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Themen68er |
Schwester im Glauben... Von P. Bernward Deneke
Verse von Kurt Marti, dem Dichter und ehemaligen Pfarrer an der reformierten Nydeggkirche zu Bern. Viele seiner Texte sind uns aus kirchlichen Publikationen, Religionsbüchern, vielleicht sogar aus gestalteten Gottesdiensten bekannt. Daß er als Protestant auch Maria zum Gegenstand seines dichterischen Schaffens gemacht hat, mag verwundern. Verwunderlicher noch ist freilich die Art, in der das geschieht. Das Gedicht von Kurt Marti steht am Ende einer langen Entwicklung. Wer in ihm lediglich eine unter vielen dummen Entgleisungen des politischen und theologischen Feminismus sieht, blickt zu kurz und übersieht vieles, was sich innerhalb des vergangenen Jahrhunderts zunächst langsam, dann in den letzten Jahrzehnten mit rascher Beschleunigung getan hat. Er übersieht den Anlaß, den eine bestimmte Art von Marienfrömmigkeit für den späteren Umsturz geboten haben mag, übersieht auch den Anteil der akademischen Theologie und der Verkündigung an diesem Vorgang. Eine wichtige Bemerkung sei noch vorausgeschoben, um sogleich einem einschränkenden Einwand zu begegnen, der sich vielleicht im einen oder anderen einstellt. Es könnte wohl scheinen, daß wir uns hier auf einen Nebenschauplatz begeben. In diesem Sinne hört man manchmal, die Marienverehrung sei ja eine durchaus schöne und für die private Frömmigkeit auch wichtige Angelegenheit, die entscheidenden Schlachten seien aber auf anderen, zentraleren Gebieten zu schlagen. Als solche werden genannt: philosophische Voraussetzungen unseres Glaubensverständnisses, Glaubwürdigkeit der Heiligen Schrift, Wahrheiten über Gottes Transzendenz und Ewigkeit, über die Gottheit und Erlösungstat Jesu, die Einzigartigkeit und Heiligkeit der Kirche, ihre sakramentale und hierarchische Ordnung, das weite Feld der christlichen Moral und natürlich die Liturgie. Wie also konnte es zu einem Prozeß kommen, an dessen vorläufigem Ende wir Erzeugnisse à la Kurt Marti finden? Wir gehen nicht fehl in der Vermutung, daß nicht nur böser Zerstörungswille am Anfang stand. Schon eine oberflächliche Durchsicht marianischer Literatur und Andachtsformen früherer Zeit läßt uns neben Kostbarem und Erleuchtetem auch weniger Gelungenes, ja völlig Mißratenes auffinden. Hat nicht schon der „Doctor mellifluus", der honigfließende Lehrer Bernhard von Clairvaux, auf dessen Grundsatz „De Maria numquam satis" („Über Maria niemals genug") man sich gerne beruft, - hat nicht schon er die Forderung aufgestellt: „Die königliche Jungfrau bedarf nicht falscher Ehre" (eine Forderung freilich, die er gegen die damals noch umstrittene Lehre von der Unbefleckten Empfängnis aussprach)? Tatsächlich trägt diese Königin so viele herrliche Edelsteine in ihrer Krone, daß es zu ihrem Schmuck keiner zusätzlichen falschen Diamanten bedarf. Doch auch solche Ermahnungen konnten das Problem nicht aus der Welt schaffen. Und da das Gegenteil des Guten oft nicht das Schlechte, sondern das gut Gemeinte ist, trieb die herzliche Verehrung Mariens immer wieder auch recht merkwürdige Blüten. Unter den „Letzten Worten" der heiligen Thérèse von Lisieux finden sich Aussagen, die in unserem Zusammenhang vieles erahnen lassen, was damals blühte. Am 21. August 1897 sagte sie zu Mutter Agnes: „Wie gerne wäre ich Priester gewesen, um über die Heilige Jungfrau predigen zu können! Ein einziges Mal hätte mir genügt, um alles zu sagen, was ich über diesen Gegenstand denke! Zuerst hätte ich gezeigt, wie wenig man über ihr Leben weiß. Man sollte nicht unwahrscheinliche Dinge sagen oder Dinge, die man nicht weiß, wie zum Beispiel, daß sie, als sie noch ganz klein war, als Dreijährige, in den Tempel gegangen ist, um sich Gott in glühender Liebe und mit ganz außerordentlichen Gefühlen darzubringen; in Wirklichkeit ist sie vielleicht einfach hingegangen, um ihren Eltern zu gehorchen. Und warum sagen, die Heilige Jungfrau habe von dem Augenblick an, als sie die prophetischen Worte des greisen Simeon hörte, unablässig die Passion Jesu vor Augen gehabt? ‚Ein Schwert des Leidens wird deine Seele durchbohren', hat der Greis gesagt. Das galt also nicht für die Gegenwart, wie Sie sehen, Mütterchen; es war eine allgemeine Vorhersage für die Zukunft. So weit die heilige Thérèse. Zusammenfassend können wir aus ihren Worten zwei Forderungen für die echte, angemessene und hilfreiche Verkündigung über Maria ableiten. Die erste Forderung lautet: Weg mit dem frommen, aber unbiblisch-unhistorisch-unwahrscheinlichen Beiwerk! Was darunter zu verstehen ist, geht aus ihren Beispielen hervor. Diese sind nicht einmal als extrem zu bezeichnen, vergleicht man sie mit einer bestimmten Art von visionärer Marienliteratur, in der die Gottesmutter gleichsam auf Schritt und Tritt die Welt des Übernatürlichen zu spüren bekommt: Schon im ersten Augenblick ihrer Existenz habe sie den Vernunftgebrauch erhalten und alles über die Schöpfung, den Engelsturz, den Urzustand Adams und Evas, aber auch über die Naturordnung, die Sterne und Planeten, die Letzten Dinge und die bevorstehende Menschwerdung gewußt; sie habe bereits im Mutterschoß die Tugend in heroischem Maß geübt; während ihres Erdenlebens sei sie oft im Genuß der himmlische Anschauung Gottes gewesen, usw. Damit also soll nach Meinung der Heiligen von Lisieux Schluß gemacht werden. Auch wenn das Gemüt manch eifrigen Marienverehrers das wie eine Schandtat empfinden mag: Es wird doch auf solche Weise die Sicht auf die