückgewiesen wurde, aber den Sünder nun verfolgt bis hinein in die äußerste Konfrontation mit seiner eigenen Untat: sie werden aufblicken zu dem, den sie durchbohrt haben. Seine Arme sind ausgebreitet, sein Haupt geneigt, sein Herz geöffnet. So weint Jeremias über Jerusalem und die Kirche über Christus Tränen der Reue und der Liebe, Tränen des Heils. Das durch die Sünde erloschene Feuer der göttlichen Liebe hinterließ im Seelengrund doch noch ein „dickflüssiges Wasser“, das auf dem Brandopferaltar bei durchbrechender Sonne zur Verwunderung aller zu einem großen Feuer entzündet wurde (2Mak 1,20-22). So konnte ein in der Seele des Sünders verbliebener Rest an Scham und Ungemach zu neuem Feuer entflammt werden, das von innen heraus verzehrt und überwindet. Im Hebräerbrief wird dann an die Stelle des im Alten Testament vom Himmel auf den Altar herabfallenden Feuers der ewige Geist treten, in dem Christus sich selbst zum Opfer darbringt. Diesen Geist übergibt der Herr am Kreuz im Johannesevangelium (19,30; vgl. 20,22), womit das Zeichen des hervorströmenden Blutes und Wassers gedeutet ist (19,34; vgl. 7,39). Wiederum bestätigt sich: Das Erlösungswerk ist ganz und gar ein Werk reiner Gnade, das aber von einer uranfänglichen Vorgabe abgesehen in jedem Moment das Mitwirken des Menschen ermöglicht und erfordert. Es ist ein Locken und Ziehen mit sanfter Gewalt, ein Vorwurf und Aufruf, ein Gericht der Barmherzigkeit, ein letztes Aufgebot zu endgültigem Heil oder Verwerfung. Noch einmal sei Röm 6,6 erwähnt: „Der Leib der Sünde muß vernichtet werden!“ Dies ist uns durch die Taufe nicht einfach abgenommen, sondern eröffnet worden (6,2-11). Als Folgerung aus unserem Mit-Gestorben- und Mit-Begraben-Sein mit Christus ergibt sich für unser praktisches Verhalten: „Es herrsche also nicht (mehr) die Sünde in eurem sterblichen Leib...“ (6,12ff). Die Taufgnade, die wir auch als heiligmachende Gnade bezeichnen, ist dem inneren Menschen eingepflanzt (súmphutoi gegónamen 6,5) als eine dynamis, in der der erlöste und sich-erlösende Mensch von innen nach außen die eingenistete Macht der Sünde aufarbeiten und überwinden kann und soll. - Mit anderen Worten kommt dies im Markusevangelium zum Ausdruck. Nach der Aufforderung zum radikalen Ausreißen der Glieder, die Anlaß zur Sünde geben (9,43-48), heißt es: „Jeder wird mit Feuer gesalzen (und jedes Opfer wird mit Salz gesalzen). Gut ist das Salz aber wenn das Salz schal wird, womit werdet ihr es würzen? Habet Salz in euch und habet Frieden untereinander!“ (9,49f) Wenn die Lektionsvariante „und jedes Opfer wird mit Salz gesalzen“ nicht ursprünglich ist (und nicht als Homoioteleuton erst später entfallen), so zeigt sie doch den naheliegenden Horizont des Verständnisses. Die Vorschrift der Torah, „jedes deiner Speiseopfer mußt du salzen du darfst das Salz des Bundes mit deinem Gott nicht fehlen lassen allen deinen Speiseopfern mußt du Salz hinzufügen“ (Lev 2,13), wurde in neutestamentlicher Zeit als allgemeiner Grundsatz tradiert: „Kein Opfer ohne Salz“ (Jub 21,11; TestLev 9,11). An die Stelle des Opfergegenstandes tritt nun in diesem Herrenwort „jeder Einzelne“, der durch das Opfer seiner Abtötung und Selbsthingabe ein Gottwohlgefälliges Leben darbringt durch das Feuer. Während „Feuer“ zuvor, in Mk 9,48, als unauslöschliches Feuer der Hölle erwähnt wurde, ist hier von dem verzehrenden Feuer des Opferaltares die Rede. Auch in Mt 3,11f / Lk 3,16f steht die Taufe im Heiligen Geist und im Feuer neben dem unauslöschlichen Feuer der Hölle, wo das Feuer derselben göttlichen Liebe zur brennenden Scham gereicht. Dabei ist zu bedenken, daß derselbe Christus, der die Seinen im Heiligen Geist und in Feuer taufen wird (Lk 3,16) und der gekommen ist, Feuer auf die Erde zu werfen (Lk 12,49), zunächst von sich selbst gesagt hat, er habe mit einer Taufe getauft zu werden und daß es ihn sehr dränge, daß dies vollendet werde (Lk 12,50) bevor er die Seinen gefragt hat, ob auch sie den Kelch trinken werden, den er trinken wird, und mit der Taufe getauft werden, mit der er getauft wird (Mk 10,38). Die sakramentale Vorgabe durch Taufe und „Herrenmahl“ (1Kor 11,20) muß sich durch existentiellen Mitvollzug im praktischen Leben bewähren und bewahrheiten. 7. Der Keltertreter, Os 11,1-9 und das geopferte Lamm Zwei scheinbar widersprüchliche Bilder aus dem Propheten Isaias werden in ein und demselben Buch des Neuen Testamentes als Illustration des Erlösungswerkes Christi herangezogen: in der Apokalypse finden wir sowohl das Bild des leidenden Gottesknechtes als geopfertes Lamm (Is 53,7 in Offb 5,6.9) als auch das Bild des in göttlichem Zorn die Völker zerstampfenden Keltertreters (Is 63,1-6 in Offb 19,13.15). Dies sollte uns von vornherein zur Vorsicht mahnen und noch einmal daran erinnern, daß diese Bilder jeweils nur einen bestimmten Detailaspekt hervorheben, den die Exegese im Blick auf das Ganze der Schrift erfassen muß. Im Bild des Keltertreters ist unser Thema ausdrücklich angesprochen: „Denn ein Tag der Vergeltung ist in meinem Herzen, ein Jahr meiner Erlösung war gekommen“ (Is 63,4). nâqâm sollten wir nicht mit „Rache“ übersetzen „wegen des inhärenten Kontrollverlustes“, wie H.J. Fabry zu Nah 1,2 (Nahum HthKAT, Freiburg 2006, S. 133) richtig schreibt. Ohne die gewaltige Sprache und das eindrückliche Bild der Zornesglut in Nah 1,2-8 zu verharmlosen, dürfen wir doch das Vernunftgemäße dieses Gottes nicht übersehen, der „gut ist, Schutz am Tag der Not; er weiß um die, die bei ihm Zuflucht suchen“ (1,7). „Vergeltung übt ER an seinen Gegnern“ (1,2), nâqâm ist ein antikes Rechtsinstitut, das auf Ausgleich bedacht ist. Nun kommt der Herr selbst aus Edom, dem „roten Land“, in dem der Typus des Gottesfeindes wohnt, und seine Kleider sind von Traubensaft bespritzt, da er wie ein Keltertreter die Völker zertrat in seiner Zornesglut (Is 63,1-6). Betont ist die Kraft seines Armes, der allein, ohne Helfer, dieses Werk vollbrachte (63,1.5f). In der christlichen Ikonographie wird dieses Bild nun verkehrt in den unter den Balken des Kreuzes als Weinpresse gebeugten Heiland, dessen eigenes Blut im Bild der Kelter sein Gewand rötet. Diese Umkehrung ist durchaus biblisch begründet, da wie gesagt in der Apokalypse der Keltertreter zugleich das geschlachtete Lamm ist. Man hat versucht, diese Umkehrung als innergöttlichen Zwiespalt nach Os 11,1-9 zu deuten. Einerseits hat Ephraim den göttlichen Zorn verdient: „Je mehr ich sie rief, desto mehr liefen sie weg von mir. Sie opferten den Baalen und brachten den Götterbildern Rauchopfer dar.“ (Os 11,2) Andererseits scheint sich Gott von seinem Volk nicht trennen zu können: „Wie könnte ich dich preisgeben, Ephraim, wie dich aufgeben, Israel? ... Mein Herz wendet sich gegen mich. Mitsammen wallen meine Mitleiden auf. Nicht will ich tun nach den Flammen meines Zornes, nicht will ich kehren, Ephraim zu verderben. Denn Gott bin ich und nicht ein Mensch, in deiner Mitte der Heilige.“ (Os 11,8f) Wiederum liegt es uns fern, die Wucht dieser Sprache beckmesserisch aus der nüchternen Höhe der philosophischen Gotteslehre zu domestizieren. Dennoch dürfen wir den Widerspruch und Widerstreit nicht in Gott selbst hineintragen, denn auch in diesem Sinn ist er Gott und kein Mensch. Er ist sich selbst und damit dem Ruf der Gnade treu, den „Menschenbanden, den Schnüren der Liebe“, von denen in Os 11,4 im Bild der nährenden Mutter die Rede ist. Die notwendige Strafe soll nur der Reinigung dienen, Assur muß ihr König sein, da sie sich weigern umzukehren (11,5) aber letztlich sollen sie doch wieder wohnen in ihren Häusern (11,11). Eine ähnliche Spannung läßt sich im Propheten Jeremias ablesen. In 11,9-14 findet sich in Gottes Mund die massivste Anklage über den gebrochenen Bund in den Schriften des Alten Testamentes (so G. Fischer, Jeremia 1-25 HthKAT, Freibug 2005, S.405). Der Prophet muß dies nicht nur verkünden, sondern in eigener Person durchleiden: ihm wird in 11,14 (schon 7,16) verboten, sich auf die Seite des Volkes als Fürbitter zu stellen. Diese Innenseite der Person des Unheilspropheten zeigt seine Ambivalenz als „ideale Spiegelfigur, die die unterschiedlichen Perspektiven der verschiedenen Betroffenen jeweils mit eigener Beteiligung nachvollziehen kann. Er kann die Seite Gottes verkörpern, der an seinem Volk und dessen Ablehnung leidet... Zugleich steht er für das Volk, wenn er Gott Fragen stellt und ihm Vorhaltungen macht.“ (a.a.O. S. 406f) Damit rückt er in die Nähe des leidenden Gottesknechtes bei Isaias (Jer 15,11 /Is 53,6). In 15,1 scheint die Ablehnung endgültig: selbst wenn die großen Gestalten der Vorzeit, Moses und Samuel, der große Fürbitter und Bundesmittler, eintreten würden, wäre dies aussichtslos: „nicht wäre meine Seele zu diesem Volk. Schicke sie weg von meinem Angesicht, und sie sollen fortgehen!“ Aber dann ist das Exil wie ein offenkundig eingetretener Tod, eine tief empfundene Trennung, ein heilsames und reinigendes Leiden, das eine neue Heilsprophetie eröffnet. In 42,1-6 kann sich der Prophet über das scheinbar so apodiktische Verbot der Fürbitte hinwegsetzen (vgl. schon 37,3). „Die Annahme ihrer Bitte bedeutet, daß das Verbot von 7,16; 11,14; 14,11 jetzt, nach dem Eintreffen des Gerichts, aufgehoben ist.“ (G. Fischer, Jeremia 26-52; a.a.O. S.403) G. Fischer bezeichnet den Propheten als „Reflektorfigur“ und spricht von der Mehrdimensionalität der Person des Jeremia (Jeremia 1-25; a.a.O. S. 406; 515). Damit wird eine Spannung oder gar ein Widerstreit, der in Gott selbst nicht gedacht werden kann und tatsächlich auch dort nicht stattfindet, sondern „nur“ in der Beziehung des Menschen zu Gott, im Gottesmann offenkundig was bereits die Offenbarung in Jesus Christus anbahnt. Im Leiden des Propheten bahnt sich das Pascha der Erlösung an, in dessen Hindurchgehen durch den Tod der Bruch der Sünde offenkundig und eine neue Geburt vorbereitet wird. Daß der Widerstreit nicht in Gott selbst gründet, sondern im Menschen, zeigt ein Wort des hl. Ambrosius zu Ps 43,24: „Etsi avertis, Domine, faciem tuam a nobis, tamen signatum est in nobis lumen vultus tui, Domine“ (PL 14, 1131 „wenn Du auch, Herr, Dein Antlitz von uns abwendest, so ist dennoch das Licht Deines Angesichtes in uns eingeprägt“). Ebenso wie in der Rückkehr zu Gott bis hin zur vollkommenen Gottesfreundschaft ein fortschreitendes Eingehen stattfindet, so muß auch die Abwendung bis hin zur definitiven Trennung nicht schlagartig geschehen. Der Mensch verdankt sich im tiefsten Grund seiner Existenz dem Ruf der Gnade, den Gott auch dann nicht zurücknimmt, wenn er sich durch die Zurückweisung seiner Liebe schrittweise zurückziehen „muß“. Selbst in der der menschlichen Freiheit möglichen endgültigen Zurückweisung der göttlichen Liebe brennt diese noch in seiner Seele zu unauslöschlicher Beschämung „denn unwiderruflich sind die Gnadengaben und die Berufung Gottes“ (Röm 11,29; vom bleibenden Eingeprägtsein des göttlichen Antlitzes in die Seele des Menschen trotz der Sünde handelt Ruysbroeck in dem schon zitierten Buch, Nr. 57). ametamélêta, schreibt der hl. Paulus, „ohne die Sorge umzuwenden“, womit an Os 11,8f erinnert wird und an das rechte Verständnis dessen, wie Gott eben Gott ist und kein Mensch. Es ist dies keine