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Ludwig Windthorst

Von Ludwig von Hammerstein

Vor 200 Jahren, am 17. Januar 1812, wurde Ludwig Windthorst geboren. Aus diesem Grund veröffentlichen wir das Portrait, das Ludwig von Hammerstein im zweiten Band seiner Charakterbilder aus dem Leben der Kirche (Trier 1900, S. 431 - 454) von ihm gezeichnet hat.

Indem der Verfasser diese Blätter dem Andenken Windthorsts darbringt, möchte er hierdurch eine Pflicht der Pietät erfüllen gegen einen Mann, der ihm vor vielen Jahren ein väterlicher Freund und treuer Ratgeber war.

Windthorst wurde geboren am 17. Januar 1812 zu Osterkappeln bei Osnabrück auf dem Gute Kaldenhof, welches sein Vater als Rentmeister der Familie von Droste-Vischering verwaltete. Zur Ausbildung übergaben die Eltern den Knaben, als er heranwuchs, dem Pfarrer von Falkenhagen bei Pyrmont, einem Bruder des Vaters. Im Herbst 1822 bezog Windthorst dess Karolinum in Osnabrück, die älteste, im Jahre 773 von Karl dem Großen gegründete höhere Schule Deutschlands. Reiche Mittel standen dem Knaben nicht zu Gebote. Eine alte Frau, die als Magd damals in jenem Hause gedient hatte, in welchem derselbe als Gymnasiast wohnte, erzählte einst dem Schreiber dieser Zeilen, Windthorst habe bei Mondlicht gearbeitet, um Öl zu sparen.

Im Sommer 1830 verließ Windthorst nach glänzend überstandener Reifeprüfung Osnabrück und studierte Jurisprudenz an den Universitäten Göttingen und Heidelberg. Nachdem er im Jahre 1836 das Staatsexamen mit Auszeichnung bestanden, ließ er sich zu Osnabrück als Rechtsanwalt nieder. Die Osnabrücker Ritterschaft erwählte ihn zu ihrem Syndikus; er wurde auch Assessor des Pupillenkollegiums bei der Justizkanzlei zu Osnabrück; im Jahre 1842 ernannte ihn der König [Ernst August I. von Hannover] zum vorsitzenden Rat des katholischen Konsistoriums daselbst, und im Jahre 1848 wurde er als Oberappellationsrat nach Celle an den höchsten Gerichtshof des Königreichs berufen.

Um diese Zeit begann auch die politische Tätigkeit unseres Juristen. Im Januar 1849 ward er in die zweite Kammer der Hannoverschen Ständeversammlung und im Jahre 1851 zum Präsidenten derselben gewählt. Am 22. November 1851 trat Windthorst als Justizminister ein in das Ministerium von Schele [Nach dem Tod König Ernsts August I. am 18. November 1851 starb, wurde Eduard von Schele zu Schelenburg unter Georg V. Ministerpräsident]. Er war der erste katholische Minister im protestantischen Hannover, und wie praktisch er seinen Katholizismus betätigte, geht daraus hervor, dass er bemüht war, die ihm unterstellten katholischen Beamten in Orte zu versetzen, an welchen sie ihre religiösen Pflichten erfüllen konnten. Im Jahre 1853 trat er aus dem Ministerium zurück, übernahm aber Ende 1857 abermals das Portefeuille des Justizministeriums. Wir übergehen die weitere Tätigkeit Windthorsts im Königreich Hannover, wollen es aber nicht unterlassen, das Urteil von Medings, eines mit den Hannoverschen Verhältnissen gut bekannten Schriftstellers, hierherzusetzen; von Meding schreibt: “Mir imponierte der hochgebildete, geistvolle und liebenswürdige Mann in hohem Grade; er selbst warnte mich, ihn in Rücksicht auf meine Karriere nicht öffentlich zu besuchen, und auch von Seiten des Grafen Borries [Wilhelm von Borries war Innenminister von Hannover, als Windthorst Justizminister war. Borries gehörte zur Adels-, Windthorst zur bürgerlichen Partei] wurde mir dann bald der Wink zuteil, mich vor dem gefährlichen Einfluss Windthorsts in Acht zu nehmen. Ich glaubte, diesen Wink jedoch nicht befolgen zu sollen, und setzte den angenehmen und lehrreichen Verkehr fort, so oft Windthorst in Hannover anwesend war. Lange Jahre und unter den wechselnden Verhältnissen habe ich mit ihm in freundlichen persönlichen Beziehungen gestanden, und wenn wir auch politische nicht immer übereinstimmten, so änderte das doch nichts in den angenehmen Formen unseres Verkehrs. Windthorst, der bald schon eine hervorragendere Rolle spielen sollte, war ein Mann von ebenso fein durchdringendem als weitblickendem Geist; wie alle Männer von großer Fähigkeit und Kraft, strebte er wohl nach Macht und Einfluss, war aber von kleinlichem Ehrgeiz fern. Er war ein scharfer, rücksichtslos mit offenen und verdeckten Mitteln kämpfender, politischer Gegner; aber solange ich ihn gekannt, habe ich nie gesehen, dass er politische Gegnerschaften auf die Personen übertrug. Er hat, auch wenn er die Macht dazu besaß, niemals politischen Gegneern wehe getan, niemals sich an denen gerächt, die ihm Böses zugefügt, wohl aber war er stets bereit, zu helfen und Dienste zu erweisen, ohne zu berechnen, ob er Dank oder Nutzen davon haben würde; und viele seiner politischen Gegner müßten ihm für opferbereite persönliche Dienste Dank wissen, wenn die Dankbarkeit überhaupt im drängenden Treiben des menschlichen Lebens Platz fände.”

Soweit von Meding. - Wiederholt verkehrte auch der Verfasser mit Windthorst, nachdem dieser das erste Mal den Posten eines Justizministers bekleidet. Der Eindruck, welchen man erhielt, war der eines Mannes, der nach vollendeter rühmlicher Laufbahn nunmehr auf seinen Lorbeeren ruhte. Windthorst hatte ja durch seine Fähigkeiten aus einer unbedeutenden Lebenssteallung sich emporgeschwungen zu einem Posten, welcher bis dahin nur Protestanten und fast nur Mitgliedern aus aristokratischen Familien offen stand, er, ein praktischer und überzeugungstreuer Katholik! Schwerlich hätte damals jemand vermutet, dass die eigentliche welthistorische Tätigkeit Windthorsts erst ein Jahrzehnt später beginnen sollte. Sie begann mit der Annexion seines engeren Vaterlandes, Hannover [durch Preußen am 1. Oktober 1866]; sie begann, als im Jahre 1866 das katholische Österreich und im Jahre 1870 das katholische Frankreich von Preußen niedergeworfen war, und als nunmehr Fürst Bismarck die katholische Kirche des eigenen Landes niederzuwerfen und in die eisernen Fesseln des omnipotenten liberalen Staates zu schlagen sich unterfing.

Angesehene Protestanten erklärten damals, gegenüber den Machtmitteln eines Bismarck, welcher die beiden katholischen Großmächte Österreich und Frankreich überwältigt, müsse die äußerer Mittel beraubte, katholische Kirche Preußens zweifellos unterliegen; wenn die Kirche diesen Kampf übersteht, so äußerte ein hochstehender Protestant, dann werde auch ich katholisch. Sie überstand ihn, und dass sie ihn überstand, war zum großen Teil das Verdienst unseres Windthorsts und des von ihm mit so großer Umsicht geleiteten Centrums, dieses “unüberwindlichen Turmes”, wie der eiserne Reichskanzler es nannte.

Bald nach der Annexion Hannvoers begegnete einst in Münster der bekannte Führer der Altliberalen, Georg von Vincke, einem ehemaligen Parlamentarier. Der letztere erkundigte sich nach den neueren Berliner Verhältnissen und den neuen Persönlichkeiten in den dortigen Parlamenten; von Vincke erklärte: “Wissen Sie auch, wer die drei gescheitesten Leute bei uns sind? Das sind drei annektierte Hannoveraner: der eine ist Bennigsen, der ist sehr gescheit; der zweite ist Miquel, der ist noch gescheiter als der erste; der dritte aber ist - Windthorst, und der ist noch gescheiter als die beidenandern zusammen.”