wirkliche Gottesmutter frei, die viel schöner ist als ihre verkitschten Imitate. Die zweite Forderung: Weg von der unnahbaren Himmelskönigin, hin zur wahren Maria, die mehr Mutter als Königin ist, mehr Vorbild im Glaubensleben als entrückter Gegenstand staunenden Entzückens. Thérèse gibt schon eine Wegrichtung an, die später in einem freilich ganz anderen Sinne von Theologen und vor allem Theologinnen beschritten werden sollte: Man soll nicht ständig die Privilegien der Gottesmutter, nicht das, was sie von uns trennt, hervorheben, sondern vielmehr auch von dem Gemeinsamen, mit uns Verbindenden sprechen. Klingt hier nicht bereits wie aus weiter Ferne das Motiv der „Schwester im Glauben" an? Die Haltung der Heiligen gegenüber einer bestimmten Art des Marienlobpreises haben ohne Zweifel viele hellsichtige Zeitgenossen geteilt. Und doch konnten sie nicht erahnen, welche Folgen die Forderung eines kleinen Bildersturmes zugunsten eines echteren, einfacheren Marienbildes später einmal haben sollte. Bis dahin allerdings sollte noch einige Zeit vergehen. Denn die wissenschaftliche Theologie wie die geistliche Literatur nahmen zunächst nicht viel Notiz von solchen Anregungen. In dem veschlossenen Paradiesgärtlein gemütvoller Marienverehrung wuchsen selbst in den bewegten Tagen der frühen Dreißiger weiterhin solche Blumen wie das folgende, nicht für unsere Allerkleinsten, sondern allen Ernstes für Ordensleute bestimmte Gedicht eines frommen Autors, der bescheiden hinter dem Pseudonym „Dr. Iru" zurücktrat: Schlohweiß deine Händ' Du Süße, Vielsüße, Schneeweiße Frau, mache uns weiß, Man stelle sich nur das Entzücken einer gewissen Ordensfrau aus dem Karmel zu Lisieux vor, hätte sie diese Verse zu lesen bekommen... Und die theologische Wissenschaft? Um ihre Stellung im Prozeß der Verwandlung, den Marienglaube und -verehrung im Lauf des 20. Jahrhunderts durchgemacht haben, würdigen zu können, ist es hilfreich, einen Blick auf eines der Standardwerke deutschsprachiger katholischer Theologie zu werfen, das in einem Zeitraum von etwas mehr als 60 Jahren immerhin drei völlig voneinander verschiedene Auflagen erleben konnte. Ich spreche vom „Lexikon für Theologie und Kirche", kurz „LThK". Zum ersten Mal erschien es in den Jahren 1930-1938, herausgegeben vom Regensburger Bischof Dr. Michael Buchberger[1]. Für die zweite Auflage von 1957-1968 übernahmen Josef Höfer und Karl Rahner die Herausgeberschaft; Rahners Name hat den Höfers fast völlig verdrängt. Vom Jahr 1993 an kam schließlich die dritte Auflage, für die der ehemalige Tübinger Dogmatiker, damalige Rottenburger Diözesanbischof und heutige Kardinal in der Ewigen Stadt Walter Kasper verantwortlich zeichnet. Das LThK ist zweifelsohne ein hochinteressantes und überaus lehrreiches Werk, das eine Fülle an Stichworten - von knappen geographischen oder biographischen Notizen bis zum ausgedehnten Lexikonartikel - enthält. Es wäre eine lohnende Themenstellung für eine Doktorarbeit, einmal die Wandlungsfähigkeit dieses Buches zu untersuchen, dessen Auflagen jeweils ein Bild der aktuellen Lage von Kirche und Theologie zeichnen. Uns interessiert jetzt nur der kleine Ausschnitt der Mariologie, und auch er nur im Hinblick auf einige vorherrschende Trends. In der ersten Auflage behandelt Ludwig Kösters S.J. das Stichwort „Maria" in altbewährter Weise: Heilige Schrift des Alten und Neuen Bundes, Kirchenväter, Lehramt und systematische Darlegung. Verstöße gegen die „sana doctrina" sind hier ebensowenig festzustellen wie frappierende neue Einsichten. Allenfalls kann man bemerken, daß sich eine Debatte, die in der Jahrhundertmitte viele Theologen beschäftigen und daher in der zweiten Auflage des Lexikons deutlichere Spuren hinterlassen sollte, bereits ankündigt: die Problematik des sogenannten mariologischen Fundamentalprinzips. Darunter ist jene dogmatische Wahrheit über Maria zu verstehen, aus der sich die anderen Mariengeheimnisse wie Folgerungen und Entfaltungen ergeben. Der Jesuit Kösters vertritt den geläufigen Standpunkt, daß es die Gottesmutterschaft Mariens sei, die den Grundbegriff für die Mariologie bilde „wie die hypostatische Union für die Christologie"; die anderen Privilegien Mariens sind demnach alle in ihrer Gottesmutterschaft begründet. Die Frage nach der mariologischen Grundwahrheit wird in der zweiten Auflage des Lexikons mit neuer Schärfe gestellt, aber nicht anders beantwortet. Nach einem konventionellen Überblick über die biblischen und dogmengeschichtlichen Befunde sowie den erreichten Stand der kirchlichen Lehre zeigt sich der Abschnitt „Theologische Systematik" aus der Feder von Alois Müller bemüht, noch einmal „die Gottesmutterschaft in umfassendster Bedeutung" als dieses mariologische Fundamentalprinzip herauszustellen. Gegenüber dem Vorläufer aus der ersten Auflage ist nur die Formulierung „in umfassendster Bedeutung" zum Begriff der Gottesmutterschaft hinzugetreten. Es dürfte kein Zufall sein, daß Alois Müller darin bis in die Wortwahl mit dem führenden Kopf des Lexikons, Karl Rahner, übereinstimmt; denn auch er legt in seinem Artikel zum Stichwort „Mariologie" ebenfalls „die Gottesmutterschaft in umfassendster Bedeutung" als das mariologische Fundamentalprinzip dar. Der theologiegeschichtlich interessierte Leser erkennt ohne weiteres, daß sich Müller und Rahner in die damals lebhaft geführte Diskussion einschalten und sich indirekt gegen den Jesuiten Otto Semmelroth wenden. Er hatte die These aufgestellt, das Mariengeheimnis baue sich von der Aussage her