bedingungslose, prinzipienlose und damit letztlich doch gleichgültige Liebe, sondern eine Liebe, die nicht aufgibt, so lange noch ein Funken Hoffnung besteht. Daß Ambrosius Ps 43,24 (heb. 44,24) mit Ps 4,7 verbindet, entspricht durchaus dem Kontext. Der Psalmist weiß ja schon, daß Gott eigentlich nicht schlafen kann und sein Antlitz nicht verbergen will. Er erinnerte sich, daß das „Licht Deines Antlitzes“ den Vätern geholfen hat, „denn Du hattest Wohlgefallen an ihnen“ (Vers 4). Aber das ist nicht nur Erinnerung, sondern Vergegenwärtigung im Gebet, im geistlichen Ringen, und gerade darin bereits innere Überwindung und neues Aufleuchten der Gnade. Der Psalmist weckt Gott in seiner Seele auf, die „bis zum Staub gebeugt war und unser Leib klebte an der Erde“ (Vers 26). Der Mensch hatte seine Berufung verraten, der Ruf Gottes besteht fort. In diesem philosophisch verantworteten Rahmen soll nun die Umwendung des Bildes vom krafterfüllten Keltertreter zum scheinbar ohnmächtigen Opferlamm gedeutet werden. Tatsächlich wird die Vergeltung und Erlösung nun nicht eingefordert, indem der Herr gegen die Völker wütet. Vielmehr wird sein Zorn und seine Kraft offenbar, indem er die anderen gegen sich wüten läßt, um ihnen ihr Tun zu heilsamer Beschämung vor Augen zu halten. Es ist durchaus kein Wüten Gottes gegen sich selbst, kein ersatzweises Austragen von Schuld und Strafe zwischen Vater und Sohn dieser verrückte Gedanke muß ausdrücklich zurückgewiesen werden, da er tatsächlich durch H. U. von Balthasar ventiliert wurde -, sondern im Gegenteil wurde die vollkommene Harmonie zwischen Vater und Sohn auch noch dort hineingetragen, wo wir durch die Sünde in die äußerste Sackgasse geraten waren, in die Trennung von Leib und Seele, ja wo wir den Urheber des Lebens selbst töten wollten (Apg 3,15). Sein unerbittlicher Zorn will uns die grenzenlose Schmach dieser Konfrontation nicht ersparen und darin sein letztes Heilsangebot eröffnen. So ist der mächtige Keltertreter zugleich das geopferte Lamm, das uns Isaias im 53. Kapitel vor Augen stellt. Man könnte im Rahmen dieser Arbeit eine ausführlichere Besprechung des vierten Gottesknechtsliedes (Is 52,13 53,12) erwarten. Tatsächlich diente es nicht nur der apostolischen Verkündigung vom Werk der Erlösung (Apg 8,35), sondern der Herr selbst bezieht sich darauf in der Deutung seines eigenen Todes (Mk 10,45; 14,24). Dennoch sollte in die rätselhaften, in der schwebenden Form eines Gedichtes vorgetragenen Andeutungen nicht zu viel hineingelesen werden. "Jede Interpretation dieser `Lieder´ muß sich von vornherein der Grenze bewußt bleiben, die durch die Diktion solcher Texte gesetzt ist, denn sie ist überaus bilderreich... ohne begriffliche Schärfe in einer gewissen Schwebe verharren... eine Eigenschaft der weissagenden Rede" (G. v. Rad, Theologie des Alten Testamentes, II, S. 266). Die Frage des äthiopischen Kämmerers (Apg 8,34) zeugt davon und erst im Licht der neutestamentlichen Ereignisse kann man die Andeutungen deuten. Zunächst ist im Kontext existentieller Widerfahrnisse nur im bildhaften Sinn die Rede von einem Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, ohne daß dem Leiden des Gottesknechtes ein kultischer Aspekt zugedacht würde. Überraschenderweise exzeptionell im Isaiasbuch und den Propheten außer Ezechiel wird zwar das Wort )âshâm, ein terminus technicus aus dem Buch Levitikus für Schuld(opfer), gebraucht, was hier zunächst nur in übertragenem Sinn gemeint sein konnte. In der Wirkungsgeschichte wurde der Text dann doch in kanonischer Gesamtsicht, in einer Synthese von rituellem und existentiellem Opfer, gelesen, so wie wir dies in abschließender Zusammenfassung im Hebräerbrief sehen werden. Kann uns das vierte Gottesknechtslied in der Frage nach stellvertretendem Leiden als Platztausch oder als existentielle Vorgabe zur Nachfolge weiterhelfen? Der Beginn des Liedes (in 52,13 deutlich abgehoben) spricht von der Erhöhung des Knechtes, nachdem er erniedrigt wurde. Die scheinbare Paradoxie von vordergründigem Ereignis in dieser Welt (in den Augen der Weltmenschen) und der wahren Bedeutung (in den Augen Gottes), eine "Ironie des Schicksals" durch göttliche Fügung ist das Thema, das mehrfach variiert wird. Dabei dienen die Gegenüberstellungen der Konkretisierung eines Eindrucks, ohne sich auf weitere Schlußfolgerungen festlegen zu lassen. Zunächst also: viele waren über ihn, den so Erniedrigten, entsetzt - viele Heidenvölker werden angesichts seiner, des Erhöhten, (die Augen) aufreißen und - parallel dazu - verschließen die Könige ihren Mund. Das Thema der entsetzten Heiden angesichts des erhöhten Israel findet sich im Isaiasbuch durchgehend, hier geschieht dasselbe angesichts des Knechtes, der die ganze Erniedrigung, die eigentlich Israel treffen sollte, auf sich nahm (53,4-6). Das ist der nächste Kontrast des Gedichtes: wir alle, jeder von uns, sind wie Schafe abgeirrt - er aber ließ sich wie ein Lamm zur Schlachtbank führen. Daran schließt sich ein weiterer Kontrast an: das Gestorben-Sein des Knechtes (Vers 8f) und die Fruchtbarkeit des Lebens, die daraus hervorgeht (Vers 10f). Wer aber sind die Vielen, denen er Gerechtigkeit verschafft, da er ihre Vergehen getragen und nun im Licht neuer Erkenntnis schaut? Offensichtlich gibt es einen Kontrast zwischen den vielen Heidenvölkern, die über ihn entsetzt waren (52,13) und den vielen Nachkommen, die er gewinnen wird (53,10). Es waren unsere Sünden und unsere Krankheit, die er auf sich genommen (53,4-6), aber die davon ausgehende Heilung hängt doch auch von unserer Reaktion ab. Das bloße Entsetzen genügt noch nicht dies gilt auch vom Wehklagen der Stämme der Erde am Ende der Zeit (Offb 1,7) -, den Dichter trifft das, was der Knecht wegen und für uns gelitten hat, ins Innerste: eingeschlossen ist der ebenso betroffene und getroffene Leser als ein ekklesiales „Wir“, aber nicht die ganze Menschheit durch einen pauschalen Platztausch. Das viel diskutierte rabbîm in 53,12, das wir in Mk 10,45 und 14,24 als polloí wiederfinden, sollte in diesem Sinn wörtlich übersetzt werden: eine unbegrenzte Öffnung des Heiles, aber keine pauschale Zuteilung (vgl. F. Prosinger, Das Blut des Bundes vergossen für viele? Siegburg 2007). Die Verbindung der Bilder vom Keltertreter und geopferten Lamm, wie sie durch die Apokalypse des Johannes gesehen wird, bewahrt vor Einseitigkeit. Es geht durchaus auch um die Durchsetzung der göttlichen Gerechtigkeit, nicht nur als Verzicht aus mißverstandener Barmherzigkeit. Der Keltertreter „kommt einher in seiner großen Kraft: 'Ich bin es, der urteilt in Gerechtigkeit, und mächtig, um zu helfen'“ (Is 63,2f). Aber er erweist seine Kraft nicht im Dreinschlagen, sondern im tapferen Ertragen des Wütens der anderen gegen ihn. So ist sein Gewand nicht befleckt durch das Blut, das er aus den Völkern preßt, um die Gerechtigkeit zu erzwingen, sondern er erweist sich heilig durch sein eigenes Blut, das als das Blut des geopferten Lammes Kleider der Seinen rein wäscht (Offb 7,14; vgl. 1,5; 5,9; 12,11). Dieses Blut verbindet sich als im Martyrium geopfertes Leben mit dem Blut der Heiligen: „Du bist gerecht, der du bist und der Du warst, der Heilige, weil Du dieses als Urteil sprachst: 'Sie haben das Blut der Heiligen und der Propheten ausgegossen und Blut hast Du ihnen zu trinken gegeben: das sind sie wert'.“ (Offb 16,6) „Und ich sah die vom Blut der Heiligen und vom Blut der Zeugen (Märtyrer) Jesu trunkene Frau“, „das große Babylon, die Mutter der Hurerei und der Greuel der Erde“ (Offb 17,7.6; vgl. 18,24). Dieses Blut seiner Diener hat der Herr eingefordert von der großen Hure, um seine Hochzeit zu bereiten, die Hochzeit des Lammes mit seiner neuen Braut (19,1-9): „Er war bekleidet mit von Blut besprengtem Kleid und sein Name wird genannt `das Wort Gottes´“ (19,13). „Und aus seinem Mund kommt hervor ein scharfes Schwert, um damit die Völker zu schlagen. Er weidet sie: Er mit eisernem Szepter. Er tritt die Kelter des Zornweines des allmächtigen Gottes.“ (19,15) Solche Sprache mag den verweichlichten Wohlstandsbürger schockieren, der die Ungerechtigkeit der (Dritten) Welt nur vom Hörensagen kennt. Wer das wirkliche Elend am eigenen Leib erlebt, der kennt den lauten Schrei mit gewaltiger Stimme: „Wie lange noch, Herr, Du Heiliger und Wahrhaftiger, sprichst Du nicht das Urteil und schaffst nicht Recht unserem Blut gegenüber denen, die auf Erden wohnen?“ (6,10). Diese Forderung einer gerechten und ersehnten Vergeltung wird nicht zurückgewiesen, sondern nur zurückgestellt, bis die Zahl derer erfüllt sein wird, die noch getötet werden sollen so wie auch sie selbst getötet worden sind (6,11). Der Keltertreter steht für die das Recht durchsetzende Macht Gottes aber sein „eisernes Szepter“, mit dem er die Völker schlägt, ist das Holz des Kreuzes. Domuit orbem non ferro, sed ligno (Augustinus, in Ps 54 ad 1: Er zähmte den Erdkreis nicht durch Eisen, sondern durch Holz). Die große Gratuität der Zuwendung Gottes bis zur Hingabe seines Sohnes am Kreuz (vgl. Joh 3,16), obwohl wir doch noch seine Feinde waren (Röm 5,8.10), und er sich mit allem Recht von uns hätte abwenden können, soll uns in heilsamer Weise beschämen und beseligen zugleich. Da ist kein Konflikt zwischen göttlicher Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, sondern seine uns schon immer zugewandte gerechte und barmherzige Liebe erweist sich in der Passion Christi angesichts der gefallenen Kreatur als eine Liebe bis zur Vollendung (Joh 13,1). So sehen wir den Keltertreter gebeugt unter den Balken des Kreuzes, das geopferte Lamm dagegen erhöht auf dem Thron. Die christliche Ikonographie sah den Herrn am Kreuz als König und Richter erhöht, oder zumindest trotz tiefster Erniedrigung etwa auf dem Isenheimer Altar als Bild der Überwindung und des Friedens, nicht überwältigt, sondern überwältigend. Nie hat man etwa in Anschluß an Ps 22,7 den Herrn in seiner Passion als einen im Schmerz sich windenden Wurm dargestellt (neuere Hollywood-Filme mögen da eine Ausnahme machen), sondern nicht nur als Mensch, vielmehr als den im Geheimnis des Vaters geborgenen Sohn. Auch wenn er die Bitterkeit des Todes durch und durch verkostet (Heb 2,9) und bis zu einem uns nicht erkennbaren, aber die tiefste Einheit und Übereinstimmung nicht aufhebenden Grad die Gottverlassenheit erlitten hat, so ist er doch der ganz Ergebene, der in liebendem Gehorsam Wohlgefällige, der im Schoß des Vaters Ruhende sozusagen mehr denn je, da sein Opfertod eine zusätzliche Konsekration bedeutet (Joh 17,19). „Der mich gesandt hat, ist mit mir; nicht läßt er mich allein, denn ich tue immer das ihm Wohlgefällige“ (Joh 8,29) eine ganzheitliche Exegese darf diese Aussage bei der Deutung von Mk 15,34 nicht außer acht lassen (dazu später). Das Drama dreht sich um uns und darf nicht in Gott selbst in anthropomorpher Weise hineinprojiziert werden. Deshalb ist es nicht weniger dramatisch und eine bloße Generalamnestie wäre eine unerträgliche Verharmlosung. Selbstverständlich davon auszugehen, daß nun Herodias mit dem von ihr enthaupteten Johannes Hand in Hand im Paradies sich der ewigen Seligkeit erfreute (was wir ihr trotz allem wünschen und nicht ausschließen wollen, da sich der Herr am Kreuz auch für sie geopfert und an ihre Türe geklopft hat), daß all die himmelschreienden Greuel und Skandale einfach übergangen würden (obwohl wir gern allen Schuldigen vergeben, so wie auch wir um Vergebung unserer Schuld bitten), würde die gesamte Heilsgeschichte überflüssig machen und könnte vor dem Blick auf den Durchbohrten nicht bestehen. Das geopferte Lamm ist der Keltertreter, sein eisernes Szepter ist das Holz des Kreuzes und unsere ganze dieser Welt verfallene Existenz muß bis ins Innerste getroffen werden, aufgerissen und aufgerieben, überwältigt und überwunden, „verwundet von seiner Liebe in einem Schmerz, der erst im Himmel heilt“ (L. Grandmaison). 