Andere Hannoveraner hatte sich nach der Annexion ihres Vaterlandes grollend vom politischen Leben zurückgezogen. Windthorst tadelte sie. Er verglich sie mit einem Menschen, welcher die Eisenbahn für eine Erfindung des Teufels hält und dem vorüberbrausenden Bahnzug jedesmal entgegenruft: “Ich protestiere!” “Ich für meine Person”, sprach er, “stelle mich nicht protestierend zur Seite, sondern ich besteige die Lokomotive und versuche, sie zu lenken, wohin ich will.” So ließ er sich dann nach der Annexion Hannovers in den Norddeutschen Reichstag und in das preußische Abgeordnetenhaus wählen.

Nachdem also Frankreich im Jahre 1870 besiegt und das katholische Bayern in Abhängigkeit von Preußen geraten war, meinte, so scheint es, Fürst Bismarck, keine Schranke mehr achten zu brauchen, wenn er die bis dahin freie katholische Kirche in Banden schlüge oder gar für das Gebiet des Deutschen Reiches vernichtete und eine vom Statthalter Christi losgerissene deutsche Nationalkirche an ihre Stelle setze. Das sollte durch den “Kulturkampf” geschehen.

Welches war denn das innerste Wesen dieses Kulturkampfes? Es war der Kampf des ungläubigen, modernen Liberalismus gegen das Christentum, insbesondere gegen die katholische Kirche und den christlichen Staat. Nach christlicher Auffassung ist sowohl die Kirche wie der Staat vn Gott angeordnet. Jede der beiden Gewalten hat ihr eigenes Gebiet; insbesondere ist die Kirche als eine absolut unabhängige Gewalt von Gott hingestellt. Sogar der protestantische preußische Jurist [Ludwig] von Könne [1804 - 1891] erklärt: “Die Kirche ist vom Staat nach Gegenstand, Zweck und Wirksamkeit verschieden, und deshalb betrachtet die gemeinsame Ordnung aller christlichen Völker Staat und Kirche als zweierlei, wesentlich selbständige Gemeinschaften ... Noch die Römer sahen das jus sacrum als einen Bestandteil des jus publicum an. Erst das Christentum hat dahin geführt, die Kirche, als die religiöse Gemeinschaft des Menschen, dem Staate, als der politischen Gemeinschaft, selbständig zur Seite zu stellen” (v. Rönne, Das Staatsrecht der preußischen Monarchie. Leipzig 1882, Bd. II, S. 370).

Ein Staat, welcher christlich sein will, muß daher diese Selbständigkeit der Kirche anerkennen. Das tat die preußische Verfassung vom 31. Januar 1850. Sie erklärte im Artikel 15: “Die evangelische und römisch-katholische Kirche, sowie jede andere Religionsgesellschaft, ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig und bleibt im Genuss der für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds.”

Diese christliche Auffassung des öffentlichen Rechtes, unter deren Herrschaft sich Preußen zu einer nie geahnten Höhe und Machtstellung erhoben, war den leitenden Staatsmännern Preußens und Deutschlands jetzt ein Dorn im Auge. Sie sollte der Lehre Hegels vom omnipotenten Staate Platz machen. Der Staat, Hegels “präsenter Gott”, sollte die Quelle alles Rechtes sein, so dass innerhalb seines geographischen Umfangs kein Recht existierte, welches nicht vom Staate sich ableitete und seiner Willkür unterworfen wäre.

Durch die Geltendmachung dieser Grundsätze begannen die Männer des Umsturzes einen Kampf auf Leben und Tod gegen die katholische Kirche. Wir sagen: gegen die katholische Kirche und das innerse Wesen derselben. Denn die volle Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Kirche gegenüber der weltlichen Macht ist ein wesentlicher Teil des katholischen Dogmas. Wohl kann die Kirche den Staat gewisse, dem kirchlichen Gebiete angehörigen Rechte, ausüben lassen, z.B. ein Vorschlagsrecht bei Besetzung kirchlicher Pfründen. Wie aber kann dies anders geschehen, als dass die Kirche stets im Vollbesitze der von Christus ihr für alle Zeiten hinterlassenen Rechte und Pflichten verbleibt, so dass jene Verleihungen nur den Charakter von Privilegien tragen, welche die Kirche dem Staate erteilt. Wohl kann auch die Kirche mit dem Staat eine Grenzregulierung vereinbaren. Nie aber kann sie dulden, dass der Staat eine solche Grenzregulierung einseitig vornimmt; noch weniger, dass er sie der Art vornimmt, wie dies im Kulturkampf geschah, indem der Staat die Kirche aus ihrem eigenen Gebiete vertrieb und sich an ihre Stelle setzte. Das hätte die Kirche zur Magd, zur Sklavin des Staates erniedrigt. In eine solche Selbsterniedrigung, in einen solchen Selbstmord konnte die freie Braut Jesu Christi niemals einwilligen.

Es begann also der Kampf. Es war ein Kampf mit ungleichen Waffen. Auf der einen Seite stand der eiserne Reichskanzler, welcher über alle Machtmittel ds mächtigsten Staates der Erde gebot. In den Parlamenten stand ihm eine willfährige Majorität zur Verfügung, in der Presse eine Unzahl kampfbereiter Federn. Waren doch die Professoren an den Universitäten schon längst vom Staate, also von prostestantischen Ministern ausgewählt und angestellt! War doch auch sonst Vieles geschehen, um die Katholiken künstlich in eine geistiger Inferiorität hinabzudrücken. Hofkanonisten wie [Richard] Dove, [Emil] Friedberg und [Paul] Hinschius bemühten sich, in Artikeln und eigenen Schriften die Berechtigung des Staates zu den Maßregeln des Kulturkampfes darzutun.

Auf der anderen Seite stand das gute Recht, stand die Glaubenstreue der katholischen Bevölkerung und ihrer Priester, stand aber auch die hohe geistige Befähigung ihrer politischen Führer, insbesondere unseres Windthorsts.

Eine der großen Szenen in den Kulturkampf-Debatten war jenes berühmte Rede-Duell zwischen Bismarck und Windthorst, welchem am 30. Januar 1872 im preußischen Abgeordneten-Hause begann. Windthorst war als Abgeordneter für Meppen erwählt. Er hatte sich anfangs keiner Fraktion angeschlossen, sondern stand für sich allein. Bei seiner hohen Bedeutung jedoch betrachtete man ihn scherzweise als eine eigene Fraktion und nannte ihn den “Fraktion Meppen”. Sein Anschluss an das Zentrum konnte allerdings nur eine Frage der Zeit sein. Fürst Bismarck erkannte, wie bedenklich für ihn dieser Anschluss werden könne. In langer Rede suchte er Windthorst herabzuziehen und zu verdächtigen. Er machte ihm einen Vorwurf aus der treuen Anhänglichkeit an sein angestammtes Königshaus. Er bemühte sich, darzutun, dass das Zentrum durch seine angebliche Mobilmachung den Kampf zwischen Kirche und Staat begonnen hätte.

Windthorst wies die Angriffe des Reichskanzlers siegreich zurück. Er zeigte, wie der Kulturkampf von den Vertretern des Staates begonnen sei, und wie das Zentrum nur zur Abwehr dieser Angriffe sich gebildet habe. Auf seine eigene Person übergehend, erklärte Windthorst:

“Der geehrte Herr [Fürst Bismarck nämlich] fragt mich, ob ich noch die Anhänglichkeit an die hannover’sche Königsfamilie bewahre, welche ich gezeigt habe bei den Verhandlungen, die ich mit ihm zu führen die Ehre hatte. Ich antworte dem Herrn Ministerpräsidenten, dass diese Anhänglichkeit von und ganz fortdauert (Bravo! im Zentrum); sie wird fortdauern bis in mein Grab, und nichts in der Welt, auch nicht der gewaltige Minister Deutschlands, wird mich darin irre machen. (Bravo! im Zentrum).
Aber, meine Herren, ich bin eingedenk des Satzes der heiligen Schrift: ‘Du sollst untertan sein der Obrigkeit, die Gewalt über dich hat’, und in Befolgung dieser Vorschrift der heiligen Schrift glaube ich meine Untertanenpflicht nach bestem Wissen und Gewissen bisher geübt zu haben. Ich stehe - das habe ich wiederholt gesagt - voll und ganz auf dem Boden der Verfassung, ich interpretiere die Verfassung wie jeder andere Untertan der Krone, und wenn ich hier im Hause bin und mich an den Verhandlungen beteilige, mehr, als der Herr Ministerpräsident es zu wünschen scheint, so tue ich das in Erfüllung meiner Pflicht, die mir von meinen Wählern auferlegt ist, und in deren Erfüllung kein Minister, den Abgeordneten in irgend einer Weise zu beeintächtigen, das Recht hat.”

