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Graf Leo Thun

Von Ludwig von Hammerstein

Graf Thun [Leopold Graf von Thun und Hohenstein] war geboren [am 7. April] im Jahre 1811 auf Tetschen in Böhmen, dem Stammschloß des böhmischen Zweiges der Familie. Nicht viel jünger als seine ältern Brüder, an geistiger Begabung ihnen überlegen, erhielt er seinen Unterricht gemeinsam mit ihnen im elterlichen Hause. Im Jahre 1826 bestanden die drei jungen Grafen die Prüfung für die „Grammatikal- und Humanitätsklassen“, im Jahre 1827 jene über die beiden philosophischen Jahrgänge. Jetzt wäre der Besuch einer Universität am Platz gewesen; ein solcher war aber gegen die Absichten seines Vaters, da dieser wünschte, daß seine Söhne unabhängig durchs Leben gingen, also keine Anstellung im Staatsdienste suchten. Die Vorstellungen der Mutter und des Erziehers Rohrweck bestimmten jedoch den Vater, die Söhne zum Studium der Jurisprudenz an die Prager Universität zu senden. Dort studierten sie also während der Jahre 1827 – 1831. Leos allseitiges Interesse trieb ihn, neben der Jurisprudenz auch mit Ästhetik, Musik, Geologie und Botanik sich zu beschäftigen.

Auf diese „Lehrjahre“ folgten die „Wanderjahre“ von 1831 – 1835. Die jungen Grafen besuchten Oxford, Paris und Dresden. Interessante Bekanntschaften wurden geknüpft. Leo faßte schon damals die sozialen Fragen ins Auge, insbesondere die Verbesserung des Gefängniswesens. Er schrieb: „Ich habe nicht die Prätension, durch die Gelegenheiten, welche die Reise uns bietet, gleich zu einer praktischen Tüchtigkeit und Einfluß zu gelangen, wozu ich nicht vorbereitet bin. Alles was ich wünsche und erstrebe, ist sehen zu lernen in praktischen Dingen, in Allem, was zum öffentlichen Leben gehört; zu verstehen, welchen Einfluß gewisse Tatsachen, gewisse Institutionen und Gesetze auf das soziale Leben ausüben; zu erkennen, was man wird studieren und sich aneignen müssen nach der Rückkehr in die Heimat.“

Eine Frucht dieser Studien war seine 1836 veröffentlichte Schrift: „Die Notwendigkeit der moralischen Reform der Gefängnisse mit Hinweisung auf die zur Einführung derselben in einigen Ländern getroffenen Maßregeln beleuchtet.“ Sebastian Jenull, damals die erste Autorität auf diesem Gebiet in Österreich, rühmte an dieser Schrift „die ruhige, männliche Sprache, die lichtvolle Zusammenstellung der Systeme, die scharfsinnige Prüfung ihres Wertes, sowie die mit aller Klugheit, Vorsicht und Maßnehmung gemachten Vorschläge zur Aufnahme des Besseren.“

Nach Prag zurückgekehrt, verwertete Graf Thun auch praktisch die gemachten Erfahrungen. Durch seine Bemühungen erstand im Jahre 1839 der „Verein zum Wohle entlassener Züchtlinge“ und 1841 eine „Anstalt zur Erziehung verwahrloster Kinder“.