8. Einwände a) 2 Kor 5,21 Dagegen wird zumeist ein Wort des hl. Paulus eingewandt, das oberflächlich übersetzt und aus dem Zusammenhang genommen wird: „Er (Gott) hat ihn (Christus) für uns zu Sünde gemacht“ (2 Kor 5,21). Dieses „Argument“ wird dann noch durch eine falsche Übersetzung gestützt: „Gott hat die Welt mit sich versöhnt in Christus“ (2 Kor 5,19). Als terminus technicus finden wir hamartía, bzw. hatta)t in der ebenfalls abgekürzten, aber längeren Form perì hamartías in Röm 8,3: „Gott vernichtete die Sünde in unserem Fleisch, seinen Sohn in der Ähnlichkeit des Fleisches der Sünde und `im Hinblick auf die Sünde´ sendend.“ Zunächst: katékrinen meint nicht nur ein Verurteilen, sondern ein wirksames Vernichten, eine Entmächtigung der Sündenmacht (vgl. Schlier, Der Römerbrief, Freiburg 1987, S. 242). Den alttestamentlichen Ausdruck `die Sünde betreffend´ finden wir auch in Heb 10,6.8 zitiert. Unter der Reihe der verschiedenen Opferformen und intentionen findet sich auch das Sündopfer, das „Opfer im Hinblick auf die Sünde“, das auch einfach `im Hinblick auf die Sünde´ (z. B. die Kapitel Lev 4 bis6; Num 7 passim; das oben schon erwähnte Zach 13,1) oder noch kürzer `Sünde´ genannt wird (im Hebräischen allerdings im status constructus: Lev 6,18.23; Ez 40,39; 42,13; 45,19f; Esr 8,35; Neh 10,34). Natürlich ist auch in Num 8,7 mit den „Sündenwassern“ ein Lustrationswasser gemeint, das von Sünden reinigt, ein Entsündigungswasser. Diese verkürzte Ausdrucksweise gehört zum biblischen Fachjargon und muß auch in 2Kor 5,21 mitgehört werden: Er hat den, der die Sünde nicht kannte, für uns zum Sündopfer bzw. Entsündigungsopfer gemacht. Daß Paulus bei seinen Lesern in Korinth die Vertrautheit mit den „heiligen Schriften“ (Röm 1,2) vorausgesetzt hat, läßt sich leicht nachweisen (etwa 1Kor 10, 1-13, sogar mit der mündlichen Tradition vom wandernden Felsen). Wer dennoch 2Kor 5,21 von biblischer Vorkenntnis unbelastet hören will und dem einen Sinn entnehmen will, daß Christus für uns zur Sünde gemacht wurde, darf weder den ganzen Satz, noch den gesamten Paulus übersehen: Christus kannte die Sünde nicht! Schon erwähnt wurde, daß das hebräische „Kennen“ nicht nur das theoretische Erkennen, sondern das Anerkennen bis hin zur intimen Aneignung bezeichnet. Wenn es in Röm 8,3 heißt, daß Gott die Sünde „im Fleisch“ verurteilt bzw. vernichtet hat, so heißt das gerade nicht, daß er seinen Sohn zur Sünde gemacht und dann verurteilt hat. Die Sünde ist wie gesehen die Abwendung der Seele von Gott und eine perverse Zuwendung zur Kreatur, die „Sünde im Fleisch“ kann dann nur die Konsequenz der Sünde meinen. Dort, wo sich die Sündenmacht eingenistet hat und die Freiheit der Seele behindert, im „Fleisch“, hat Christus die Sünde überwunden durch die Hingabe seines Leibes in vollkommenem Gehorsam bis in den Tod (Phil 2,8). In keinem Augenblick hat er sich von seinem Vater im Himmel getrennt oder abgewandt, sondern sich im Gegenteil, entsprechend der Absicht der Sühnopfer des Alten Testamentes als die Lebenshingabe an das Heilige, ein Zu-Gott-Kommen durch das Todesgericht hindurch (siehe oben), sich selbst in besonderer Weise geheiligt (Joh 17,19 dazu später). Christus ist der „Heilige Gottes“ (Mk 1,24; Lk 1,35; 4,34; Joh 6,69; Apg 3,14; 4,27; 1Joh 2,20), den wir „heilig halten sollen in unseren Herzen“ (1Ptr 3,15; vgl. 1,15f). Daß das auch für die Paulusbriefe gilt, haben wir schon in Eph 5,1 gesehen: wie sollten wir auch Christus nachahmen, um mit ihm ein Gott-wohlgefälliges Opfer zu werden (siehe auch Phil 2,5), wenn er tatsächlich zur Sünde geworden wäre ein geradezu blasphemischer Gedanke! Gerade am Kreuz offenbart er sich in seiner ganzen Liebenswürdigkeit und Anziehungskraft (siehe Gal 2,20 zur Kreuzesmystik im Galaterbrief später ausführlicher). Man könnte aber doch der Aussage, daß Gott Christus für uns „zur Sünde“ gemacht hat, einen positiven Sinn entnehmen. Bei der Erklärung des Aufblicks zu dem, den wir durchbohrt haben, wurde schon deutlich, wie uns da sichtbar vor Augen geführt wird, was wir durch die Sünde dem unsichtbaren Gott zufügen. „Wehe, sündiger Haufe, schuldbeladenes Volk, Brut von Verbrechern, Söhne, die frevelhaft handeln! Sie verließen den Herrn, schmähten den Heiligen Israels, wandten den Rücken ihm zu. Wohin könnt ihr noch Schläge erhalten, da ihr fortgesetzt abfallt? Jedwedes Haupt ist krank, ein jedes Herz matt. Von der Fußsohle bis zum Scheitel ist nichts Heiles an ihm. Wunde und Strieme und frischer Hieb...“ (Is 1,4-6). Doch die schärfsten Anklagen der Propheten können den in die Sünde gefallenen Menschen nicht treffen, da die Sünde immer auch ein Selbstbetrug ist. Erst da der Gottesknecht „unsere Krankheiten trug, unsere Schmerzen auf sich lud“, und wir erkannten, daß der von uns fälschlich als ein von Gott Geschlagener und Niedergebeugter Angesehene in Wahrheit „für unsere Frevel durchbohrt, wegen unserer Missetaten zerschlagen wurde“ (Is 53,4f), da wird er Nachkommen schauen und Viele rechtfertigen (54,10f). In diesem Vers steht bei Isaias in dort ungewöhnlicher Terminologie -, daß er sein Leben als „Schuldopfer“ eingesetzt hat (53,10). Eben daran wird Paulus auch in 1Kor 5,21 gedacht haben. Aber dies ist gerade nicht ein Ersatzopfer, durch das die Welt nun einfach versöhnt wäre. Es heißt wörtlich übersetzt: „da Gott ein Welt-mit-sich-Versöhnender in Christus war, nicht anrechnend ihnen ihre Übertretungen, sondern hineinsetzend in uns das Wort der Versöhnung“ (2Kor 5,19). Das „war“ ist ein Imperfekt, eine begonnene, aber nicht abgeschlossene Handlung; das „Versöhnender“ ist ein Partizip Präsens, eine andauernde Wirkung; das Wort der Versöhnung, das Paulus aufgetragen wird, lautet nicht: „Ihr seid versöhnt!“, sondern: „Versöhnt euch mit Gott!“ (5,20). Das Werk hat begonnen in Christus und muß sich allererst auswirken in uns. Paulus kennt keine pauschale Versöhnung der Welt, sondern warnt uns gerade bei der Aneignung des Versöhnungswerkes durch die Kommunion im geopferten Leib und vergossenen Blut des Herrn, daß wir dies nicht unbedacht tun, „damit wir nicht zusammen mit der Welt verurteilt werden“ (1Kor 11,32). Der Blick auf den gekreuzigten Herrn kann also insofern als ein Bild der Sünde gesehen werden, als sein geschlagener und zerschundener, ans Kreuz genagelter Leib offenbart, was die Sünde anrichtet. In diesem Sinn ist auch die Formulierung zu verstehen, daß „der Menschensohn in die Hände der Sünder überliefert wird“ (Lk 24,7). In seiner Passion ist der Herr mit jeder Art von Sünde am eigenen Leib konfrontiert, der Feigheit der fliehenden Jünger, dem Verrat aus Menschenfurcht, dem Geistesstolz und der Rechthaberei des Hohen Rates, der Rachegelüste und Brutalität der Untergebenen. Da sich der Herr der Willkür der Menschen ausliefert, ihren Schlägen und ihrem Spott, und schließlich der Annagelung an den Schandpfahl des Kreuzes, erduldet er den Angriff auf die Würde des Menschen als Gottes Ebenbild als das Werk des bösen Feindes, des Menschenmörders von Anbeginn (Joh 8,44). Aber inmitten all der Bosheit blieb er rein von jeder Sünde, „in seinem Mund ward List nicht gefunden; er schmähte nicht zurück, da er geschmäht wurde, er drohte nicht, da er litt, sondern übergab seine Sache dem gerechten Richter; er trug unsere Sünden selbst an seinem Leib hinauf auf das Holz, damit wir, den Sünden gestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Striemen wurdet ihr geheilt.“ (1Ptr 2,23f) Wiederum kann hier kein bloßer Ersatz gemeint sein, so daß er einfach die Schläge, die wir bekommen sollten, auf sich genommen hat, sondern die Schläge, die wir nicht der himmlische Vater! ihm zugefügt haben, sollen uns selbst treffen und brennen in unserer Seele zu heilsamer Reue. Der Blick auf den Durchbohrten offenbart uns ja nicht nur das, was wir Ihm angetan haben, sondern ist viel mehr davon überstrahlt, was Er für uns tut: ein Bild der selbstlosen Hingabe, des Mitleidens mit uns Sündern und der Ergebung in die Hände des Vaters. Dieses Bild kann den Sünder zu tiefster Zerknirschung führen, ohne ihn in Verzweiflung zu stürzen. Hans Urs von Balthasar meint, man könne 2 Kor 5,21 nicht wörtlicher nehmen als Martin Luther (Theodramatik III. Die Handlung, Einsiedeln 1980, S. 263), also als jene „fröhliche Wirtschaft, da der reiche, edle, fromme Bräutigam Christus das arm verachtet Hürlein Seele zur Ehe nimmt und sie entledigt von allem Übel, zieret mit allen Gütern“, indem „er der Seele Sünd... ihm selbst zu eigen macht und nit anders tut, denn als hätt er sie getan“ (Von der Freiheit eines Christenmenschen, WA 25,26ff). Nach dem Ehevertrag sind „auch beider Güter, Fall, Unfall und alle Dinge gemein; das, was Christus hat, das ist eigen der gläubigen Seele, was die Seele hat, wird eigen Christi.“ Der Glaube ist dabei nicht die geistige Kraft, die die Braut dem Bräutigam angleicht, sondern „der Brautring“, ein äußeres Zeichen und Versprechen. Die Sünden sind nicht „verschlunden und ersäuft“ in ihr, sondern in ihm (ebd.). Darin bestünde also der „fröhlich Wechsel und Streit“, daß Christus in die Rolle des Sünders geschlüpft wäre und die Seele glauben dürfte, sie sei gerecht. Diese Theologie des „als ob“ kann aber weder vor der philosophisch-theologischen Vernunft, noch vor dem Zeugnis der Schrift bestehen. Da ist kein Platz- und Rollentausch, sondern „wer in Christus ist, ist“ - wirklich „ein neues Geschöpf ; das Alte ist vergangen“ der Leib der Sünde ist vernichtet (Röm 6,6) „und siehe, das Neue ist geworden“ (2Kor 5,17): Christus „hat sich für seine Kirche hingegeben, damit er sie heilige, reinigend durch das Bad des Wassers im Wort, damit er selbst sich bereite eingeherrlicht die Kirche: ohne Schmutz oder Runzel oder dergleichen; damit sie vielmehr heilig sei und makellos.“ (Eph 5,25-27). Darin haben die Kirchenväter den „Wechsel“ (commercium divinum) erkannt, daß Gott Mensch geworden ist, um unsere menschliche Natur zu vergöttlichen, nicht aber darin, daß Christus sich als Sünder ansehen läßt, damit der Sünder sich als Gerechter ansehen lassen kann. „Damit wir werden Gottesgerechtigkeit in ihm“ (2Kor 5,21), bedeutet eine wirkliche Neuwerdung (genômetha ...en autô[i]), wie 2Kor 5,17 klar zu erkennen gibt. b) Mk 15,34 Für die Ansicht, daß Christus am Kreuz nicht nur zur Sünde geworden sei, sondern damit auch die Trennung von Gott und die Strafe der Verdammnis erlitten hat (M. Luther, Römerbrief -Vorlesung, München 1957, S302f), beruft man sich auf Mk 15,34: „Und zur neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: `Heloi, Heloi, lema sabacthani?