Fürst Bismarck hatte sich auch an das Zentrum gewandt, dass es Windthorst von sich abstoßen möge. Hierauf antwortete am 10. Februar 1872 von [Hermann von] Mallinckrodt [1821 - 1874], der damalige Führer des Zentrums, indem er u.a. hervorhob:

“Der Herr Ministerpräsident hat dann den Abgeordneten von Meppen mit Wallenstein verglichen, der im Handumdrehen sich eine Armee geschaffen, und hat eine Reihe von Klagepunkten daran gehangen, um endlich zu dem Rate zu kommen: Machen Sie sich los von diesem Element! Er hat uns den Frieden geboten unter der Bedingung der Losmachung von diesem Elemente. Nun, meine Herren, dabei sind zwei beteiligt: zunächst der Abgeordnete von Meppen - dessen Anwalt brauche ich nicht zu sein, der hat sich gestern geäußert - dann aber das Zentrum selbst, und in dessen Namen spreche ich.
Meine Herren, wir wünschen den Frieden so aufrichtig wie jemand; wenn man uns aber den Frieden bietet unter der Bedingung, dass wir ein einziges Mitglied, auch nur einen unserer Kampfgenossen preisgeben und ausliefern, das halten wir für eine Beleidigung (Beifall rechts und im Zentrum) und eine solche Proposition, die weisen wir ohne alles Bedenken sofort und entschieden ab! (Bravo! rechts und im Zentrum) Die Versuchung, meine Herren, ist nicht stark genug, damit wir ihr unterliegen.
Wir sind stolz darauf, in unserer Mitte ein so hervorragendes Mitglied zu haben, wie den Abgeordneten von Meppen (Bravo!); meine Herren, man hat eine Perle annektiert, und wir haben die Perle in die richtige Fassung gebracht. (Sehr gut! im Zentrum. Große, anhaltende Heiterkeit.) Und glauben Sie nicht, dass dieser unser Geschmack so vereinzelt sei im Lande! Lassen Sie sich versichert sein, dass es wenige Namen gibt, die in weiten Kreisen des Landes, auch der altpreußischen Provinzen, so populär sind, wie der Name des Abgeordneten von Meppen!” (Sehr wahr! im Zentrum. Bewegung.)

Am 12. Februar 1872, nachdem die vorstehenden Debatten beendigt, veranstaltete das Zentrum zu Ehren Windthorsts ein Festessen, an welchem auch konservative Abgeordnete sich beteiligten. Aus allen Gegenden des Landes sandte das katholische Volk Erklärungen der Anerkennung und Zustimmung für das Zentrum und die Führer desselben.

Auch in jovialer Weise wurden jene Vorgänge damals gefeiert, indem ein lateinisches Gedicht durch die Zeitungen ging, welches einem bekannten Studentenlied nachgebildet war. Es begann mit den Worten: “Vivat Centrum candidum!” Es klang aus in der Strophe:

“Vivat ter Windthorstius,
Margarita annexa,
Anima praenobilis,
Non arundo mobilis,
Minis nunquam flexa.”

Die Debatten, welche zu obigem Rede-Duell den Anlaß gaben, betrafen das Schulaufsichts-Gesetz. Die Aufsicht über die Schulen sollte den Geistlichen entzogen und in weltliche Hände gelegt werden. Die Rede, welche Windthorst am 8. Februar gegen diese Neuerung hielt, begann mit folgenden Worten: “Meine Herren, die Tage, in welchen wir leben, sind von der äußersten Wichtigkeit. Dieselben bezeichnen einen Wendepunkt in der inneren Entwicklung Preußens und Deutschlands, wie er einschneidender und verhängnisvoller zu keiner Zeit stattgefunden hat. Die deutschen Staaten beruhten bis jetzt wesentlich auf dem monarchisch-christlichen Prinzip. Auf diesem Prinzip stehend, sind die deutschen Staaten allen Stürmen gewachsen gewesen, die im Innern und von außen über Deutschland gekommen sind (Unruhe links); auf diesem Prinzip stehend, ist Deutschland in diesem Augenblick zu einer Macht entfaltet, welche die ganze übrige Welt nicht gewachsen ist.”

Indes was halfen jetzt alle Gründe, was halfen die klarsten Darlegungen des guten Rechtes der Kirche! Der eiserne Kanzler wollte die katholische Kirche knechten und zur Selbstvergiftung zwingen. Es stand ihm hierfür, wie gesagt, eine willfährige Majorität zu Verfügung, gebildet aus Nationalliberalen, aus sogenannten Konservativen und sonstigen Protestanten. Die Katholiken wurden niedergestimmt.

Artikel 15 der preußischen Verfassung, welcher der Kirche ihre Selbständigkeit verbürgte, erhielt den Zusatz: sie “bleibt aber den Staatsgesetzen und der gesetzlich geordneten Aufsicht des Staates unterworfen”. Das hieß mit anderen Worten: die Kirche ist unabhängig, aber sie ist nicht unabhängig. Da man diesen Widerspruch erkannte, sah man sich bald genötigt, den ganzen Artikel aufzuheben. Nun war freie Bahn geschaffen für die verderblichsten kirchenfeindlichen Gesetze. Der katholische Klerus sollte auf deutschen Universitäten, also von den Professoren des Staates, herangebildet werden. Es wäre hierdurch, wenn die Kirche sich dem gefügt hätte, ermöglicht worden, dass die Seelsorger ihr geistiges Gepräge im Sinne des Unglaubens und des Liberalismus erhielten. Hätte dennoch einer oder der andere während einer solchen Heranbildung seinen katholischen Glauben bewahrt, so konnte er von jeder einflußreichen Stellung in der Kirche ferngehalten werden; dafür sorgten die Bestimmungen über die Anstellung der Geistlichen. Wäre ein Geistlicher auch durch diese Schranke hindurchgelangt und wollte er den Geboten Gottes und der Kirche, und wollte er seinem Gewissen mehr folgen, als den der Rechtskraft entbehrenden, sogenannten Gesetzen des Staates, so konnte er seines Amtes entsetzt werden. Es ist bekannt, wie die weltliche Macht sich herausnahm, sogar Bischöfe abzusetzen und weltliche Beamte die Stelle derselben einnehmen zu lassen. Sogar der Papst wurde in gewissem Sinne für Preußen abgesetzt, indem § 1 des Gesetzes vom 12. Mai 1873 bestimmte: “Die kirchliche Disziplinargewalt über Kirchendiener darf nur von deutschen kirchlichen Behörden ausgeübt werden.”

Besonders entlud sich der Zorn und die Intoleranz des Liberalismus gegen die religiösen Orden der katholischen Kirche. Es wurde vielen derselben ihre Wirksamkeit und somit ihre berufsmäßige Existenz in ihrem Vaterlande unmöglich gemacht. Die krankenpflegenden Orden, welche man einigermaßen verschonte, wurden unter die drückendsten staatlichen Ausnahmebestimmungen gestellt.