Ehe wir weiter den Wegen des großen Staatsmannes folgen, wollen wir ein Bild seiner Persönlichkeit uns entwerfen. Wir laufen nicht Gefahr, dasselbe zu seinen Gunsten parteiisch zu gestalten, wenn wir es der Feder eines liberalen Publizisten entnehmen. Dr. [Salomon] Frankfurter schildert uns in der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ den Grafen wie folgt: „Begabt mit reichem Talent, von frühester Jugend an bestrebt, seinen Wissenskreis zu erweitern, an seiner Selbstbildung rastlos arbeitend, sich nur im Höchsten Genüge tuend und von ernstestem Pflichtgefühl beseelt, ward er ein Mann von hohem Flug der Gedanken, universellen Kenntnissen, erstaunlicher Gelehrsamkeit und wissenschaftlicher Durchbildung. Mit allen Zweigen des Staatslebens innig vertraut und von einer seltenen Beherrschung aller praktischen Hilfsmittel der Politik, brachte er seiner Aufgabe vollste Hingebung und klarstes Verständnis entgegen. Energisches Wollen und zielbewußtes Handeln, das bei kleinlicher Bedenklichkeit nicht Halt machte, zeichneten ihn ebenso aus, wie die hohe Idealität des Denkens und Empfindens, und was daher an ihm bewundert wurde, das war die ganze geistige Potenz des Mannes. Zwar ermangelte er der schöpferischen Originalität, und er gab sich daher willig dem Einfluß größerer Geister hin, aber er drückte allem, was er tat und wofür er stritt, den geistigen Stempel seines eigenen Wesens auf. Hatte er aber einen Gedanken gefaßt, so war er auch der Mann, ihn durchzuführen und ohne Rücksicht auf Beifall oder Widerspruch, auf Erfolg oder Mißerfolg dabei zu beharren: stets ließ er sich dabei von sachlichen Motiven leiten, ohne persönlichen Raum zu geben. In religiöser Hinsicht Katholik von strengster Überzeugung und der Kirche treu ergeben, hatte er doch die größte Hochachtung vor der Wissenschaft und scheute sich nicht, gegen publizistische Angriffe aus dem eigenen Lager es auszusprechen, daß wissenschaftliche Arbeit dem Staate und der Religion nicht gefährlich sei: daß, wer an Christentum glaube, auch die siegreiche Macht der christlichen Wahrheit glauben dürfe und daß etwaige Ausschreitungen durch die Wissenschaft selbst ihre Heilung finden....

Dem innern Menschen Thun entsprach auch sein Äußeres. «Eine hohe, fast reckenhaft kräftige Gestalt, ein männlich schöner Kopf mit einem ernsten und doch eines Zuges von Wohlwollen nicht entbehrenden Antlitz, ein Organ von wohlklingender Tiefe, all' das verbunden mit den einfachsten und doch edelsten Formen,» so schildert Leopold von Hasner, der spätere Unterrichtsminister und Schöpfer des Reichsvolksschulgesetzes, der nachmals sein größter politischer Gegner ward, aber stets mit ihm in achtungsvoller Freundschaft verbunden blieb, noch in hohen Jahren den entschieden günstigen Eindruck, den der «merkwürdige Mann» auf ihn machte, als er das erste Mal ihm entgegen trat. Und von dem Zauber, der von Thun ausging, spricht Eduard Hanslick mit bewundernden Worten: «Mit dem ernsten, dunklen Blick harmonierte die ernste dunkle Stimme, ein Baß von seltener Tiefe, aber weichem Wohllaut. Gerade aus diesen Augen und dieser Stimme, deren düsterer Ernst so Viele abschreckte, quoll eine faszinierende Macht. Ich hätte Leo Thun immer ansehen, seiner Stimme immer lauschen mögen.»” (Dr. S. Frankfurter, Graf Leo Thun-Hohenstein. Biographische Skizze. Sonderabdruck aus der Allg. Deutschen Biographie, Leipzig, Duncker 1895, S. 37-40).

Seit 1836 bekleidete Thun verschiedene Posten in der österreichischen Justiz und Verwaltung. Sein Gerechtigkeitssinn drängte ihn, der unterdrückten böhmischen Nationalität ihr Recht zu verschaffen. Ein Beispiel dieser seiner Denkungsart ist folgende Äußerung in einem Aufsatze aus dem Jahre 1838. „Kindern, die keine andere Sprache können, werde der Unterricht ausschließlich böhmisch erteilt; sollen sie deutsch lernen, so geschehe es mittelst der böhmischen Sprache; man sorge für Lehrer, die ihrer Muttersprache vollständig mächtig sind.“ Im illyrischen Departement der Vereinigten Hofkanzlei zu Wien angestellt, suchte er alsbald die betreffende Landessprache zu erlernen. Am 22. Juli 1846 ernannte man ihn „im Vertrauen auf seinen bisher bewiesenen Diensteifer und auf seine Geschäftsgewandtheit“ zum Regierungssekretär und Hilfsarbeiter des Grafen [Franz Seraph von] Stadion in Galizien; alsbald bemühte sich Thun, die polnische und die ruthenische Sprache zu erlernen. Später ward er wieder an die Hofkanzlei zu Wien berufen. Am 14. Oktober 1847 vermählte er sich mit Karoline Gräfin Clam-Martinitz.