´ Das heißt übersetzt: `Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“. Natürlich stehen auch wir erschüttert vor diesem Wort und wollen es nicht hinweg-interpretieren. Dennoch seien zunächst einige Hinweise aus dem Kontext gegeben. Da der Tod am Kreuz durch Schwäche und Ersticken eintritt, ist das laute Rufen nach menschlicher Erfahrung nicht erklärbar. Der Hauptmann unter dem Kreuz, der den Herrn „so rufend aushauchen sah, sagte: `Wahrhaft, dieser Mensch war der Sohn Gottes´“(15,39). Da damit die große Inklusion zur Überschrift „Evangelium Jesu Christi, des Sohnes Gottes“ gegeben ist und die fortlaufende Linie der Offenbarung seines Namens ihr vorläufiges Ziel erreicht (das „war“ der Sohn Gottes wird bei der Auferstehung korrigiert), müssen wir die Gottverlassenheit Christi am Kreuz mit großer Vorsicht zu verstehen suchen. Zunächst könnte man sagen, daß der Herr am Kreuz den ganzen Psalm 22 (21) gebetet hat. Wie üblich steht der erste Vers für das Ganze und dort betet sich der Psalmist in tödlicher Bedrängnis aus der drohenden Verzweiflung hinein in die Zuversicht, in der der Psalm endet. Obwohl dieses Argument ernsthaft zu bedenken ist, soll es doch nicht den erschütternden Eindruck, den der so lapidare Markustext hervorruft, abschwächen. Weiterhin sollte man bedenken, daß im synoptischen Vergleich der Herr am Kreuz nach Lukas zuletzt noch sagt: „Vater, in Deine Hände übergebe ich meinen Geist“ (Lk 23,46). Wir dürfen die Evangelienberichte nicht gegeneinander ausspielen, sie berichten Wahres und widersprechen sich nicht. Das hebt aber die jeweilige Betonung nicht auf. Matthäus und Markus konfrontieren uns mit der Gottverlassenheit Jesu bei seinem Aushauchen. Grundsätzlich können wir sagen, daß Jesus in die äußerste Erniedrigung hinabgestiegen ist, die Sünde ausgenommen. „Er entäußerte sich selbst,... er erniedrigte sich gehorsam geworden bis in den Tod, ja bis in den Tod am Kreuz“, schreibt Paulus (Phil 2,7f). Unter dem Titel „Überwindung“ haben wir im Abschnitt B II 4. bereits anhand von Heb 2,9 gezeigt, daß Jesus den Tod durch und durch verkosten wollte. So hat er nicht nur in souveräner Todesverachtung einen Giftbecher getrunken wie Sokrates, sondern wollte den qualvollen Tod am Kreuz bei vollem Bewußtsein durchleiden. „In allem wollte er den Brüdern gleichwerden ..., um die Sünden des Volkes zu sühnen. Dadurch daß er durch sein Leiden versucht worden ist, kann er den Versuchten helfen“ (Heb 2,17). Das setzt natürlich voraus, daß Christus sich in der Versuchung von Gott nie getrennt hat. Im 5. Kapitel des Hebräerbriefes heißt es, daß „er in den Tagen seines Fleisches (seiner todbedrohten Existenz) Flehrufe und Tränen dem dargebracht hat, der ihn vom Tod erretten konnte und er ward erhört um seiner Ehrfurcht willen“ (Heb 5,7 in unkritischer Weise fügt der kritische Apparat von Nestle-Aland hier eine Vermutung von Harnack ein: „er ward nicht erhört“!). Christus wurde erhört, da er ja nicht bedingungslos um Errettung aus dem Tod gefleht hatte, sondern um die Ergebung in den Willen des Vaters. Der Hebräerbrief fügt hinzu: „Obwohl er der Sohn Gottes war, hat er durch das, was er gelitten hat, den Gehorsam gelernt“ (5,8). Die Einmaligkeit des Seelenlebens Christi, wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich, läßt uns als Außenstehende staunend zurück (siehe oben unter BII 7., S.39, mit dem Zitat von Joh 8,29). In Röm 8,3 heißt es, daß „Gott seinen Sohn sandte in die Ähnlichkeit unseres Fleisches der Sünde“ - als Genetivus epexegeticus: das Fleisch, insofern es von der Sünde her geprägt ist - „und als Sündopfer“ perì hamartías dazu oben! und so die Sünde im Fleisch vernichtete.“ Wiederum setzt das natürlich voraus, daß die Sünde an seinem Sohn keinen Anteil gewinnen konnte. Im Hebräerbrief lesen wir weiter, anknüpfend an 2,17 und 5,7f: „Wir haben keinen Hohenpriester, der nicht mit-leiden kann mit unseren Schwächen, da er in allem versucht worden ist nach gleicher Weise ausgenommen die Sünde.“ (4,15) Hier sieht das Neue Testament in all seinen Schriften wir werden noch den Galaterbrief und das Johannesevangelium daraufhin untersuchen eine absolute Grenze: Christus steht als der Sohn Gottes in makelloser Heiligkeit vor unseren Augen, und die Sünde als aversio a Deo, als Trennung von Gott, hatte zu keinem Zeitpunkt Anteil an ihm. Da Christus den Tod durch und durch verkostete, begab er sich in die Not des Sünders, dem sein Leben entzogen wird in der Trennung von Seele und Leib, dem in seiner Leibverlorenheit der Boden unter den Füßen entzogen wird, ohne sich seiner Grundlage in Gott sicher zu sein. Der Herr ist nicht im spürbaren Trost seiner Gottverbundenheit gestorben das wäre ein süßer Tod gewesen! -, sondern in einer Ergebung, die er inmitten unserer Gottes-Finsternis bewahrte. Damit hat er den Tod als bloße Strafe und aussichtslosen Abbruch aller Beziehungen verwandelt in eine neue Brücke zum Leben, eine Hingabe an den Vater, einen neuen Bund. All die Texte Röm 8,3f; Phil 2,5-8; Heb 2,14-18; 4,15f sprechen von dem Vorbild, das Christus uns gegeben hat. Die Lehre Karl Barths, daß Christus für uns Sünder als der einzige von Gott Verworfene gestorben sei, um uns alle in ihm zu Erwählten zu machen, ist nicht nur vernunftwidrig, sondern eine Verkehrung der biblischen Aussagen, ja eine Blasphemie gegen den Vater und den Sohn (noch einmal sein an Joh 8,29 erinnert). Ebenso unbiblisch ist Luthers Ansicht, „Christus sei mehr als alle Heiligen verdammt und verlassen worden“ (a.a.O.). Wenn es im Buch Jesus von Nazareth von Benedikt XVI. auf S. 47 heißt: Jesus, „der als Gottgleicher alle Schuld der Welt aufnehmen kann und ausleidet nichts auslassend im Hinabsteigen in die Identität mit den Gefallenen“, so ist selbstverständlich zu ergänzen: „die Sünde ausgenommen“ und alles, was damit verbunden ist, schlechtes Gewissen, Verzweiflung, Haß usw. Der Catechismus Romanus schreibt im Teil I, sechstes Hauptstück, Abschnitt 5: „Wenn er also in die Unterwelt hinabstieg, so geschah dadurch seiner Würde und Macht durchaus kein Eintrag.“ c) Die sogenannte Höllenfahrt Christi Der descensus ad inferos ist im Deutschen höchst mißverständlich als „Höllenfahrt“ übersetzt. Die neuere Übersetzung „hinabgestiegen in das Reich des Todes“ verdient den Vorzug, auch wenn das Wort „Reich“ hier nur „Bereich“ bedeutet. Gemeint ist zunächst die Unterwelt in ganz undifferenzierter Weise altnordisch als Bereich der Totengöttin Hel: „Hölle“ noch nicht als Ort der Verdammten. Erst das Lehramt der Kirche unterscheidet ein infernum inferior: „Quod Christus non destruxit descendendo ad inferos infernum inferiorem.“ (DS 1077) Da die Hölle im heutigen Sinn des Wortes, das infernum inferior, die Trennung von Gott, Verdammnis, Verzweiflung und Gotteshaß besagt, wäre es ein innerer Widerspruch, eine vollständige Inkompatibilität, die Seele Christi nach ihrer Trennung von dem am Kreuz geopferten Leib in diesem Bereich gegenwärtig zu denken. Dieser wäre dann per impossibile dictum - tatsächlich aufgehoben. Aber der Geist Christi, der sein Leiden am Kreuz bereits vollendet hat (Joh 19,30) und nicht erst am Karsamstag in das tiefste Leiden hinabsteigt, kann an diesem Ort nicht präsent sein, der für die von Gott abgefallenen Geister sichere Wirklichkeit, für uns Menschen eine reale Möglichkeit darstellt (jede echte Möglichkeit ist real, die sprachliche Redundanz soll nur die drohende Aktualität betonen). Wenn es im erwähnten Buch von Papst Benedikt XVI. heißt (S. 46), daß Christus ins „Inferno“ nicht nur „wie Dante, zuschauend, sondern mit-leidend, um-leidend und damit umstoßend, die Türen der Tiefe umstoßend und aufstoßend“ hinabgestiegen ist, so sollte man das m. E. so verstehen: Dante hat viele Menschen seiner Zeit ins Inferno versetzt, ohne ihre Situation barmherzig mitleidend zu verstehen. Tatsächlich konnte Christus sie durch sein Mit-Leiden vor der endgültigen und unumkehrbaren Verstoßung ins Infernum inferior eventuell bewahren (Nebenbei sei erwähnt: dies ist m.E. die einzige unklare Stelle im zitierten Papstbuch, das ansonsten ein großes Geschenk für einen neuen Anfang in Exegese und Theologie darstellt). d) Joh 3,14f In derselben Linie wie 2Kor 5,21 können wir auch den nur nebenbei erwähnten Vergleich der Erhöhung Christi am Kreuz mit der Erhöhung der Schlange in der Wüste verstehen. Zunächst müssen wir zur Vorsicht mahnen: wenn sich Christus selbst im Zeichen des Jonas zu erkennen gibt, weil er wie dieser drei Tage im Bauch des Seeungeheuers bzw. im Inneren der Erde verbrachte (Mt 12,39f), so heißt das nicht, daß Christus so wie Jonas sich auf der Flucht vor dem Auftrag Gottes befunden hat! Man muß den besonderen Aspekt, das tertium comparationis, sorgfältig beachten und die souveräne Art der Zitate und Hinweise aus den Schriften des Alten Testamentes bedenken. Der Vergleich in Joh 3,14f betrifft zunächst nur das „Erhöhtsein“, das im Johannesevangelium zentrale Bedeutung hat (8,28; 12,32.34). Wenn man zusätzlich auch dem Bild der Schlange einen Sinn abgewinnen will gerade im Johannesevangelium unter Abweisung von jeglicher Minderung der Würde des Herrn am Kreuz! -, so kann man auch hier an die heilsame Beschämung im Aufblick zur Veranschaulichung der Wirkung unserer Sünden denken. Die giftigen Schlangen in der Wüste wurden von Gott gesandt, um die abfallenden Söhne Israels zu bestrafen, und durch den reuevollen Aufblick zu diesem Bild der Schlange blieben die von der Schlange Gebissenen am Leben (Num 8,5-9). Mag auch die Schlange ein Sinnbild des Bösen sein, so ist doch zwischen Bild und Wirklichkeit zu unterscheiden. Christus am Kreuz offenbart die Fülle der göttlichen Barmherzigkeit und seine unbedingte Heiligkeit, aber auch die furchtbaren Folgen unserer Sünden. Gerade als der Heilige wurde er von uns Menschen verstoßen. Im Johannesevangelium steht uns Christus am Kreuz nicht als der Bestrafte vor Augen, über den das Gericht ergeht, sondern als der Sich-Heiligende (17,19), als der den Vater Offenbarende (8,28), als der vom Vater Verherrlichte (12,22.28), der Gericht hält über diese Welt und seine Königsherrschaft ausübt (12,31f). Wenn man in ihm auch das Bild der erhöhten Schlange erblickt, so sehen wir im Horizont des Johannesevangeliums darin nicht die Erniedrigung des Menschensohnes, sondern vielmehr seinen Triumph über das Böse ausgedrückt. e) Kol 2,14 Ein ähnliches, aber doch anders gefaßtes Bild finden wir im Kolosserbrief: „Ausgestrichen hat er die wider uns lautende Handschrift mit Verfügungen, die uns entgegenstanden ja, er hat sie (definitiv) aus der Mitte aufgehoben, annagelnd an das Kreuz; entwaffnend die Gewalten und Mächte hat er sie öffentlich zur Schau gestellt, sie im Triumphzug führend in ihm.