Sie entfaltete sich eine klugberechnete Verfolgung der katholischen Kirche. Die katholischen Priester, welche fast ausnahmslos ihrer Pflicht treu blieben, wurden vielfach gehetzt wie scheues Wild. Viele derselben mußten in die Verbannung und in den Kerker wandern. Manche opferten hierbei Gesundheit und Leben. Sogar Bischöfe wurden gefangen gesetzt und wie gemeine Verbrecher behandelt. Zahlreiche Gemeinden wurden ihrer Seelsorger beraubt, und Sterbende mußten des Trostes der heiligen Sakramente entbehren. Sollte eine Leiche zur Erde bestattet werden, und war die Pfarrei verwaist, so brachte man wohl die Leiche an die Grenze der Nachbar-Pfarrei, damit der dortige Pfarrer über die Grenze hinaus seinen Segen spende. Hätte er dies innerhalb jener Pfarrei getan, so wäre er nämlich vom Staat gestraft worden.

Unsägliches Elend kam in dieser Weise über die blühendsten Gegenden Deutschlands. Im Auslang aber litten die verbriebenen Ordensleute, namentlich die Ordensfrauen, oft bittere Not. Man hatte ihnen ja vielfach die Einnahme-Quellen verstopft, wohl gar ihr Ordensvermögen zurückbehalten.

Doch all dies Elend brachte die Katholiken Deutschlands, insbesondere Preußens, ebensowenig zur Verleugnung ihres Glaubens, wie einst die Christen der ersten Jahrhunderte durch die Verfolgungen der römischen Machthaber sich zur Untreue gegen ihren Gott verleiten ließen. Allerdings wurden die Gemüter der Katholiken bis ins tiefste Innere empört. Es wäre nur allzunatürlich gewesen, der Gewalt mit Gewalt zu begegnen. Ein Bürgerkrieg, ein Religionskrieg würde alsdann Deutschland verheert haben. Dass dies nicht geschah, war zum großen Teil der klugen Mäßigung der Zentrumsführer zu verdanken und der treuen Folgsamkeit, welche das katholische Volk Deutschlands denselben leistete.

Als man zu Berlin erkannte, dass die bisherigen Maßregeln an der Glaubenstreue der Katholiken abprallten, schritt man zu einem äußersten Mittel. Durch Gesetz vom 22. April 1875, dem sog. Brotkorb-Gesetz, versagte man den katholischen Geistlichen die Auszahlung ihres Gehaltes, obgleich diese Zahlung auf einem Vertrag mit der Kirche beruhte, und obgleich dieselbe nur eine ganz geringe Entschädigung bildete für die vom Staate der Kirche entzogenen Besitzungen. Durch den Hunger wollte man die katholischen Priester gefügig machen. Doch man irrte sich. Die Priester litten eher die äußerste Entbehrung, als dass sie ihr Gewissen verletzt hätten. Die katholischen Gemeinden sorgten freiwillig für den Unterhalt ihrer Seelsorger. Und wo wegen Armut ihre Mittel nicht ausreichten, halfen sogar Spenden der katholischen Engländer die Not lindern.

Den Vergewaltigungen des alten katholischen Glaubens durch die nichtkatholische weltliche Macht und die protestantische Majorität traten schon am 26. Mai 1873 die preußischen Bischöfe entgegen mit einer Kollektiv-Eingabe an das Staatsministerium, in welcher sie erklärten: “Wir sind nicht im Stande, zum Vollzuge der am 15. d. M. publizierten Gesetze mitzuwirken. Diese Gesetze verletzen die Rechte und Freiheiten, welche der Kirche Gottes nach göttlicher Anordnung zustehen ... Die Kirche kann das Prinzip des heidnischen Staates, dass die Staatsgesetze die letzte Quelle des Rechtes seien und die Kirche nur die Rechte besitze, welche die Gesetzgebung und die Verfassung des Staates ihr verleiht, nicht anerkennen, ohne die Gottheit Christi und die Göttlichkeit seiner Lehre und Stiftung zu leugnen, ohne das Christentum selbst von der Willkür der Menschen abhängig zu machen ... Auch denjenigen einzelnen Bestimmungen der gedachten Gesetze, welche von der Kirche an verschiedenen Staaten kraft eines Übereinkommens derselben mit dem apostolischen Stuhle zugestanden sind, vermögen wir aus diesem Grunde nicht Folge zu geben; sonst würden wir die Kompetenz des Staates, über kirchliche Dinge einseitig zu verfügen, anerkennen.”

Gerade ein Jahr nach dieser Erklärung, am 26. Mai 1874, starb Hermann von Mallinckrodt, der bisherige Hauptführer des Zentrums. Windthorst ward sein Nachfolger und war von da an der Führer des Zentrums und der Zentrums-Partei im Abgeordnetenhause, im Reichstage und in ganz Deutschland. Dank seiner umsichtigen Leitung und dank der treuen Heeresfolge des katholischen Volkes wuchs das Zentrum zu einer Macht heran, welchein der ganzen zivilisierten Welt Bewunderung erregte. Schon bei den Wahlen von 1870 und 1871 wählten die vorwiegend katholischen Landesteile fast ausschließlich Abgeordnete streng kirchlicher Richtung. Unwillig klagte damals die Augsburger “Allgemeine Zeitung”, dass der “blühendste, aufgeklärteste, heiterste, regsamste Teil Deutschlands, Rheinland und Westfalen, vierzig ultramontane Abgeordnete in die Landesvertretung geschickt habe. “Am 4. April 1879 konnte die “Germania” schreiben: “Das Centrum ist die ausschlaggebende Partei geworden.”

Die Devise Windthorsts, und mit ihm die des Zentrums, war: “Für Wahrheit, Recht und Freiheit.” Mit kluger Umsicht warnte der Zentrumsführer die katholische Bevölkerung vor jedem aktiven Widerstand. Derselbe hätte uns Katholiken zum Verderben gereicht; denn die physische Macht stand unsern Gegnerns in reichstem Maße zu Gebote. Die Zähigkeit eines passiven Widerstandes dagegen sollte uns zu unserem guten Recht verhelfen. Die Reden in den Parlamenten gaben die schönste Gelegenheit, dieses Recht wiederholt klar zu stellen und mittelst der Zeitungen diese Klarstellung über ganz Deutschland zu verbreiten. Zugleich wurden die Redner des Zentrums, und besonders auch Windthorst, zu Aposteln des katholischen Glaubens. Denn die Umstände nötigten häufig, diesen Glauben vor aller Welt darzulegen. So wurden die Katholiken belehrt und manche Vorurteile bei den Protestanten beseitigt. Ein Beispiel derartiger Klarstellung hinsichtlich der damals so viel besprochenen Frage von der päpstlichen Unfehlbarkeit bot u. a. eine Äußerung Windthorsts im preußischen Abgeordnetenhaus vom 11. Dezember 1880: Windthorst erklärte:

“Jeder Katholik hat an die Unfehlbarkeit des Lehramts in der Kirche geglaubt und kannte das Organ, wodurch dieses unfehlbare Lehramt sprach, die Konzilien. Das Vatikanische Konzil ist berufen worden, es hat getagt, es hat ausgesprochen, was jeder von uns weiß; da war es eine notwendige Konsequenz, dass diesem Ausspruch der Glaube beigemessen und die Unterwerfung zu gewendet wurde, die der unfehlbare Ausspruch des Konzils verlangt.”