auf, die Ambrosius in die Formulierung brachte: „Maria est ecclesiae typus" : Maria ist Typos, Urbild der Kirche, und zwar der miterlösenden wie der erlösten Kirche. Daraus sollen nach Semmelroth die Erwählung und Bestimmung Mariens zur jungfräulichen Christusbraut und Gottesmutter, ihre unbefleckte Empfängnis und Unsündlichkeit sowie die Aufnahme in den Himmel folgen. Die indirekte Erwiderung auf diese These im Rahner-Lexikon bewegt sich in traditionellen Bahnen. Auch sonst bietet das Werk in der Mariologie nichts der Neuerung Verdächtiges. Ich weise auf diese theologische Auseinandersetzung auch deshalb hin, weil sie uns zeigt, über welche Fragen man noch vor einigen Jahrzehnten innerhalb der katholischen Theologie diskutierte. Für uns Heutige, die sich an Diskussionen über Frauenordination, Beratungsschein und Einsegnung gleichgeschlechtlicher Paare gewöhnen mußten, nahezu unvorstellbar! Und die neueste Auflage des LThK? Ihre biblischen, dogmengeschichtlichen und systematischen Darlegungen zur Mariologie verdienen weniger unsere Beachtung als die folgende, bemerkenswerte Tatsache: Die nicht gerade übertrieben salbungsvollen, eher farblosen und kühlen Ausführungen des Regensburger Professors Wolfgang Beinert werden durch eine Theologin ergänzt. Endlich darf eine Frau über das Frauenthema schreiben! Es handelt sich um die ebenfalls in Regensburg ansässige Theologin Dr. Regina Radlbeck-Ossmann, die zwei Artikelchen beisteuert. Deren erster widmet sich Maria unter praktisch-theologischem Aspekt. Das scheint ein eindeutiger Fortschritt gegenüber den früheren Auflagen zu sein. Endlich wird einmal nach der Bedeutung der Gottesmutter für die Pastoral und nicht nur nach Schriftstellen, dogmatischen Lehrentscheiden, abstrakten Formalprinzipien und Formen der Volksfrömmigkeit gefragt. „Praktisch-theologisch" - das klingt nach einer Theologie, die sich verwerten läßt, die ins konkrete Leben greift. In Frau Dr. Radlbeck-Ossmanns Ausführungen ist denn auch eine gewisse Begeisterung zu vernehmen, die sich von den distanziert-wissenschaftlichen Sätzen ihres Vorredners abhebt, wenn sie über die neuentdeckte Maria schreibt: Kommt hier nicht das Anliegen der Heiligen von Lisieux zum Zuge: Einen kleinen Bildersturm zu wagen, um Maria aus Übermalungen, Übertünchungen und falschem Schmuck zu befreien und sie endlich wieder in ihrer einfachen, aber dafür um so ergreifenderen Schönheit zu zeigen? Wie befreiend, wenn der Prunkrahmen von einer Ikone abgenommen wird und man sie betrachten kann, wie sie wirklich ist! „Rückgriff auf neutestamentliche Aussagen" - „die authentische Maria wiederentdecken" - „vorschnelle Idealisierungen vermeiden" - „Maria als Glaubende" im „persönlichen Wagnis" - das Leben Mariens als Zeichen dafür, „daß kein Leben zu unbedeutend ist, um nicht von Gott erhöht und vollendet zu werden" - Maria als „klassisches Urbild der Diakonie": Wer hätte dagegen etwas einzuwenden? Freilich klingen einige Ausdrücke für fromme Ohren fremd. Wenn von Zweifeln der Gottesmutter die Rede ist, ahnen wir nichts Gutes. Die Aussage, daß sie der traditionellen Symbolik weithin entkleidet werde, ist zumindest erklärungsbedürftig. Und das Wort von der „Schwester im Glauben" entstammt auch nicht gerade der Bibel, den Texten des Lehramtes oder den Schriften großer marianischer Heiliger. Aber vernehmen wir die Theologin, die im Lexikon des inzwischen purpurbemäntelten Walter Kasper mit einem so wichtigen Thema betraut wurde, weiter: Daß der Dienst der Gottesmutter nicht nur einer „menschlicheren Welt" gilt, diese Aussage können wir voll und ganz unterstreichen. Doch wir hätten hier wohl eher die Erklärung erwartet, Mariens Dienst stehe im Zeichen des Herrenwortes: „Suchet zuerst das Himmelreich", und er gelte daher primär der Mitwirkung am Erlösungswerk ihres Sohnes und der Verherrlichung Gottes. Hinweise auf diese Dimension suchen wir aber vergebens. Stattdessen geht es um einen Dienst der Kritik an ungerechten Strukturen und deren Bekämpfung. Ein rechtes Unwohlsein beschert uns schließlich in solchen Zusammenhängen die Erwähnung des Magnificat. Hatten wir nicht kurz vorher noch Kurt Martis Beschwörung der „subversiven hoffnung ihres gesangs" hören müssen? Der zweite Artikel Regina Radlbeck-Ossmanns knüpft an die letzten Aussagen des ersten an. Jetzt geht es um Maria in „feministisch-theologischer" Sicht. Wir lernen überblickartig die vier Hauptrichtungen der feministischen Theologie kennen und erfahren, welche Dispute an die Stelle desjenigen über das mariologische Fundamentalprinzip getreten sind: Hat diejenige Richtung recht, die Maria niemals als frauenbefreiend betrachten kann, „da die Rede von ihr aufs engste mit patriarchalischen Denkmustern verflochten sei", oder die, welche - wieder einmal ausgehend vom Magnificat - in Maria „die starke Frau" sieht, „die mutig ihren eigenen Glaubens- und Lebensweg geht und so Männern und Frauen zum Symbol befreiten Lebens wird"? Über diese Strömung erhalten wir die Auskunft, daß durch sie „zentrale mariologische Daten (...) mit neuem Inhalt gefüllt" werden: „Jungfräulichkeit steht für den freien Menschen, der sich Gott öffnen kann, Mütterlichkeit ist das Symbol einer Haltung, die behütet und neues Leben ermöglicht." Im Streit miteinander liegen auch die anderen beiden Richtungen feministischer Theologie: Die, welche Maria historisch-kritisch und ohne Symbolisierung betrachtet, und die andere, die in ihr den Mythos vom weiblichen Göttlichen manifestiert sieht. Die Regensburger