“ (Kol 2,14f) Wer diesen Satz nie im Zusammenhang gelesen hat, könnte meinen, Christus habe sich selbst an unser Statt als Schuldbrief ans Kreuz nageln lassen und diesen damit zerrissen. Dagegen wird zuvor ausdrücklich erklärt, daß er uns mit sich ans Kreuz genagelt hat „in der nicht von Menschenhand gemachten Beschneidung, durch die Entwaffnung (dasselbe Wort wie im Vers 15!) des vom Fleisch geprägten Leibes (Genetivus epexegeticus) in der Beschneidung durch Christus (Genetivus objectivus), indem wir zusammen mit ihm in der Taufe begraben sind, und in ihm auch zusammen auferweckt wurden durch den Glauben der Wirkkraft Gottes, der ihn von den Toten erweckt hat: so hat er auch uns, die wir tot waren durch die Übertretungen und die Vorhaut unseres Fleisches, zusammen mit ihm lebendig gemacht, uns alle Übertretungen begnadigend“ (2,11-13). Daran schließt sich unmittelbar das Bild vom Schuldbrief an, der aus unserer Mitte hinweg am Kreuz ausgelöscht worden ist. Eindeutig geschieht diese Operation an unserem Fleisch, durch die sakramentale Anteilgabe an Tod und Auferstehung Christi in der Taufe (ganz entsprechend den Ausführungen in Röm 6), aber auch durch die existentielle Teilnahme durch den Glauben, in dem die Gnade wirkt und wir mitwirken in neuem Leben. Trotz des Bildes vom Auslöschen der Schreibtafel (eksaleípsas) bedeutet dies gerade nicht ein bloßes „Schwamm drüber!“ und das charisámenos nicht einfach ein Gnadenerlaß als „Gnade vor Recht“, sondern konkrete Überwindung der Sündenmacht (in unserem Fleisch!). Das charisámenos ist zwar ein reines Geschenk der Gnade, aber gerade nicht eine gratia extra nos! Wir sind mit Christus ans Kreuz geheftet, und nur so sind wir auch „betroffen“ vgl. noch einmal Angelus Silesius: “Deß Herren Christi Tod / hilfft dich nicht eh mein Christ / Biß auch du selbst für Jhn in Jhm gestorben bist.” (Cherubinischen Wandermann Nr. 257). f) Sündenbock; Heb 13,11f All diese Versuche, Christus als Ersatzopfer an unser Statt zu sehen, als „Sünde“, „Schuldbrief“ und „Fluch“ (dazu später), würden das alttestamentliche Vorbild des Sündenbockes für Asasel nahelegen. Nun wird aber gerade dieses Bild im Neuen Testament nie herangezogen. Auch Heb 13,11f betrifft nicht diesen „Sündenbock“ (ein außerbiblischer Ausdruck für den Bock, den nach Lev 16,8.20-22 das Los dem Dämon der Wüste zugeeignet hat). Es heißt in Heb 13,12: „Deshalb hat Jesus, um durch sein eigenes Blut das Volk zu heiligen, außerhalb des Tores gelitten.“ Dies steht nicht im eigentlichen Duktus der Argumentation, nach der Christus „durch den ewigen Geist sich selbst makellos Gott dargebracht hat“ (9,14) und so eintrat in das nicht von Menschenhand gemachte Heiligtum (9,11). Als Vorbild dafür steht gerade nicht der dem Asasel übereignete Bock, der in die Wüste gejagt wird, sondern der andere, den das Los und das rituelle Opfer durch das Ausgießen des Blutes an den Altar dem HERRN übereignet: dieser wird mit dem schon besprochenen Fachwort hatta't als Sündopferbock für das Volk bezeichnet (Lev 16,15) und gilt als hochheilig (Lev 6,18.22). Bei diesem einzigartigen Ritus des großen Versöhnungstages wird in der Symbolik der beiden Tiere veranschaulicht, was bei den übrigen Sündopfern durch das Beiseiteschaffen der minderwertigen Teile außerhalb des Lagers angedeutet wird: die Lebenshingabe an das Heilige, ein Zu-Gott-Kommen durch das Todesgericht hindurch, bedeutet immer auch Absonderung, eine Trennung von dem, was vor Gott nicht bestehen kann. In Lev 16 wird betont, daß der Bock für Asasel das heißt für `den Gott Widerstehenden´ lebend vor dem HERRN steht. Dies ist ein Ausdruck des Frevels und wird mit der Verbannung in die Wüste geahndet. Der dem HERRN in den Tod übergebene Bock dagegen wird nicht als Ganzbrandopfer dargebracht (dazu Lev 1), sondern es wird nur sein Blut an den Altar gegossen, während das Fell, das Fleisch und die Exkremente vor dem Lager verbrannt werden (Lev 16, 27). Dieser Ort, wohin auch die Asche des Brandopferaltares gebracht wird, muß ein reiner Ort sein (Lev 4,12). Wie bei den anderen Sündopfern ließ man nur die besten Teile, das Fett mit Nieren und Leber, auf dem Brandopferaltar in Rauch aufgehen (Lev 4,8-10). Im zentralen Teil des Hebräerbriefes werden diese Details nicht erwähnt, da Christus sich selbst, ganz und gar, anstelle der unwirksamen Tieropfer des Alten Bundes geopfert hat. Im 13. Kapitel wird dann nur noch kurz erwähnt, daß wir einen Altar haben, von dem diejenigen nicht essen dürfen, die dem alten (Zelt) dienen (Vers 10). Während das System der Trennung im alten Heiligtum, zwischen Hochpriester und einfachem Priester (erstes und zweites Zelt), zwischen Priester und Volk (erstem Zelt, Brandopferaltar und Vorhof) aufgehoben und der Zugang zum inneren Heiligtum durch das Opfer Christi allen zugänglich geworden ist, darf doch nur derjenige dort eintreten, der nicht mehr den schattenhaften Vorbildern dient. Da steht Altar gegen Altar. Die Trennung vom alten Heiligtum, die auf Grund der äußeren Pracht und der eindrucksvollen Zeremonien schwer fallen konnte, wird damit begründet, daß Christus, der als heiliger, unschuldiger, unbefleckter, von den Sündern gesonderter Priester (7,26 dazu später) sein Volk durch sein Blut geheiligt hat (13,12), um es in ein neues Heiligtum zu führen (10,19f), außerhalb des Tores gelitten hat, um so die damit anhebende ganz neue Wirklichkeit, die künftige Stadt als das Heiligtum im Himmel zu begründen. Die Schmach des Ausgestoßenseins (13,13) fällt dabei natürlich auf diejenigen zurück, die den Herrn nicht angenommen und den Heiden ausgeliefert haben. Mit Heb 13,11f wird also keineswegs behauptet, daß Christus irgend etwas vor Gott Unreines auf sich genommen hätte, so daß er außerhalb des Lagers leiden mußte, sondern daß er das in Wahrheit reine und makellose Opfer, sich selbst, als ein neues Heiligtum begründete, das außerhalb des alten liegt und eine Trennung von demselben erfordert. Ähnlich wie der scheinbare Fluch in Gal 3,13 dazu später ist die Schmach keine Schmach vor Gott, sondern nur aus der Sicht der alten Ordnung, die sich damit selbst ad absurdum führt. g) Lösepreis Wir haben schon gesehen, wie auf das Erlösungswerk Christi ganz verschiedene Bilder aus dem Alten Testament bezogen werden. Die verschiedenen Aspekte, der kultische, der rechtliche und der existentielle, dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Wenn auch der existentielle Aspekt den Vorrang besitzt, da letztlich immer die einzelne Seele vor Gott steht, ist diese doch auch eingebunden in eine Solidarität in Adam bzw. in Christus, und die Heilszuwendung ereignet sich auch in äußeren Zeichen, wobei die innere Wirklichkeit sich erst allmählich durchsetzt. Bilder können transparent sein auf die gemeinte Wirklichkeit oder auch nur in übertragenem Sinn verwendet werden. Auch wir sagen, daß es sich jemand viel kosten ließ, wenn er nicht etwas bezahlt, sondern sein Leben eingesetzt hat. So müssen wir die Rede vom Lösepreis vorsichtig untersuchen. Welche Bedeutung hat das Blut des Lammes, das Blut des Schlachtopfers (Ex 23,18), das Blut des Sühneopfers (Ex 30,10)? Es ist wahr, daß das hebräische koppär auch als Lösegeld (griechisch lútron) verwendet wird (Ex 21,30). Auch wird es für die Tempelsteuer verwendet, die allerdings das tägliche Sühnopfer ermöglichte (29,38-42), und somit weniger „Kirchensteuer“ (Abgabe) als vielmehr „Opfergeld“ (Hingabe) bedeutet (30,12). Im Zusammenhang von „Blut“ ist aber immer eine Hingabe des Lebens bezeichnet, eine Weihe und Konsekration, die dem Altar, dem Ort der Gegenwart Gottes, vorbehalten ist. Zwar steht der gesamte Exodus, die Herausführung des Volkes Israel aus dem Sklavenhaus von Ägypten und die neue Freiheit des Gottesvolkes im Land der Verheißung, im Kontext und in der Terminologie der Sklavenbefreiung, bei der der Lösepreis eine entscheidende Rolle spielt. Aber schon im ersten Exodus mußte weder dem Pharao noch Gott irgend etwas bezahlt werden, sondern Er hat sich sein Volk ausgesondert durch das Blut des Lammes, das die Häuser der Israeliten konsekrierte (siehe oben!). Noch viel weniger ist das Blut Christi, des neuen Osterlammes, ein äußerer Lösepreis. Das wird gerade das zentrale Argument des Hebräerbriefes sein. Wenn Paulus dennoch sagt: „Durch einen (teuren) Preis seid ihr losgekauft! Werdet nicht (wieder) Sklaven der Menschen!“ (1Kor 7,23; auch 6,20), so ist mit diesem „Preis“ (timês) das ganze Erlösungswerk Christi gemeint, der weder dem Vater noch dem Teufel etwas bezahlen mußte, um uns loszukaufen, sondern uns abgewaschen, geheiligt und gerechtfertigt hat (1Kor 6,11). Wir sollen wertschätzen, was Christus uns erwirkt hat, nämlich Tempel des Heiligen Geistes zu sein (6,19f): Christus ist wegen mir gestorben (8,11)! Der „bezahlte Preis“ wird dann ausdrücklich genannt: er wird den Jüngern gereicht mit den Worten „das ist mein Leib für euch“ und „dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut“ (11,24f). Das ist keine einmalige Zahlung, sondern ein Vermächtnis: „Tut dies zu meiner Vergegenwärtigung!“ (ebd.). Wir sollen uns diesen Lösepreis essend und trinkend aneignen, aber so, daß wir damit zugleich den Tod des Herrn in unserem Leben wirksam werden lassen (siehe oben zu kataggéllete). Ganz offensichtlich ist die Rede von einem „Kaufpreis“ nur in übertragenem Sinn zu verstehen, ebenso wie 1Ptr 1,18f, das zu einem entsprechenden Wandel mahnt, da wir nicht durch vergängliches Silber und Gold, sondern „durch das kostbare Blut des makellosen und unbefleckten Lammes losgekauft sind“. Bei den Worten apolútrôsis (Erlösung, Loskauf) und lutróô (gegen Lösepreis freigeben) ist der Wortsinn zu unterscheiden von der gemeinten Sache. Dabei ist der ursprüngliche Kontext der Sklavenbefreiung durch den heilsgeschichtlichen Kontext des Buches Exodus durchaus präsent, aber die Sache selbst, die Befreiung der Seele aus der Macht der Sünde hat sich der Herr nicht nur irgend etwas, sondern die Hingabe seines eigenen Lebens „kosten“ lassen. Auch das Wort kerdaínô (Mt 16,26; 18,15; 1Kor 9,19-22; Phil 3,8; 1Ptr 3,1: einen Gewinn erzielen, als Lohn erhalten) will natürlich nicht einen merkantilen Geist beim Erlangen unseres Heiles wecken. Die Geldvermehrung im Gleichnis von den Talenten (Mt 25,14-30) ist eben nur ein Gleichnis! Wenn M. Theobald schreibt, Mk 10,45 sei geprägt von „der Metaphorik vom Lösegeld, das Jesus bezahlt“ und es sei „abstrus, hier der Formel unterstellen zu wollen, sie bezeuge die `nicht-mechanische Art und Weise der Erlösung´“ (Theobald M., „Pro multis“ Ist Jesus nicht „für alle“gestorben?, in Orientierung 71/2007, S. 21-24), so ist dem zu erwidern: gerade weil es sich nur um eine Metaphorik handelt, ist der Schluß nicht zwingend. Das Bild vom Lösepreis ist zwar nicht nur in übertragenem Sinn gebraucht und soll als solches durchaus zu denken geben, aber es will nur einen besonderen Aspekt ansprechen. Das Ziel des Erlösungswerkes, die Wiederherstellung der Gottesfreundschaft in dem Garten, da der Herr zum Hauch des Tages hin- und herging (Gen 3,8), wird nicht durch die Bezahlung eines Lösepreises zur Befreiung aus einer äußerlichen Sklavenschaft erreicht und erfordert selbstverständlich das Einverständnis des zu Befreienden. In Mk 10,45 geht die Forderung, an der Lebenshingabe des Menschensohnes teilzunehmen, voraus (10,38), in Mk 14,24 ist sie durch die Aufforderung zur Kommunion in seinen geopferten Leib und in sein vergossenes Blut enthalten. Somit sind die Jünger aufgefordert, sich die Vorgabe des Herrn, seine Hingabe als „Lösepreis“, zu eigen zu machen. Sie ist keine Ersatzzahlung! In 1Tim 2,5f lesen wir: „der eine Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich hingegeben hat als antílutron für alle“. Das wird meist als „Lösepreis“ übersetzt und assoziiert den Freikauf aus der Sklaverei. Das antí als Präposition kann auch bedeuten: „anstelle von“, „als Ersatz“ (Mt 2,22; 5,38; Röm 12,17; Heb 12,2). Das wäre eine Ersatzzahlung. Das scheint in Mk 8,37 gemeint mit antállagma als Tauschgegenstand. In Mk 10,45 steht antí für „zugunsten von“. Aber in zusammengesetzten Wörtern finden wir das antí im Neuen Testament meist in der Bedeutung von „gegen“ (zum Beispiel „Antichrist“ als „Gegen-Christus“; bekannt ist die antíthesis als Antithese). Das Wort antílutron ist nur christlich belegt und ein Hapax Biblicum (außer einer Lektionsvariante von Ps 48,9, wo von der Auslösung des eigenen Lebens zur Sühne die Rede ist). Wenn man antílutron in 1Tim 2,6 nicht nur als Bild für die Auslösung aus der Sklaverei sehen will, kann man es auch als eine eigene Wortbildung lesen: eine Gegen-Lösung für alle Menschen, eine Art antidotum oder Gegengift. Das zugrundeliegende Verb lúein bedeutet „lösen, loslösen, auflösen“. Wir haben schon in 1Joh 3,8 betrachtet, daß dort das lúein eine Auflösung der Werke des Teufels meint als innere Überwindung und nicht nur als äußeren Loskauf. In Tit 2,14 ist das Ziel dieser Loslösung angegeben: „Unser Retter Jesus Christus, der sich für uns dahingab, damit er uns befreie von jeglicher Ungerechtigkeit und reinige zu einem ihm zu eigenen Volk, eifrig in guten Werken.