Zur besseren Charakterisierung Windthorsts mögen folgende Worte seines Biographen (J. N. Knopp) hier ihren Platz finden: “Zum Parteiführer war Windthorst wie geschaffen. Schon am 1. Februar 1874 hatte die Fraktion das fünfundzwanzigjährige Jubiläum seiner parlamentarischen Tätigkeit feiern können. Das geltende Verfassungsrecht und die parlamentarische Geschäftsordnung kannte er wie kaum ein Zweiter; er hatte dieselben gründlich studiert; denn wie er schon im Jahre 1866 aussprach, erwartete er, dass die Prinzipien und die großen Fragen der Zeit auf märkischem Sande ausgefochten würden. Seine hervorragende juristische und staatsmännische Begabung war allgemein anerkannt, nicht minder sein bewunderungswürdiges Geschick, die jedesmalige politische und parlamentarische Lage, auch wenn sie noch so verwickelt war, klar zu erkennen und sofort mit allen Mitteln einer vollendete parlamentarischen Taktik auszunutzen. Dazu kam seine persönliche Liebenswürdigkeit im Umgang mit Hoch und Niedrig und mit Menschen der verschiedensten Geistesrichtung, ferner die Bereitwilligkeit, auch den Anschauungen Anderer gerecht zu werden, und gegebenen Falls seine Ansicht der besser begründeten seiner Fraktionsgenossen unterzuordnen. Gerade dadurch hat er, wie die ‘Vossische Zeitung’ hervorhob, sowohl den Schein der Tyrannei, der Herrschsucht und Unduldsamkeit vermieden, als auch der Außenwelt gegenüber die Geschlossenheit der Partei und mithin ihre parlamentarische Macht erwiesen. ‘Er trat als Sieger auf und war nicht selten innerlich der Besiegte.’ Deshalb durfte er auch manchmal an die Fraktion die Aufforderung richten, ihm zu folgen, trotzdem die Wege, die er wandelte, nicht klar erkennbar waren. Die Fraktion folgte auch dann vertrauensvoll seiner Führung, und fast immer hat es sich schließlich herausgestellt, dass er, wenn auch auf verschlungenen Pfaden, sie doch zu dem von allen erstrebten Ziele hinführte.

Getreu seinem Wahlspruch: ‘Gleiches Recht und gleicher Rechtsschutz für alle’, ist er für das gefährdete Recht überall aufs Entschiedenste eingetreten, ohne Unterschied der Person und der Partei, des politischen und des religiösen Bekenntnisses; dem verdankt Windthorst seine große Beliebtheit und sein hohes Ansehen, deren er sich nicht nur bei den Katholiken, sondern schließlich auch bein den Mitgliedern aller politischen Parteien und aller religiösen Bekenntnisse zu erfreuen hatte. Wie groß das parlamentarische Ansehen und der Einfluß Windthorsts nicht nur innerhalb seiner Fraktion, sondern bei allen Parteien gewesen ist, konnte man wieder bei der Marinedebatte im Frühjahr dieses Jahres [1898] erkennen. Auf allen Seiten des Reichstages, von Bebel bis Bennigsen, berief man sich für seine Ansicht und zur Begründung seiner Abstimmung auf Windthorst. Was wollte Windthorst anno 1867, was im Jahre 1887? Welche Stellung würde Windthorst jetzt in der Flottenfrage einnehmen, darum drehte sich bei Freund und Gegner der Vorlage vielfach die Debatte. Ein Reichsbote meinte, es müßten ihm im Himmel gründlich die Ohren geklungen haben, so oft wurde sein Name in jenen heißen Tagen des März genannt; aber wer immer ihn nannte, tat es mit der Hochachtung, die einem großen Toten gebührt.”

Ein hervorragendes Mitglied des Zentrums zeichnet uns die Erscheinung Windthorsts im Parlament wie folgt: “Wenn man ihn so an seinem Platze stehen sah, die rechte Hand in der Weste, den Kopf niedergebeugt, sollte man glauben, er nehme an den Erörterungen kaum Anteil. Nur hier und da verrieht ein Zug in seinem Gesicht oder eine treffende Zwischenbemerkung, dass er bei der Sache war. Und wie war er bei der Sache! Nichts entging ihm; sein fabelhaftes Gedächtnis ermöglichte ihm, eine sechsstündige Verhandlung in allen Einzelheiten festzuhalten und dann am Schluss in schlagferiger, überlegener Politik mit allen Vorrednern abzurechnen, obwohl er niemals auch nur eine Zeile schriftlich fixierte. In dieser Beziehung war Windthorst ganz ohne Gleichen. Wie es scheint, hatte in Folge seiner Augenschwäche sein Gehör und sein Gedächtnis zu einer Schärfe sich entwickelt, welche immer wieder das Staunen seiner Zuhörer hervorriefen.”

Die Einigkeit der deutschen Katholiken und die umsichtige Führung eines Windthorsts brachen endlich den Widerstand auch der mächtigsten Gegner. Im Anfang des Kulturkampfes hatte Bismarck erklärt: “Nach Canossa gehen wir nicht!” Er hatte gemeint, die Grenzregulierung zwischen Kirche und Staat einseitig durch den omnipotenten Staat vornehmen zu können. Eine Vereinbarung mit der Kirche als einer gleichberechtigten Macht würde ihm als ein Gang nach Canossa erschienen sein. Und einige Jahre später?! Fürst Bismarck war genötigt, sich and den Heiligen Stuhl zu wenden, um zum Frieden zu gelangen. Die so eingeleiteten Verhandlungen führten, wie bekannt, einigermaßen zum Ziel.

Was mit dem Statthalter Christi in kirchlichen Dingen vereinbart war, das mußte selbstverständlich das Zentrum und den Führern desselben als unverbrüchliches Gesetz gelten. Deshalb erklärte Windthorst schon am 11. Dezemb er 1878 im Abgeordnetenhaus: “Die erste Erklärung, die ich abgebe und für welche ich die Zustimmung nicht allein meiner hier anwesenden Fraktionsgenossen, sondern der sämtlichen wahrhaften Katholiken des Landes habe (Unruhe links), ist die: Wenn zwischen der Staatsregierung und der Kurie eine Verständigung erzielt ist, so werden wir diese Verständigung mit einem wahren Tedeum begrüßen. (Bravo! im Zentrum.) Ungedingt und ganz werden wir uns den betreffenden Abmachungen unterwerfen, selbst dann, wenn wir glauben könnten, es wären der Konzessionen an den Staat um des lieben Friedens willen zu viele gemacht. (Bravo! im Zentrum.) Was dann unsere Haltung in politischen Fragen betrifft, so werden wir in dieser Hinsicht nach Maßgabe unserer innersten festen Überzeugung verfahren; im Voraus zu erklären, wie wir in jedem einzelnen Falle stimmen werden, wäre vermessen, weil uns ja die Fragen nicht vorliegen. So viel müßte doch aber jedem vernünftigen Menschen einleuchten, dass, wenn die unglückseligen Kämpfe auf dem kirchenpolitischen Gebiete beseitigt wären, und wir die Gefühle zu einer gewissen Ruhe hätten zurückführen können, wenn wir einsähen, dass die Staatsgewalt Wohlwollen auch die katholischen Untertanen hagt, dass wir dann da, wo ein Zweifel sein könnte, welche Haltung wir zu beobachten hätten, gern geneigt sein würden, mehr als es sonst die Neigung mit sich brächte, auf Seite der Regierung zu stehen. (Sehr gut! im Zentrum, Lachen links.) Aber, meine Herren, bei den Prinzipienfragen, bei den Fragen freiheitlicher Staatsentwicklung werden Sie uns immer auf Seite derer sehen, welche diese Prinzipien vertreten, oder richtiger - denn ich sehedolche Vertreter nicht mehr (Heiterkeit) - wir werden fortfahren, die Fahnen bürgerlicher Freiheit auch dann hoch in den Lüften flattern zu lassen, wenn wir einsam und allein sie tragen müssen. (Heiterkeit.) Auf die Dauer würden wir ganz gewiß auch diesen Kampf siegreich durchfechten.” (Lebhaftes Bravo im Zentrum.)

Die größte Schwierigkeit, in welche das Zentrum und ihr großer Führer jemals gerieten, war wohl im Jahre 1887 die bekannte Frage vom Septennat. Die preußische Politik hatte versucht, auf einem Umwege über Rom das Zentrum hinsichtlich der Militärforderungen auf ihre Seite zu bringen. Wohl hatte sie gehofft, entweder dieses ihr Ziel zu erreichen oder das Zentzrum uneins zu machen in sich selbst und mit dem Heiligen Stuhle. Man hatte eine Note des Kardinals Jacobini [Lodovico Kardinal Jacobini, 1832 bis 28. Februar 1887; seit 1879 Kardinal, seit 1880 Staatsekretär der päpstlichen Kurie] veröffentlicht in einem für Windthorst möglichst ungünstigen Moment. Windhorst bekam sie zu Gesicht am 5. Februar 1887, als er gerade den Schnellzug Hannover-Köln bestieg, um in Köln vor einer großen Zentrums-Versammlung zu sprechen. Das Blatt, in welchem die Note stand, erhielt Windthorst von einem Zeitungsverkäufer im Bahnhof.