Es kam das Revolutionsjahr 1848. Am 17. April dieses Jahres ward Graf Thun zum Gubernialpräsidenten in Prag ernannt. Den Titel eines Statthalters von Böhmen führte Erzherzog Franz Joseph; die Bürde dieses Amtes lastete auf den Schultern des Grafen Thun. Was ein solcher Posten gegenüber den aufgeregten Revolutionsmassen des Jahres 1848 bedeutete, lässt sich ermessen. Ein Deutscher berichtete über den Grafen: „Das ist der Mann, an welchem sich die Störenfriede die Zähne ausbeißen werden.“

Am 12. Juni begann die offene Revolution. Thun eilte zur Altstadt, wo schon Barrikaden errichtet waren. Studenten erkannten ihn, traten ihm mit gefälltem Bajonett entgegen und führten ihn als Gefangenen in die Universität, um Zugeständnisse zu erpressen. Thun erklärte, als Unfreier sei er nicht Chef der Regierung und könne keine Zugeständnisse machen. Man drohte, ihn aufzuhängen, falls nicht das Militär zurückgezogen würde. Fürst [Alfred Candidus Ferdinand] Windischgrätz, der kommandierende General, erklärte: wenn dem Grafen Thun ein Leids geschähe, werde er das Haus umzingeln und alle dort befindlichen Aufständischen über die Klinge springen lassen. Die Revolutionsmänner wandten sich auch an die Gräfin Thun, daß sie ihren Gemahl zur Nachgiebigkeit stimme. Sie aber erwiderte: „Wenn ich auch so gewissenlos sein könnte, meinen Mann von seiner Pflicht abwendig machen zu wollen, er würde gewiß nie anders als nach seinem Gewissen und nach seiner Überzeugung handeln.“ Endlich hielten es die Revolutionäre für geraten, ihren Gefangenen frei zu lassen; doch bat man diesen, sich nicht zu rächen. Thun entgegnete: „Ich räche mich niemals.“ Den vereinigten Anstrengungen des Fürsten Windischgrätz und des Grafen Thun gelang es endlich, die Revolution niederzuwerfen.

Am 28. Juli 1849 ward Thun zum Minister für Kultus und Unterricht im österreichischen Kaiserstaat ernannt. Was er als solcher wirkte, schildert uns wiederum, obgleich einer durchaus andern Geistesrichtung angehörend, Dr. Frankfurter. Er schreibt: „Um das volle Verständnis für den ungeheueren Fortschritt, den vornehmlich das höhere Unterrichtswesen und das geistige Leben in Österreich durch die «Aera Thun» gewonnen, zu ermöglichen, müssen wir wenigstens mit einigen Worten des kläglichen Zustandes gedenken, in dem sich das Bildungswesen in der ganzen vormärzlichen Zeit befand. Das Volksschulwesen hatte sich über die durch die große Kaiserin Maria Theresia durchgeführte Reform nicht nur nicht weiterentwickelt, sondern war eher weit zurückgegangen, die Lehrerbildung und Lehrerstellung lagen vollends im Argen. Das Gymnasium hatte die Organisation des alten Jesuitengymnasiums beibehalten und hielt mit seinen Leistungen dem Vergleich mit diesem durchaus nicht Stand. Es lehrte wohl viel Latein, zielte aber jedoch nur auf die Erlangung einer gewissen Sprachfertigkeit ab, damit die Schüler den in lateinischer Sprache an der Universität gehaltenen Vorträgen folgen könnten, verzichtete aber ganz darauf, durch die Lektüre in den Geist auch nur eines Autors oder einer Periode der Literatur einzuführen. Im Griechischen begnügte man sich mit dem Lehren einer trostlosen Grammatik und dem Lesen einer akzentlosen Chrestomathie (dt. das Erlernen von Nützlichem). Unterricht in deutscher Sprache und Literatur gab es nicht, trotzdem Österreich von dem literarischen Aufschwung durchaus nicht unberührt blieb und die Geister sich mächtig regten. Geschichte und Geographie, Naturwissenschaften und Teile der Mathematik wurden meist oberflächlich behandelt und eine Prüfung aus Naturgeschichte und Weltgeschichte wurde nur von den Konviktisten, Stipendisten und den vom Schulgelde Befreiten verlangt; seit 1819 blieben die Naturwissenschaften, trotz der großen Fortschritte, auf diesem Gebiete und der dadurch bedingten Erweiterung des Gesichtskreises, von den Gymnasien vollkommen ausgeschlossen.“