Theologin gibt uns nur Auskünfte, keine verbindlichen Antworten. Wo sie ihren eigenen Standpunkt darstellt, versucht sie nicht, Maria zu vergöttlichen oder sie wenigstens zum „mütterlichen Antlitz Gottes" zu machen, wie dies Leonardo Boff tut, der mit seiner Behauptung, Maria müsse „als hypostatisch mit der dritten Person der Dreifaltigkeit verbunden gelten" übrigens viel weiter geht als die Visionen der Anna Katharina Emmerick oder der Maria von Agreda. Andererseits sympathisiert Frau Dr. Radlbeck-Ossmann aber auch nicht mit denjenigen Feministinnen, die von Mariologie als einer frauenfeindlichen Angelegenheit nichts wissen wollen oder Maria zum Vorbild der Revolte umdeuten. Und selbstverständlich ist sie keine „Fundamentalistin" des alten Marienglaubens. Für das seriöse LThK kommt nur eine „Theologin der Mitte" in Frage, und diese „Mitte" ist in der deutschen Theologie derzeit wohl eine historisch-kritische „Schwester im Glauben"-Mariologie mit gemäßigt emanzipatorisch-feministischem und befreiungstheologischem Touch. Andere renommierte Lexika der katholischen Theologie sind weniger vorsichtig und auf Ausgewogenheit bedacht als das Werk Walter Kaspers. So läßt beispielsweise Peter Eicher im Neuen Handbuch theologischer Grundbegriffe, das an die Stelle des alten aus dem Jahr 1963 tritt, nach dem systematischen Artikel von Wolfgang Beinert keine Geringere als Catharina Halkes, die alte Dame und sozusagen die Alice Schwarzer der katholisch-feministischen Theologie, zu Wort kommen, und das auf fast 9 Seiten. Durfte im alten Handbuch theologischer Grundbegriffe Otto Semmelroth bescheiden seine ehedem kühne These vortragen, das mariologische Fundamentalprinzip sei im „Urbild der Kirche" gegeben, so polemisiert im neuen Lexikon Catharina Halkes gegen die Rollen Mariens als „neue Eva", „jungfräuliche Mutter", „geringe Magd, die nur im Hintergrund lebte" sowie als „Ersatz für das Weibliche" (nämlich für die zölibatären Priester und Theologen, die mit dem Idealbild Mariens das reale Weibliche abwerten und aus ihrem Leben verdrängen müssen - Freud läßt grüßen!). Es ist dies dieselbe Theologin Halkes, die sich an anderer Stelle als Befreierin Mariens aufspielt, wenn sie schreibt: „Maria verlangt nach Befreiung von dem Bild, das man sich von ihr gemacht hat; sie verlangt nach Befreiung von den Projektionen, die eine männliche Priesterhierarchie an sie geheftet hat. Es rührt aus einem tiefen Gefühl der Solidarität oder der Schwesterschaft, daß ich sie nicht so einfach fallen lassen will." Wie gütig und mitfühlend übrigens von ihr! Für die Befreiung Mariens versucht Frau Halkes wiederum das „revolutionäre Magnificat" nutzbar zu machen und „die überkommene Marianik - um es mit einer Marxschen Formel zu sagen - als Ausdruck des historischen Elends der Frau wie als gleichzeitigen Protest gegen dasselbe kritisch (zu) rezipieren." Wir fühlen uns an Kurt Martis Gedicht erinnert, wenn wir in solchen Zusammenhängen bei einer anderen prominenten Theologin, Christa Mullack, lesen: Maria erweist sich im Magnificat „als ‚unbefleckt' von patriarchalischer Korrumpiertheit im Umgang mit dem Willen Gottes. Sie hat nicht teil an der Legitimierung von Machtausübung und dem Anheimstellen von Obrigkeitsgehorsam, wie dies zwei Generationen später die Nachfolger ihres Sohnes tun." Bemerkenswert übrigens: Frau Mullack sieht offensichtlich, entgegen dem allgemeinen Trend, in den Päpsten die Nachfolger Jesu Christi! Daß es sogar diese Vertreterinnen des Feminismus im Verein mit Kurt Marti noch relativ gut mit der Gottesmutter meinen, sei durch ein letztes Zitat gezeigt, das der „Zeitschrift für feministisch und religiös interessierte Frauen" mit dem bezeichnenden Namen „Schlangenbrut" entstammt, einer Zeitschrift, die ich z.B. in der katholisch-theologischen Fakultät zu Freiburg ausliegen sah, während ich dort nach Publikationen wie „Theologisches" oder der „Una Voce Korrespondenz" vergeblich Ausschau hielt. In der ersten Nummer der „Schlangenbrut" des Jahres 2003 wird ein Gedicht von Elisabeth Burmeister angeführt, das nach Aussage der Chefredakteurin Andrea Blome „den Kampf einer ganzen Frauengeneration spiegelt". Hier weist eine Frau Maria ab aus Solidarität mit jener Mutter, die in der Finsternis wohnt - und mit diesen Versen wäre dann auch wirklich die Talsohle unserer Ausführungen erreicht... Maria / du bist meine Mutter nicht meiner Mutter Gestalt / meiner Mutter Gesicht meiner Mutter Gesicht / meiner Mutter Gestalt Maria / behalte dein glattes Gesicht / behalt sie / ich will in der Finsternis wohnen / Die ganze Lage ruft nach Rettung. Solche kann aber ebensowenig von einer marianischen Schwärmerei kommen, die den Boden der Offenbarung unter den Füßen verloren hat, wie von einer akademischen Theologie, die in distanzierter Sachlichkeit ihre Konklusionen zieht und dabei nicht imstande ist, auch nur einen einzigen Funken wahrer Liebe zur Gottesmutter in den Herzen zu entzünden. Sehr enttäuscht teilte mir vor Jahren ein Priesteramtskandidat mit, er besuche derzeit die Mariologie-Vorlesung seiner Fakultät; was dort geboten werde, lasse sich aber alles auf den unausgesprochenen Nenner bringen: „Schauen wir einmal, wo diese Geschichtchen über die Maria herkommen." Historisch-kritische Einstellung und rein dogmengeschichtliche Ausrichtung kennzeichnen weithin das Feld. Es ist reichlich euphemistisch, was René Laurentin in den frühen 70er Jahren schreibt: „Die heutige katholische Lehre über Maria läßt sich nicht mehr auf alles