Windhorsts Lage war überaus schwierig. Auf der Fahrt nach Köln entwarf er einen Kriegsplan. Die Rede, welche er andern Tags, am 6. Februar 1887, vor Tausenden von Menschen in den weiten Räumen des Kölner Gürzenich hielt, war vielleicht das größte Meisterstück, welches er jemals geliefert. Zunächst zeigte er, dass der Papst die Fortdauer des Zentrums und sogar das Verbleiben der bisherigen Mitglieder in demselben durchaus wünsche. Übergehend dann zu den Plänen der Bismarck'schen, auf Vernichtung des Zentrums hinzielenden Politik, schloß er wie folgt:

“Meine Herren! Ich glaube, die Spekulation, das Zentrum zu vernichten, wird man unserseits zunichte machen, und es wird ein Zentrum geben, wenn wir, die jetzt drin sind, längst in den Gräbern liegen. Nach dem, was ich heute sehe und höre, gebe ich mich der Zuversicht hin, dass wir intakt aus diesem Höllenkampfe hervorgehen werden. Sollte das aber wider Erwarten nicht geschehen, dann, meine Herren, setzen Sie der Zentrumsfraktion einen Stein zum Andenken, und schreiben Sie darauf:

‘Von den Feinden nie besiegt,
Aber von den Freunden verlassen.’

(Stürmische Zurufe: Niemals! Niemals!)

Also, meine Herren, von den Freunden nicht verlassen (Rufe: Nein! Nein!) Mit dieser Zuversicht scheide ich von Ihnen. Ich danke für die freundliche Aufnahme, die Sie mir gewährt haben; bewahren Sie mir ein gutes Andenken, ich will es auch tun. Und so schwierig die Verhältnisse sind, wenn wir treu sind uns selbst und der Sache, die wir vertreten, dann wird auch Gott mit uns sein. Denn was wir vorzugsweise erstreben, das ist Gottes Sache. Und nun zum Schlusse, meine Herren, möchte ich Sie bitten, dass Sie mir erlauben, den Gefühlen der Loyalität Ausdruck zu geben, die jetzt mehr als sonst notwendig ist, und diese Gefühle gipfeln in den Gedanken an Se. Heiligkeit Papst Leo XIII. und Se. Majestät unsern Kaiser Wilhelm! Ich fordere Sie auf, ein dreifach donnerndes Hoch auszubringen auf Se. Heiligkeit Papst Leo XIII. und Se. Majestät Kaiser Wilhelm!”
(Die Versammlung stimmt begeistert ein.)

“Hatte Windthorst”, so schreibt sein Biograph, “während des Kampfes in den siebenziger Jahren schon eine überaus schwierige Stellung, so wurde ihm diese Stellung noch schwieriger gemacht, als die Unterhandlungen zur Anbahnung des Friedens begannen. Da mußte er nach allen Seiten hin die größte Rücksicht nehmen, nicht nur in den kirchenpolitischen, sondern auch in den reinpolitischen Fragen. Schließlich, als die Entscheidung nahte, als es galt, den Frieden zu schließen, den er im Verein mit seinen treuen Kampfgenossen in sechzehn Jahren unverdrossener und unermüdlicher Arbeit mit allen Mitteln parlamentarischer Beredsamkeit und Taktik herbeiführte, wurde die Leitung der Dinge aus seiner Hand genommen. Es war ein harter Schlag. Windthorst hat ihn verwunden; er erkannte die Notwendigkeit; aber es hat ihm doch wohlgetan, dass zweimal hohe Abgesandte des Papstes bei ihm erschienen, um beruhigende Erklärungen abzugeben.

Gerade über diese Periode der parlamentarischen Tätigkeit Windthorsts ist reiches Aktenmaterial vorhanden. Wenn die Zeit zur Veröffentlichung einmal gekommen ist, dann wird man noch mehr als jetzt erkennen, ein wie großer Geist und ein wie demüthiger und überzeugungstreuer Katholik der große Parlamentarier gewesen ist.”

Die Septennats-Wirren von 1887 hatten die uns Katholiken so feindlichen Kartellparteien ans Ruder gebracht. Windthorst aber erklärte: “Lassen Sie diesen Kartell-Reichstag nur machen, es wird nicht lange dauern, dann aber kommt für uns die Ernte. Gebe Gott nur, dass ich das noch erlebe; dann wird es möglich sein, den Katholiken die Rechtsgleichheit mit den Protestanten zu verschaffen und den status quo ante wiederherzustellen, und dann will ich gerne sterben, dann ist mein Tagewerk gethan.”

Dass Windthorst mit dem Zentrum den Sieg über die Kartellparteien errang, hing großenteils davon ab, dass seine Partei fest im Volke und bei den Wählern begründet war. Dies zu erreichen, dienten besonders die Katholiken-Versammlungen, welche er die Herbst-Manöver der Katholiken nannte, und denen er seit 1880 stets beiwohnte. Aus persönlicher Anschauung beschreibt uns sein Biograph das Auftreten Windthorsts auf der Katholiken-Versammlung vom August 1890 zu Koblenz, der letzten, auf welcher der große Zentrumsführer zugegen war. Der Biograph, so schreibt dieser selbst, “war in Ausübung seiner Berichterstatterpflicht Zeuge der begeisterten Ovationen für die ‘Perle von Meppen’ und hatte Gelegenheit, mit Muße die kleine Excellenz zu beobachten. Mit einem schwarzen Käppchen auf dem blankpolierten kahlen Kopfe, dem eine mächtige Denkerstirn das bezeichnende Gepräge verlieh, saß Windthorst in allen öffentlichen Versammlungen von Anfang bis zum Schlusse am Präsidententische, umschwärmt, begrüßt, befragt von seinen Freunden, Verehrern und seiner Partei. Das feine, meist milde, oft auch sarkastische Lächeln um den breiten Mund, saß er während der Reden unbeweglich da, ganz in sich versunken. Nur das wechselnde Zucken um die Lippen verriet, dass er kein Wort verlor und das Gehörte sofort verarbeitete. In der letzten öffentlichen Versammlung hielt Windthorst die Schlußrede. Dies war sein Vorrecht seit Jahren, und es war auch immer der Wunsch siener Partei. Windthorst zog da nicht allein das Facit der ganzen Versammlung, nein, der ganzen politischen Lage. Ganz Deutschland schaute auf diese bedeutungsvolle Rede. Hier wurden Pläne enthüllt, Programme gezeichnet, die Fahne zu neuem Kampfe entrollt. Unbeschreiblicher Jubel umbrauste den äußerlich so gebrechlich erscheinenden, aber in Herz und Geist frischen Parteiführer, wenn er zu dieser Rede auf die Tribüne sich geleiten ließ. Wie aus Erz gegossen, stand er da, bis der Jubel sich gelegt und stillste Ruhe über die vieltausendköpfige Menge sich gebreitet. Nun hob Windthorst, der neunundsiebenzigjährige Greis, an und zeichnete die politische Lage, die Erfolge der Vergangenheit, die Aussichten in der Zukunft, die Pflichten der Katholiken mit einer Beredsamkeit, die sich fühlen, aber nicht schildern läßt. Jedes Wort der zwei Stunden langen Rede drang deutlich bis in den letzten Winkel des weiten Raumes, ein Beweis, dass der alte Windthorst noch lebte, wie er selbst gern zu bemerken pflegte. Als Windthorst damals zum Ende kam, da zitterte seine Stimme. In tiefer Bewegung sprach er mit bebenden Lippen: ‘Ob es mir vergönnt sein wird, noch ferner Teil zu nehmen, ob ich nochmal zu einer Versammlung wiederkommen kann, das steht in Gottes Hand. Wenn es mir aber nicht vergönnt sein wird, dann bewahren Sie mir ein freundliches Andenken, und lassen Sie mich hoffe, dass wenigstens Ihre Gebete mir folgen, wenn ich nicht mehr bin.’ Die Stimme sank zum Flüstern herab. Tiefbewegt wie der Redner war die ganze Menge.”