Derart waren die Gymnasien und ähnlich die Universitäten seit Beginn der josephinischen Verknöcherung und der Aufhebung der Jesuitenschulen nicht bloß nicht vorangeschritten mit der Zeit, sondern wesentlich zurückgegangen. Graf Thun tat vieles, um sie zu neuer Blüte zu entfalten. Die großartigste Tat aus der Zeit seiner Amtsführung war jedoch das österreichische Konkordat vom 18. August 1855. Von ihm sagt er, daß „die Überzeugung von der Gerechtigkeit, welche durch das Konkordat der katholischen Kirche gegenüber geübt worden ist, es stets zu den stolzesten und freudigsten Erinnerungen seines politschen Lebens mache, zu dieser Maßregel mitgewirkt zu haben.“ Durch das Konkordat ward die „freiheittötende“ josephinische Staats-Omnipotenz gebrochen; die Kirche erhielt ihre Freiheit zurück, und so ward „die Bahn für die freiere Entfaltung auch auf anderem Gebiete geebnet“. „Die große prinzipielle Bedeutung des Konkordates“ bestand nach dem Ausspruche Thuns darin, „daß in einer Zeit materialistischer Bestrebungen in Österreich die sittliche Idee wieder in den Vordergrund gestellt und ein feierliches Zeugnis für die ewige heilige Grundlage des Rechtes abgegeben werde am Vorabende einer Zeit, in der eben diese Grundlage mehr als je aus den öffentlichen Verhandlungen zu verschwinden schien.“

Indes Österreich war für das Konkordat noch nicht reif. Zu tief hatte das Gift des Josephinismus in die Beamtenkreise und teilweise sogar in den Klerus sich eingefressen, zu sehr hatte der flache Liberalismus das Verständnis für Christentum und Kirche zerstört, zu tief war man in geistige Abhängigkeit von einer jüdischen Presse geraten, als daß man in Österreich dauernd dem großartigen geistigen Impulse eines Thun gefolgt wäre. Thun ward am 20. Oktober 1860 durch kaiserliches Handschreiben seiner Stellung enthoben. Doch ward er gleichzeitig zum ständigen Reichsrat ernannt und „in Anerkennung seiner vorzüglichen Dienste“ mit dem Großkreuz des Leopold-Ordens geziert.

Nicht lange nach der Entfernung Thuns begann in der inneren Politik Österreichs wiederum eine Lossagung von den christlichen Grundsätzen: eine Auflehnung gegen die von Christus gesetzte Autorität des Heiligen Stuhles, ein Bruch des feierlich eingegangenen Konkordates. Freilich nannte man diesen Vertragsbruch euphemistisch einen Rücktritt von dem Vertrage; aber trotz dieses Euphemismus war es und blieb es ein Vertragsbruch und eine widerrechtliche Auflehnung gegen die heiligste, von Christus selbst gesetzte Autorität.

Welche Stellung Thun diesem Konkordatssturm gegenüber einnehmen sollte, war bei seinem Rechtssinn und seiner Charakterfestigkeit nicht zweifelhaft. Mit derselben Unerschrockenheit, mit welcher er zu Prag der Revolution gegenüber eingetreten war für die Rechte seines Kaisers und der weltlichen Gewalt, vertrat er jetzt die Rechte des Statthalters Jesu Christi und die kirchliche, von Gott gewollte Rechtsordnung. Thun erhob seine Stimme als Mitglied des Herrenhauses. Der 19., 20. und 21. März 1868 waren besonders die Tage des Kampfes. So wenig, wie einst die Drohung der Prager Studenten, konnten ihn jetzt die Gemeinheiten der Liberalen einschüchtern. Wolfsgruber, der Biograph des Kardinals Rauscher, zeichnet uns das liberale Treiben, indem er berichtet, „daß während dieser Debatte die Redner von den Juden und gesinnungslosen Christen, welche die Galerien füllten, je nach dem Parteistandpunkte in der rohesten Weise ausgezischt, verhöhnt und beklatscht wurden; nicht einmal die als Gäste anwesenden Mitglieder des Abgeordnetenhauses wahrten den Anstand und die Sitte. Der Hof des Sitzungsgebäudes und die Korridore bis hin zur Türe des Beratungssaales waren vom Volke besetzt, welches seit Mittag aus den Vorstädten herbeigeströmt war. Sowie die Väter aus dem Sitzungslokale kamen, wurden ihre Namen durch die offenen Fenster in den Hof hinab bekanntgegeben, und dementsprechend die Pairs mit Verwünschungen oder frenetischem Beifall empfangen“.