“ Während in Lk 1,68 noch im Horizont des Alten Testamentes die Befreiung aus der Hand der Feinde gesehen wird, die es ermöglicht, Gott in Frieden zu dienen, ist es in Heb 9,12 die ewige Erlösung oder Loslösung, die Christus uns durch seine Hingabe im ewigen Geist erwirkt. h) 1Joh 2,1f: simul iustus et peccator? „Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Advokaten beim Vater: Jesus Christus, den Gerechten; und dieser ist die Sühne für unsere Sünden, und nicht nur für unsere, sondern auch für die ganze Welt“ (1Joh 2,1f). Demnach scheint uns Sündern die Sühne doch durch den anderen abgenommen zu sein, der sich stellvertretend als Sühnopfer und Anwalt zur Verfügung stellt. So könnte man einen aus seinem Zusammenhang gerissenen Satz gründlich mißverstehen. Zunächst: der Satz beginnt mit dem Hinweis: „Kindlein, das schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt. Wenn aber jemand (doch) sündigt...“. Im vorausgehenden ersten Kapitel schreibt Johannes: „Würden wir sagen, daß wir Gemeinschaft hätten mit Ihm und wandelten (doch) in der Finsternis, so würden wir lügen und die Wahrheit nicht tun.“ (1,6) In 2,11 ist das Wandeln in der Finsternis das Fehlverhalten gegenüber dem Mitmenschen und es steht auch im Johannesevangelium (8,12; 12,35) im Horizont der bösen Werke (3,20). Überhaupt legt der erste Johannesbrief Wert auf die Verbindung von Glauben und Werken, dem neuen Leben in Christus und dem entsprechenden Wandel (peripatéô in 1-3Joh: 10X; in JohEv: 17x). Der Wandel Christi ist die Vorgabe und wer in Ihm bleiben will, muß so wandeln, wie jener wandelte (1Joh 2,6). Andernfalls wandeln wir in der Finsternis (2,11). Christus ist nicht nur ein Licht für die Gnosis, sondern damit zugleich der konkrete Sieg über den Bösen (2,13). Beides aber setzt den Nachlaß der Sünden voraus (2,12). Dieser wird auch im ersten Johannesbrief vollzogen durch die Reinigung im Blut Christi, wobei wir auch an dieser Stelle an jenen eigenartigen circulus gratiae stoßen, daß der Wandel im Licht Christi und die entsprechende Communio untereinander dazu führen, daß das Blut Jesu uns von jeder Sünde reinigt (1,7) und andererseits jene Reinigung die Erleuchtung und Vereinigung doch allererst ermöglicht. Wir haben schon im Johannesevangelium betrachtet, wie da ein erstes Wissen um das Licht, ein allen Menschen aufgegebenes Gewissen, die Annahme des in die Welt kommenden Lichtes vorbereitet (3,19-21) und dieselbe zu einem Prozeß werden läßt, der sich durch fortwährendes Mitwirken des Menschen vollendet („er gab ihnen die wirksame Befähigung, Kinder Gottes zu werden“ (1,12; Hervorhebung F.P.). Der erste Johannesbrief spricht ausdrücklich von einer „ersten Liebe“, die uns vorgegeben ist und unser Einstimmen ermöglicht (4,10.19). Wenn Johannes vom „Blut Christi“ schreibt (1,7), das „Sühne ist für unsere Sünden“ (2,2; 4,10), so wird aus dem Evangelium als bekannt vorausgesetzt, daß dieses am Kreuz vergossene Blut (19,35) auch ausgegossen ist als Trank (6,55), damit wir an der sühnenden Lebenshingabe Christi tatsächlich teilnehmen können. Die Schule Bultmanns, die in der johanneischen Theologie Christus nur als den Offenbarer und Erlösung als Gnosis ohne Opfer sehen will, muß die überlieferten johanneischen Texte nach diesem Kriterium kritisch, aber unhistorisch selektionieren. Auch der lutherische Fiduzialglaube trotz der fortwährenden Sünderseins findet keine Bestätigung. Zwar schreibt Johannes von einem Überzeugen unseres Herzens in seinem Angesicht. Zwar klagt uns unser Herz an, aber Gott ist größer als unser Herz und er kennt es besser als wir uns selbst kennen. Daß wir diese Zuversicht fassen, ermöglich uns aber doch der Umstand, daß wir seine Weisungen wahren und tun (wollen), was ihm gefällt (vgl. 3,19-24). Die verbleibende Unsicherheit, die mit unserem Sein „in dieser Welt“ gegeben ist, ließe trotz allem eine Befürchtung für den Tag des Gerichtes aufkommen, wenn diese nicht durch die Liebe überwunden werden würde (vgl. 4,17f). Es gibt nach dem ersten Johannesbrief ein Leben in Sünde, das mit dem Sein in Christus unvereinbar ist (1,6; 3,6.9). Andererseits muß auch der in Christus Lebende bekennen, daß er nicht ohne Sünde ist (1,8-10; 2,1). Dabei ist ausdrücklich betont, daß unter Sünde nicht nur der Unglaube, sondern jede Übertretung eines Gebotes der Gerechtigkeit gemeint ist (3,4). Während in 1,10 die Perfektform des „wir haben gesündigt“ eher in die frühere, vorchristliche Existenz zurückweist, läßt die anschließende Stelle in 2,1 die Möglichkeit offen, daß jemand eine Sünde begeht, obwohl es nicht sein soll und auch nicht sein muß (hamártê[i] aor.conj.). Eine Lösung der hiermit gegebenen Spannung bietet eine Unterscheidung am Ende des Briefes: ein Bruder (in Christo) kann eine Sünde begehen, die nicht zum Tod ist und die durch die Fürbitte (der Brüder und noch viel mehr durch Christus) trotz allem die Gabe des Lebens zuläßt (3,16). Die Unterscheidung einer „Sünde zum Tod“ und einer „Sünde nicht zum Tod“ scheint nicht unserer gängigen Unterscheidung zwischen Todsünde und läßlicher Sünde zu entsprechen, sondern eher innerhalb der schweren und somit von Gott trennenden Sünde als eine „Sünde mit erhobener Faust“ (Num 15,30) oder „Sünde gegen den Heiligen Geist“ (Mt 12,31f par - darauf scheint sich Heb 6,4-6 und 10,26 zu beziehen), die sich durch volles Bewußtsein und Hartnäckigkeit von einer schnell geschehenen und sogleich bereuten Tat unterscheidet. Wenn es anschließend in 1Joh 5,17 heißt, daß jeder Verstoß gegen die Gerechtigkeit eine Sünde ist, aber nicht jede Sünde zum Tod führt, so damit vermutlich eine für uns unauflösbare Spannung angedeutet, da Gott allein den Grad unserer Schuld und Verantwortung ermessen kann (vgl. 3,20). In der für uns offenbleibenden Unsicherheit dürfen wir auf den Parakleten, den Advokaten, hoffen, der uns beisteht, auf Christus, den Gerechten (2,1). Eine Verharmlosung der Sünde oder gar eine Koexistenz derselben mit einem Gerechtsein vor Gott ist jedenfalls dem Text ganz zuwider. Bleibt noch die Frage, ob nicht doch die Bezeichnung Christi als „Erlöser der Welt“ (4,14), dem Sühnopfer für unsere Sünden „und für die Sünden der ganzen Welt“ (2,2), eine pauschale Heilszuwendung aussagt. Doch gleich anschließend werden wir gewarnt, „weder die Welt noch das, was in der Welt ist, zu lieben: wenn einer die Welt liebt, ist die Liebe des Vaters nicht in ihm.“ (2,15) Von einer Liebe Gottes zur Welt kann nur insofern gesprochen werden, als er diese von sich selbst befreien will (4,9; vgl. Joh 3,16). Diesbezüglich ist vom Sieg über die Welt die Rede (5,4f; parallel: „ihr habt den Bösen besiegt“ 3,13f; vgl. Joh 16,33). Der Gegensatz zwischen den aus Gott neu Geborenen und denen aus der Welt bleibt bestehen: 3,1.13; 4,5; 5,19 (“Wir wissen, daß wir aus Gott sind und daß die ganze Welt in dem Bösen (darnieder)liegt”). Dabei wird in 2,16 klar definiert, was unter „Welt“ verstanden wird: nicht das, was Gott geschaffen hat, sondern das, was durch die Sünde daraus geworden ist, Begierde des Fleisches, Begierde der Augen, Prahlerei des Lebens. Infolgedessen sollten wir den „Retter der Welt“ eher wie einen Genetivus partitivus auffassen: der, der aus dieser Welt heraus errettet bzw. für die Welt eine Erlösung eröffnet. Der ganze Brief handelt davon, daß diese Befreiung nicht ohne unsere entschiedene und tapfere Mitwirkung geschieht. i) Gal 3,13 H.U. von Balthasar schreibt über den Todesschrei Jesu `Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen´: „In diesem Schrei da der Sohn Gottes für uns zum `Fluch´ und `zur Sünde´ wird, sind all die wahnwitzig erscheinenden Selbstangebote, von Mose und Paulus aufgefangen, eingebogen und überholt. Wir geraten hier in tiefe Wasser, in denen jeder menschliche Geist seinen Halt verliert.“ (Kleiner Diskurs über die Hölle, Einsiedeln 1999, S. 55f). Bei aller Scheu, den Todesschrei Jesu vorschnell zu interpretieren und zu verharmlosen, dürfen wir uns doch nicht in die obskuren Gewässer mythologischer Vorstellungen verlieren. Nachdem wir die falsche Deutung des `zur Sünde geworden´ schon zurückgewiesen haben, bleibt der angebliche Fluch, zu dem Christus für uns nach Gal 3,13 geworden sein soll. Balthasar selbst zitiert eine theologisch verantwortete Deutung dieser Schriftstelle durch Johannes Damascenus: „Nicht sofern er selber das gewesen oder geworden wäre, sondern insofern er die Rolle (prosôpon) annahm und sich selbst uns gleichstellte, und solchen Sinn hat das Wort: `Er wurde für uns zum Fluch´“ (PG 94,,1003; in H.U.v. Balthasar, Theodramatik, III. Die Handlung, Einsiedeln 1980, S. 233 dort auch weitere Väterzeugnisse). Der Kontext des Galaterbriefes kann das Gemeinte noch einfacher erklären. Die Argumentation gilt der Loslösung von den Gesetzesvorschriften, die mit der Erlösung aus dem Glauben an den Gekreuzigten (2,19f) konkurrieren wollen. Wir werden den ganzen Gedankengang noch zusammenhängend darstellen, hier genüge der nähere Kontext: „Wer aus den Werken des Gesetzes stammt, steht unter dem Fluch (des Gesetzes)...“ (3,10 mit dem zitierten Fluch aus dem Gesetz). „Christus hat uns losgekauft aus dem Fluch des Gesetzes, für uns Fluch geworden, da geschrieben steht: `verflucht jeder, der am Holz aufgehängt ist´.“ (3,13) Die Hervorhebung des Gesetzes habe ich eingefügt, da sie, ebenso wie in Röm 3,28, meist überlesen wird. Anschließend werden wir sehen, vor allem anhand von 2,19f und 6,14, wie die Vorstellung, Jesus am Kreuz könne wahrhaft, das heißt von Gott verflucht sein, dem Text diametral entgegensteht. Der Fluch des Gesetzes aber offenbart lediglich, daß dieses mit Christus und an Christus endgültig erledigt ist: das Gesetz, das Christus dem Tod auslieferte und ihn sogar verfluchen wollte, ist für mich mit Ihm gestorben: „durch das Gesetz bin ich dem Gesetz gestorben, damit ich lebe für Gott. Zusammen mit Christus bin ich definitiv gekreuzigt.