Es war in der Tat die letzte Katholiken-Versammlung, welche Windthorst erlebte. - Am 17. Januar 1891 feierte er seinen achtzigsten Geburtstag. Im Reichstag erklärte der Präsident [Albert] von Levetzow [1827 - 1903; Reichstagspräsident 1888 - 1895]: “Meine Herren, in der Geschichte der Parlamente ist es gewiß ein sehr seltener Fall, dass ein Abgeordneter den Tag seines Eintritts in das achtzigste Lebensjahr durch persönliche lebendige Teilnahme an den Verhandlungen einer gesetzgebenden Körperschaft feiert. In dieser, soll ich sagen, glücklichen Lage ist mein verehrtes vis-à-vis, der Herr Abg. Dr. Windthorst, in der gewohnten Frische des Körpers und Geistes. Aus der Besonderheit des Falles leite ich für mich die Befugnis her - und ich bin überzeugt, dass Sie mit zustimmen, - dem Herrn Abg. Dr. Windthorst seine freundlichen Glückwunsch im Namen des Reichstags darzubringen.” (Lebhhaftes Bravo auf allen Seiten des Reichstags.) Voll Rührung erwiderte Windthorst: “Herr Präsident! Darf ich mit wenigen Worten meinen herzlichen Dank aussprechen. Es ist eine Auszeichnung, die ich zu den größten rechne, die mir in meinem Leben zu Theil geworden sind. Meinen besten Dank!” (Lebhaftes Bravo.)

Am 7. März hielt Windthorst seine letzte Rede im Reichstag; 2209 Mal hat er daselbst das Wort ergriffen. Am 10. März erschien er noch einmal im Abgeordneten-Hause; sein verändertes Aussehen fiel allgemein auf. Besorgte Freunde brachten ihn nur mit Mühe dazu, dass er sich von ihnen aus der Sitzung nach Hause bringen ließ und sich zu Bett legte. Gegen 5 Uhr konstatierten die Ärzte eine heftige Lungenentzündung. Ein Pater aus dem Jesuiten-Orden reichte dem Kranken nach dessen eigenem Wunsche die Sterbesakramente. Mit diesem kleinen Liebesdienst konnte der Ordensmann in etwa die Dankbarkeit bekunden, welche der Orden dem großen Parlamentarier schuldete dafür, dass er so mannhaft für den guten Namen und für die gute Sache des Ordens gestritten. Nach dem Empfang der hl. Sakramente sprach Windthorst zum Spender derselben: “Nun, Pater, hoffe ich doch, dass der liebe Gott mir gnädig sein wird; ich habe mich hier für seine Kirche doch so manches Mal herumgeschlagen.”

Als Kaiser Wilhelm II. von der Erkrankung Windthorsts gehört, sandte er noch gegen Mitternacht seine Flügel-Adjutanten, um sich nach dem Befinden des Kranken zu erkundigen. Am andern Morgen (Donnerstag, den 12. März) fuhr der Kaiser selbst zur bescheidenen Wohnung Windthorsts. Die Kaiserin Auguste Viktoria sandte dem Kranken einen prachvollen Blumenstrauß. Papst Leo XIII. aber sandte telegraphisch den erbetenen Segen. Sogar die politischen Gegner Windthorsts nahmen innigen Anteil, und selbst die so kirchenfeindliche “Kölnische Zeitung” schrieb: “Nicht ohne tiefe Bewegung und Rührung wird das deutsche Volk gerade in dieser Stunde, das das Centrum, gleichsam als Triumphator über die Trümmer des Volksschulgesetzes hinwegzuschreiten scheint, die Nachricht vernehmen, dass der kleine, vielgewandte und bewegliche Mann, der seine Truppen durch taktische Kreuz- und Querzüge zu manchem Erfolg geführt hat, und der mit klugem Sinn dem Ultramontanismus zur Macht emporsteigen half, von schwerer, in seinem Alter bedenklicher Krankheit bedroht wird .... Am Krankenlager Windthorsts verstummt der Parteizwist, und in jeder Brust regt sich nur die menschliche Teilnahme für das Geschick eines Mannes, der auf die Entwicklung der deutschen Dinge einen bedeutenden Einfluß ausgeübt hat.” Der Kranke begann zu phantasieren. Er sprach: “Wir wollen unsern Verstand zusammenhalten und Alles zum Frieden ordnen. Also auf friedliches Wiedersehen, meine Herren!” Dann brachte der einen Toast aus auf das Kaiserpaar; er rief: “Hoch der Kaiser!”

Am Samstag Morgen kehrte das klare Bewusstsein zurück. Windthorsts Tochter Maria war aus Hannover, vom Krankenbette ihrer Mutter, herbeigeeilt. Am Bette knieend, bat sie unter Tränen den Vater um Verzeihung für alle etwaigen Beleidigungen. Der Vater erwiderte: “Wir haben uns ja nie beleidigt; bis jetzt leben wir ja noch alle. Grüße die Mutter von mir. Wie geht’s der Mutter?”

Gegen 8 Uhr betete eine Graue Schwester die Sterbegebete. Windthorst antwortete mit lauter Stimme. Bei den Worten: “In Deine Hände befehle ich meinen Geist”, stockte der Atem: Windthorst war sanft verschieden. Es war Samstag, den 14. März 1891, Vormittags 8¼ Uhr.

Noch am selben Tage ehrten die Präsidenten der beiden parlamentarischen Körperschaften den Dahingeschiedenen durch warme Gedächtnisworte. Präsident von Levetzow sagte u.a. in seinem Nachruf im Reichstage: “Kaum Jemand im Reichstage wird rechts und links und in der Mitte wo vermißt werden, wie diese verehrte ‘kleine Excellenz’. Sein Leben ist köstlich gewesen, darin ist Mühe und Arbeit gewesen von Jugend bis ins späteste Greisenalter, und arbeitend ist er gestorben. Sie haben, meine Herren, sich zu Ehren des Heimgegangenen erhoben. Er ruhe im Frieden!”

Die Centrumsfraktion widmete ihrem großen Führer den folgenden Nachruf: “Am heutigen Tage vollendete im 80. Lebensjahre, wohlversehen mit den hl. Sterbesakramenten, sein arbeits- und segensreiches Leben Se. Excellenz der Staatsminister a. D., Reichs- und Landtags-Abgeordneter Herr Dr. Ludwig Windthorst. Kirche und Reich trauern am Sarge dieses hochbegabten und hochverdienten Mannes, welcher durch unerschütterliche Überzeugungstreue, durch hohe staatsmännische Begabung, durch die überwältigende Macht seines beredten Wortes, zugleich auch durch seltene Liebenswürdigkeit und Herzensgüte in ungewöhnlichem Maße hervorragte. Was er für das deutsche Vaterland und als treuer Sohn der katholischen Kirche für diese in einer langen Reihe von Jahren geleistet, lebt in der treuen Erinnerung und in den Herzen aller Zeitgenossen, und die Geschichte wird es künftigen Geschlechtern verkünden. Das katholische Volk Deutschlands verlierte in dem Entschlafenen den bewährtesten und eifrigsten Vertreter, den geliebtesten und hochverehrtesten Führer, den gewaltigsten Vorkämpfer. Einsam und verlassen stehen wir, seine Fraktionsgenossen, trauernd an der Bahre dieses edlen Mannes, der mehr als 20 Jahre in umsichtiger und unermüdlicher Tätigkeit an unserer Spitze stand; wir beweinen in dem Verewigten unsern Stolz und unsere Freude. Im Vertrauen auf Gott empfehlen wir die Seele des entschlafenen Freundes dem Andenken im Gebet. Berlin, den 14. März 1891. Die Centrumsfraktion des deutschen Reichstages und des preußischen Abgeordneten-Hauses. Graf v. Ballestrem. Freiherr v. Heereman.”