festlegen, was in vorkonziliaren Dogmatik-Handbüchern dazu geschrieben worden ist. Die Tendenz zur Nüchternheit und zur Reduktion von Übertreibungen ist allenthalben festzustellen." Diese Nüchternheit und Reduktion hat ihre Spuren auch im Bereich der Frömmigkeit hinterlassen. Wer die heute gängige Mariologie studiert und verinnerlicht hat, wird als Pfarrer oder Religionslehrer wohl nicht mehr ein allzu kitschiges Marienbild früherer Tage aufstellen und bis zur Unkenntlichkeit mit künstlichen Blumen schmücken. Aber ist denn ein Fortschritt erreicht, wenn er es durch das nichtssagende, ungeschmückte Bild einer „gewöhnlichen Frau aus Nazareth" ersetzt, gestaltet nach den minimalen Aussagen, die nach dem Stand der heutigen Forschung noch über Maria verantwortet werden können? Die heilige Thérèse von Lisieux hat wohl, als sie voller Liebe von der Einfachheit der Gottesmutter sprach, kaum an solche dürftigen Produkte gedacht. Und in Sachen „Schwester im Glauben" kann man sich auch nicht auf sie berufen. Wohl betonte die Heilige, Maria sei mehr Mutter als Königin. Aber von der Mutter zur Schwester ist es doch noch ein gehöriges Stück Weges. Meine Mutter ist gerade nicht meine Schwester. Eher kann ich mir vorstellen, eine Königin als Mutter zu haben, als meine Mutter zugleich als Schwester anzureden. Das Verhältnis des Menschen zu seiner Königin ist das des Untergebenen und Dieners, zu seiner Mutter das des Kindes. Eine Schwester hingegen befindet sich, insofern sie Schwester ist (und wäre sie auch die ältere Schwester) immer auf gleicher Ebene mit ihren Geschwistern. Das offizielle Katholische Gebet- und Gesangbuch „Gotteslob" versucht in dem Abschnitt seiner Marienandacht, der unter dem Titel „Schwester der Menschen" steht, diesen Gegensatz zu überbrücken. Hier findet sich eine Art „Maria-Schwester-aller-Litanei" mit Anrufungen wie „Du Schwester aller, die an Christus glauben - auf Christus bauen - sein Wort bewahren - ihn verlieren - ihn suchen - ihn nicht mehr verstehen - ihm dennoch folgen..." Vorher aber hat der Vorbeter die einleitenden Worte zu sprechen: „Königin des Himmels, du bist von Gott so hoch erhoben wie kein anderer Mensch, außer deinem Sohn Jesus. In den Himmel aufgenommen, bist du doch Schwester der Menschen geblieben. Du weißt, was wir brauchen..." Das Anliegen ist leicht erkennbar: Mariens Stellung als Himmelskönigin soll in keiner Weise in Frage gestellt werden, sondern im Gegenteil die Tatsache um so erstaunlicher machen, daß diese hohe Frau zugleich auch unsere Schwester ist. Aber könnte derselbe Gedankengang nicht bereits bei Maria als unserer Mutter sein Ende und seinen Höhepunkt finden? Dann wären wir immerhin Kinder einer Königin, die über allen geschaffenen Mächten der Erde und des Himmels steht! Ist das nicht unüberbietbar herrlich? Doch offensichtlich soll, entsprechend dem Ideal einer geschwisterlichen Kirche, ein neues, geschwisterliches Verhältnis zu Maria das bisherige kindliche ersetzen. Sieht man sich die weiteren Nummern der Marienandacht näher an, so bemerkt man, daß zwar in dem Teil über die „Mutter Gottes" das Wort des Gekreuzigten an Maria und Johannes erwähnt und daraus ihr mütterlicher Schutz abgeleitet wird. Man stößt auch auf einen Abschnitt „Mutter aller Glaubenden". Darin aber wird die Mutterschaft Mariens mit einer Glaubens-Zeugenschaft gleichgesetzt, wie sie auch von Abraham, Moses und den Propheten ausgesagt werden kann: „Auch Maria glaubte dem Wort Gottes. Sie ließ Gottes Unbegreiflichkeit an sich geschehen und folgte dem Weg ihres Sohnes bis zum Kreuz. Maria ist unter den Glaubenszeugen die größte. Wir nennen sie Mutter der Glaubenden. - Stille..." Soweit kann sich das Gotteslob also vorwagen. Ein Hinweis aber auf das tiefe Geheimnis der Mitwirkung Mariens am Erlösungswerk, wodurch sie die neue Eva, die Mutter aller in der Gnade Lebenden, die „mater divinae gratiae" wurde, fehlt. Frei nach Thérèse von Lisieux ist man offensichtlich bestrebt, das Gemeinsame, Verbindende zwischen uns und der Gottesmutter hervorzuheben. Die menschliche Natur verbindet uns tatsächlich mit ihr. Es kann ja unter diesem Gesichtspunkt selbst vom Sohn Gottes gesagt werden, Er sei unser Bruder geworden, als Er unsere Natur annahm. Mit Blick auf Maria aber hat der Versuch, ständig die Gemeinsamkeiten mit uns hervorzuheben, etwas Gewolltes an sich. Wer würde denn von einer bedeutenden Persönlichkeit des politischen, geistigen oder kulturellen Lebens andauernd hören wollen, sie sei ein Mensch, unser Bruder oder unsere Schwester? Was hier interessiert, ist doch vielmehr das Unterscheidende: Ein Mensch hat diese oder jene einzigartige Leistung vollbracht, die ihn aus Tausenden und Abertausenden heraushebt. Daß er uns darin zum Vorbild werden kann, versteht sich von selbst, braucht aber nicht durch die unablässige Beteuerung, er sei ein Mensch wie wir und mit uns auf dem Wege, verstärkt zu werden. Gleiches gilt von unseren Eltern: Daß sie als Nachfahren Adams und als Gotteskinder in gewisser Hinsicht auch unsere Geschwister vor Gott genannt werden können, wer wollte das bestreiten? Aber die fundamentale Beziehung, in der wir zu ihnen stehen, ist doch die des Kindes zu seinen Eltern. Und diese ist die denkbar engste und innigste, die auch von der Beziehung unter Geschwistern nicht überboten wird. Es liegt der Gedanke nahe, daß die Rede von der „Schwester im Glauben" dort, wo sie die Rede von Maria als unserer Mutter verdrängt, noch anderes im Schilde führt als die bloße Absicht, uns die