“ (2,19 sunestaúrômai im Perfekt Passiv) Sollten wir nicht gewarnt sein durch 1Kor 12,3: „Niemand, der im Geist Gottes spricht, kann sagen: `Jesus ist verflucht´.“! Vermutlich haben die Gegner aus der Synagoge den Christen Dt 21,23 entgegengehalten: der ans Holz Gehängte kann nicht der wahre Messias sein, da er verflucht ist. Aber im Galaterbrief geht es nicht nur wie vielleicht in 1Kor 12,3 um diese eine Stelle aus dem Pentateuch, sondern grundsätzlich um die Soteriologie aus dem Gesetz oder aus dem Glauben. Deshalb sei dies noch einmal zusammenfassend dargestellt. III. Das Ziel: Die Kreuzesmystik und das Heil als Heiligung 1. Der Galaterbrief a) Gal 2,19f Erlösung ist Leben ist im Geist, Aufatmen in Freiheit. „Christus hat sich für unsere Sünden hingegeben, damit er uns herausreiße aus dem gegenwärtigen bösen Zeitalter.“ (Gal 1,4) Zuvor waren wir „versklavt unter den Elementen der Welt“ (4,3), eingespannt in innerweltliche Zwänge einer Welt, die ihre wesentliche Transparenz auf den Schöpfer hin verloren hat und in ihrer Abkapselung eine Eigengesetzlichkeit entwickelt, die den Menschen versklavt. Mitten hinein in diese heillose Welt sandte Gott seinen Sohn, der sich die Sünde ausgenommen eingefügt hat in freiwilliger Hingabe, um uns „loszukaufen“ aus diesem Gesetzeszwang (4,4f). Der Geist der Kindschaft hat Ihm ermöglicht, alles auch das scheinbar Widerwärtige aus den Händen seines himmlischen Vaters anzunehmen, in Liebe, Freude, Friede, Langmut, Güte... (5,22), und es so souverän zu überwinden und zurückzubinden (religio als re-integratio). Auch das Gesetz des Alten Testaments, obwohl von Gott gegeben als Pädagoge auf Christus hin (3,24), steht dennoch innerhalb des Systems innerweltlicher Abkapselung, da es nur vorgesetzt ist, äußerlich vermittelt (3,19f) und sich in bloß äußeren Werken erledigt (3,2). Es läßt nicht innerlich, geistig teilnehmen an Willen und Motivation des Gesetzgebers und beläßt den Menschen in Unmündigkeit und Knechtschaft (4,1f; vgl. Joh 15,15). Den vom derart charakterisierten Gesetz geprägten Werken (érga nómou in 3,2 als Genetivus epexegeticus) ist das Fleisch (sárks) zugeordnet (3,3), nicht der geschaffene Leib als solcher, sondern die in innerweltliche Abkapselung getriebene Eigengesetzlichkeit. Dem gegenüber steht die akoê písteôs, in der wir den Geist empfangen (3,2; siehe oben BI 2. zum Glauben, vor allem im Römerbrief). Es ist dies der Geist des Sohnes, in dem wir befreit ausrufen: Abba! Vater! (4,6). Im Unterschied zum Sachzwang eines bloß vorgesetzten Gesetzes ist dieses Gehör des Glaubens geprägt von personaler Kommunikation, Verständigung und Übereinstimmung. Diese ermöglicht eine Einstimmung in Freiheit, Überwindung der Dialektik von Fremdbestimmung und Selbstverwirklichung. Der durch die Liebe wirksame Glaube (5,6) ist Leben aus dem Inneren, aus innerster Hingabe, aus Gott (dem Vater) in Christus (dem Sohn). Personale Kommunikation und Übereinstimmung wird in Gal 2,19 unübertroffen formuliert: „Durch das Gesetz bin ich dem (bloßen) Gesetz abgestorben, damit ich Gott lebe. Mit Christus bin ich ans Kreuz geheftet und am Leben bin infolgedessen nicht mehr ich, sondern es lebt in mir Christus; und wenn ich auch noch weiterlebe im Fleisch,“ - in meinem irdischen Dasein und den äußeren Sachzwängen - „so lebe ich doch im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich hingegeben hat“. Die zuvorkommende, selbstlose Liebe Christi am Kreuz hat den Apostel ganz und gar ergriffen und an sich gezogen. Er will nur noch ihm ge-hören, ganz im Glauben an Ihn leben, ja nur noch Ihn leben lassen in sich. Was in irdischen Liebesgedichten überschwenglich formuliert wird, entspricht doch einer innersten Sehnsucht der Seele: ganz im anderen aufzugehen. Nüchtern gilt, was Werner Bergengruen so formuliert: “Ich bin nicht mein, Du bist nicht Dein keiner kann sein eigen sein. Ich bin nicht Dein, Du bist nicht mein keiner kann des andern sein.” Romano Guardini schreibt über das Geheimnis der heiligsten Dreieinigkeit: „Das geschaffene Wesen ist kein volles Selbst. Und zwar wird dieser Mangel gerade darin deutlich, daß es keiner vollkommenen Gemeinschaft mit dem Anderen fähig ist. Es kann sich nicht bis ins Letzte geben, weil es sein Selbst durch das `Ich - nicht Du´ behaupten muß. Diese Selbst-Verschließung, durch die es sich vor dem Zerrinnen in den Anderen schützt, zeigt an, daß es noch nicht die eigentliche Selbst-Innigkeit hat“ (Guardini R., Der Herr, Würzburg 1951, S. 514f). Wahres Ineinander- und Auseinandersein prägt den Austausch innergöttlichen Lebens zwischen dem Vater und dem Sohn im Heiligen Geist, und genau an diesem Leben läßt uns der Sohn in seiner Hingabe an uns teilnehmen. Wir berühren hier einen Punkt, der zum Thema Erlösung gehört, aber die Frage nach der Erlösung von der Sünde überschreitet: wäre der ewige Sohn Gottes auch Mensch geworden, wenn Adam und Eva nicht gesündigt hätten? Die Tiefe der vollkommenen Erlösung als Teilhabe am Leben der heiligsten Dreifaltigkeit im Mensch-gewordenen Sohn Gottes spricht dafür. Sicher ist jedenfalls, daß das Kreuz, das uns die Liebe des Sohnes Gottes bis zur Vollendung (Joh 13,1; 19,30) noch eindrücklicher vor Augen stellt, durch den Sündenfall bedingt ist. Deshalb kann die Liturgie der Kirche in der Osternacht voll Freude und Dankbarkeit ausrufen: o felix culpa glückselige Schuld! „Mit Christus bin ich gekreuzigt.“ (Gal 2,19) Der am Kreuz ist meine Liebe... wie fern stehen wir hier jenen mythologisch obskuren Vorstellungen oder allzu-menschlich juridischen Satisfaktionserklärungen vom Sündenbock, Blitzableiter usw. Möchte denn Paulus gekreuzigt sein mit dem, der zum Fluch oder zur Sünde geworden ist? In dieser Vorstellung von soteriologischem Platztausch als Substitution ist ein Teilnehmen, ein Mit-Gekreuzigtsein gerade nicht nötig und auch nicht sinnvoll. Dann wäre Gal 6,14-16 unverständlich: „Mir aber sei es fern, mich zu rühmen außer im Kreuz unseres Herrn Jesus Christus, durch den mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt. Da ist weder Beschneidung noch Unbeschnittensein, sondern das neue Geschöpf. Welche nach dieser Richtschnur `elementaren´, Friede über sie und Erbarmen und über das Israel Gottes. Im übrigen werde mir niemand lästig: ich trage die Wundmale Jesu an meinem Leib!“ Das griechische stoichêsousin wurde mit dem Kunstwort „elementaren“ wiedergegeben, da es sicher an die stoicheîa, die Elmente in 4,3.9 erinnert. Paulus ist nicht mehr den `Elementen´ dieser Welt versklavt (4,3), sondern dem allen abgestorben: „Die Christus gehören, haben das Fleisch gekreuzigt mit den Leidenschaften und Begierden“ (5,24). Der Kanon bzw. die Richtschnur, der die Elemente eingefügt werden stoicheîn bedeutet „sich einreihen“ -, ist kein vorgegebner Sachzwang, sondern die Person des sich mir schenkenden Herrn. „Jesus Christus, der Gekreuzigte wurde ihnen vor Augen geführt“ (3,1), „vorgeschrieben“ schreibt Paulus wörtlich, aber eben als eine ganz andere „Vorschrift“, nicht die auf steinernen Tafeln „in Buchstaben der Vergangenheit“, sondern einer Flammenschrift „in der neuen Aktualität des Geistes“ (Röm 7,6) denn „der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2Kor 3,6). „Der Herr aber ist der Geist; wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2Kor 3,17). So wird aus dem antiken stoicheîn, aus einem bloßen Mit- Marschieren in den Schlachtreihen dieser Welt in Reih und Glied (in diesem Sinn auch Apg 21,24), ein neuer Wandel in Christus (stoicheîn in Röm 4,12: ein Wandeln in den Fußstapfen des Glaubens; Gal 5,25: Wandeln im Geist; Phil 3,15f: ein Wandeln in dem jedem Einzelnen von Gott geschenkten Sinn für die Vollkommenheit). „Die wir in Christus hineingetauft sind, haben Christus angezogen“ (Gal 4,27). Paulus leidet Geburtswehen, bis daß „Christus Gestalt annehme in euch“ (4,19). All das soll uns zeigen, daß Erlösung geistliches Leben bedeutet, Umgestaltung in Christus in liebevoller Zuwendung, gegenseitiger Hingabe und Einwohnung. Darin eröffnet sich uns das „Gott- Kennen, vielmehr von Gott Erkanntsein“ (4,9), das uns aus dem Gefängnis einer durch die Sünde verschlossenen Welt befreit. Dem stickigen Moder des Grabes entgangen, schreien wir erlöst auf in der neuen Luft des vom Sohn gesandten Geistes: „Abba, Vater“ (4,6). Jetzt gelten nicht mehr innerweltliche, unentrinnbare Sachzwänge, sondern das Annehmen aller Ereignisse und Begegnungen aus der liebenden Hand des Vaters: eine ganz neue Welt, ein neues Geschöpf (6,15; 2Kor 5,17). Erlösung ist fruchtbares geistliches Leben: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Milde, Güte, Vertrauen, Sanftmut, Beherrschung“ (5,22f). Das ist die Kreuzestheologie des Galaterbriefes: die `Elementarschule´ des Geistes (5,25), das neue Gesetz Christi (6,2). b) Jer 31/ Ez 36 Im Hintergrund dieser paulinischen Soteriologie steht die Prophezeiung des Neuen Bundes in Jer 31,31-34 und Ez 36,26-28 (siehe S. Lyonnet, Etudes sur l´epître aux Romains, Roma 1990, S. 231-241: Rom 8,2-4 a la lumière de Jérémie 31 et d´Ézéchiel 35-39). Auch wenn Paulus öfter in verkürztem Ausdruck Gesetz und Geist entgegengesetzt, so finden wir doch auch die präzisere Differenzierung zwischen zwei verschiedenen Gesetzen: dem Gesetz des Fleisches und der äußeren Werke und dem Gesetz des Geistes, des Glaubens bzw. Christi. Der hl. Thomas kommentiert zu Röm 8,2, daß auch das alte Gesetz nach Röm 7,4 geistig war als eine Gabe des Heiligen Geistes, aber das Neue Gesetz des Geistes ist der Heilige Geist selbst (Et haec quidem lex Spiritus dicitur lex nova, quae vel ipse est Spiritus Sanctus, vel eam in cordibus nostris Spiritus Sanctus facit. Ier 31,33: Dabo legem meam etc. In Rom 8, lect. 1). Wie bereits in B II 2. zum Glauben im Römerbrief besprochen, kann dasselbe Gesetz, obwohl heilig, gerecht und gut (Röm 7,14) dem Menschen bloß faktisch vorgesetzt sein und so lediglich zum Widerspruch reizen, während es als innere Gnade auch erleuchtet und stärkt als eigene Überzeugung („genetisch“). Genau das ist die Entgegensetzung zum Alten Bund, „den ich mit ihren Vätern schloß, als ich sie bei der Hand fest genommen habe, um sie aus Ägypten herauszuführen, welche meinen Bund gebrochen haben, wo ich doch Herr war“ (Jer 31,32). Die parallel entgegengesetzte Formulierung für den Neuen Bund setzt mit gleicher Präposition anstelle des Fest-Nehmens an der Hand das „ich gebe meine Weisung in ihr Inneres und ich schreibe sie über ihr Herz“ (31,33). Hier wird die äußere Einwirkung, das feste Nehmen an der Hand und das Herr-Sein (mit Anklang an den Gott Baal), der inneren Auswirkung entgegengesetzt: „und ich werde für sie sein als Gott und sie werden für mich sein als Volk“ (ebd.). Charakterisiert ist dieser Neue Bund durch die Unmittelbarkeit der Gotteserkenntnis: „Und sie werden nicht mehr, jedermann seinen Nächsten, belehren und jedermann seinen Bruder: erkennet den HERRN; denn sie alle kennen mich, vom Kleinen bis zum Großen, so spricht der HERR.