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Warum die allerkleinlichste christliche Moral gnädiger ist als die allerliberalste säkulare Ethik

Von Thomas Lüken

Woher entsteht der Eindruck, das Christentum, namentlich die Kirche, sei in ethischen Fragen moralinsauer und überstreng? Ich denke, ganz einfach daher, dass eine Fülle von kirchlichen Ge- und Verboten zur Kenntnis genommen wird, deren Sinn nicht mehr verstanden wird. Und ein Verbot, das nicht verstanden wird, ist nur noch eines – lästig.

Wie ist nun die These in der Überschrift dennoch zu rechtfertigen?

Zunächst ist zu konstatieren: Jede weltanschauliche Institution, ja jede Interessengemeinschaft kennt einen Sündenkatalog, auch ohne dieses Wort dabei zu benutzen (dabei wird das Wort Sünde durchaus noch im säkularen Zusammenhang gebraucht, wenn etwa Greenpeace das Verklappen von Öl in Meeren als „Umweltsünde“ brandmarkt). Auch Radikaltoleranzler verabscheuen bestimmte Verhaltensmuster – nämlich die der Intoleranz und des Dogmatismus und können das inkriminierte Verhalten dabei selbst an den Tag legen.

Die Kirche scheint nun aber viel mehr Verhaltensweisen als Sünde/Fehlverhalten auszulegen als andere Gruppierungen (ob dem so ist, kann auch bezweifelt werden, wenn man sich modern-säkulare „Sünden“ anschaut: gibt es irgendeine kirchliche Verordnung, die jungen Mädchen erbarmungslos die richtigen Körpermaße aufzwingt wie die Mode- und Lifestylewelt es suggeriert?), der Apparat Kirche scheint in Pflichten und Verboten erstarrt zu sein. Das sind alles quantitative Überlegungen, über die man diskutieren kann. Der eigentliche qualitative Unterschied christlicher Moral zu säkularer Moral ist aber nun dieser:
Wenn ein säkularer Moralphilosoph oder eine politisch-gesellschaftliche Gruppe ein Fehlverhalten anprangert, stellt sie genau wie das Christentum fest: dort hat ein Mensch „gesündigt“, er ist aus der allgemeinen Ordnung heraus getreten, er hat gefehlt, er ist gefallen.

Der säkulare Mensch nun belässt es jedoch dabei, den Frevler darauf hinzuweisen, dass dieser gefallen ist – und geht seines Weges. Verhielte sich die Kirche ebenso – da stimme ich mit den Kritikern vollkommen überein – wäre sie unerträglich. Das Christentum zeigt nun das Fallen des Sünders aber nicht an als Selbstzweck, sondern als Voraussetzung dafür, ihm hinterher wieder auf die Beine zu helfen. Das Christentum bietet, durch das Gebet und das Sakrament der Versöhnung, Vergebung an – „Du bist gefallen, nun gut, ich helfe Dir auf, nun denk nicht mehr daran und mache es in Zukunft besser“. Das kann keine säkulare Institution leisten, diese kann nur ahnden, niemals vergeben. Säkulare Sünder tragen viel Geld und Zeit zu Psychologen, die auch von Schuld befreien wollen, diese aber nicht vergeben können und nur am Schuldgefühl herumdoktern.

Die Kirche fordert vom Sünder nicht Genugtuung, sondern will ihm helfen, wieder aufzustehen – das hingegen geht nur, wenn der Mensch überhaupt weiß, dass er gefallen ist.


Zum Thema:

Robert Spaemann über Gesinnungs- und Verantwortungsethik


Knechtschaft oder Freundschaft?

In Lukas 12, 32-48 schildert Jesus im Gleichnis, wie der pflichtvergessene Knecht vom heimkehrenden Herrn bestraft wird. Wie sollen wir das verstehen?


Ungerechte Bibelkritik

Ein Beispiel einer unlogischen und ungerechten Bibelkritik liefert Christian Schwägerl in der Zeitschrift Geo vom Dezember 2017. In seinem an sich informativen Artikel Der Gute Mensch heißt es:

“Wenn Experten wie der Anthropologe Michael Tomasello, der am Leipziger Max-Planck-Institut forscht, von Moral sprechen, meinen sie nicht religiöse Gesetze, die – von Gott gegeben – rigide Handlungsanweisungen liefern, wie das siebte christliche Gebot: Du sollst nicht stehlen. Ihnen geht es um die Grundregeln guten Verhaltens, die von Buddha bis Kant nahezu gleich geblieben sind: Schade nicht anderen für deinen Nutzen.”

Warum gehören die Zehn Gebote, insbesondere das Gebot “Du sollst nicht stehlen”, nicht zu den Grundregeln guten Verhaltens, sondern zu den rigiden Handlungsanweisungen? Es ist geradezu ein Witz, die Zehn Gebote als rigide hinzustellen und ihnen ausgerechnet Kants Ethik entgegenzustellen - als ob die Pflichtethik Kants sich nicht gerade durch ihre größere Rigidität von der biblischen Liebesethik unterscheidet. Hier schreibt jemand entweder über ein Thema, zu dem ihm das Grundwissen fehlt, oder der mit Absicht die Bibel in ein schlechtes Licht rücken will.

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