Gottesmutter menschlich näher zu bringen. Über mögliche theologische Hintergründe geben uns protestantische Äußerungen recht offenherzig Auskunft. In einem Versuch einer Annäherung an Maria, unternommen in der „Evangelischen Zeitung. Christliche Onlinezeitung für das Internet" erfahren wir, was Katholiken und Protestanten im Marienbild vor allem trennt: Und noch eine andere Stimme aus reformierten Gefilden: das Schlußdokument einer mariologischen Studientagung italienischer Protestanten, die 1988 an der Waldenser-Fakultät in Rom stattfand. Zunächst wird darin ein gewisses Zugeständnis gegenüber dem gegenwärtigen Trend in der katholischen Kirche gemacht: Man könne in Maria „eine Schwester in Christus wiedererkennen." Doch mit den Zugeständnissen ist man damit auch schon am Ende. Weiter heißt es: „Der Verherrlichung der Jungfrau Maria, die sich im Laufe der Jahrhunderte verstärkt hat, entsprach, daß die Frauen aus der Leitung der Kirche und aus der Ausübung der Ämter heraus mehr und mehr an den Rand gedrängt wurden. Der Mythos der Maria als Jungfrau-Mutter wurde im mönchischen Umfeld ausgearbeitet und fest aufrechterhalten. Dort hat er erlaubt, eine andeutungsweise weibliche Figur, die aber ihrer Sexualität beraubt ist, zu bewahren. Diese Handlung offenbart jedoch eine fortschreitende Kriminalisierung der Sexualität, für die die Frauen den höchsten Preis bezahlt haben: Die physische Unmöglichkeit für jede Frau, sich dem Mythos der Jungfrau-Mutter anzupassen, hat dazu geführt, daß die Frau immer mehr mit Sexualität und Sünde gleichgesetzt wurde." Dieses Problem wäre also mit der Degradierung Mariens zur „Schwester in Christus" aus der Welt geschafft. Und zugleich ein schwerer Schlag gegen die patriarchalischen Traditionen und Strukturen der katholischen Kirche ausgeführt. Auf dem Hintergrund solcher Aussagen verstehen wir die Verdrängung des Ausdrucks „jungfräuliche Gottesmutter" besser. Und verstehen nicht, weshalb man katholischerseits - wenn auch meist nur halbherzig - dabei mitmacht. Ist das in die Kirche transportierte und dort bewunderte Bildnis der „Schwester im Glauben" gar ein Trojanisches Pferd in der Stadt Gottes? Es entstammt jedenfalls nicht ihrer jahrtausendealten Überlieferung. Daher suchen wir es in der Lauretanischen Litanei oder im Hymnos Akathistos vergeblich. In dem monumentalen, vor etwa 10 Jahren erschienenen „Marienlexikon" findet sich kein Stichwort zu diesem Titel. Das Zweite Vaticanum machte über die Gottesmutter zwar die damals ungewohnt klingenden Aussagen, sie sei Bild und Anfang der zu vollendenden Kirche, Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes für das wandernde Gottesvolk, und auch - ganz im Sinne dessen, was die heilige Thérèse forderte - sie sei selbst den Pilgerweg des Glaubens gegangen, aber von der „Schwester im Glauben" hier wie im nachkonziliaren „Katechismus der Katholischen Kirche" keine Spur. Übrigens auch im berühmt-berüchtigten Holländischen Katechismus oder im Katholischen Erwachsenenkatechismus der deutschen Bischöfe. Das über tausendseitige „Handbuch der Marienkunde" des Pustet-Verlages enthält zwar Abschnitte über die „mariologische Rezession und Wiederbelebung nach dem Konzil", über Maria als „solidarische Frau" und als „ideale Christin", aber nach einem Hohelied der „Schwester im Glauben" halten wir vergeblich Ausschau. Und auch Manfred Hauke, der bei aller scharfen Kritik an der feministischen Theologie doch „die menschliche Nähe Mariens, der ‚Schwester im Glauben'" als ein positives Wahrheitsmoment anerkennt, bemerkt: „Das Spezifische der Stellung Mariens erreicht die ‚Schwester'-Anrufung nicht." Und dennoch hat sich, von dieser und ähnlichen Titulierungen ausgehend, anstelle einer liebe- und ehrfurchtsvollen Redeweise über die jungfräuliche Gottesmutter in unseren Landen ein anderer Stil eingebürgert. Da vernehmen wir, „Maria - Mirjam - die Frau aus dem Volk" stehe auf unserer Seite, der Seite der Fragenden. Sie sei uns trotz, ja wegen ihrer Zweifel und Ängste Schwester im und Anstifterin zum Glauben. Wir werden aufgefordert, gleich ihr immer neu ein Stück weit aufzubrechen, um uns auf das Wagnis mit Gott einzulassen. In der Weggemeinschaft mit ihr können wir dann die Erfahrung machen, so angenommen zu sein, wie wir sind, und können uns und andere annehmen lernen. Usw. Viele der Lied- und Gebetstexte, die seit den 70er Jahren verfaßt oder abgeändert wurden, kann man gewiß nicht als häretisch oder glaubensgefährlich bezeichnen. Sie sind im Gegenteil gut gemeint, ja man muß ihnen sogar zuerkennen, daß sie auch von einer echten Frömmigkeit durchwirkt sind. Und doch befällt uns, die wir die Sprache der Kirche, ihrer Liturgie und Heiligen kennen, ein Unbehagen: Klingen diese Worte angesichts jener Einzigartigen, von Gott Erwählten und mit der Fülle der Gnade Beschenkten, angesichts der ehrfurchtgebietenden Wunder, die der Herr an ihr gewirkt hat, und angesichts ihrer Stellung als Mutter und Königin nicht allzu banal? Und es muß auch die Frage erlaubt sein, ob nicht das Zusammenspiel von karger, distanzierter, unterkühlt-nüchterner Theologie einerseits und seichter, geschmackloser geistlicher Formen andererseits einen beträchtlichen Anteil daran hat, daß sich junge Leute, die nicht ganz mit dem alten Glauben brechen wollen, zu den vorhin beschriebenen Auswüchsen hingezogen fühlen. Denn diesen kann man wenigstens den einen Vorwurf ersparen: fad, langweilig und nichtssagend zu sein. Wie im Zeitalter der beginnenden Romantik die intellektuelle