Der Statthalter Jesu Christi, Papst Leo XIII., antwortete unterm 19. März 1891 auf die telegraphische Mitteilung den Vorsitzenden der beiden Centrums-Fraktionen u.A. wie folgt: “Auf Eure Zustimmung vertrauend, hat er [Windthorst] in einer für die christliche Religion und das öffentliche Wohl wichtigen Zeit für die Rechte der Kirche gekämpft und die einmal übernommene Sache der Gerechtigkeit hochgemuth durchgeführt, bis er sich an dem unablässig verfolgten Ziele sah. Mit Recht rühmt Ihr Euch, einen Mann an der Spitze Eurer Fraktion gehab zu haben, welcher niemals, sei es durch die Kraft seiner Gegner, sei es durch die Strömung der öffentlichen Meinung, von seinem Wege sich hat abbringen lassen, der so sehr sein Vaterland geliebt und seinem Fürsten den schuldigen Gehorsam erwiesen hat, dass er die Erfüllung dieser Pflichten niemals von der Betätigung seiner religiösen Gesinnung getrennt hat, der in solcher Weise durch das Gewicht seiner Gründe und die Kraft seiner machtvollen Beredsamkeit seine Gegner bekämpfte, dass man leicht sehen konnte, wie bei ihm allein der Eifer für die Wahrheit die Triebfeder zum Streiten war, nicht die Begierde nach Vortheil und Ehre.”

Sogar bei seinen politischen Gegnern fand Windthorst eine Anerkennung, wie sie wohl selten unter ähnlichen Verhältnissen Jemandem zu Theil ward. Die “Norddeutsche Allgemeine Zeitung” schrieb: “Windthorst wurde aus dieser Zeitlichkeit abberufen in einem Augenblick, in welchem, aller Voraussicht nach, dankenswerte Dienste für die Volkswohlfahrt von ihm erwartet werden durften, und über die persönliche Sympathie hinaus, welche dem Ableben eines Mannes gilt, der an allen parlamentarischen und politischen Kämpfen seit mehr als einem Menschenalter in erster Reihe Theil genommen hat, wird es allseitig bedauert werden, dass die auf die weitere Mitarbeit dieses Mannes gesetzten Erwartungen nunmehr unerfüllt bleiben müssen.” Die Münchener “Allgemeine Zeitung” erklärte: “Der seltsame Mann hat größer geendet, als er begonnen, und das läßt sich nur von Wenigen sagen. Er hat um den Bau des Reiches manche feste Klammer legen helfen und ist aus dem Leben geschieden, versöhnt mit dem mächtigen staatlichen Gebilde, dessen Hüter in ihm ehedem den unversöhntlichsten Feind sahen, welchem er aber in der letzten Zeit mit Aufbietung einer parlamentarischen Macht und eines parlamentarischen Einflusses diente, für welche der Heimgegangene keinen Erben hinterlässt. Aus dem Reichstage scheidet mit ihm ein Faktor der Mäßigung aus, dessen Autorität sich über alle Gruppen unserer parlamentarischen Linken erstreckte, eine politische Größe, deren Gewandtheit in der Beherrschung der parlamentarischen Kampfesform eine fast unerreichte war. Dass sein Fehlen fortan von seinen vormaligen Gegnern vielleicht noch schwerer empfunden werden wird, als von den Gruppen, deren Leitung sich in seiner Hand vereinigte, ist wohl der größte Ruhmeskranz, der dem bedeutendsten der deutschen Parlamentarier zu Theil wird.”

Das Seelenamt für den Verstorbenen hielt Kardinal-Fürstbischof [Georg von] Kopp [von Breslau] am 17. März in der St. Hedwigskirche zu Berlin. Der Kaiser und die deutschen Bundesfürsten hatten fast ausnahmslos ihre Vertreter zu demselben entsandt. Die Spitzen der Reichs- und preußischen Staatsbehörden waren fast vollständig erschienen. Ebenso alle Mitglieder der beiden Centrums-Fraktionen und viele aus den übrigen Parteien. Man zählte gegen 400 Abgeordnete. Von der Hedwigskirche ging der Trauerzug durch die Straße Unter den Linden zum Lehrter Bahnhof. Zwei Mitglieder des Centrums: Freiherr v. Buol und Dr. Porsch, trugen auf Kissen die Ordensauszeichnungen des Verstorbenen. Der Trauerwagen durfte durch die Kaiserdurchfahrt des Brandenburger Thores gehen. Die Wachen traten unser’s Gewehr.

Am 18. März ward Windthorst zu Hannover im Mittelschiff der Marienkirche, unmittelbar vor dem Chor zur Ruhe bestattet. Eine große Volksmasse und zahlreiche Deputationen aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands betheiligten sich. Kränze waren gesandt: vom deutschen Kaiser, vom Könige von Sachsen, vom Prinzregenten von Bayern, von der Königin Marie von Hannover und vom Herzog von Cumberland. Die Kränze wurden mit der Leiche ins Grab gesenkt.

So ruhen denn die irdischen Überreste des großen Mannes in diesen, durch seine frommen Bemühungen zu Stande gebrachten, der allerseligsten Jungfrau geweihten Gotteshause. Irdische Reichthümer hatte Windthorst nicht gesucht. Großartige Anerbietungen dieser Art hatte er ausgeschlagen, um unentgeltlich Gott und seiner heiligen katholischen Kirche wirksamer dienen zu können. Ein bedeutendes Ehrengeschenk des katholischen Volkes hat er nicht für sich angenommen, sondern für den Bau seiner lieben Marienkirche in Hannover. Als am 7. November 1888, nach Vollendung des Rohbaues, zum ersten Male das Angelusglöckchen derselben läutete, sprach Windthorst zum Baumeister der Kirche: “Das ist der schönste Augenblick meines Lebens!”

So endete der große Feldmarschall der deutschen Katholiken. Ohne ihn wäre vielleicht der deutsche Katholizismus den heranstürmenden Wogen des Unglaubens erlegen. Mit seiner Hilfe konnte das religiöse Leben in Deutschland, nach Sprengung mancher bürokratischer Fessel, zu neuer Blüthe sich erschwingen. Und nicht nur die Kirche Deutschands ist dem großen Parlamentarier zum Danke verpflichtet, sondern die Kirche des ganzen Erdkreises. Denn der Kampf, welcher unter seine Leitung geführt ward, hat allen Nationen gezeigt, was sogar eine katholische Minderheit vermag, wenn sie in geschlossener Einheit dasteht, alle Sonderinteressen vor den religiösen zurückweichen läßt und von klug berechnenden Führern geleitet wird.

Personen
(Auswahl)

Lewis C. S.
Malagrida G.
Marescotti J.
Manning H. E.
Marillac L.
Maritain J.
Martin Konrad
Massaja G.
Meier H.
Mieth Dietmar
Mixa Walter
Mogrovejo T.A.
Moltke H. v.
Montalembert
Montecorvino J.
Moreno E.
Moreno G. G.
Mosebach M.
Müller Max
Muttathu-padathu
Nies F. X.
Nightingale F.
Pandosy C.
Paschalis II.
Pieper Josef
Pignatelli G.
Pius XI.
Postel M. M.
Poullart C. F.
Prat M. M.
Prümm Karl
Pruner J. E.
Quidort
Radecki S. v.
Ragueneau P.
Rahner K.
Ratzinger J.
Reinbold W.
Répin G.
Rippertschwand
Rudigier F. J.
Ruysbroek
Salvi Lorenzo
Sanjurjo D. S.
Saventhem E.
Schamoni W.
Schreiber St.
Schynse A.
Sierro C.
Silvestrelli C.
Simonis W.
Solanus
Solminihac A.
Spaemann C.
Spaemann R.
Stein Karl vom
Steiner Agnes
Sterckx E.
Stern Paul
Stolberg F. L.
Talbot Matt
Therese
Thun Leo G.
Tolkien J.R.R.
Tournon Ch.
Vénard Th.
Vermehren I.
Vianney J. M.
Walker K.
Wasmann E.
Waugh E.
Wimmer B.
Windthorst L.
Wittmann G. M.
Wurmbrand R.
Xaver Franz


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