Die gute Sache unterlag auch diesmal, wie so oft in der Weltgeschichte. Der seichte Liberalismus hatte gesiegt, das Konkordat fiel. Graf Thun sah die schönste Frucht seines Wirkens zertrümmert.

Doch den Mut verlor er nicht. Gleich am folgenden Tage hielt er eine zündende Rede in der Generalversammlung der St. Michaels-Bruderschaft. Er verherrlichte in derselben die Charakterfestigkeit eines Pius IX. Der Charakterfestigkeit, so meinte er, bedürfe es jetzt, und diese werde durch das Christentum geschaffen; denn, so fährt er fort: „Große Charaktere, gleichviel, ob in Hütten oder Palästen, können sich nur entwickeln auf der Grundlage fester Überzeugungen und im Streben nach hohen idealen Zielen. Wessen Gewissen von nagenden Zweifeln gequält ist, oder wer den Glauben an absolute Wahrheit ganz oder gar verloren hat, wessen Verstand sich immer nur mit Kritik befaßt und niemals zu dem Resultate unumstößlicher positiver Überzeugung gelangt, oder wessen Streben nur auf die naheliegenden, von Tag zu Tag wechselnden Zwecke des irdischen Lebens gerichtet ist, die ihn nötigen, aus Rücksichten der Opportunität den Mantel dahin zu drehen, von wo eben der Wind bläst, bei dem kann von Entwicklung eines festen Charakters keine Rede sein. Das Christentum ist es, welches den Menschen mit unerschütterlichen Überzeugungen ausrüstet und ihm erhabene Ziele vor die Seele stellt, und das Muster eines aus solchen Grundlagen hervorgewachsenen Charakters, dieses Vorbild, dessen unsere schwächliche Zeit so sehr bedurfte, dieses Vorbild auf einer so erhabenen Stelle, daß es von ihr aus leuchtet über den Erdkreis, ist uns Pius IX. geworden.“

So fand der große Staatsmann seinen Trost und seinen Frieden im engen Anschluß an die Religion und die katholische Kirche. Pius IX. wußte ihm seine Anerkennung zu zollen, und Leo XIII. nannte ihn einen vero campione. Er selbst aber zog sich mehr ins Privatleben zurück; denn nachdem der österreichische Kaiserstaat die katholischen Prinzipien verlassen, gab es im Staatsdienst für einen Thun kaum noch einen Platz. Doch war er noch schriftstellerisch tätig. Großes Gewicht legte er auf die Presse; auch wirkte er durch seine Reden auf Katholikentagen und in den Versammlungen der Michaelsbruderschaft, besonders gegen die konfessionslose Schule, diesen Krebsschaden Österreichs.

Die Sinnesart des edlen Mannes, wie sie besonders in den spätern Jahren hervortrat, möge uns abermals jene Feder aus dem gegnerischen Lager schildern. „Der Ernst“ schreibt Dr. Frankfurter, „und die Zurückhaltung seines Wesens ließen die Einfachheit und Liebenswürdigkeit im intimen Umgang noch wohltätiger erscheinen; ohne Eitelkeit und Leidenschaftlichkeit, wie ohne Menschenfurcht, physisch und moralisch von seltener Unerschrockenheit, war er voll zarter Aufmerksamkeit für die Seinen und für seine Umgebung. Ein großer Kinder- und Jugendfreund, war er für diese sehr anziehend und wurde von Neffen und Nichten kindlich geliebt und verehrt. Wo es galt, der Jugend eine Freude zu bereiten, da war er voll Leben und Interesse dabei. Für Naturgenuß außerordentlich empfänglich, liebte er besonders die Alpenländer: in der Zeit angestrengtester Arbeit, insbesondere während seiner Ministerschaft, waren die Fahrt in's Gebirge oder Fußtouren, oft von mehreren Wochen, seine liebste Erholung. Eine große Vorliebe hatte er für Land und Leute in Tirol, dem «Juwel in der Krone Österreichs». Aber auch größere Reisen schufen Abwechslung: zu seinen freudigsten und genußreichsten Erinnerungen gehörte ein Winter in Italien und ein Besuch von Rom (1869) ...