Jugend, der vernünftelnden Aufklärung müde und überdrüssig, sich den neuen, oft schwärmerischen und radikalen Idealen verschrieb, so wirken auch im kirchlichen Bereich politisch-revolutionäre oder pseudomystische Strömungen und überhaupt alle extremen Lagen um so attraktiver, je konturenloser der Mittelbereich, heute mainstream genannt, sich gibt. So sollen wir uns auf die Suche nach den reinen, klaren Quellen echter katholischer Mariengläubigkeit und -verehrung begeben. Diese befinden sich nicht in hohen, unzugänglichen Regionen. Wir brauchen nicht von der Heiligen Schrift und den Kirchenvätern in die entlegenen Gebiete der verstiegenen Spekulationen des Jakob Böhme und der russischen Religionsphilosophen, in das unwegsame Reich kabbalistischer Esoterik und zu den Entwürfen des Teilhard de Chardin entwandern, um dann über die Maha Devi des Hinduismus, die Prajna Paramita des Buddhismus und die Urmutter Dao zu einer vom New Age angehauchten „ganzheitlichen Vision der Schöpfung" zu gelangen, wie es Thomas Schipflinger in seinem Buch mit dem programmatischen Titel Sophia-Maria versucht hat. Die lebendigen Ströme, aus denen die Marienverehrung gereinigt, erneuert und genährt wird, liegen uns näher. Sie fließen aus der göttlichen Offenbarung selbst, aus der Heiligen Schrift und der mündlichen Überlieferung, interpretiert im Einklang mit den Lehren der Kirche Christi. Und sie ergießen sich in die Texte der Liturgie, in die Werke heiliger und erleuchteter Menschen. Sie prägen sich aus in dem von Gott begnadeten, Gottes Dienst hingegebenen Leben so vieler Heiliger, die darin zu würdigen Kindern ihrer himmlischen Mutter wurden. Wir haben nun gar nicht mehr die Zeit, über bloße Andeutungen hinauszugehen. Andeutungen, die vor allem unsere geliebte heilige Liturgie der römischen Kirche betreffen und die zeigen, wie sie mit den Aussagen der Heiligen und erleuchteten Theologen zu einem ergreifenden Hymnus zusammenklingen. Um nur ein besonders bezeichnendes Beispiel anzuführen: Bringt sie nicht wundervoll die ewige Erwählung Mariens zum Ausdruck, wenn sie am Fest der Unbefleckten Empfängnis die alttestamentlichen Weisheitsworte auf Maria anwendet: „Der Herr besaß mich im Anfang Seiner Wege, von Anbeginn, noch bevor Er etwas geschaffen hat. Von Ewigkeit her bin ich eingesetzt, von Urbeginn, noch bevor die Erde ward... Als Er die Himmel herstellte, war ich zugegen, als Er nach festem Gesetz den Kreis zog um die Wassertiefen ...(usw. - also beim gesamten Schöpfungswerk:) war ich bei Ihm und ordnete alles." (Prov 8,22ff.) Das soll ja nicht weniger, aber auch nicht mehr sagen, als daß dieser vollendete, völlig von Gottes Reichtümern erfüllte und mit Gottes Willen geeinte Mensch Ihm bereits bei der Schöpfung als Sein großes Meisterwerk - freilich mit und in Christus, untrennbar von Ihm - vorschwebte. In diesem Sinne sprach sich auch ein gläubiger Exeget der ersten Jahrhunderthälfte, Josef Dillersberger, aus: „Wir müssen annehmen, daß Maria Sein erster Gedanke, Seine erste Idee ist im Heilswerke, das doch nicht einseitig den Menschen allein, sondern die Gesamtschöpfung Gottes erfaßt." Und ist es nicht für uns, die wir ständig einen übervorsichtigen Bibelminimalismus erleben müssen, herzerfrischend, befreiend und mitreißend, wie die Kirche mit Selbstverständlichkeit am selben Festtag die Worte des Propheten Isaias auf das Wunder der Unbefleckten Empfängnis anwendet: „Gaudens gaudebo - Voll der Freude frohlocke ich im Herrn, und meine Seele jauchzt auf in meinem Gott, denn Er hat mich gekleidet in die Gewänder des Heiles, hat mich umhüllt mit dem Mantel der Gerechtigkeit, wie eine Braut im Schmucke ihres Geschmeides." (Is 61,10) In anmutiger Schönheit, nicht mit Prunk und Protz überladen, aber auch nicht als dürftige „Maria für den Menschen von heute", erscheint die Gottesmutter hier. Übrigens beweisen die Heiligen dieselbe Freiheit im Umgang mit der Bibel. Es sei zu dem selben Mariengeheimnis nur seiner Wahrheit, Schönheit und Tiefe wegen ein Wort des heiligen Franz von Sales angeführt: „Der Jordan hielt seine Wogen zurück aus Ehrfurcht vor der Bundeslade, die durchziehen sollte. Ebenso hielt die Erbsünde das Weiterströmen ihrer Fluten auf aus Ehrfurcht und Furcht vor der Gegenwart des wahrhaftigen Tabernakels des ewigen Bundes." Das ist katholisches Sprechen über die Gottesmutter! Wir können nun weiter wandern durch das Herren- und das Marienjahr, immer werden wir auf erlesene, erhabene und zugleich innige Worte und Gesänge stoßen wie auf das 6. Responsorium der weihnachtlichen Matutin: „Heilige und makellose Jungfräulichkeit, mit welchen Lobgesängen ich Dich preisen soll, ich weiß es nicht, denn den, welchen die Himmel nicht fassen konnten, hieltest Du in Deinem Schoß umfangen." Klingen hier nicht theologische Einsicht, staunende Verehrung und poetische Meisterschaft zu einem Hymnus zusammen, wie er dem Mysterium der jungfräulichen Gottesmutter angemessen ist? Gleiches gilt von den Aussagen unserer Liturgie über die Mater dolorosa. Sie richtet unseren Blick immer wieder auf sie, weil durch die Mutter sichergestellt wird, daß Er, der da Sein Leben für uns hingibt, tatsächlich der menschgewordene Sohn Gottes ist, den uns die Jungfrau geboren hat. Maria bürgt hier gleichsam für die Echtheit und Wirksamkeit unserer Erlösung. Zugleich erkennen wir in ihr, wie der reinste und heiligste Mensch in tiefstem Mitleiden am Erlösungsopfer beteiligt ist. Die Sequenz „Stabat Mater" des Jacophone da Todi und besonders die