“ (31,34) Diese Prophezeiung ist zusammen mit Is 54,13 und Ez 36, 27 im Neuen Testament aufgegriffen in Joh 6,45 und 1Thes 4,9f., aber auch im Galaterbrief, wo von der Unmittelbarkeit der neuen Beziehung von Verheißung und Glaube (3,19f) und vom göttlichen Kennen und Erkanntsein als Gabe des Geistes der Sohnschaft die Rede ist (4,6.9). Während die von außen gegeben Vorschriften von einer Vielfalt, einem Nebeneinander, Abgrenzungen und Differenzierungen geprägt sind (als Kasuistik), ist das Leben im Geist und aus dem Geist zwar auch vielfältig in seinen Äußerungen, aber es handelt sich doch nur um eine einzige Frucht (Gal 5,22: die Frucht des Geistes). Da an die Stelle des Gesetzes mit seinen verschiedenen Vor-schriften die Person Christi tritt, und zwar nicht als äußeres Gegenüber, sondern als innere Wirklichkeit, kann der hl. Johannes ganz einfach formulieren: „Jeder, der in Ihm bleibt, sündigt nicht“ (1Joh 3,6). Die volle Erlösung als eschatologische Größe, als Zustand der Vollendung, in der der in Christus Selige nicht mehr sündigen will und kann, ist in der typisch johanneischen vorweggenommenen Eschatologie bereits gegenwärtig: insoweit jemand in Christus bleibt, sündigt er nicht. „Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht eine Sünde, da dessen Same in ihm bleibt, und er kann nicht sündigen, da er aus Gott geboren ist.“ (1Joh 3,9) Der Same, der im Glaubenden bleibt und wirkt, ist das Wort des Herrn (vgl. Lk 8,11): „Das Wort Gottes bleibt in euch und ihr habt (definitiv) den Bösen besiegt“ (1Joh 2,14). „Logos“, Wort, besagt hier Mitteilung, Kommunikation, Verstehen. Es handelt sich also nicht nur um eine in uns, aber ohne uns wirkende Kraft, sondern ein Teilnehmen am Logos-Charakter der Offenbarung, an der göttlichen Vernunftgemäßheit. Die innere Einsicht schenkt nicht nur das Licht für die Erkenntnis, sondern auch die Kraft für den Willen. „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, werdet ihr wahrlich meine Lehrlinge sein, und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien.“ (Joh 8,31f) Hier sehen wir die Erlösung als eine „Theologie der Befreiung“ aus der inneren Dynamik des göttlichen Wortes, das den Menschen erleuchtet und reinigt „ihr seid schon rein durch das Wort, das ich zu euch gesprochen habe“ (Joh 15,3) -, ja zu einer neuen Existenzgrundlage erhebt („aus Gott geboren“ welch ein Gegensatz zur marxistisch orientierten Befreiungstheologie, nach der der Mensch als Produkt seiner Umwelt erst durch gerechte soziale Verhältnisse erlöst werden kann!). Die Prophezeiung dieses Neuen Bundes in Jer 31 gibt die Tilgung und Verzeihung der Sünden als Voraussetzung dieser neuen Gott-Unmittelbarkeit an (Vers 34). Ezechiel spricht im selben Zusammenhang von der Gabe eines neuen Herzens nach der Besprengung mit reinem Wasser (36,25-27), aus der die Befähigung zum „Wandeln in meinen Geboten“ als Werk Gottes, als Wirkung der Gnade hervorgeht (vgl. das „und ich bewirke... und ihr tut“ in Ez 36,27 mit 1Thes 4,10). Dieser neue Geist, den Gott in das neue Herz geben wird, ist in Gal 4,6 der Geist seines Sohnes, der da schreit „Abba, Vater!“. In Röm 7,6 eröffnet die Alternative der Neuheit des Geistes und der Veralterung (Versteinerung) des Buchstabens die heillose Widersprüchlichkeit in 7,7-24 und das neue Gesetz des Lebens und der Freiheit in Christus in Kapitel 8. Auch wenn dieser Geist nicht ungesetzlich ist, sondern seine Eigengesetzlichkeit entfaltet (also keine Willkür im Namen des Geistes, vgl. 1Ptr 2,16), so läßt er sich doch nicht von vornherein auf festgesetzte Formeln fixieren, die wenn auch an sich nicht falsch das geistliche Leben von neuem erstarren ließen (vgl. Joh 3,8). In diesem Sinn gilt das so betonte nun(í), das Jetzt der Erlösungsgnade, immer neu (Röm 3,21.26; 5,9.11; 6,19; 7,6; 8,1; 11,5.30f; 13,11; 16,26; Gal 4,9). Gott-Unmittelbarkeit und Gottesfreundschaft bedeutet nicht, daß der eine und erhabene Gott nicht unnahbar und unvorstellbar, unbegreiflich und unbeschreiblich wäre. Er bewohnt das „unzugängliche Licht“ (1Tim 6,16) - und doch ist er keine bloße Projektion und kein Abstractum. Er zeigt zu rechten Zeiten das Erscheinen des Herrn Jesus Christus (1Tim 6,14f), auf dessen Antlitz die Herrlichkeit Gott-Vaters aufstrahlt zur Erleuchtung unserer Herzen (2Kor 4,6). So tritt Er in unser endliches und beschränktes Bewußtsein ohne in unserer Einbildung und Vorstellung aufzugehen, sondern sich selbst bezeugend als derjenige, über den hinaus nichts Gewichtigeres (doxa) gedacht werden kann und deshalb auch notwendig all unser Vorstellen und Begreifen übersteigt und aufhebt. c) Gal 5,19 / Röm 8,2 Alles in allem erscheint die neue Ordnung des Geistes des Lebens (Röm 8,2) als ein geistliches Leben, das den neuen Menschen mit einer eigenen Dynamik erfüllt (dunámei krataiôthênai) durch seinen Geist hinein in den inneren Menschen, so daß Christus durch den Glauben in unsern Herzen wohnt, in der Liebe festgewurzelt und gegründet (Eph 3,16f). Es ist dies ein den ganzen Menschen erfüllender Reichtum, der Reichtum der Herrlichkeit Christi, in den vollendeten Maßen eines neuen Heiligtums, „zu erkennen die Liebe Christi, die die Erkenntnis übertrifft, auf daß ihr erfüllt werdet in die ganze Fülle Gottes hinein“ (Eph 3,19). Erlösung als Befreiung ist nicht denkbar ohne Erfüllung, durch die die alten Mechanismen der Sünde keinen Angriffspunkt mehr finden. So sieht es auch P. Stuhlmacher: „Heiligung meint nach Paulus nichts Zusätzliches zur Rechtfertigung, sondern beschreibt deren sühnetheologische Innenseite, die in den neuen Gehorsam stellt“ (Biblische Theologie des Neuen Testamentes I, Göttingen 1992, S. 375). Dann ist aber auch die Sühne nicht eine Ersatzleistung durch einen Anderen, sondern Teilnahme an der Lebenshingabe an das Heilige, ein Zu-Gott-Kommen durch das Todesgericht hindurch (ebd. S. 138 nach H. Gese). Folglich kann man die „Versöhnung der Welt“ nicht als eine bereits verwirklichte Vorgabe bezeichnen, an der wir nachträglich durch unseren Glauben teilnehmen, sondern diese Versöhnung verwirklicht sich allererst im je Einzelnen, der im lebendigen Glauben sich das Werk der Erlösung aneignen läßt. Dieses geistliche Leben bedeutet wahre Freiheit. Erlösung ist Befreiung aus dem Zwangssystem innerweltlicher Eigengesetzlichkeit durch das Erlangen eines höheren Standpunktes in Christus. „Seid zuversichtlich! Ich habe die Welt (definitiv) überwunden“ (Joh 16,33), „das ist der Sieg, der die Welt besiegt, unser Glaube“ (1Joh 5,4). Durch das Erlösungswerk Christi und unsere Teilnahme an ihm durch den Glauben stehen wir nicht mehr in Knechtschaft unter den Elementen der Welt (vgl. Gal 4,3), sind nicht mehr dem System von Fleisch und Blut verpflichtet, sondern Kinder der Verheißung, des freien Jerusalem von oben her, kraft der Freiheit, zu der Christus uns befreit hat (vgl. Gal 4,22 5,1). Dem hupó, dem Stehen unter dem Gesetz (Gal 3,23; 4,4f; 4,21; 5,18 vgl. auch ‚“’unter dem Fluch“ 3,10; „unter der Sünde“ 3,22; „unter dem Pädagogen“ 3,25; „unter Vormündern und Verwaltern“ 4,2; „unter den Elementen“ 4,3), ist das Empfangen der Verheißung von oben entgegengesetzt (wenn in Röm 6,14 dem hupò nómon das hupò chárin „unter der Gnade“ - korrespondiert, so ist dies dort ausdrücklich ad hominem formuliert: 6,19). Der Gegensatz ist in Gal 5,18 klassisch formuliert: „Wenn ihr im Geist handelt, steht ihr nicht unter dem Gesetz“ (vgl. Röm 8, 5-11). Damit ist nicht eine Willkürfreiheit gemeint, die die Freiheit zum Anlaß für das Fleisch nimmt (Gal 5,13; vgl. 1Ptr 2,16), sondern das neue Gesetz des geistlichen Lebens: „Das Gesetz nämlich des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat dich befreit vom Gesetz der Sünde und des Todes.“ (Röm 8,2) „Durch den in euch einwohnenden Geist wird er auch eure sterblichen Leiber lebendig machen“ (Röm 8,11), eine geistige Kraft, die von innen her alles neu zu beherrschen vermag. Dieses Gesetz schenkt Einsicht aus Liebe und befreit zu personaler Responsabilität: „Sei ohne Angst, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen: mit gehörst du“ (Is 43,1). Sowohl die dunklen Mächte und Gewalten des heidnischen Aberglaubens als auch die systemimmanenten Mechanismen einer säkularisierten Welt sind anonym und degradieren den Menschen zu einem ausgelieferten Objekt. Demgegenüber ist der gnadenhaft vernommene Ruf Gottes, der den Menschen als eigene Person frei macht und frei läßt, ein „von oben, vom Vater der Lichter“ (Jak 1,17) geschenktes Licht und ein belebender Atem, worin wir aus der finsteren und erstickenden Atmosphäre „ich armseliger Mensch! wer entreißt mich aus dem Leib dieser Sündenmacht?“ (Röm 7,24) aufblicken und aufatmen. „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen.“ (Joh 8,32) Der postmoderne Versuch, sich neben der technisierten Welt auch noch Außerirdisches zu genehmigen, ist eine bloße Projektion. Der terminus a quo ist das Versklavt-Sein unter die Elemente der Welt, deren Ungenügen immer mehr empfunden wird, so daß man der Phantasie freien Lauf läßt. Erlaubt ist, was gefällt. Das aber ist nicht Befreiung durch die erkannte Wahrheit, deren Verbindlichkeit man gerade nicht will. Auch hier gilt: wer sich an sein eigenes Leben klammert, wird es verlieren. Der Galaterbrief hält uns den gekreuzigten Christus vor Augen (3,1) als Schlüssel zu der „Freiheit, die wir haben“ „in der Wahrheit des Evangeliums“ (2,4f). Das griechische alêtheia bedeutet Unverhüllt-Sein, Offenbarung des Verborgenen und Eigentlichen. Da aber alles ursprünglich ein Ausdruck des göttlichen Wortes sein will, sein soll und allein in diesem lebensspendendes Licht sein kann, ist Sein Kommen in diese Welt Quelle von Gnade und Wahrheit (Joh 1,1-14). Die Herrlichkeit, die sich in allen Geschöpfen offenbaren will, die unsichtbare dúnamis und Göttlichkeit (Röm 1,20), findet ihre Antwort in Verherrlichung und Danksagung (Röm 1,21), in der Anbetung „im Geist und in der Wahrheit“ (Joh 4,23f). Erlösung bedeutet auch das: wirklich anbeten können, selbstlose Hingabe an die Wahrheit und darin selige Aufgabe seiner selbst. Der Weg dieser Erlösung ist Christus, der „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ in Person ist (Joh 14,6), der uns „den Geist der Wahrheit sendet,... den ihr erkennen werdet, weil er bei euch bleibt und in euch ist“ (Joh 14,17). Wahre Freiheit ist geistliches Leben in Christus! Das ist die wahre Theologie der Befreiung aus der Knechtschaft dieser Welt, „erkauft“ durch die Hingabe Christi, „erworben“ durch lebendigen Glauben. Die Ironie dieser Terminologie besteht in der jedem Merkantilismus radikal entgegengesetzten Gratuität dieses Werkes der Erlösung. Allerdings „kostet“ es die gegenseitige, freiwillige Zuwendung, einen ganz persönlichen Einsatz auf beiden Seiten. Die Vorstellung einer „gratia extra nos“ und eines bloßen soteriologischen Platztausches würde den Menschen gerade in seiner Unmündigkeit belassen, sei es in der Vorstellung einer doppelten Prädestination oder in einer Zwangsbeseligung, in der der Mensch sich nicht davor retten kann, gerettet zu werden. - In Wahrheit wird der Mensch durch das Werk der Erlösung zu der ihm eigenen Würde als eigen-verantwortliches Gotteskind, als Freund Christi und Tempel des Heiligen Geistes erhoben. Damit kommen wir zu einem letzten Punkt: das Werk der Erlösung als ein Werk der Heiligung. Fortsetzung auf der nächsten Seite. Was Gott von uns will Eine Predigt zum zweiten Fastensonntag.
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