Nach mehreren in Reichenhall, Salzburg, Gmundener- und Atter-See verlebten Sommern verbrachte er später die Sommermonate in Tetschen, wo er eine am Waldesrand über der Elbe schön gelegene Villa bewohnte. Er hing mit Liebe an der alten Heimat, der Stätte seiner sonnigen Jugend, an dem schönen Land, vor Allem dem herrlichen Walde, der den schon alternden Mann in langen Spaziergängen und auf der Jagd, der er mit Lust nachging, erfrischte und stärkte, und noch in den letzten Jahren fand er im Wald stundenlang ruhend Stärkung der schwindenden Kräfte. In der dortigen Gegend war er von Jedermann geliebt und verehrt. Die tiefe Religiosität des Mannes vertiefte und verklärte sich gleichsam bei dem Greise, dessen Seele sich mehr und mehr den ewigen Dingen zuwandte. Die Anspruchslosigkeit seines Wesens war dabei so auffallend und wohltuend, daß es Jedem, er mochte seinen Anschauungen und Gesinnungen noch so fern stehen, geradezu Ehrfurcht einflößte. Das zeigte sich in ebenso erhebender wie überraschender Weise nach seinem am 17. Dezember 1888 erfolgten Tode. Mit seltener Einmütigkeit feierten die Blätter aller Richtungen die überragende Bedeutung der Persönlichkeit, die Verdienste des Unterrichtsministers und den verehrungswürdigen Charakter Thuns. Er war bis in sein höchstes Alter rastlos tätig, aber er hatte sich überarbeitet; auf die Vorstellungen des Arztes, sich zu schonen, hatte er stets nur die Entgegnung: «So lange ich kann, ist es Pflicht, zu arbeiten», und er tat es, bis er in wenigen Tagen einem Krankheitsanfall erlag – er war vollständig entkräftet.“

Der Wunsch des Verstorbenen ging dahin, einfach und außerhalb der Gruft bei Tetschen im Freien begraben zu werden. Seine Ehe war kinderlos geblieben. So erfüllte sein Neffe, Graf Franz Thun, Statthalter von Böhmen, die Pflichten des Sohnes und ließ den Entschlafenen begraben, wie dieser es gewünscht hatte, außerhalb der Kapelle, inmitten der Bäume des Waldes. Kaiser Franz Joseph hatte dem großen Staatsmanne früher das goldene Vließ verliehen; auch erschien er persönlich bei der Einsegnung seiner Leiche im Stephansdome zu Wien. Der Präsident des Herrenhauses aber, dessen Mitglied Thun war, widmete ihm in seiner Gedenkrede den folgenden Nachruf:

„Die schönsten und edelsten Eigenschaften des Geistes und Herzens zeichneten den Grafen Leo Thun aus. Erfüllt vom wärmsten Patriotismus, war sein Leben seinem Vaterland und Allem, was er als edel erkannte, gewidmet. Und wenn im parlamentarischen Leben eine jede mit voller Kraft der Überzeugung vertretene Ansicht Gegner findet, so wird dem Grafen Leo Thun gegenüber gewiß auch der Gegner erkannt haben, wie sehr in ihm das edelste Gefühl der Pflicht, für das einzustehen, was er als heilsam und gut erkannt, der Beweggrund seines Denkens, seines Handelns und Wirkens war. Unmöglich kann ich hier unerwähnt lassen sein seltenes Rednertalent, durch welches er zum Ruhme und zur Zierde des Hauses beitrug, und mit welchem er sich immer auszeichnete und bewährte als tiefdenkender Staatsmann, ein Mann von Edelsinn, charakterfester Überzeugung und bis in sein innerstes Wesen durchdrungen von einem warmen Gefühl für Religion und Moral, für alles Gute, Edle und Schöne.“

Aus: Ludwig von Hammerstein SJ, Charakterbilder aus dem Leben der Kirche, Band 1, Trier 1897, S. 22-31


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