erschütternden Responsorien der Karmetten gewähren uns in geisterfüllten Worten Einsicht in das seelische Erleben der Mutter und lassen uns so noch intensiver in die Passion des Sohnes einbezogen werden: „Dunkel sind meine Augen geworden von meinem Weinen, denn fortgegangen ist von mir, der mein Tröster war. O ihr alle, die ihr des Weges zieht, schaut, ob ein Schmerz ist gleich dem meinen." (Karfreitagsmatutin, 9. Responsorium) Ähnliches gilt dann selbstverständlich auch für den strahlenden Osterjubel, für die „Gaude et laetare, Virgo Maria" - Rufe, die wir unausgesetzt bis zum Ende der Pfingstoktav anstimmen. Und wenn wir im hohen Sommer das Fest der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel feiern, dann schauen wir in ihr die Vollendung, für die wir selbst bestimmt sind. So betet die Kirche in der Festoration: „Allmächtiger, ewiger Gott, der Du die unbefleckte Jungfrau Maria, die Mutter Deines Sohnes, mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen hast: Gewähre, wir bitten Dich, daß wir, immerdar auf das Himmlische bedacht, ihrer Herrlichkeit teilhaft sein mögen." Das große Zeichen, das da am Himmel erscheint, mit der Sonne bekleidet und den Mond zu ihren Füßen, um das Haupt eine Krone von zwölf Sternen (vgl. Introitus, Apk. 12,1), ist zugleich das Zeichen für die Heiligung des gesamten Kosmos. In dieser Erscheinung Mariens leuchtet das auf, was esoterisch angehauchte Mystizisten zu einer mythischen Urmutter und irregeführte Feministen zu einem weiblichen Bild der Gottheit machen wollen. Tatsächlich aber ist es ein Bild der vollendeten Schöpfung, deren Wiederherstellung mit der Empfängnis des Gottessohnes im jungfräulichen Schoß Mariens ihren Anfang nahm. Der Jesuitenpater Alfred Delp steht nicht gerade im Ruf, ein Schwärmer gewesen zu sein. Und schon gar nicht dürfte er in seiner Haft vor der Hinrichtung durch die nationalsozialistischen Schergen zu enthusiastisch-überspannten religiösen Ergüssen geneigt gewesen sein. Damals schrieb er nieder: „Daß Gott einer Mutter Sohn werde, daß eine Frau über die Erde gehen durfte, deren Schoß geweiht war zum heiligen Tempel und Tabernakel Gottes, das ist eigentlich die Vollendung der Erde und die Erfüllung ihrer Erwartungen." Weil die Schöpfung Gott gegenüber weiblich-empfangend ist, hat sie tatsächlich in der reinsten Jungfrau ihre Exponentin und in deren wunderbarer Mutterschaft das Urbild ihrer Vollendung. Und Rudolf Graber, der Theologe und spätere Regensburger Bischof, kann mit Recht sagen: „In Maria ist das All in seine seinsmäßige Stellung des Empfangenden und damit des Weiblichen zurückgekehrt; nun kann die geheimnisvolle Vermählung von Himmel und Erde, von Gott und Geschöpf stattfinden, deren gebenedeite Frucht der Sohn des Allerhöchsten und zugleich der Mariens ist, Gottessohn und Menschensohn zugleich." Das wußte die Christenheit, wußten ihre Liturgien schon lange vor solchen Äußerungen. Unendlich vieles noch wäre über die theologische, liturgische und geistlich-weisheitliche Überlieferung von Maria auszuführen. Es ist uns jetzt nicht vergönnt. Ein jeder begebe sich selbst auf die Reise des Gebetes und der Betrachtung, auf der unser immer neue Entdeckungen warten. Und wenn das auch die Gelehrten und Lehrer, die Theologen und Verkündiger verstärkt tun, dann bestehen wirkliche Aussichten darauf, daß wir in der katholischen Kirche neben der strengen wissenschaftlichen Forschung auch wieder eine - um eine glückliche Formulierung des derzeitigen Wiener Erzbischofs, Christoph Kardinal Schönborn, aufzugreifen: - „Theologie des Herzens" haben werden, in deren Mitte sich Maria als das „Herz der Theologie" befindet; eine Theologie, die sich aus den allererlesensten Quellen, aus der Schrift, den Vätern und Heiligen sowie der Liturgie speist und ebenso aus dem Gebet hervorgeht wie schlußendlich in es mündet. Nur eine solche Theologie kann die Schreckgespenster, die gegenwärtig durch das Heiligtum huschen, verscheuchen, die Blasphemien vertreiben, die Kälte erstarrter Wissenschaft überwinden, die Banalitäten und zeitgeistbeflissenen Peinlichkeiten unnötig machen und den Blick wieder freigeben auf das bedrohte Allerheiligste und das Bild der Sternenjungfrau. Diese keineswegs subversive Hoffnung besingt in einem eindrucksvollen Gedicht der russische Konvertit, Religionsphilosoph und Dichter Wladimir Solowjew. Er hatte im Jahr 1898 den Brand einer Kapelle und die wunderbare Errettung ihres Muttergottesbildes miterlebt. Im Anschluß daran schrieb er folgendes Gedicht, und damit will ich denn auch schließen: Nur eines, stets nur eines! Ob auch des Tempels Hallen Wir waren furchterfüllt zum Heiligtum geflohen, Doch das verheiß'ne Mal des ew'gen Testamentes [1] Wer war Michael Buchberger? Michael Buchberger (1874-1961) wurde 1928 Bischof von Regensburg. Er gab die erste Auflage des zehnbändigen Lexikons für Theologie und Kirche heraus und erhielt 1953 das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland. Über ihn berichtet Thorsten Paprotny: „Erzbischof Buchberger brachte seine engagiert plaudernden Mitbrüder damals zum Verstummen, als er kurz und bestimmt sagte, wovon auf dem Konzil die Rede sein sollte: ‚Von Gott!‘ Wenn wir, hier und heute, nicht zu Gott aufbrechen und uns Ihm zuwenden, dann können wir uns auch alles andere gleich sparen: jeden Diskurs, jeden Dialog, jeden synodalen Weg“ (aus: Die Frage nach Gott). Coach, nicht Vorzimmerdame Meine Predigt zum 20. Sonntag nach Pfingsten
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